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RICK ZABEL<br />

Mit Motivation und<br />

Freude zur Tour<br />

RALPH DENK<br />

Boras Teamchef feiert<br />

sechs nationale Meistertitel<br />

CRITÉRIUM DU DAUPHINÉ<br />

Das Strava-Ranking vom Schlagabtausch<br />

der Tour-Favoriten<br />

AUGUST <strong>2019</strong><br />

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EXKLUSIV-INTERVIEW<br />

LIZZIE<br />

DEIGNAN<br />

DIE GEWINNERIN DER WOMEN’S<br />

TOUR ÜBER MUTTERSCHAFT,<br />

COMEBACK-SIEGE UND DIE WM<br />

IN YORKSHIRE<br />

RETRO<br />

ZWISCHEN BAHN UND<br />

STRASSE – DIE KARRIERE VON<br />

PATRICK SERCU<br />

ROAD TRIP<br />

UNTERWEGS AUF DEM<br />

HIGHWAY 1 BEI DER TOUR<br />

OF CALIFORNIA<br />

RAD DES<br />

MONATS<br />

Das Pinarello<br />

Dogma F12 von<br />

Geraint Thomas<br />

SAM<br />

OOMEN<br />

SPRINTER-<br />

VOR DER GEHEIMNISSE<br />

GRÖSSTEN<br />

HERAUSFORDERUNG<br />

OLYMPIA 1992<br />

SEINES LEBENS


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PERISCOPE


EDITORIAL<br />

START MIT EINEM DOPPELKNALL<br />

Wenn Sie diese Ausgabe von Procycling in den Händen halten, geht die Tour de France <strong>2019</strong> in<br />

die entscheidende Phase. Zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Textes befand sich der gesamte<br />

Tross noch auf belgischem Boden und hatte gerade einmal zwei Etappen in den Beinen. In der<br />

Zwischenzeit dürften Triumphe und Tragödien Hand in Hand gegangen sein – schon der erste Tag<br />

der Grande Boucle versammelte beide Welten auf engstem Raum. Sprintass Dylan Groenewegen<br />

schielte beim Start in Brüssel sicher nicht nur mit einem Auge auf den Tagessieg und damit auf das<br />

erste Gelbe Trikot für einen Niederländer seit 30 Jahren, doch seine Hoffnungen zerplatzten durch<br />

einen Massensturz kurz vor dem Ziel. Das Drehbuch der Etappe tischte uns ein anderes, deutlich<br />

überraschenderes Szenario auf – statt Groenewegen war es sein ebenfalls holländischer Teamkollege<br />

Mike Teunissen, der das Team Jumbo–Visma und ganz Radsport-Oranje jubeln ließ.<br />

Auch der zweite Tourtag mit seinem Mannschaftszeitfahren folgte einer ganz besonderen Dramaturgie:<br />

Bis zum letzten Team saßen die als Erste gestarteten Fahrer von Ineos als Leader auf dem<br />

heißen Stuhl der Führenden, ehe sich Tony Martin einen Traum erfüllte und mit seinen Kollegen<br />

die Bestzeit der britischen Equipe unterbot. Genau für solche Momente wurde er von Jumbo–<br />

Visma Ende des vergangenen Jahres verpflichtet, im Vorfeld hatte Martin den Sieg an diesem Tag<br />

daher als großes persönliches Ziel ausgegeben. Was für ein Beginn für ihn und seine Mitstreiter!<br />

Ob er und andere Protagonisten mittlerweile noch dabei sind, kann ich leider nicht vorhersehen –<br />

als kleine Anekdote bleibt mir nur die Anmerkung, dass die Produktion dieser Ausgabe mit einem<br />

Tour-Zeitfahren endet und am Tag der Heftveröffentlichung ein weiteres stattfindet – dieses Mal<br />

müssen sich die Fahrer beim Kampf gegen die Uhr ganz auf sich alleine verlassen, wenn sie in<br />

Pau weitere 27 Kilometer auf ihren Zeitfahrmaschinen absolvieren. Nur dürften nun ganz andere<br />

Athleten und Ziele im Fokus stehen. Der Anfang des Rennens macht jedenfalls Lust auf mehr.<br />

Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Finale der Tour de France und dieser Ausgabe von Procycling.<br />

Chris Hauke<br />

Redaktion


INHALT<br />

AUSGABE 186 / AUGUST <strong>2019</strong><br />

30<br />

LIZZIE DEIGNAN<br />

Die Fahrerin von Trek-Segafredo über das Leben als<br />

Mutter und ihre Ambitionen bei der Heim-WM.<br />

39<br />

TALENTSCHMIEDE YORKSHIRE<br />

Lizzie Deignan ist nicht die einzige Topfahrerin aus der<br />

Herzkammer des britischen Radsports.<br />

RUBRIKEN<br />

© Jesse Wild<br />

6<br />

SCHNAPP-<br />

SCHUSS<br />

Rennen im Bild<br />

14<br />

PROLOG<br />

Aus dem Herzen<br />

des Pelotons<br />

24<br />

INSIDER<br />

Rick Zabel<br />

& Ralph Denk<br />

28<br />

STRAVA<br />

Die Daten<br />

der Profis<br />

70<br />

NACHLESE<br />

Analysen, Daten,<br />

Erkenntnisse<br />

88<br />

WUNSCH-<br />

LISTE<br />

Produkt-Highlights<br />

96<br />

VORSCHAU<br />

Themen der<br />

nächsten Ausgabe<br />

98<br />

JENS VOIGT<br />

Das letzte<br />

Wort<br />

4 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


42<br />

SAM OOMEN<br />

Nach dem Saison-Aus – der talentierte Niederländer steht vor der<br />

größten Herausforderung seiner noch jungen Karriere.<br />

48<br />

JACK BAUER<br />

Heimunterricht, Rock’n’Roll-Band, Uni-Diplom – der Neuseeländer<br />

hat den vielleicht außergewöhnlichsten Lebenslauf im Peloton.<br />

52<br />

AUF TOUR MIT CANYON-SRAM<br />

Zwischen Höhen und Tiefen – Procycling erlebte die Women’s<br />

Tour hautnah am deutschen Topteam.<br />

60<br />

TOUR OF CALIFORNIA<br />

Bericht aus Übersee – die besondere Atmosphäre und Landschaft<br />

des beliebtesten und besten Radrennens in Amerika.<br />

80<br />

RETRO: PATRICK SERCU<br />

Procycling blickt auf das Leben und die Karriere des größten<br />

Sechstage-Fahrers der Radsportgeschichte zurück.<br />

© Getty Images, Jojo Harper (Mitte)<br />

AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 5


SCHNAPPSCHUSS<br />

IMPRESSIONEN DER TOUR DE FRANCE<br />

DIE TEAM-<br />

PRÄSENTATION<br />

Brüssel im Ausnahmezustand –<br />

vor dem Grand Départ waren selbst<br />

die Wahrzeichen der belgischen<br />

Hauptstadt in Gelb gewandet.<br />

Fahrer und Fans genossen das<br />

Spektakel in vollen Zügen.<br />

© Tim De Waele/Getty Images<br />

© Chris Graythen/Getty Images (Viviani)<br />

6 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 7


SCHNAPPSCHUSS<br />

DIE FÜNF<br />

MUSKETIERE<br />

Gute Laune bei Bora–hansgrohe:<br />

Maximilian Schachmann, Emanuel<br />

Buchmann, Teamchef Ralph Denk,<br />

Patrick Konrad und Peter Sagan (v.<br />

l. n. r) zeigen sich vor dem Start der<br />

Grande Boucle in bester Stimmung<br />

und hoffen auf drei erfolgreiche<br />

Wochen.<br />

© Justin Setterfield/Getty Images<br />

8 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


SCHNAPPSCHUSS<br />

AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 9


SCHNAPPSCHUSS<br />

DER ERSTE BERGKÖNIG<br />

Greg Van Avermaet bezwingt die Mauer von<br />

Geraardsbergen vor allen anderen und sichert sich<br />

die entscheidenden Punkte im Kampf um das erste<br />

Bergtrikot der Tour <strong>2019</strong>. Mehr wollte er an<br />

diesem Tag nicht erreichen. Im Anschluss<br />

lässt er sich zurückfallen.<br />

© Tim De Waele/Getty Images<br />

10 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


SCHNAPPSCHUSS<br />

STURZOPFER &<br />

ERSATZSIEGER<br />

Nicht nur Jakob Fuglsang (links<br />

oben) erwischt es auf der ersten<br />

Etappe, auch der favorisierte Dylan<br />

Groenewegen kommt kurz vor dem<br />

Ziel zu Fall und muss alle Hoffnungen<br />

auf den Tagessieg begraben.<br />

Für ihn springt sein Jumbo–Visma-<br />

Teamkollege Mike Teunissen in<br />

die Bresche – im Sprint schlägt er<br />

überraschend Peter Sagan und<br />

holt das erste Gelbe Trikot für die<br />

Niederlande seit Erik Breukink im<br />

Jahr 1989.<br />

© Pool/Getty Images (klein)<br />

© Chris Graythen/Getty Images (oben)<br />

© Justin Setterfield/Getty Images (unten)<br />

AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 11


SCHNAPPSCHUSS<br />

TONYS TRAUM<br />

WIRD WAHR<br />

Tony Martin (links) wird die zweite<br />

Etappe für immer in Erinnerung<br />

bleiben. Als Lokomotive führt er<br />

sein Team Jumbo–Visma beim<br />

Mannschaftszeitfahren zum Sieg<br />

und sichert dabei auch das Gelbe<br />

Trikot von Mike Teunissen. Es war<br />

sein größtes Ziel bei der<br />

diesjährigen Tour de France.<br />

© Tim De Waele/Getty Images<br />

12 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


SCHNAPPSCHUSS<br />

AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 13


PROLOG<br />

AUS DEM HERZEN DES PELOTONS<br />

LA VUELTA <strong>2019</strong><br />

Nach der Tour ist vor der Vuelta.<br />

© NurPhoto/Getty Images<br />

Im August komplettiert die Vuelta das Dreigestirn<br />

der großen Landesrundfahrten. Die<br />

74. Auflage des spanischen Rennens findet<br />

zwischen dem 24. August und dem 15. September<br />

<strong>2019</strong> statt. Auf einer Distanz von 3.272,2<br />

Kilometern enthält die Vuelta acht Bergankünfte,<br />

von denen fünf neu auf dem Programm stehen.<br />

Das spanische Rennen beginnt mit der ersten<br />

von drei Etappen an der Costa Blanca in Salinas<br />

de Torrevieja mit einem Teamzeitfahren. Auf seinem<br />

Weg verlässt das Peloton die Provinz Alicante;<br />

er führt neben Valencia, Teruel, Castellon und<br />

Tarragona auch an Barcelona vorbei. Das Gesamtklassement<br />

wird sich wahrscheinlich bereits in<br />

dieser Anfangsphase formieren, die mehrere<br />

Sprints und neue Anstiege umfasst und es den<br />

Topfahrern ermöglicht, sich von den anderen<br />

Rennteilnehmern abzuheben.<br />

Vor dem ersten Ruhetag steigt dann die Spannung,<br />

wenn sich auf einer der Königsetappen von<br />

Andorra la Vella nach Alto Els Cortals d’Encamp<br />

die ersten unerwarteten Wendungen zeigen werden.<br />

Die spektakuläre Bergetappe im Fürstentum<br />

Andorra erklimmt eine Reihe der härtesten Gebirgspässe<br />

in Andorra und enthält mit dem Call<br />

d’Engolasters einen neuen, vier Kilometer langen<br />

Anstieg der 2. Kategorie. Die weitere Route führt<br />

dann über die Grenze nach Frankreich und kehrt<br />

über Navarra, das Baskenland, Kantabrien und<br />

Asturien auf die Halbinsel zurück, wo zur Freude<br />

der Kletterer einige bekannte und auch einige<br />

neue Gipfel für dieses Jahr in Angriff genommen<br />

werden, zum Beispiel Santuario del Acebo oder<br />

Alto de La Cubilla.<br />

In der letzten Woche wechselt das Rennen zum<br />

Zentralmassiv, abwechselnd zwischen Kastilien-<br />

La Mancha, Kastilien und Leon und der Autonomen<br />

Gemeinschaft Madrid, mit einem herausfordernden<br />

Finale in den Bergen von Gredos und<br />

Guadarrama. Es führt über die mythischen Bergpässe<br />

von La Vuelta, darunter La Morcuera, der<br />

uns bei der Vuelta 2015 ein spannendes Etap-<br />

14 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


Das Podium der letztjährigen<br />

Ausgabe: Simon Yates, Enric Mas<br />

und Miguel Angel Lopez.<br />

penfinale bescherte, als Fabio Aru auf der<br />

20. Etappe das rote Trikot von Tom Dumoulin<br />

in einem packenden Duell übernahm und sich<br />

somit den Gesamtsieg holte.<br />

„Es wird eine harte, aber sehr interessante Vuelta<br />

werden, voller Überraschungen, packender Duelle<br />

und mitreißender Emotionen. Kurze, aber intensive<br />

Etappen einschließlich vieler Innovationen und<br />

neuer, beispielloser Anstiege. Die Marke Vuelta ist,<br />

was sie ist, und wir werden sie nie aufgeben, im Gegenteil,<br />

wir wollen sie weiter stärken“, sagte Javier<br />

Guillen, General Manager von La Vuelta.<br />

Entscheiden dürfte sich die Vuelta also wieder<br />

unter den Kletterern, denn neben dem Zeitfahren<br />

der ersten Etappe gibt es auf der 10. Etappe von<br />

Jurancon nach Pau nur ein weiteres, 36,1 Kilometer<br />

langes Zeitfahren. Ebenso schlecht sind die<br />

Aussichten für die Sprinter, denen das hügelige<br />

Profil der Vuelta wenig entgegenkommt und nur<br />

einige Chancen für Massensprints bietet.<br />

LA ROJA FEIERT SEIN ZEHNJÄHRIGES<br />

JUBILÄUM<br />

Das Rote Trikot des Führenden feiert in diesem<br />

Jahr sein zehnjähriges Jubiläum. Vincenzo Nibali<br />

trug 2010 als erster Gewinner der spanischen<br />

Grand Tour das Rote Trikot, das das Goldene Trikot<br />

ersetzte, welches Alejandro Valverde zuletzt<br />

gewonnen hatte. „Rot wird mit Erfolg, Leidenschaft<br />

und Spanien in Verbindung gebracht und<br />

ist heute fest mit dem unvergleichlichen sportlichen<br />

Spektakel verbunden, das unser Rennen<br />

darstellt“, erklärte Javier Guillen. Die Liste der<br />

Fahrer, die das Rote Trikot in der jüngeren Vergangenheit<br />

am Ende der Rundfahrt erkämpft<br />

haben, umfasst Namen wie Fabio Aru, Vicenzo<br />

Nibali, Nairo Quintana, Alberto Contador, Chris<br />

Froome oder Simon Yates, der sich als Letzter<br />

diesem elitären Club anschloss.<br />

Neben dem tatsächlichen Rennen ist auch die<br />

zu erwartende Liste der teilnehmenden Fahrer<br />

recht spannend. Das durch Stürze und fehlende<br />

Form bedingte Favoritensterben der Tour wird<br />

auch an der Vuelta nicht ganz vorbeigehen. Es<br />

bleibt also abzuwarten, welche unserer Stars wir<br />

am 24. August an der Startlinie sehen werden.<br />

AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 15


PROLOG<br />

IN ALLER KÜRZE<br />

2021<br />

Das Jahr, bis zu dem Weltmeister<br />

Alejandro Valverde seinen Ver -<br />

trag mit Movistar verlängert hat.<br />

Der 39-Jährige hat bereits erklärt,<br />

dass das Straßenrennen der<br />

Olympischen Spiele in Tokio im<br />

Jahr 2020 ein wichtiges Ziel ist,<br />

und er danach eine weitere Saison<br />

weiterfahren wird.<br />

„DAS WIRD<br />

SICHERLICH<br />

EINE ROLLE<br />

BEI MEINER<br />

ENTSCHEIDUNG<br />

SPIELEN.“<br />

Philippe Gilbert gibt zu, dass seine<br />

Zukunft ungewiss ist, nachdem<br />

Deceuninck–Quick-Step ihn aus<br />

dem diesjährigen Tour-de-France-<br />

Team ausgeschlossen hat.<br />

Madison-Genesis,<br />

eines der ältesten und<br />

erfolgreichsten Teams auf<br />

englischen Rennstrecken,<br />

wird Ende <strong>2019</strong> aufhören.<br />

Das Continental-Team<br />

unterstützte im vergange -<br />

nen Jahr eine Reihe von<br />

aufstrebenden Talenten wie<br />

Scott Davies, Tom Scully<br />

und den britischen Meister<br />

Connor Swift.<br />

Nur sechs Tage trennen<br />

die Tour de France und<br />

das Herren-Straßenrennen<br />

der Olympischen Spiele im<br />

nächsten Jahr. Es bedeutet,<br />

dass Fahrer, die in Tokio um<br />

eine Goldmedaille kämpfen<br />

wollen, sich wahrscheinlich<br />

frühzeitig von der Tour<br />

verabschieden oder ganz auf<br />

sie verzichten müssen.<br />

Zeitfahren<br />

zu Beginn<br />

des Giro<br />

Zum dritten Mal in Folge wird der<br />

Giro d’Italia im nächsten Jahr mit<br />

einem kurzen Einzelzeitfahren<br />

eröffnet. Die Organisatoren von<br />

RCS stellten die Details zur Grand<br />

Partenza 2020 in Ungarn vor.<br />

37<br />

Rennen stehen bei der WorldTour<br />

der Herren für 2020 auf dem Plan.<br />

Die Anzahl ist um eines niedriger<br />

als in der laufenden Saison, da<br />

die Türkei-Rundfahrt aus dem<br />

Rennkalender genommen wurde.<br />

Team<br />

Virtu vor<br />

dem Aus<br />

Trotz seiner Siege bei der Flandern-Rundfahrt<br />

und der Ronde van<br />

Drenthe in diesem Frühjahr wird<br />

das Team Virtu Cycling am Ende<br />

der Saison schließen, da es keinen<br />

neuen Sponsor findet. Bis Ende<br />

Juni feierte das Team zwölf Siege,<br />

vor allem dank der Europameisterin<br />

Marta Bastianelli.<br />

© Getty Images<br />

Die Zukunft des ältesten, durchgehend durchgeführten Etappenrennens<br />

im Damenradsport steht auf der Kippe. Das baskische Rennen<br />

Emakumeen Bira, das erstmals 1988 stattfand, ist im Kalender der<br />

Women’s WorldTour 2020 nicht vertreten.<br />

„Er ist ein Gewinner und<br />

hat den Instinkt und<br />

das Wissen, wie man Siege<br />

erringt, das er immer gerne<br />

mit unseren jüngeren Fahrern<br />

teilt. (…) Das ist die Einstellung,<br />

die wir an ihm schätzen.“<br />

Patrick Lefevere lobte Ždenek<br />

Štybar, nachdem der<br />

Tscheche seinen Vertrag mit<br />

Deceuninck–Quick-Step<br />

verlängert hatte.<br />

10 km<br />

Die Distanz, um die die 3. Etappe<br />

der ZLM-Tour während des Rennens<br />

verkürzt wurde. Nachdem ein<br />

Polizeimotorrad mit einem Auto<br />

kollidiert war, verzichteten die<br />

Organisatoren auf die letzte<br />

Runde, um die Sicherheit der<br />

Fahrer zu gewährleisten.<br />

16 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


PROLOG<br />

„ICH BIN NICHT ÜBER-<br />

MENSCHLICH. ICH HABE<br />

GERADE EINE SCHWERE ZEIT<br />

HINTER MIR, ABER ES IST<br />

KEINE RACHE. ICH HATTE<br />

SCHON IMMER DIESE BEINE.<br />

ICH MUSSTE SIE EINFACH<br />

WIEDERFINDEN.“<br />

Der neue französische Meister Warren Barguil gab zu, dass er<br />

nach schwierigen 18 Monaten ohne Rennsieg über sein<br />

Karriereende nachdachte.<br />

„EIN<br />

WECHSEL<br />

KOMMT<br />

AKTUELL<br />

NICHT<br />

INFRAGE.“<br />

Tom Dumoulin entkräftet gegenüber<br />

De Telegraaf Gerüchte in der<br />

niederländischen Presse, die über<br />

seinen angeblichen Weggang von<br />

Sunweb berichtet hatten.<br />

2023<br />

Das Jahr, bis zu dem AG2R<br />

La Mondiale sein Sponsoring<br />

des französischen WorldTour-<br />

Kaders verlängert hat. Die<br />

Versicherungsgesellschaft<br />

unterstützt das Team bereits<br />

seit 1997.<br />

Tadej Pogacar hat zwar<br />

erst die erste Hälfte<br />

seiner Debütsaison in der<br />

WorldTour absolviert, aber<br />

der 20-Jährige beeindruckte<br />

sein Team UAE Emirates so<br />

stark, dass es seinen Vertrag<br />

bis 2023 verlängerte. Der<br />

Slowene gewann bereits die<br />

Algarven-Rundfahrt sowie die<br />

Kalifornien-Rundfahrt.<br />

Verfahren<br />

geht<br />

weiter<br />

Die UCI hat eine Untersuchung<br />

wegen angeblichen Missbrauchs<br />

gegen den Manager Patrick<br />

Van Gansen vom Health Mates<br />

Ladies Team eingeleitet. Bisher<br />

haben neun Fahrerinnen Anschuldigungen<br />

erhoben. Die Beschwerden<br />

der Fahrer kon zentrieren<br />

sich auf Verstöße gegen den<br />

Verhaltenskodex der UCI, insbesondere<br />

auf den Schutz der<br />

körperlichen und geistigen Integrität<br />

vor sexueller Belästigung<br />

und Missbrauch. Van Gansen<br />

bestreitet alle Vorwürfe.<br />

111 h<br />

48 min<br />

Die Zeit, die Lachlan Morton von<br />

EF Education First benötigte, um<br />

das 2.000 Kilometer lange GB-<br />

Duro-Rennen von Land’s End bis<br />

John O’Groats zu beenden und zu<br />

gewinnen. Der 27-jährige<br />

Amerikaner bestritt die<br />

Veranstaltung im Rahmen seines<br />

„alternativen Rennkalenders“. „Es<br />

war die unglaublichste Erfahrung<br />

meines Lebens“, sagte Morton.<br />

6Bora–hansgrohe vereint nun<br />

die Trikots mehrerer nationaler<br />

Meister in seinem Team. Patrick<br />

Konrad, Juraj Sagan, Davide<br />

Formolo, Sam Bennett und Max<br />

Schachmann gewannen die<br />

Straßenrennen in Österreich, der<br />

Slowakei, Italien, Irland und<br />

Deutschland, während Maciej<br />

Bodnar den polnischen Titel im<br />

Zeitfahren gewann.<br />

Frankreich<br />

hat einen<br />

neuen<br />

Trainer<br />

Thomas Voeckler wird die Rolle<br />

des Cheftrainers für die französische<br />

Nationalmannschaft<br />

übernehmen. Er wird Nachfolger<br />

des 72-jährigen Cyrille Guimard,<br />

der dieses Amt zwei Jahre lang<br />

innehatte.<br />

„ICH WILL<br />

NICHT HINTER<br />

DEN ANDEREN<br />

FAHRERN<br />

ZURÜCK-<br />

BLEIBEN.<br />

ES IST EINE<br />

SCHWIERIGE<br />

EINTSCHEI-<br />

DUNG, ABER ES<br />

GIBT EINIGE<br />

OPTIONEN.“<br />

Sam Bennett deutet Cyclingnews<br />

an, dass seine Zukunft weg von<br />

Bora–hansgrohe liegt, nachdem<br />

er in diesem Jahr die Giro- und<br />

Tourauswahl verpasst hat.<br />

© Getty Images<br />

AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 17


PROLOG<br />

GERAINT THOMAS<br />

PINARELLO<br />

DOGMA F12<br />

Der Tour-de-France-Sieger<br />

von 2018 bekommt ein<br />

brandneues Rad für die<br />

Titelverteidigung.<br />

Pinarello beliefert das britische Team Ineos seit<br />

der ersten Saison 2010 mit Fahrrädern. In dieser<br />

Zeit feierte die italienische Marke einen beispiellosen<br />

Erfolg: Sechs große Rundfahrten wurden auf ihren<br />

Rädern gewonnen.<br />

Die neueste Rennmaschine, die im Mai vorgestellt wurde,<br />

ist das F12. Es ist der Nachfolger des F10 und des F8,<br />

das in Zusammenarbeit mit Aerodynamikexperten von<br />

Jaguar-Land Rover entwickelt wurde. Nach außen hin<br />

wirkt es ähnlich wie das F10 – die niedrige Sitzstrebenverbindung<br />

ist bei beiden Modellen gleich und das Unterrohr<br />

ist etwas vertieft, sodass die Luft besser an den<br />

Trinkflaschen vorbeiströmt.<br />

Der Großteil der Aero-Optimierung beim F12 kommt<br />

vom neuen, integrierten Talon-Ultra-Vorbau und -Lenker,<br />

der leichter und steifer sein soll als sein Vorgänger,<br />

der Talon Aero. Dank eines etwas massiveren Tretlagerbereiches<br />

bietet das Fahrrad eine bessere Kraftübertragung.<br />

Pinarello sagt, dass man all dies erreicht habe,<br />

ohne den Rahmen schwerer zu machen. Ineos wird von<br />

Shimano gesponsert, weshalb Thomas’ Rad mit einer<br />

Dura-Ace-Di2-Gruppe ausgestattet ist, und da dies sein<br />

Trainingsrad ist, rollt es aus praktischen Gründen auf<br />

C60-Clincherfelgen.<br />

© Ian Walton, Getty Images (Porträt)<br />

AUSSTATTUNG<br />

Rahmen Pinarello Dogma F12 und Onda-F12-Gabel<br />

Ausstattung Pinarello-Talon-Ultra-Lenker und -Vorbau;<br />

Dogma-F12-Sattelstütze; Fizik-Arione-R1-Sattel; Shimano-<br />

Dura-Ace-Pedale Schaltgruppe Shimano-Dura-Ace-<br />

Hebel und -Schaltung; Dura-Ace-Direct-Mount-Felgenbremsen<br />

Kurbel Shimano-Dura-Ace-53/39-Kettenblätter<br />

mit Leistungsmesser Laufräder Shimano Dura-Ace 9100<br />

C60 Reifen Continental-5000-Drahtreifen<br />

WALISISCHER DRACHE<br />

Der Ineos-Rahmen ist eher dezent,<br />

aber ein Ddraig Goch am Steuersatz<br />

deutet auf den Fahrer dieser<br />

Rennmaschine hin.<br />

AERO-COCKPIT<br />

Lenker und Vorbau machen<br />

20 Prozent der Front aus, weshalb<br />

Pinarello sein Talon Ultra Cockpit<br />

für das F12 neu entwickelte.<br />

18 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


PROLOG<br />

BREMSHILFE<br />

Der von Ineos gefahrene F12-<br />

Rahmen wurde optimiert, um<br />

stärkere Direct-Mount-Bremsen<br />

montieren zu können.<br />

KETTENFÄNGER<br />

Der Di2-Umwerfer ist mit einem<br />

K-Edge-Kettenfänger kombi -<br />

niert – zehn Gramm Sicherheit<br />

gegen herunterfallende Ketten.<br />

SITZGELEGENHEIT<br />

Sättel tendieren neuerdings zu kürzeren<br />

Formen, aber Thomas bleibt<br />

relativ altmodisch mit einem Fizik<br />

Arione R1, der lang, aber leicht ist.<br />

SCHALTPRÄZISION<br />

Das Direct-Mount-Schaltauge ist<br />

steifer als bisher verwendete<br />

Schaltaugen und verbessert so die<br />

Schaltgenauigkeit.<br />

AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 19


PROLOG<br />

SCHAUFENSTER<br />

PRODUKT-TIPPS ZUR TOUR DE FRANCE<br />

Tour de France <strong>2019</strong><br />

TOUR DE FRANCE AM COMPUTER<br />

© Hersteller<br />

Die Tour de France ist in vollem Gange. Wem die Etappen im<br />

Fernsehen nicht ausreichen, der kann mit dem Spiel Tour de<br />

France <strong>2019</strong> von Bigben Interactive und Cyanide nun selbst in<br />

die Rolle eines Fahrers schlüpfen. Insgesamt stehen 761 Profis<br />

zur Wahl, mit denen man auf den originalgetreu nachgebauten<br />

21 Etappen der diesjährigen Frankreich-Rundfahrt in die Pedale<br />

treten und um das Maillot Jaune kämpfen kann. Zum ersten<br />

Mal in der Geschichte der Serie können die Spieler auch online<br />

spielen und bis zu drei andere Spieler in kürzeren, intensiveren<br />

Rennen herausfordern: Abfahrten, Sprints, Teamtaktiken. Neben<br />

der Tour de France sind auch weitere Rennen, etwa die Flandern-<br />

Rundfahrt, verfügbar. Gespielt werden kann das Game auf den<br />

Konsolen PlayStation 4 und Xbox One.<br />

www.bigben-interactive.de / www.cyanide-studio.com<br />

20 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


PROLOG<br />

_arena<br />

EINE HOMMAGE<br />

AN DIE WELTWEIT<br />

GRÖSSTE ARENA<br />

_arena heißt die neueste Ausstellung und Buchveröffentlichung<br />

des renommierten Fotografen Tino Pohlmann. Der Bildband<br />

möchte die Schönheit und Erhabenheit der Tour de France durch<br />

seine zwei wesentlichen Mitgestalter feiern: die schroffen, wilden<br />

Berge Frankreichs und die Hunderttausenden Fans, die die Natur -<br />

landschaft in die weltweit größte Open-Air-Sportstätte verwandeln.<br />

Pohlmanns großformatige Bilder machen diese einzigartige<br />

Vereinigung von Natur und Sport sichtbar und fungieren als<br />

Hommage an die Zuschauer, deren Präsenz vor der gewaltigen<br />

Naturkulisse die wahre Größe der Tour zeigen. Das Buch ist in<br />

einer limitierten Auflage von 1.000 Stück erhältlich – ein ganz<br />

besonderes Werk für Fans. Die Vorstellung des Buches (64 Seiten<br />

mit 29 Abbildungen) fand am 27. Juni in Berlin statt, im Interview<br />

sprach Procycling mit Pohlmann über sein neuestes Werk.<br />

Herr Pohlmann, wie ist die Idee zu dem Bildband<br />

entstanden?<br />

Eigentlich entstand die Idee zum Buch eher aus der<br />

Situation heraus. Ich habe die Ausstellung _arena schon lange<br />

im Zusammenhang mit der Online-Plattform collected.photo<br />

geplant und ursprünglich sollte es „nur“ ein Ausstellungskatalog<br />

werden. Jetzt ist es ein kleines Buch geworden mit einer größeren<br />

Auflage als ein Ausstellungskatalog. Etwas aufwendiger gestaltet<br />

und umgesetzt, sodass man die Arbeit mit vielen Fans<br />

der Tour, Fotoliebhabern und Kunstinteressierten teilen kann.<br />

Das Buch _arena wird quasi eine Brücke von meinem letzten<br />

Buch Captured zu einer etwas größeren Arbeit in fünf Jahren –<br />

meine 20. Tour de France – bilden.<br />

Warum eigentlich der Name Arena? Inwieweit nehmen<br />

Sie die Tour de France als Arena wahr?<br />

_arena ist eine Hommage von mir an die letzte verbleibende<br />

Arena. An den Kampfplatz, den der Zuschauer ohne das Zahlen<br />

von Eintrittsgeldern betreten und so eines der weltweit größten<br />

Sportereignisse hautnah miterleben kann. Arena ist eine Huldigung<br />

an die Schönheit der Berge und zugleich an die Tour de<br />

France selbst, welche Jahr für Jahr Millionen Menschen in ihren<br />

Bann zieht. Ich nehme die Berge besonders als Arena wahr. Sie<br />

bilden für mich den Hauptkampfplatz des Heldenkampfes im<br />

Radsport. Alle möglichen Dramen spielen sich in jeder Hinsicht<br />

an einem Berg ab. Mit einem Blick in die Geschichte der Tour<br />

weiß jeder, was ich damit meine. Es geht bis in den Tod aber<br />

auch neue Helden werden geboren, Helden verlieren, denn ein<br />

Berg verzeiht keine Schwächen eines Fahrers und lässt sich direkt<br />

einen ungerechten Tribut an Leiden zahlen. Diese kleinen<br />

und großen Dinge auch jenseits des Pelotons, am Rande, inspirieren<br />

mich immer wieder neu. Der Mensch gegen die Natur –<br />

er bezwingt den Berg in übermenschlicher Manier und das Volk,<br />

die Fans werden hautnah Zeuge dessen.<br />

Sie sind seit vielen Jahren bei der Tour dabei. Woher<br />

kommt eigentlich Ihre Leidenschaft zum Radsport?<br />

Als Jugend- und Juniorenfahrer bin ich selbst im Sattel gesessen<br />

und Rennen gefahren – ich denke, das hat mich sehr geprägt.<br />

Auf jeden Fall hilft es mir, die Rennen zu lesen und ein eigenes,<br />

selbst erfahrenes Gefühl zum Sport zu haben. Später, während<br />

meines Designstudiums, habe ich dann beschlossen, meine<br />

Diplomarbeit über die Tour de France zu schreiben und zu bebildern.<br />

So war ich 2004 das erste Mal bei der Tour de France<br />

als Fotograf. Das war vor 15 Jahren für mich der Startschuss<br />

für ein sehr langes Fotoprojekt. Ich fotografiere die Tour seitdem<br />

jedes Jahr. Die Liebe zum Radsport und die Möglichkeit,<br />

diese in meiner Arbeit einfließen zu lassen, machen mich sehr<br />

glücklich.<br />

Sie sind also auch bei der diesjährigen Tour de France<br />

dabei?<br />

Natürlich.<br />

Auf was freuen Sie sich bei der Tour de France <strong>2019</strong> am<br />

meisten?<br />

Auf die Berge [lacht]. Nein, im Ernst: Mich fasziniert an dieser<br />

Sportart die Tatsache, dass man nie genau weiß, was passieren<br />

wird. Alles ist möglich, das löst eine Spannung bei mir aus, auf<br />

die ich mich freue. Ich freue mich auf die Abenteuer, auf die<br />

Nähe zu meinen Partnern. Ich fotografiere seit Jahren im Auftrag<br />

für Canyon Bicycles die Tour, nah an den Profiteams, das<br />

ist besonders, da wachsen Teams und Freundschaften – auch<br />

darauf freue ich mich sehr. Am meisten jedoch auf die letzten<br />

Kämpfe in den Bergen. Dieses Jahr in den französischen Alpen.<br />

© Tino Pohlmann<br />

AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 21


PROLOG<br />

Oakley<br />

JUBILÄUM<br />

IN GELB<br />

Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums<br />

des ersten gelben Trikots, das der<br />

führende Teilnehmer in der Gesamtwertung<br />

der Tour de France trägt, hat der<br />

Brillenspezialist Oakley eine spezielle<br />

Tour-de-France-Kollektion aufgelegt.<br />

Die verschiedenen Modelle sind unter<br />

anderem mit Platinelementen bestückt<br />

und kommen mit den aktuellen Prizm-<br />

Road-Gläsern. Diese wurden speziell im<br />

Hinblick auf die komplexe Farbinterpre -<br />

tation des menschlichen Auges designt.<br />

Das Ziel: Kontraste erhöhen, sodass<br />

Nuancen besser wahrgenommen werden.<br />

Der Hersteller verspricht sogar, dass<br />

Details erkennbar werden, die man<br />

normalerweise nicht sehen würde. Das<br />

Tour-de-France-Logo auf den Gläsern<br />

rundet den Auftritt der Sonderedition<br />

gelungen ab.<br />

Mavic<br />

LAUFRÄDER FÜR TOUR-FANS<br />

Etwas ganz Besonderes hat sich Mavic mit seiner Tour de France Limited Edition einfallen<br />

lassen. Die Laufradsätze Comete, Cosmic und Ksyrium gibt es nämlich auch in einem<br />

speziellen Tour-de-France-Design. Je nach Einsatzbereich der Laufräder unterscheiden sich<br />

die Looks: Die Comete sind so mit ihren Motiven von den diesjährigen Flachetappen der<br />

Sprinter inspiriert. Die Cosmic hingegen widmen sich den hügeligen Etappen der Frankreich-<br />

Rundfahrt <strong>2019</strong> für die Puncheure. Und die Ksyrium wiederum punkten im Design der Bergfahrer<br />

mit den Anstiegen und Bergetappen der Großen Schleife. Alle drei Modellfamilien gibt<br />

es in verschiedenen Varianten – unter anderem für Scheibenbremsen und Tubeless – ideal,<br />

um dem eigenen Renner pünktlich zur Tour das gewisse Etwas zu verleihen.<br />

www.mavic.com<br />

www.oakley.com<br />

Tissot<br />

DIE TOUR-ZEIT IMMER IM BLICK<br />

© Hersteller<br />

Der Schweizer Uhrenspezialist Tissot<br />

huldigt auch der diesjährigen Frank -<br />

reich-Rundfahrt wieder mit zwei<br />

Spezialeditionen. Die Chrono XL Tour<br />

de France <strong>2019</strong> widmet sich dabei<br />

dem 100-jährigen Jubiläum des Maillot<br />

Jaune. Der schwarz-gelbe Quarz-Chronograf<br />

wird mit zwei Wechselarmbändern<br />

ausgeliefert, von denen eines<br />

von zahlreichen Gelben Trikots geziert<br />

wird. Auf dem Zifferblatt ist außerdem<br />

ein dezentes Speichenmuster erkenn -<br />

bar. Die zweite der Tour gewidmete<br />

Uhr ist die T-Race Cycling Tour de<br />

France <strong>2019</strong>, die Fahrraddetails wie<br />

Ritzel rund um die Zähler, auf der<br />

Krone sowie auf dem Gehäuseboden,<br />

das Rad in der Gabel in Form der Zeiger<br />

oder die Schalt-/Bremshebel als<br />

Drücker aufnimmt, kombiniert mit<br />

einem „asphaltgekörnten“ Zifferblatt.<br />

www.tissotwatches.com<br />

22 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


PROLOG<br />

Namedsport<br />

TOUR DE FRANCE IN DER FLASCHE<br />

Tour de France auch in der Trinkflasche bietet Namedsport. Der Nutritionspezialist hat<br />

nämlich ebenfalls ein spezielles Tour-de-France-Angebot seines Hydrafit Isodrinks im<br />

Angebot. Die exklusive Mischung enthält Mineralsalze, Maltodextrin und Vitamine und ist<br />

speziell zur Zubereitung eines hypotonischen und elektrolytischen Getränks entwickelt<br />

worden. Damit ist es besonders für heiße Tage in den Alpen oder Pyrenäen geeignet, wenn<br />

man bei intensiven Einheiten Flüssigkeits- und Salzverlust durch starkes Schwitzen ausgleichen<br />

muss. Netter Nebeneffekt: Die Mischung verringert Müdigkeit und Erschöpfung<br />

der Muskulatur und hilft so auch gegen Krämpfe und Muskelschmerzen. Im Lieferumfang<br />

enthalten sind eine 400-Gramm-Dose sowie eine Trinkflasche.<br />

www.namedsport.com<br />

Look<br />

PEDALE FÜR<br />

TOUR-FANS<br />

<strong>2019</strong> werden bei der Tour de France neun Teams mit Look-Pedalen ausgestattet sein. Doch<br />

die Verbindung des französischen Herstellers zum größten Radrennen der Welt geht noch<br />

weiter: Wie schon in den vergangenen Jahren bringt man auch <strong>2019</strong> wieder eine Spezialedition<br />

der berühmten Kéo-Pedale in den Handel. Der Name: Look Kéo Blade Carbon Ceramic<br />

Titan Tdf 19. Die limitierten Pedale sind auf den Einsatz im Rennsport zugeschnitten und<br />

verfügen unter anderem über Keramiklager. Besonderer Wert wurde zudem auf das Gewicht<br />

gelegt. Mit Titanachse beträgt das Gewicht eines Pedalkörpers so gerade einmal 95 Gramm.<br />

www.lookcycle.com / www.grofa.com<br />

Elite<br />

TRINKEN WIE<br />

DIE TOUR-<br />

SIEGER<br />

Speziell zur Tour de France gibt es von<br />

Elite wieder die Trinkflasche Fly in<br />

speziellem Design. Die Trinkflaschenserie<br />

wird exklusiv für die Tour de France <strong>2019</strong><br />

hergestellt und ist unter anderem mit<br />

den offiziellen Logos der Veranstaltung<br />

bedruckt. Das Modell selbst überzeugt<br />

unter anderem durch seinen ergonomisch<br />

designten Deckel, der mit einem Ventil<br />

aus weichem, geruchs- und geschmacksneutralem<br />

Silikon für einfaches Befüllen<br />

und Reinigen sowie einfache und hohe<br />

Flüssigkeitsabgabe bestückt ist. Auch die<br />

gute Griffigkeit und zugleich gute Quetschbarkeit<br />

fallen positiv auf. Mit einem Durch -<br />

messer von 74 Millimetern ist die Flasche<br />

gut geeignet für normale Flaschenhalter<br />

und mit einer Höhe von 185 Millimetern<br />

(bei einem Füllvolumen von 550 Millilitern)<br />

sehr kompakt und passt dadurch auch an<br />

kleine Rahmen.<br />

www.elite.com<br />

© Hersteller<br />

AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 23


PROLOG<br />

INSIDER<br />

RICK ZABEL<br />

MIT MOTIVATION ZUR TOUR<br />

Der Katusha-Alpecin-Profi berichtet über seine Ziele in Frankreich.<br />

Aufgezeichnet von Werner Müller-Schell, © Jojo Harper/Team Katusha-Alpecin (Porträt), Tim De Waele/Getty Images<br />

Mit dem Zug zur Tour. Gerade<br />

befinde ich mich auf<br />

dem Weg zum Start der<br />

Tour de France nach Brüssel. Nach<br />

2017 und 2018 wird es meine dritte<br />

Frankreich-Rundfahrt sein – und<br />

hoffentlich auch meine bisher erfolgreichste.<br />

Denn nach dem verletzungsbedingt<br />

schwierigen Frühjahr<br />

ging es in den letzten Wochen mit<br />

meiner Form stark bergauf – genau<br />

rechtzeitig für die drei schweren<br />

Wochen in Frankreich.<br />

Den Feinschliff für die Tour holte<br />

ich mir in den letzten Wochen beim<br />

GP Kanton Aargau im schweizerischen<br />

Gippingen, bei der Tour de<br />

Suisse und letztlich bei der deutschen<br />

Straßenmeisterschaft. Zu<br />

meinen Resultaten gibt es hier leider<br />

– außer einem achten Platz in Gippingen<br />

– nicht viel zu berichten. Zu<br />

anspruchsvoll und zu bergig waren<br />

die Rennen in der Schweiz, die damit<br />

aber trotzdem ihren Zweck perfekt<br />

erfüllten: mich auf die harten<br />

Etappen bei der Frankreich-Rundfahrt<br />

vorzubereiten. Eine Tour wie<br />

in der letzten Saison, als ich in den<br />

Bergen das Rennen vorzeitig aufgeben<br />

musste, will ich in diesem Jahr<br />

schließlich nicht mehr erleben.<br />

Ursprünglich hatte ich auch auf<br />

ein gutes Ergebnis bei der deutschen<br />

Meisterschaft am Sachsenring gehofft.<br />

Doch schon nach der ersten<br />

Trainingsrunde war mir klar, dass<br />

„BISHER IST EIN ELFTER PLATZ AUS DER<br />

VERGANGENEN SAISON MEIN BESTES<br />

EINZELRESULTAT BEI DER TOUR – DAS WILL<br />

ICH IN DIESEM JAHR TOPPEN.“<br />

das Rennen deutlich selektiver<br />

werden würde als ursprünglich angenommen.<br />

Auf 180 Kilometern<br />

kamen über 3.000 Höhenmeter zusammen<br />

– zu viel für einen schweren<br />

Fahrer wie mich. Aber nicht nur bei<br />

der offiziell niedriger angegebenen<br />

Höhenmeterzahl, sondern auch beim<br />

Modus hat sich der Bund Deutscher<br />

Radfahrer nicht mit Ruhm bekleckert.<br />

Aufgrund der Streckenführung<br />

mussten alle Fahrer aus dem Rennen<br />

genommen werden, die sich mehr als<br />

zwei Minuten hinter einer Spitzengruppe<br />

befanden. Die Folge: Das<br />

Rennen wurde zu einem Ausscheidungsfahren,<br />

bei dem sich das Feld<br />

Stück für Stück verkleinerte. Mich<br />

erwischte es auf Position 22 liegend,<br />

gemeinsam mit Christian Knees und<br />

Christoph Pfingsten. Zu dem Zeitpunkt<br />

waren noch etwa 30 Kilometer<br />

zu fahren, die ich zu Trainingszwecken<br />

auch gerne im Renntempo<br />

absolviert hätte. Da dies aufgrund<br />

des Modus aber nicht möglich war,<br />

war die DM mit der weiten Anreise<br />

an den Sachsenring so für mich leider<br />

ein Event, das ich mir sparen<br />

hätte können. Nichtsdestotrotz<br />

möchte ich dem gesamten Team<br />

Bora–hansgrohe zu der tollen Leistung<br />

gratulieren. Es hat seine zahlenmäßige<br />

Überlegenheit perfekt<br />

ausgespielt. – Chapeau!<br />

Nun aber zur Tour de France. Zuallererst<br />

freue ich mich riesig, dass ich<br />

wieder in Frankreich dabei sein darf.<br />

Meine Form ist gut und ich hoffe,<br />

dass ich das bei der ein oder anderen<br />

Gelegenheit unter Beweis stellen<br />

kann. Angeführt wird das Aufgebot<br />

von Katusha-Alpecin von Ilnur Zakarin<br />

und Nils Politt. Ilnur hat sein<br />

Können in diesem Jahr ja schon<br />

beim Giro eindrucksvoll gezeigt und<br />

Nils ist nach seinem bärenstarken<br />

<strong>2019</strong> bestreitet der 25-jährige Rick<br />

Zabel seine dritte Tour de France.<br />

Frühjahr mehr als reif für einen<br />

Erfolg bei einer großen Landesrundfahrt.<br />

Mit den weiteren Fahrern –<br />

Alex Dowsett, Jens Debusschere,<br />

José Goncalves, Marco Haller, Mads<br />

Würtz Schmidt und mir – haben wir<br />

auf dem Papier vielleicht nicht das<br />

stärkste Aufgebot aller Mannschaften,<br />

aber durchaus eines, das für<br />

Überraschungen gut ist. Und genau<br />

diese Karte wollen wir spielen.<br />

Konkret heißt das, dass wir auf<br />

Etappenjagd gehen werden. Wir<br />

werden attackieren und uns so oft<br />

wie möglich an der Spitze präsentieren.<br />

Auch ich werde meine Chance<br />

erhalten – entweder im Sprint oder<br />

aus einer Fluchtgruppe heraus. Ich<br />

bin dabei aber realistisch genug,<br />

dass ein Etappensieg für mich wohl<br />

noch ein zu hohes Ziel ist. Ein Top-<br />

Ten-Ergebnis würde ich an einem<br />

Tag aber schon gerne einfahren.<br />

Bisher ist ein elfter Platz aus der<br />

vergangenen Saison mein bestes<br />

Einzelresultat beim größten Radrennen<br />

der Welt – das will ich in<br />

diesem Jahr toppen!<br />

Geboren am 7. Dezember 1993,<br />

zog es den Sohn von Erik Zabel<br />

schon früh zum Radsport. Nach<br />

guten Platzierungen bei den Junioren<br />

wechselte er 2012 zum Rabobank<br />

Development Team. 2014<br />

wurde Rick Zabel Profi bei BMC und<br />

fuhr drei Jahre bei der US-amerikanischen<br />

Equipe. 2017 wechselte er<br />

zu Katusha-Alpecin und bestritt<br />

erstmals die Tour de France und<br />

die Straßen-WM.<br />

24 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


PURE<br />

CYCLING<br />

ULTIMATE<br />

Weltmeister Alejandro Valverde attackiert auf dem Ultimate,<br />

als das Peloton an der legendären Kapelmuur bei der<br />

Flandern-Rundfahrt auseinanderfällt.<br />

canyon.com


PROLOG<br />

Emanuel Buchmann<br />

musste sich seinen dritten<br />

Platz bei der Dauphiné<br />

hart erkämpfen -<br />

hier auf der siebten<br />

Etappe.<br />

© Tim de Waele/Getty Images<br />

26 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


PROLOG<br />

INSIDER<br />

RALPH DENK<br />

MIT DEM MEISTERTRIKOT ZUR TOUR<br />

Der Teamchef von Bora–hansgrohe blickt auf die nationalen Meisterschaften zurück.<br />

Fünf Meistertrikots, zehn Medaillen<br />

– die nationalen Meisterschaften<br />

waren für uns ein<br />

voller Erfolg. Nachdem Maciej Bodnar<br />

seinen Zeitfahrtitel in Polen verteidigen<br />

konnte, holten wir uns bei<br />

den Straßenrennen eine Woche vor<br />

der Tour de France auch die Meistertitel<br />

in Deutschland (Maximilian<br />

Schachmann), Österreich (Patrick<br />

Konrad), Italien (Davide Formolo),<br />

Irland (Sam Bennett) und der Slowakei<br />

(Juraj Sagan). Insgesamt stehen<br />

somit für Bora–hansgrohe zehn Medaillen<br />

zu Buche – ich weiß nicht, ob<br />

ein Team jemals in so einer großen<br />

Leistungsbreite bei den nationalen<br />

Titelkämpfen abgeschnitten hat.<br />

Besonders gefreut hat mich der<br />

dominante Auftritt bei den deutschen<br />

Titelkämpfen. Mit dem Dreifacherfolg<br />

durch Maximilian<br />

Schachmann, Marcus Burghardt<br />

und Andreas Schillinger konnten wir<br />

einmal mehr unter Beweis stellen,<br />

dass wir momentan der Platzhirsch<br />

im deutschen Radsport sind. Das<br />

Siegerfoto ist natürlich ein ganz besonderes:<br />

Drei Bora-Fahrer, die nebeneinander<br />

jubelnd über die Ziellinie<br />

fahren – so etwas erlebt man<br />

als Teamchef nicht oft. Die Einlaufreihenfolge<br />

hatten wir während des<br />

Rennens vereinbart: Uns war es<br />

wichtig, dass unsere Fahrer im Finale<br />

nicht gegeneinander, sondern miteinander<br />

fahren und unseren Teamgeist<br />

demonstrieren. Da Marcus<br />

Burghardt bereits Meister war, fiel<br />

die Wahl auf Maximilian Schachmann.<br />

Er geht somit auch im Meistertrikot<br />

bei der Tour an den Start.<br />

Sehr gegönnt hätten wir den Titel<br />

aber auch Andreas Schillinger. Er<br />

fährt mittlerweile im zehnten Jahr<br />

bei uns und tritt als Helfer normalerweise<br />

kaum in Erscheinung. Viele<br />

Leute unterschätzen ihn deshalb<br />

gerne, doch auch als Helfer muss<br />

man in der WorldTour eine große<br />

Klasse aufweisen. Entsprechend<br />

„DREI BORA-FAHRER, DIE NEBENEINANDER<br />

JUBELND ÜBER DIE ZIELLINIE FAHREN –<br />

SO ETWAS ERLEBT MAN ALS<br />

TEAMCHEF NICHT OFT.“<br />

schön war es, dass „Schilli“ sein<br />

Potenzial gezeigt hat.<br />

Wenn ihr diese Zeilen lest, ist die<br />

Tour de France bereits in vollem<br />

Gange. Unsere acht Fahrer sind<br />

Emanuel Buchmann, Marcus Burghardt,<br />

Maximilian Schachmann,<br />

Peter Sagan, Daniel Oss, Patrick<br />

Konrad, Gregor Mühlberger und Lukas<br />

Pöstlberger. Wir schicken damit<br />

definitiv unser stärkstes Team nach<br />

Frankreich, sodass ich hoffe, dass<br />

wir dort anknüpfen können, wo wir<br />

vor der Tour aufgehört haben. Nicht<br />

zuletzt das tolle Ergebnis bei den<br />

nationalen Meisterschaften hat gezeigt:<br />

Die Mannschaft ist bereit<br />

für die Tour. Aber auch bei den<br />

beiden Vorbereitungsrennen, dem<br />

Platz eins, zwei und drei für<br />

Bora–hansgrohe. Die bayerische<br />

Equipe dominierte die deutschen<br />

Straßenmeisterschaften auf dem<br />

Sachsenring.<br />

Critérium du Dauphiné und der<br />

Tour de Suisse, konnten wir uns mit<br />

zwei dritten Plätzen durch Emanuel<br />

Buchmann und Patrick Konrad ganz<br />

vorne präsentieren.<br />

Diese beiden werden sich auch<br />

die Kapitänsrolle im Hinblick auf die<br />

Gesamtwertung teilen – und eine<br />

Platzierung unter den besten Zehn<br />

anvisieren. Ich bin hier sehr optimistisch,<br />

dass das klappen wird. Im<br />

Vergleich zur Vuelta im vergangenen<br />

Jahr haben wir dieses Mal bei Emanuel<br />

etwa spezifisch auch darauf geachtet,<br />

dass er nicht zu früh in Form<br />

ist, weshalb er beispielsweise auch<br />

nicht bei der deutschen Meisterschaft<br />

am Start, sondern stattdessen<br />

nach wie vor im Höhentrainingslager<br />

war. Und Patrick Konrad hat bereits<br />

im vergangenen Jahr mit seinem<br />

siebten Rang beim Giro unter Beweis<br />

gestellt, wozu er bei einer dreiwöchigen<br />

Landesrundfahrt in der<br />

Lage ist. Die Voraussetzungen für<br />

die Tour de France <strong>2019</strong> sind also<br />

nahezu perfekt.<br />

Ralph Denk ist Teammanager der<br />

deutschen WorldTour-Mannschaft<br />

Bora–hansgrohe. Nach jahrelanger<br />

Aufbauarbeit ist die Equipe mit Sitz<br />

im oberbayerischen Raubling seit<br />

2017 in der höchsten Radsportliga<br />

aktiv. In Procycling berichtet Denk,<br />

in früheren Jahren selbst aktiver<br />

Rennfahrer, jeden Monat über seinen<br />

Alltag als Teamchef.<br />

Aufgezeichnet von Werner Müller-Schell, © Bora–hansgrohe/BettiniPhoto<br />

AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 27


PROLOG<br />

DAS SCHAULAUFEN<br />

DER TOUR-FAVORITEN<br />

So schlug sich das Peloton beim Critérium du Dauphiné.<br />

Text Werner Müller-Schell<br />

© Strava (Screenshots)<br />

Das Critérium du Dauphiné<br />

ist gemeinsam mit der Tour<br />

de Suisse der letzte große<br />

Test vor der Tour de France. Traditionell<br />

bereiten sich so gut wie alle<br />

Tour-Favoriten bei einem der beiden<br />

Etappenrennen auf die Frankreich-<br />

Rundfahrt vor – entsprechend in -<br />

te ressante Hinweise liefern beide<br />

Rennen bereits auf die Form der<br />

jeweiligen Teamkapitäne. In dieser<br />

Strava-Analyse wollen wir die siebte<br />

Etappe des Critérium du Dauphiné<br />

genauer unter die Lupe nehmen:<br />

Auf jenem Tagesabschnitt von Saint-<br />

Genix-les-Villages nach Pipay über<br />

133 Kilometer bekamen es die Fahrer<br />

nämlich nicht nur mit widrigsten<br />

Witterungsbedingungen unter strö-<br />

mendem Regen zu tun, sondern<br />

auch mit einer saftigen Bergankunft<br />

mit stolzen 1.300 Höhenmetern<br />

am Stück.<br />

Nach einem relativ verhaltenen<br />

Beginn am Schlussanstieg hinauf<br />

nach Pipay sorgten das Tempo und<br />

das Wetter nach und nach für eine<br />

Verkleinerung der Spitzengruppe,<br />

welche durch einen zwischenzeitlichen<br />

Angriff des Kolumbianers<br />

Nairo Quintana weiter verkleinert<br />

wurde. Weder Quintana noch ein<br />

anderer Fahrer konnte sich jedoch<br />

entscheidend lösen, ehe sich 2,6 Kilometer<br />

vor dem Ziel der Allgäuer<br />

Emanuel Buchmann erfolgreich von<br />

der Konkurrenz absetzte. Ihm konnten<br />

nur Jakob Fuglsang (Dänemark)<br />

und später auch Wout Poels (Niederlande)<br />

folgen, wobei sich Letzterer<br />

am Ende den Tagessieg vor Fuglsang<br />

und Buchmann sicherte.<br />

BESTZEITEN AUF STRAVA<br />

Schnellster Fahrer auf Strava war an<br />

jenem Tag der Etappen-Vierte Thibaut<br />

Pinot (Frankreich). Für die im<br />

Segment „Pipay depuis Tencin“ gewerteten<br />

1.288 Höhenmeter (bei<br />

18,9 Kilometer Aufstieg) benötigte<br />

er 50:20 Minuten, was eine Aufstiegsrate<br />

von 1.535 Metern pro<br />

Stunde ergibt – kein absoluter<br />

Topwert, in Anbetracht der Witterungsbedingungen<br />

und der eher verhaltenen<br />

Fahrweise der Favoriten<br />

im unteren Teil des Anstiegs aber<br />

dennoch beachtenswert. Auch Romain<br />

Bardet (ebenfalls Frankreich,<br />

Etappen-Siebter) und Tejay van Garderen<br />

(USA, Etappen-Achter) bewegten<br />

sich mit nur zwei Sekunden<br />

Rückstand in diesen Regionen.<br />

Sämtliche Topfavoriten verzichteten<br />

aber darauf, ihre Herzfrequenz oder<br />

Leistungsdaten preiszugeben, sodass<br />

erst die Strava-Aufzeichnung<br />

von Jumbo–Visma-Profi Sepp Kuss<br />

(USA, Etappen-15.) darüber Aufschluss<br />

gibt, welche Leistung für<br />

eine Topplatzierung an jenem Tag<br />

nötig war. Kuss trat über 50:58 Minuten<br />

Auffahrtszeit im Schnitt<br />

358 Watt, was bei einem Körperge-<br />

28 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


PROLOG<br />

Das Strava-Ranking<br />

Pipay–Tencin<br />

(18,9 Kilometer / 1.288 Höhenmeter)<br />

wicht von 64 Kilogramm im Schnitt<br />

5,6 Watt pro Kilo bedeutet.<br />

Übrigens: Wie die meisten Tourde-France-Kapitäne<br />

verzichtete<br />

auch Emanuel Buchmann darauf,<br />

seine Aufzeichnung auf Strava<br />

hochzuladen. Da der Bora-Fahrer<br />

ansonsten üblicherweise viele Daten<br />

offenlegt, regt die Geheimniskrämerei<br />

zu Spekulationen an. Nicht wenige<br />

Beobachter sahen in dem jungen<br />

Deutschen nämlich einen der<br />

Setzte die Strava-Bestzeiten<br />

hinauf nach Pipay: Thibaut Pinot.<br />

Seine Strava-Aufzeichnung ist unter<br />

www.strava.com/activities/<br />

2452716301 zu finden.<br />

stärksten Bergfahrer des gesamten<br />

Rennens. Es könnte daher durchaus<br />

sein, dass Buchmann auf Strava<br />

nicht zeigen wollte, wie stark er in<br />

Form ist. Für die Tour de France<br />

könnte das ein gutes Omen sein.<br />

1. Thibaut Pinot Groupama<br />

50:20 Minuten<br />

2. Romain Bardet AG2R La Mondiale<br />

50:22<br />

3. Tejay van Garderen EF Education First<br />

50:22<br />

4. Richie Porte Trek-Segafredo<br />

50:51<br />

5. Sepp Kuss Jumbo–Visma<br />

50:58<br />

6. Steven Kruijswijk Jumbo–Visma<br />

50:59<br />

7. Warren Barguil Arkéa-Samsic<br />

51:49<br />

8. Xandro Meurisse Wanty-Gobert<br />

51:50<br />

9. Michał Kwiatkowski Team Ineos<br />

51:52<br />

10. Michael Woods EF Education First<br />

52:51<br />

© Tim De Waele/Getty Images<br />

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LIZZIE DEIGNAN<br />

FAMILIEN-<br />

ANGELEGENHEIT<br />

Einer Weltmeisterschaft vor heimischer Kulisse in<br />

Yorkshire konnte Lizzie Deignan nicht widerstehen, und<br />

nach der Geburt ihres ersten Kindes und einem Jahr Pause<br />

stehen alle Zeichen auf Harrogate im September.<br />

Procycling trifft Deignan, um herauszufinden,<br />

was sich geändert hat, seit sie Mutter ist.<br />

Text Edward Pickering<br />

Fotografie Jesse Wild<br />

30 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 31


DAS GROSSE INTERVIEW<br />

© Velofocus<br />

izzie Deignan ist mitten<br />

LIn im Stray, dem attraktiven ein paar Monaten wird sich die westliche Seite<br />

Park, der die südliche Seite des Stadtzentrums des Stray in ein Gewirr aus Farben, Lärm und<br />

von Harrogate halbkreisförmig umschließt. Der Menschen verwandeln, wenn die Weltmeisterschaft<br />

in der Stadt ist. Man hat sich beim Stre-<br />

Stray ist weitläufig und breit; die Schulen haben<br />

gerade kleine Trupps uniformierter Kinder freigesetzt,<br />

die durch das Grün schlendern, Hunde lau-<br />

jedes Rennen an einem anderen Ort, aber alle<br />

ckendesign etwas einfallen lassen, und so startet<br />

fen herum und das Gras wird sanft von der sonnigen<br />

Brise gewärmt. Der Stray ist ziemlich breit, der West Park Avenue am Stray. Deignan deutet<br />

Routen führen nach Harrogate – sie enden alle auf<br />

und wenn man in der Mitte ist, sehen die Autos auf eine Bank gegenüber einer dunklen Backsteinkirche,<br />

an der die Ziellinie sein wird. Sie kennt die<br />

an den Rändern wie Spielzeuge aus und klingen<br />

weit entfernt, aber Deignan ist leicht auszumachen,<br />

selbst vom Rand aus. Sie ist die im vollem Die Ziellinie ist ein bisschen weiter weg, als ihr<br />

Route des Frauenrennens bis ins kleinste Detail.<br />

Trek-Segafredo-Outfit, die die Wege rauf und lieb ist; sie würde lieber mit dem Anstieg ein kleines<br />

Stück weiter vorn arbeiten.<br />

runter fährt und von einem Kamerateam gefilmt<br />

wird, das einen Clip für Harrogate Spring Water Die Weltmeisterschaft <strong>2019</strong> ist eine Heimkehr<br />

dreht – das offizielle Wasser der Straßen-WM in für Deignan. Das Frauenrennen startet in Bradford<br />

und führt durch Otley, wo sie aufgewachsen<br />

Yorkshire, wie Deignans Pressesprecher uns informiert.<br />

Bei Harrogate Spring Water sind sie nicht ist. Deignans Beziehung zu den Straßen der Weltmeisterschaft<br />

<strong>2019</strong> geht zurück zu ihren alten<br />

dumm: Sie haben Deignan gebeten, das Gesicht<br />

einer Kampagne zu sein, die auf dem Event beruht. Trainingsrouten: Sie sind eine Zeitachse für sie.<br />

„Wir fahren ein paar Hundert Meter vom Haus<br />

meiner Schwester in Bradford vorbei. Dann kommen<br />

wir durch Otley und an der Kirche vorbei, in<br />

der ich geheiratet habe, die Kirche, in der meine<br />

Eltern geheiratet haben und in der ich getauft<br />

wurde. Wir fahren an meinem Gymnasium vorbei,<br />

über die Straße, auf der ich zu Schule gegangen<br />

bin. Wir fahren am Garten meiner Eltern vorbei.<br />

Dann kommen wir in Harrogate an, wo Orla<br />

geboren wurde, wo wir jetzt ein Haus haben und<br />

wo wir nach Tokio wieder hinziehen“, erzählt sie.<br />

Deignans Leben ist seit der Geburt von<br />

Tochter Orla in vieler Hinsicht anders.<br />

Es gibt keine Vorbestimmung im Radsport. Es ist<br />

ein Sport, wo vieles schiefgehen kann. Zwei Dinge<br />

fallen auf bei der Weltmeisterschaft in Yorkshire<br />

im Kontext von Deignans Karriere. Erstens kann<br />

man keine passendere Geschichte erfinden: Die<br />

Route des Straßenrennens der Frauen ist Deignans<br />

Leben, sowohl hinsichtlich der Gestaltung<br />

der Strecke als auch der Bedeutung des Rennens<br />

für sie. Zweitens hat sie, oberflächlich zumindest,<br />

die völlige Kontrolle über den Druck, der damit<br />

einhergeht. Einige würden dem Thema ausweichen,<br />

aus Angst, das größte Rennen ihres Lebens<br />

zu vermasseln, aber Deignan lässt sich gerne auf<br />

der Bank an der Ziellinie fotografieren und gibt<br />

gerne zu, wie sehr sie den Sieg will. Man könnte<br />

sagen, dass es das Größte ist, was ihr je passierte,<br />

und vor ein paar Jahren wäre es das gewesen.<br />

Aber die Geburt ihrer Tochter Orla scheint selbst<br />

die Aussicht auf eine Weltmeisterschaft vor heimischer<br />

Kulisse relativiert zu haben. Normale<br />

Leute streben oft danach, auf irgendeine Art ungewöhnlich<br />

zu werden – deswegen bewundern<br />

wir Sportler, Künstler, Musiker und Ärzte. Deignan<br />

ist das Gegenteil – sie wollte erst Rennfahrerin<br />

werden, als sie erkannte, dass sie gut darin<br />

war, aber Mutter wollte sie immer sein.<br />

Die tägliche Routine ist das Erste, was wegfällt,<br />

wenn ein Kind kommt. Das manifestiert sich in<br />

unvorhersehbaren Uhrzeiten und der Tatsache,<br />

dass sich jetzt alles um das Verdauungssystem<br />

und die Schlafgewohnheiten eines Kindes dreht.<br />

Aber es kann auch ganze Karrieren beeinflussen.<br />

Deignans Ehemann Philip beendete seine Karriere<br />

als Radprofi, um sich zu Hause um das Kind zu<br />

kümmern; Deignans eigene Saisonstruktur änderte<br />

sich gewaltig. Das sind die neuen Tatsachen<br />

des Familienlebens der Deignans. Orla kam letztes<br />

Jahr im September zu Welt; wie üblich im November<br />

mit dem Training zu beginnen, konnte<br />

Deignan also vergessen.<br />

Bei einem Kaffee im Prologue, dem Bikeshop und<br />

Café in Harrogate unweit der Ziellinie, erklärt Deignan,<br />

wie sie Kind und Karriere unter einen Hut bringt.<br />

„Ich habe sechs Wochen ganz freigenommen,<br />

dann bin ich wieder gefahren. Richtig trainiert<br />

habe ich von Januar an“, sagt sie. „Normalerweise<br />

konzentriere ich mich schon vom 1. November<br />

ganz darauf. Wenn du Mutter wirst, weißt du gar<br />

nicht, wie sich das auf alles auswirkt.“<br />

Das hieß, dass die Klassiker nicht so im Fokus<br />

stehen konnten wie zuvor, obwohl sie trotzdem<br />

auf einen beeindruckenden siebten Platz bei Lüttich–Bastogne–Lüttich<br />

fuhr. Dafür machte sie im<br />

Mai keine Pause wie üblich, sondern ging zur Kalifornien-Rundfahrt,<br />

um sich in Form zu bringen,<br />

und dann zur Women’s Tour, die sie gewann. Die<br />

Auszeit, die sie sonst im Mai nahm, ist jetzt in<br />

den Juli verschoben worden. (Und sie ist dem<br />

Zeitplan weit voraus – sie rechnete nicht damit,<br />

die Women’s Tour zu gewinnen.)<br />

32 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


LIZZIE DEIGNAN<br />

Es gibt nicht viele Mütter im Peloton, was Orla<br />

Deignan zum unvermeidlichen Mittelpunkt jeder<br />

Geschichte über ihre Mutter gemacht hat.<br />

Ich wollte Deignan fragen, ob all das für sie so<br />

interessant ist wie für uns.<br />

„Es ist seltsam, es gibt viele Väter im Radsport,<br />

und niemand fragt sie nach ihrer Familie. Aber es<br />

stimmt, es ist ungewöhnlich. Wenn ich Frauen<br />

ermutigen kann, in ihrer Schwangerschaft gesund<br />

und aktiv zu leben, oder wenn ich Leuten zeigen<br />

kann, dass die Entscheidung, eine Familie zu<br />

gründen, ihre ist und nicht von ihrem Arbeitgeber<br />

oder dem vermeintlichen Einfluss auf ihre Karriere<br />

diktiert werden sollte, oder wenn ich Leute ermutigen<br />

kann, offen dafür zu sein, was eine Mutterschaft<br />

in ihrer Karriere bedeutet, ist es positiv,<br />

und dann teile ich es gern“, sagt sie.<br />

„Es ist die ganze Zeit ein Balanceakt. Ich habe<br />

unglaubliches Glück, dass Philip Vollzeit-Vater<br />

ist. Das ist enorm und ich will diese Tatsache<br />

nicht verbergen. Ich werde als Vorbild für andere<br />

Frauen dargestellt, aber was ich erreichen kann,<br />

liegt vor allem daran, dass mein Ehemann als Vater<br />

zu Hause bleibt. Jede Schwangerschaft und<br />

jedes Baby ist anders, und ich möchte nicht, dass<br />

andere Leute sich genötigt fühlen, es genau so zu<br />

machen. Ich bin in einer einzigartigen Position,<br />

was die Unterstützung angeht, die ich bekomme.“<br />

Sie fügt hinzu: „Phil ist mit 34 aus dem besten<br />

Team der Welt ausgestiegen, und es war eine<br />

schöne Art, seine Karriere zu beenden. Er war<br />

derjenige, der mich ermutigt hat, wieder anzufangen,<br />

und der gesagt hat: ‚Du wirst es bedauern,<br />

wenn du es nicht tust‘ – und er kennt mich besser,<br />

als ich mich kenne. Er hatte absolut recht. Wenn<br />

die Weltmeisterschaften in Donegal wären, wäre<br />

es vielleicht etwas anderes, aber sie sind in Yorkshire,<br />

und so ...“<br />

Trotzdem ist der Plan, keinen Plan zu haben.<br />

Deignan ist ziemlich allein auf weiter Flur – es hat<br />

einige prominente Mütter im Leistungssport gegeben<br />

wie Paula Radcliffe und Serena Williams,<br />

aber nicht so viele, dass es eine sichere Methode<br />

für den Umgang damit gibt, sowohl physisch als<br />

auch psychologisch.<br />

„Meine Beine sind wie immer“, beginnt sie mit<br />

dem, was sich nicht verändert hat. „Meine untere<br />

Hälfte fühlt sich solide und stark an. Aber bei<br />

meinem Oberkörper finde ich, dass meine Energiekette<br />

und die Kraftübertragung bei den Sprints<br />

noch nicht so stark sind wie früher. Ich hatte einen<br />

Termin mit einem Osteopathen in den Ardennen,<br />

der sagte, er könne fühlen, dass meine<br />

Bauchmuskeln noch nicht verbunden sind.“<br />

Deignan hat sechs Monate lang gestillt.<br />

Während der Schwangerschaft schüttet der<br />

Körper größere Mengen des Hormons Relaxin<br />

aus, das der Entwicklung des Fötus und der<br />

Vorbereitung des Körpers auf die Geburt dient,<br />

und auch während des Stillens werden geringe<br />

Menge davon freigesetzt. Das hieß, dass Deignans<br />

Körper nach der Geburt länger brauchte,<br />

um sich an die Ansprüche des Radsports zu gewöhnen,<br />

wie sie erzählt.<br />

KARRIERE-HÖHEPUNKTE DEIGNANS BISLANG GRÖSSTEN ERFOLGE<br />

20<strong>08</strong><br />

Als 20-Jährige gewinnt sie sieben<br />

Goldmedaillen bei drei Runden<br />

des Bahn-Weltcups binnen einer<br />

Saison – alleine fünf in Manchester.<br />

Sie verhilft Nicole Cooke zum<br />

WM-Titel in Varese.<br />

2009<br />

Sie unterschreibt bei Lotto-Belisol<br />

und gewinnt ihr erstes Profi-<br />

Straßenrennen, die 6. Etappe<br />

der Tour de l’Ardèche, im Massensprint.<br />

Beim Giro Rosa wird sie<br />

beste Nachwuchs fahrerin.<br />

2010<br />

Wechselt zum Cervélo Test Team,<br />

gewinnt weitere Goldmedaillen<br />

auf der Bahn, fokussiert sich aber<br />

auf die Straße. Fünf Siege bei der<br />

Tour de l’Aude, Route de France<br />

und Tour de l’Ardèche.<br />

2011<br />

Erster von vier nationalen<br />

Meistertiteln nach zwei zweiten<br />

Plätzen in den Vorjahren.<br />

Weitere Siege bei der Tour of<br />

Chongming Island und der<br />

Thüringen-Rundfahrt.<br />

© Getty Images<br />

AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 33


Deignan geht<br />

auf der 5. Etappe<br />

der Women’s Tour<br />

in Führung – ihr<br />

erster Sieg nach<br />

der Baby pause.<br />

© Velofocus<br />

34 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 35


Deignan war die größte<br />

Neuverpflichtung des Trek-Teams.<br />

„Während des Stillens war es am schwersten,<br />

ohne Zweifel. Es ist eine individuelle Entscheidung,<br />

ob man stillen oder Milchersatzprodukte<br />

geben möchte, aber für mich war das Stillen wichtig.<br />

Spaß hat es mir nicht gemacht – einige Frauen<br />

sagen, sie fanden es toll, aber mir hat es überhaupt<br />

keinen Spaß gemacht und ich fand es sehr anstrengend<br />

für meinen Körper, aber ich habe sechs<br />

Monate durchgehalten“, sagt sie.<br />

Auch wenn sie meint, sich noch nicht voll erholt<br />

zu haben, sprechen die Ergebnisse bisher für sie.<br />

Deignan fuhr bei den Ardennen-Rennen und der<br />

Kalifornien-Rundfahrt gut und gewann die Women’s<br />

Tour trotz der physischen Einschränkungen.<br />

Ihr Ziel ist, auf ihr altes Niveau oder vielleicht<br />

darüber hinaus zu kommen. Aber obwohl sie auf<br />

dem aktuellen Niveau will, dass alles wie früher<br />

ist, ist alles andere anders.<br />

„Die größte Veränderung ist, wie glücklich ich<br />

bin“, sagt sie. „Ich bin glücklicher denn je. Ich<br />

wollte immer, immer Mutter sein. Mein Familienleben<br />

ist gut. Ich liebe meinen Job wieder. Ich<br />

habe es als selbstverständlich betrachtet. Ich<br />

weiß nicht, ob es die Pause vom Profisport war.<br />

Es ist eine privilegierte Position als Frau, von der<br />

Karriere zurücktreten und sie wieder aufnehmen<br />

zu können. Das war etwas Besonderes.“<br />

Als ich Deignan das erste Mal interviewte,<br />

nachdem sie die Weltmeisterschaft 2016 gewonnen<br />

hatte, gestand sie mir, dass sie ein Kontrollfreak<br />

und eine besessene Planerin sei. In ihrer<br />

Autobiografie Steadfast beschreibt sie die farblich<br />

markierten Kalender, die sie an ihre Tür heftete<br />

© AFP (2012), Getty Images<br />

2012<br />

Deignan wechselt zu AA Drink,<br />

konzentriert ihre Saison aber<br />

auf die Olympischen Spiele von<br />

London. Ihre Silbermedaille im<br />

Straßenrennen ist die erste für<br />

das Team GB.<br />

2013<br />

Geht zu Boels-Dolmans, wird<br />

jedoch durch Krankheiten<br />

behindert und erleidet einen<br />

Leistenbruch. Neben einigen<br />

Top-Fünf-Plätzen ist die britische<br />

Meisterschaft ihr einziger Sieg.<br />

2014<br />

Ihr starkes Frühjahr gipfelt im Sieg<br />

beim Omloop het Hageland, dazu<br />

kommen zweite Plätze bei der Flandern-Rundfahrt<br />

und dem Trofeo<br />

Binda. Goldmedaille bei den Common<br />

wealth Games in Glasgow.<br />

2015<br />

Wird in ihrer bislang besten<br />

Saison Weltmeisterin in<br />

Richmond. Vor dem Regenbogentrikot<br />

ist sie neunmal<br />

erfolgreich, darunter beim<br />

Trofeo Binda und GP Plouay.<br />

36 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


LIZZIE DEIGNAN<br />

und die sich sechs Monate in die Zukunft und<br />

darüber hinaus erstreckten. Wie funktioniert das<br />

jetzt, mit einem Baby?<br />

„Ich würde sagen, es ist eine steile Lernkurve<br />

mit einem Neugeborenen, zu denken, dass ich<br />

die Dinge noch kontrollieren kann, und dann<br />

langsam zu erkennen, dass das einfach nicht<br />

geht“, gibt sie zu.<br />

„Babys tun, was sie tun wollen, und das zu akzeptieren<br />

war anfangs nicht leicht, aber jetzt ist es<br />

wirklich schön. Meine Mutter und meine Schwester<br />

lachen mich aus, weil ich immer noch einen<br />

Mittagsschlafplan habe. Es gibt Teile einer Routine<br />

und Dinge, an denen ich immer noch festhalte.“<br />

Sie sagt weiter: „Aber in der Vergangenheit ging<br />

es nur um mich und was am besten für mich war.<br />

Deswegen hat der Radsport allen Platz eingenommen,<br />

und manchmal war alles ein bisschen viel.<br />

Das ist keine so ausgeglichene oder gesunde Perspektive,<br />

dass sich alles um dich und deine Leistung<br />

dreht.“<br />

Das würde man bei British Cycling nicht sagen.<br />

Der Erfolg des britischen Radsports in den letzten<br />

15 Jahren basiert auf Leistung – es wurden alle<br />

Hebel in Bewegung gesetzt, um kleine Gewinne<br />

zu erzielen, wobei alle möglichen Ablenkungen<br />

ausgeschlossen wurden. Andererseits war Deignan<br />

immer außerhalb der britischen Radsportszene<br />

erfolgreich – obwohl sie einen ihrer größten Erfolge,<br />

die Weltmeisterschaft 2015, im britischen<br />

Nationaltrikot erzielte, hat sie ihre Karriere vor<br />

allem in einem holländischen Team, Boels-Dolmans,<br />

und jetzt bei Trek-Segafredo aufgebaut.<br />

„Ich habe mich nur auf eine Sache konzentriert.<br />

Mir die kleinen Prozentsätze angeschaut, die dich<br />

zur Weltmeisterin machen. Aber ob du dasselbe<br />

ohne denselben Input erreichen kannst … Es geht<br />

alles um Balance und Verhältnis, und ich weiß<br />

„DIE GRÖSSTE VERÄNDERUNG<br />

IST, WIE GLÜCKLICH ICH BIN.<br />

ICH WOLLTE IMMER, IMMER<br />

MUTTER SEIN.“<br />

nicht, ob ein 100-prozentiger Fokus unbedingt<br />

besser ist.“<br />

Sie wird jetzt von ihrem Ehemann trainiert, ein<br />

Arrangement, das zwei Monate alt ist. In der Vergangenheit<br />

sagte Deignan, dass sie schwierig zu<br />

trainieren sei, und sie hat wenige, aber sehr erfolgreiche<br />

Beziehungen zu Trainern. Erst mit Phil<br />

West bei British Cycling, dann mit Danny Stam,<br />

ihrem Sportlichen Leiter bei Boels.<br />

„Wahrscheinlich bin ich jetzt leichter zu trainieren.<br />

Eine Formel funktionierte für mich, aber<br />

ich bin jetzt anders. Ich bin flexibler. Andererseits<br />

findet Phil [Deignan] mich immer noch thran –<br />

das ist irisch und bedeutet dickköpfig. Aber wir<br />

sehen uns jeden Tag und er versteht, was ich<br />

durchmache und wie erschöpft ich wegen unserer<br />

Tochter bin. Ich habe mich selbst trainiert, aber<br />

das war eine Frage des Vertrauens, und natürlich<br />

vertraue ich meinem Ehemann.“<br />

Wenn man Steadfast liest, wird klar, dass sich<br />

Deignans Leben immer um Familie gedreht hat.<br />

Wie sie sagt, ist sie mit sehr engen und gut funktionierenden<br />

Familienbanden groß geworden, daher<br />

ist es keine Überraschung, dass sie ihr eigenes<br />

Leben genauso einrichtet. Indem sie sogar das<br />

Training ins Haus holt, sorgt sie nun dafür, dass<br />

alle Leistungsdefizite, die sie durch die Mutterschaft<br />

hatte, durch eine solide Grundlage der Familieneinheit<br />

ausgeglichen werden.<br />

Deignan war vor ihrer Schwangerschaft sieben<br />

Jahre beim selben Team. Sie gewann mit Boels-<br />

Dolmans die Weltmeisterschaft, die Flandern-<br />

Rundfahrt, Trofeo Binda, Plouay und viele andere<br />

Rennen. Aber die Schwangerschaft fiel mit dem<br />

Ende ihres Vertrags zusammen, und auch wenn<br />

es keine klaren Aussagen gab, dass Boels sie nicht<br />

unterstützen würde, gab es andersherum auch<br />

keine klare Aussage, dass das Team ein Jahr oder<br />

länger auf eine seiner besten Fahrerinnen verzichten<br />

würde. Trek-Segafredo auf der anderen<br />

Seite wollte nicht nur die Fahrerin, sondern auch<br />

die Mutter.<br />

„Mein Vertrag mit Boels ging bis Ende 2018,<br />

aber dann wurde ich schwanger und konnte sowieso<br />

nicht für sie fahren. Ich habe mir diesen<br />

Moment gegeben, um meine Zukunft nicht zu<br />

planen. Während der Schwangerschaft wurde ich<br />

vom Marketingchef von Trek kontaktiert, die ein<br />

Frauenteam aufbauen wollten. Wir unterhielten<br />

uns über meinen Vertrag, aber sie wollten mich<br />

auch während der Schwangerschaft unterstützen,<br />

und diese Chance habe ich ergriffen.“<br />

Sie sagt weiter: „Trek wollte mit mir arbeiten,<br />

weil sie von meiner Geschichte begeistert wa-<br />

2016<br />

Dominiert die Klassiker mit Siegen<br />

bei Omloop Het Nieuwsblad,<br />

Strade Bianche, Trofeo Binda und<br />

einer ersten Flandern-Rundfahrt.<br />

Darauf folgt der Gesamtsieg bei<br />

der Women’s Tour.<br />

2017<br />

Deignan gewinnt drei Rennen,<br />

darunter die Tour de Yorkshire, doch<br />

sie muss bei den Ardennen-Rennen<br />

hinter Anna van der Breggen<br />

zurückstehen und bei La Course<br />

hinter Annemiek van Vleuten.<br />

2018<br />

Gibt im März ihre Schwanger -<br />

schaft bekannt, nachdem sie den<br />

Rennfahrer Philip Deignan<br />

geheiratet hat. Im Juli bestätigt<br />

sie, ihr Comeback beim Team<br />

Trek zu geben.<br />

<strong>2019</strong><br />

Kehrt beim Amstel Gold Race ins<br />

Renngeschehen zurück. Eine Woche<br />

später wird sie Siebte in Lüttich und<br />

besiegelt ihr Comeback dann mit<br />

dem Sieg der 5. Etappe und dem<br />

Gesamtsieg bei der Women’s Tour.<br />

© Getty Images<br />

AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 37


DAS GROSSE INTERVIEW<br />

© Getty Images<br />

ren. Ich glaube, Boels hätte mit mir weitergemacht,<br />

aber meine Schwangerschaft wäre irrelevant<br />

für das Team gewesen. Aber Trek verkauft<br />

Fahrräder an Frauen, daher macht es Sinn, mich<br />

an Bord zu haben, und ich habe jeden Aspekt<br />

davon genossen.“<br />

Abgesehen von Treks Begeisterung für Deig nans<br />

familiäre Umstände war ich überrascht, dass man<br />

zusammenpasste. Deignan ist bekannt dafür,<br />

dass sie eine klare Art der Kommunikation hat<br />

und kein Geschwafel mag, darum verstand sie<br />

sich so gut mit Danny Stam bei Boels. Der direkte<br />

holländische Stil mit klarer und offener Kommunikation<br />

zwischen vielen sehr guten Fahrerinnen<br />

sorgte für Harmonie bei Boels, auch wenn es immer<br />

vier oder fünf potenzielle Kapitäninnen in der<br />

Mannschaft gab. Bei Trek scheint die Atmosphäre<br />

anders zu sein, ungeachtet der Tatsache, dass das<br />

Team in seiner ersten Saison ist. Aber Deignan<br />

scheint in ihrem Element zu sein.<br />

„Es ist brillant. Ich liebe es. Trek ist wirklich<br />

anders, aber das ist wahrscheinlich etwas, das ich<br />

brauchte“, sagt sie. „Sie sind amerikanisch, deswegen<br />

ist alles phantastisch“, fügt sie hinzu. Sie<br />

macht sich darüber lustig, aber nicht auf zynische<br />

Art, obwohl ich glaube, dass sie einen Sinn für<br />

Ironie offenbart, den sie selten in der Öffentlichkeit<br />

zeigt. „Aber es ist wirklich phantastisch. Alle<br />

sind so enthusiastisch und es ist, was Kommunikation<br />

angeht, das offenste Team, in dem ich je<br />

war. Die Mannschaftssitzungen werden sehr dynamisch<br />

geführt.“<br />

Trek hatte anständige erste sechs Monate.<br />

Neue Radsportteams haben häufig Anlaufschwierigkeiten,<br />

wenn sich die Fahrer aneinander<br />

und an ein neues Management gewöhnen – es<br />

gibt keine Routine und die Fahrer müssen sich<br />

erst mit ihrer Rolle anfreunden. Aber Trek konnte<br />

15 Rennen gewinnen, darunter mit Elisa Longo<br />

Borghini das Emakumeen Bira und mit Deignan<br />

die Women’s Tour.<br />

„Ich war wirklich überrascht, zu gewinnen“,<br />

sagt Deignan. „Mein ursprünglicher Plan war einfach,<br />

zu überleben. Wir gingen es Tag für Tag an.<br />

Elisa war stärker als ich, aber ich kann sprinten,<br />

und das Rennen lief auf Sprints hinaus. Wir<br />

machten die richtige Ansage, auf mich zu setzen,<br />

denn es lief auf Sekunden hinaus, und Elisa verlor<br />

an dem Tag, als ich Dritte wurde, ein bisschen<br />

Zeit in der Gesamtwertung.“<br />

Sie fügt hinzu: „Jeder Tag war unangenehm. In<br />

Großbritannien zu fahren, ist immer unangenehm<br />

– schreckliches Wetter und raue Straßen. Ich<br />

fühlte mich erst gut in dem Moment, als ich auf<br />

der vorletzten Etappe angriff. Ich war früher erleichtert,<br />

wenn ich gewann, aber dieses Mal war<br />

es die pure Freude. Es war ein massiver Auftrieb<br />

für mein Selbstbewusstsein und eine Bestätigung,<br />

dass ich mit dem Comeback die richtige Entscheidung<br />

getroffen habe.“<br />

„ICH WAR WIRKLICH ÜBERRASCHT, ZU GEWINNEN.<br />

MEIN URSPRÜNGLICHER PLAN WAR EINFACH, ZU ÜBERLEBEN.<br />

WIR GINGEN ES TAG FÜR TAG AN. ELISA WAR STÄRKER ALS<br />

ICH, ABER ICH KANN SPRINTEN, UND DAS RENNEN LIEF<br />

AUF SPRINTS HINAUS.“<br />

Womit wir wieder bei Harrogate und der Weltmeisterschaft<br />

wären. Es ist nicht gesagt, dass Lizzie<br />

Deignan gewinnen wird. 2015 und Anfang<br />

2016 war sie die beste Fahrerin der Welt, aber im<br />

Moment sehen die Holländerinnen mit sechs oder<br />

sieben der besten zwölf Fahrerinnen der Welt fast<br />

unschlagbar aus.<br />

„Es wird schwer. Aber für ihren Teamdirektor<br />

wird es auch schwer“, sagt Deignan lachend. „Es<br />

ist ein phänomenales Team, aber wie sie die Erwartungen<br />

jeder Fahrerin managen, weil sie so viele<br />

potenzielle Siegerinnen haben, wird interessant.“<br />

Ich frage Deignan, ob es ihr etwas ausmacht,<br />

wenn sie nicht gewinnt, und sie zögert lange, bis<br />

sie sagt: „Es macht sehr viel aus. Es wäre ein Märchen,<br />

wenn ich gewinnen könnte, aber Märchen<br />

sind selten in der wirklichen Welt.“ Vielleicht ist<br />

das Leben selbst schon Märchen genug.<br />

38 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


LIZZIE DEIGNAN<br />

KONTRAPUNKT<br />

YORKSHIRE GOLD<br />

Yorkshire hat viele Radsporttalente wie Lizzie Deignan hervorgebracht. Procycling<br />

untersucht, warum die Region die Radsporthochburg Großbritanniens ist.<br />

Text William Fotheringham<br />

Yorkshire ist nicht die einzige Hochburg<br />

des britischen Radsports, aber seine unlängst<br />

gestartete Kampagne, um die Grafschaft<br />

mit der weißen Rose in der Flagge in ein<br />

Radsportparadies zu verwandeln, war meisterlich.<br />

Die erfolgreichen Bewerbungen um die Ausrichtung<br />

des Grand Départ der Tour de France<br />

und der Straßenweltmeisterschaft haben den Ruf<br />

der Region als Radsportkernland in Großbritannien<br />

zementiert, und ihr Radsporterbe spielte<br />

eine wichtige Rolle dank Fahrerinnen wie Lizzie<br />

Deignan und Tour-Größen wie Brian Robinson<br />

und Barry Hoban.<br />

Ein Schlüsselmoment in dem Bemühen, die<br />

Tour-Organisatoren zu überzeugen, als die hohen<br />

Tiere von Yorkshire den ASO-Chef Christian<br />

Prudhomme bewirteten, war, als überraschend<br />

der zweifache Tour-Etappensieger Robinson auftauchte.<br />

Da war die Sache gebongt. Als die Tour<br />

zwei Jahre später in die Stadt kam, wurde die<br />

radsportliche Tradition Yorkshires würdig gefeiert<br />

und lebt seitdem in der jährlich ausgetragenen<br />

Tour de Yorkshire weiter.<br />

Yorkshire ist nicht erst seit ein paar Jahren ein<br />

Radsportparadies. Wenn Sie im Bahnhof von<br />

Mirfield aus dem Zug steigen, stehen Sie als Erstes<br />

vor einem Wand gemälde, das Robinson zeigt.<br />

Wenn Sie vor dem Supermarkt im Zentrum von<br />

Morley parken und nach links schauen, bemerken<br />

Sie ein riesiges Bild der Rennfahrerin Beryl Burton.<br />

Oder fahren Sie mit dem Rad in einen kleinen Ort<br />

in den North Yorkshire Moors und schauen auf<br />

die Tür des kleinen Cafés: Wenn Sie Glück haben,<br />

wird es vom Team Sky zertifiziert sein.<br />

Im Profiradsport ist Robinson ein Pionier. Er<br />

war der erste Brite, der es als Rennfahrer in Europa<br />

schaffte, aber er war fest in der Grafschaft der<br />

weißen Rose verwurzelt, kam jeden Winter in seine<br />

Heimatstadt Mirfield zurück und arbeitete in<br />

der Baufirma seines Vaters. In den Radsport stieg<br />

er mit seinem Bruder Desmond ein, und er wartete<br />

jeden Mittwochabend vor Ellis Briggs’ Fahrradgeschäft<br />

auf seine örtliche Trainingsgruppe. Er holte<br />

Großbritanniens erste Etappensiege bei der Tour<br />

1957 und 1959, war der erste britische Sieger bei<br />

einem größeren Etappenrennen – der Dauphiné<br />

Libéré 1961 – und errang den ersten britischen<br />

Podiumsplatz bei einem Klassiker.<br />

© Getty Images<br />

AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 39


DAS GROSSE INTERVIEW<br />

© Offside Sports Photography<br />

HEIMVORTEIL?<br />

Alle Augen werden auf Lizzie<br />

Deignan gerichtet sein, wenn sie die<br />

Straßenweltmeisterschaft der Frauen in<br />

Yorkshire in Angriff nimmt. Das bedeutet<br />

Druck, aber sie profitiert auch von<br />

Streckenkenntnissen und einem<br />

einheimischen Publikum. Im Fußball ist<br />

bekannt, dass ein Heimspiel von Vorteil<br />

ist. Deignan dürfte auch interessieren,<br />

dass es bei 58 Auflagen des Straßenrennens<br />

der Frauen seit 1958 acht<br />

einheimische Siegerinnen gab. Diese<br />

gehen von Yvonne Reynders, der<br />

Belgierin, die 1963 in Ronse gewann, bis<br />

hin zu Marianne Vos, die zuletzt bei den<br />

Titelkämpfen 2012 in der holländischen<br />

Stadt Valkenburg auf heimischem<br />

Boden gewann. Deignan dürfte auch<br />

ermutigen, dass eine der anderen<br />

Fahrerinnen, der das bisher gelungen ist,<br />

eine Britin ist: Mandy Jones, die die<br />

Weltmeisterschaft gewinnen konnte, als<br />

sie zuletzt in Großbritannien war, in<br />

Goodwood 1982. Bei den Männern<br />

waren einheimische Sieger in den<br />

letzten Jahren seltener. Seit Bernard<br />

Hinault das Männer-Rennen 1980 im<br />

französischen Sallanches gewann, war<br />

der einzige einheimische Weltmeister<br />

Alessandro Ballan 20<strong>08</strong>.<br />

Als Robinsons Karriere Fahrt aufnahm, kam auch<br />

die von Burton in Gang. Sie gewann die erste ihrer<br />

beiden Straßenweltmeisterschaften 1960 und<br />

holte anschließend unglaubliche 15 Medaillen bei<br />

Weltmeisterschaften in ebenso vielen Jahren. Daneben<br />

gewann sie fast 100 britische<br />

Titel, erreichte eine wirklich<br />

unglaubliche Serie von 25 „British<br />

Best All Rounder“-Titeln und brach<br />

einen Rekord der Männer im 12-<br />

Stunden-Zeitfahren, nachdem sie<br />

sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit<br />

dem damaligen Topfahrer Mike<br />

McNamara geliefert hatte.<br />

Sowohl Burton als auch Robinson<br />

waren Idole; fast jede Frau, mit<br />

der ich sprach, als ich Burtons Biografie<br />

schrieb, sagte mir, sie habe<br />

versucht, in Beryls Fußstapfen zu<br />

treten. Derweil war Robinson ein<br />

Vorbild für Tom Simpson, der,<br />

obwohl er eine halbe Meile hinter<br />

der Grenze zu Nottinghamshire<br />

aufwuchs, für Scala Wheelers in<br />

Doncaster in Yorkshire fuhr und<br />

meistens bei Rennen in der Grafschaft<br />

antrat.<br />

Wie Robinson war Burton ein Produkt dieser<br />

örtlichen Kultur, teils durch ihren Ehemann<br />

Charlie und andere Mitglieder des Morley Cycling<br />

Club, aber auch durch Rennfahrerinnen aus der<br />

Gegend wie Iris Miles, die wie Simpson für Scala<br />

18<br />

Grand-Tour-<br />

Doubles in der<br />

Historie<br />

10<br />

Fahrer mit einem<br />

GT-Double<br />

Wheelers fuhr. Bis in die 1980er inspirierte Burtons<br />

Reputation Frauen wie ihre Tochter Denise<br />

und später Yvonne McGregor – ermutigt durch<br />

Burtons Autobiografie Personal Best – und Deignan,<br />

die sich erinnerte, wie ihre Großmutter Geschichten<br />

von der Lokalmatadorin<br />

erzählte.<br />

Nach Robinson kamen andere<br />

Tour-Männer: Victor Sutton, ein<br />

Bootsbauer aus Doncaster, der<br />

an der Seite von Charly Gaul<br />

kletterte; Hoban aus einer Bergmannsfamilie<br />

unweit von Wakefield;<br />

und Albert Hitchen, ein Eisenbahnschlosser<br />

aus Mirfield.<br />

Die Liste ist lang: „Super Sid“<br />

Barras und Keith Lambert sind<br />

nicht wegzudenken aus der einheimischen<br />

britischen Szene in<br />

den 1970ern, „Sheffield-Playboy“<br />

Malcolm Elliott und heute Ben<br />

Swift, Adam Blythe, Scott Thwaites<br />

und seit Kurzem der Jungstar<br />

Tom Pidcock.<br />

Es sind nicht nur die Fahrer,<br />

auch die Rennen haben eine lange<br />

Tradition in Yorkshire. Harrogate, Austragungsort<br />

der Weltmeisterschaft in diesem Jahr, richtete in<br />

den 1970ern ein riesiges „International Festival of<br />

Cycling“ aus. Als die Tour de Yorkshire in diesem<br />

Mai auf der Headrow-Allee endete, folgte sie direkt<br />

den Reifenspuren des Leeds Classic, das von<br />

1993 bis 1996 ausgetragen wurde und ein großes<br />

Publikum und prominente Fahrer anlockte.<br />

Der Radsport in Großbritannien hat sich meist<br />

auf die industriell geprägten Gegenden konzentriert,<br />

nicht auf die ländlichen Gebiete (wie in Italien<br />

und Frankreich). Fausto Coppi und Bernard<br />

Hinault kamen vom Lande; die britischen Champions<br />

stammten immer aus urbanen, industriell<br />

geprägten Gemeinden. Der Radsport war nie in<br />

dem Maße in der ländlichen britischen Kultur<br />

eingebettet, wahrscheinlich, weil die meisten<br />

Landarbeiter in engen Cottages an ihrem Arbeitsplatz<br />

wohnten.<br />

Wie Hoban erklärte: „Yorkshire war immer<br />

eine Arbeitergegend; Stahlwerke, Mühlen und<br />

Fabriken. Es gab viel harte Arbeit und die Leute<br />

haben sich hineingekniet und sie gemacht; sie<br />

scheuten sich nicht vor der Arbeit. Die Arbeitsumgebung<br />

bringt die Menschen hervor.“<br />

Arbeiter fuhren mit dem Fahrrad zur Fabrik<br />

oder ins Bergwerk. Sie machten abends Zeitfahren,<br />

tranken im Vereinsheim eine Tasse Tee und<br />

machten am Wochenende Vereinsfahrten. Sie<br />

sahen sich Rennen auf dem Spielfeld der örtlichen<br />

Zeche an. „Das Wochenende war etwas, worauf<br />

man sich nach einer Woche im Bergwerk freuen<br />

Robinson auf dem Weg zu seinem<br />

zweiten Tour-Etappensieg im Jahr 1959.<br />

40 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


LIZZIE DEIGNAN<br />

1.<br />

LIZZIE DEIGNANS<br />

GRÖSSTE ERFOLGE<br />

Beryl Burton (Mitte) wurde 1962<br />

Weltmeisterin in der Einerverfolgung.<br />

konnte“, sagte Hoban. „Nach einer langen Schicht<br />

unter Tage war es eine Erleichterung, wieder im<br />

Freien zu sein.“<br />

Heute ist die Schwerindustrie verschwunden<br />

und mit ihr das Radfahren als Transportmittel<br />

und Freizeitbeschäftigung, aber das Erbe bleibt.<br />

Jetzt ist, wie bei den anderen Hochburgen des<br />

Radsports in Europa – Flandern, die Bretagne,<br />

das Baskenland, die Toskana –, der wichtigste<br />

Faktor in Yorkshire die kritische Masse. Es gibt<br />

jede Menge Erfahrung, von der Newcomer profitieren<br />

können und die in vielen Fällen durch Familien<br />

geht: Sid Barras und sein Sohn Tom; Chris<br />

Walker und seine Kinder Jessie und Joey; Abby-<br />

Mae Parkinson und ihre Mutter Lisa Brambani;<br />

die Swifts, Ben und Connor. Yorkshire ist eine der<br />

Gegenden, in denen der Radsport nach dem Krieg<br />

aufblühte: Merseyside, East Midlands, Glasgow,<br />

Lancashire, East London. Yorkshire unterscheidet<br />

sich insofern, als es mit beispiellosem Erfolg auf<br />

dieser Geschichte aufgebaut hat.<br />

Deignan kam unversehens zum Radsport, als<br />

die britischen Talentsucher an ihrer Schule in<br />

Otley auftauchten, aber sie hatte jede Menge Leute,<br />

die ihr mit Rat und Tat beiseite standen, darunter<br />

ihr Trainer Phil West. In ihrer Autobiografie<br />

Steadfast erinnert sich Deignan an ihre Vereinsfahrten,<br />

die Zeitfahren und die Chaingang – alle<br />

perfekt, um einen talentierten Youngster zu fördern.<br />

Für Deignan hat das „harte und unerbittliche“<br />

Terrain in Yorkshire ihre Entwicklung gefördert.<br />

„Ich hatte keine Ahnung, dass die Qualen<br />

mir einen Vorteil gegenüber Fahrerinnen aus anderen<br />

Teilen des Landes geben würden, aber ich<br />

hatte nie Angst, wenn ich Anstiege fahren musste,<br />

und schlechtes Wetter macht mir nichts aus.<br />

Es gibt keine einfachen Fahrten und es lehrt dich,<br />

hart zu sein.“<br />

5.<br />

4.<br />

2.<br />

3.<br />

1.<br />

Etappe Tour de l’Ardèche 2009,<br />

2010 (3)<br />

Etappe Tour de l’Aude 2010<br />

Etappe La Route de France 2010<br />

Etappe Tour of Chongming Island<br />

2011<br />

Nationale Straßenmeisterin 2011,<br />

2013, 2015, 2017<br />

Etappe Thüringen-Rundfahrt 2011,<br />

2014<br />

Omloop van het Hageland 2012<br />

Gent–Wevelgem 2012<br />

Omloop van het Hageland 2014<br />

Ronde van Drenthe 2014<br />

Commonwealth Games RR 2014<br />

2 Etappen Ladies Tour of Qatar 2015<br />

PROBLEME MIT<br />

DEN MEISJES<br />

Deignan muss sich, wie alle Favoritinnen<br />

der WM, mit einem großen Problem he -<br />

rumschlagen: der Stärke des niederländischen<br />

Teams. Drei der wichtigsten Wertungssysteme<br />

– Procyclingstats, Cycling<br />

Quotient und das UCI World Ranking –<br />

sagen, dass sieben der besten elf Rennfahrerinnen<br />

der Welt aus Holland kommen.<br />

FAHRERIN<br />

Ladies Tour of Qatar 2015<br />

Trofeo Alfredo Binda 2015, 2016<br />

Boels Rental Hills Classic 2015, 2016<br />

Philadelphia Cycling Classic 2015<br />

Etappe Women’s Tour 2015, 2016, <strong>2019</strong><br />

GP de Plouay 2015, 2017<br />

Straßen-WM 2015<br />

Omloop Het Nieuwsblad 2016<br />

Strade Bianche 2016<br />

Flandern-Rundfahrt 2016<br />

Women’s Tour 2016, <strong>2019</strong><br />

Tour de Yorkshire 2017<br />

2.<br />

Etappe Tour Féminin en Limousin<br />

2007<br />

Nationale Straßenmeisterschaft<br />

2009, 2010, 2012<br />

Etappe Tour de l’Ardèche 2009 (2),<br />

2011 (2)<br />

Straßenrennen Commonwealth<br />

Games 2010<br />

Tour of Chongming Island World<br />

Cup 2011<br />

Etappe Thüringen-Rundfahrt 2011,<br />

2012, 2013, 2014 (2)<br />

Olympisches Straßenrennen 2012<br />

Boels Rental Hills Classic 2013<br />

Nationale Zeitfahrmeisterschaft 2013<br />

Etappe La Route de France 2013 (2)<br />

Etappe Boels Rental Ladies Tour 2013<br />

Etappe Ladies Tour of Qatar 2014<br />

Trofeo Alfredo Binda 2014<br />

Flandern-Rundfahrt 2014<br />

Etappe Energiewacht Tour 2014<br />

CQ <strong>PC</strong>S WT<br />

Annemiek van Vleuten 1 1 1<br />

Marianne Vos 2 2 2<br />

Amanda Spratt 3 4 3<br />

Kasia Niewiadoma 4 6 5<br />

Lorena Wiebes 6 3 6<br />

Anna van der Breggen 5 5 7<br />

Marta Bastianelli 7 7 4<br />

Ellen van Dijk 8 8 8<br />

Amy Pieters 10 9 9<br />

Kirsten Wild 9 11 10<br />

Leah Kirchmann 11 10 16<br />

YORKSHIRE<br />

GOLD<br />

DIE FÜNF BESTEN<br />

RADSPORTLER AUS<br />

YORKSHIRE<br />

BEN SWIFT<br />

Geburtsort: Rotherham<br />

Britischer Straßenmeister<br />

Stand in Mailand–San Remo und<br />

der WM auf dem Treppchen,<br />

gewann mehrere Etappen<br />

einwöchiger WorldTour-<br />

Rundfahrten.<br />

La Flèche Wallonne Féminine 2014,<br />

2017<br />

Durango-Durango Emakumeen<br />

Saria 2014<br />

Etappe Emakumeen Euskal Bira 2014<br />

Thüringen-Rundfahrt 2014<br />

Strade Bianche 2015<br />

Amstel Gold Race 2017<br />

Lüttich–Bastogne–Lüttich 2017<br />

Etappe La Course by Le Tour de<br />

France 2017<br />

La Course by Le Tour de France 2017<br />

Etappe Women’s Tour <strong>2019</strong><br />

3.<br />

Nationale Straßenmeisterschaft<br />

2009, 2014<br />

Etappe Tour de l’Ardèche 2009,<br />

2010 (2), 2011<br />

Tour de l’Ardèche 2009<br />

Etappe Emakumeen Bira 2010, 2011<br />

Etappe La Route de France 2010,<br />

2013<br />

Etappe Thüringen-Rundfahrt 2011,<br />

2014 (2)<br />

Novilon Euregio Cup 2012<br />

Etappe Boels Ladies Tour 2013 (2),<br />

2014<br />

Boels Ladies Tour 2013<br />

Omloop Het Nieuwsblad 2014, 2015<br />

Molecaten Drentse 8 2014<br />

Etappe Energiewacht Tour 2014 (2)<br />

Etappe Ladies Tour of Qatar 2015<br />

Strade Bianche 2017<br />

Etappe Women’s Tour <strong>2019</strong><br />

BRIAN ROBINSON<br />

Geburtsort: Mirfield<br />

Dauphiné-Sieger<br />

Großbritanniens erster Tour-<br />

Etappensieger mit Erfolgen 1958<br />

und 1959. Dazu Gesamtsieger<br />

des Critérium du Dauphiné<br />

Libéré 1961.<br />

BERYL BURTON<br />

Geburtsort: Leeds<br />

Größte britische Rennfahrerin<br />

Vielfache Weltmeisterin auf<br />

Bahn und Straße. Burton wurde<br />

26 Mal nationale Zeitfahrmeisterin<br />

über 25 Meilen.<br />

BARRY HOBAN<br />

Geburtsort: Wakefield<br />

Mehrfacher Tour-Etappensieger<br />

Er erzielte in den 1960ern und<br />

1970ern acht Tour-Etappensiege,<br />

gewann dazu Gent–Wevelgem<br />

und konnte bei vielen Klassikern<br />

gute Platzierungen herausfahren.<br />

MALCOLM ELLIOT<br />

Geburtsort: Sheffield<br />

Supersprinter bei der Vuelta<br />

Gewinner des Sprintertrikots der<br />

Vuelta a España 1989 mit drei<br />

Etappensiegen. Sieger der Tour<br />

of Britain 1988, 1993 britischer<br />

Straßenmeister.<br />

© Offside Sports Photography<br />

AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 41


GUTES<br />

OOMEN?<br />

Mit gerade einmal 22 Jahren beendete Sam Oomen den Giro<br />

d’Italia 2018 als Neunter – im Kreise der besten Kletterer der<br />

Welt. In diesem Jahr bremste ihn jedoch Verletzungspech<br />

frühzeitig aus. Ein Porträt über einen Fahrer mit einer großen<br />

Portion Talent und einem starken Charakter.<br />

Text Sam Dansie & Werner Müller-Schell<br />

© Chris Auld<br />

42 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 43


SAM OOMEN<br />

Sam Oomens Heimatrevier ist Tilburg, eine<br />

Stadt im zentralen Süden der Niederlande,<br />

genauer gesagt der Provinz Noord-Brabant.<br />

Das Land hier ist flach und die einzige Möglichkeit,<br />

um als Radsportler Höhenmeter zu sammeln,<br />

ist der Weg in das Stadtzentrum und dort<br />

eine Fahrt mit dem Aufzug ins 22. Stockwerk des<br />

Interpolis-Versicherungsgebäudes. Man könnte<br />

meinen, die meisten 23-jährigen Bergspezialisten<br />

– insbesondere jene, deren Palmarès in diesem<br />

jungen Alter bereits einen neunten Platz beim<br />

Giro d'Italia aufweisen – würden von den schlammigen<br />

Feldwegen und endlosen Autobahnbrücken<br />

Nordbrabants wegziehen und sich nach Andorra,<br />

der Côte d’Azur oder in eine andere bergige Gegend<br />

aufmachen, um dort zu trainieren. Nicht so<br />

Sam Oomen. Er bleibt seiner Heimat Tilburg treu.<br />

„Komisch, oder?“, lacht er, als wir eine ironische<br />

Bemerkung über die Tatsache machen, dass<br />

wir eine Bergziege gefunden hätten, die außerhalb<br />

ihres Reviers leben würde. „Man muss eben eine<br />

Balance zwischen dem Training und der mentalen<br />

Komponente finden“, erklärt er. „Es macht mich<br />

so glücklich, nach jedem Etappenrennen heimzukommen,<br />

ein paar Tage zu Hause zu genießen<br />

und mich so auch geistig wieder für das nächste<br />

Rennen zu erholen. Alle meine Freunde leben<br />

hier, meine Familie, und ich fühle mich in Tilburg<br />

einfach sehr wohl.“<br />

Es ist nicht die einzige Überraschung, die wir<br />

im Bezug auf Sam Oomens Verhältnis zu Anstiegen<br />

und Höhenmetern finden. In diesem Frühjahr,<br />

in dem es bei vielen erfolgreichen Fahrern<br />

ein Trend war, ihre Form in einsamen Höhentrainingscamps<br />

in den Bergen aufzubauen, erzählt<br />

uns der junge Niederländer mit einem ironischen<br />

Unterton, dass auch er bereits zwei Höhentrainingslager<br />

absolviert habe. „Eines im Februar und<br />

eines im März?“, wollen wir wissen. Oomen verneint.<br />

„Zwei in meiner Karriere insgesamt. Letztes<br />

Jahr 16 Tage in der Sierra Nevada vor dem<br />

Giro und im Jahr davor zweieinhalb Wochen in<br />

La Plagne vor der Vuelta“, schmunzelt er. „Es ist<br />

nicht so, dass ich überhaupt nicht am Berg trainiere“,<br />

sagt er in Reaktion auf unseren erstaunten<br />

Blick und fügt an, dass er oft in die hügelige Gegend<br />

rund um Limburg, Tom Dumoulins Heimat,<br />

fahre. „Dort kannst du leicht 2.000 Höhenmeter<br />

am Tag machen.“<br />

Wir treffen Sam Oomen im Restaurantbereich<br />

eines Hotels im Baskenland Anfang April.<br />

In der Bar läuft Fußball und Rauchwolken qualmen<br />

durch den Raum. „Kein Problem, hier ist es<br />

okay“, sagt er, als wir ihn fragen, ob wir wegen<br />

des Dunstes an einen anderen Ort gehen sollen.<br />

Oomen trägt eine verkehrt herum aufgesetzte<br />

Baseballkappe, einen bauschigen Trainingsanzug<br />

und Flip Flops. Wir sind uns nicht sicher, ob er<br />

gerade erst von einem kleinen Nickerchen aufgewacht<br />

ist oder immer so herumläuft. Eines ist ge-<br />

wiss: Gäbe es ein Trikot für den lockersten Fahrer<br />

im Peloton – Oomen hätte gute Chancen, es<br />

zu gewinnen.<br />

Es wäre allerdings nur ein kleiner Farbtupfer<br />

in seiner in Anbetracht seines jungen Alters erstaunlich<br />

langen Ergebnisliste. Nach seinem Auftritt<br />

beim Giro d’Italia des letzten Jahres gilt der<br />

Profi aus den Reihen des Teams Sunweb schließlich<br />

als eines der größten Talente im Peloton.<br />

Auch in diesem Jahr startete er verheißungsvoll<br />

in die Saison: Im Februar wurde er Fünfter der<br />

Algarve-Rundfahrt und im März beendete er<br />

Tirreno–Adriatico als Neunter. „Nicht super, aber<br />

trotzdem gut“, beschreibt er seinen Auftritt in<br />

Italien. Danach fuhr er weite Teile der Baskenland-Rundfahrt,<br />

musste aber nach vier Tagen<br />

aufgeben. Da sein Teamkollege Wilco Kelderman<br />

bei der Katalonien-Rundfahrt schwer stürzte, war<br />

zu diesem Zeitpunkt bereits klar, dass Oomen<br />

wieder die Rolle als letzter Mann am Berg für<br />

Tom Dumoulin beim Giro übernehmen würde.<br />

Ein Vorhaben, das für beide nicht gut ausging:<br />

Dumoulin gab den Giro bereits auf der fünften<br />

Etappe auf, während Oomen auf der 14. Etappe<br />

von Saint Vincent nach Courmayeur stürzte und<br />

sich die Hüfte brach.<br />

VERBORGENES LEIDEN<br />

Doch der Unfall sollte nicht das einzige Problem<br />

des jungen Niederländers in dieser Saison sein:<br />

Während der hektischen Frühjahrssaison voller<br />

Trainings, Rennen und Gedanken über Ambitionen<br />

und Hoffnungen – und davon gab es nicht<br />

wenige, denn nach der ersten Giro-Woche hatte<br />

Oomen noch auf dem zehnten Rang im Gesamtklassement<br />

gelegen – musste er sich mit einer im<br />

Raum stehenden Operation beschäftigen, um eine<br />

verengte Beckenarterie zu korrigieren. Nach unserem<br />

Interview bei der Baskenland-Rundfahrt<br />

konnten wir leider nicht genauer nachfragen, da<br />

das Team alle Interviews abblockte – aber wir<br />

nehmen an, dass es schwer gewesen sein musste,<br />

dieses Geheimnis während der Klassiker-Saison<br />

herumzutragen. Wir erinnern uns: Als Fabio Aru<br />

früher in diesem Jahr ankündigte, dass er wegen<br />

derselben Problematik operiert werden müsste,<br />

erzählte er der Gazzetta dello Sport, dass er weinte,<br />

als er die Nachricht von den Ärzten erfuhr. Im<br />

Juni, als Oomen die Nachricht bekam, dass seine<br />

Saison wegen der Operation vorüber wäre, reagierte<br />

er gegenüber einem niederländischen<br />

Fernsehsender dagegen mit einem lockeren Witz:<br />

„Kein Problem – das ist mein 200.000-Kilometer-Service.“<br />

Laurens ten Dam, heutiger Profi beim CCC-<br />

Team und ehemaliger Mannschaftskollege und<br />

Lehrmeister Oomens beim Team Sunweb, erzählt<br />

uns, dass hinter dessen ruhiger, rothaariger Fas-<br />

sade ein Fahrer stecke, der viel nachdenke. „Unter<br />

der Oberfläche ist er ein Typ, der sich oft Sorgen<br />

macht. Auch ten Dams Ehefrau, die bei jenem Interview<br />

neben ihm sitzt, stimmt zu: „Er denkt<br />

wirklich viel nach und überdenkt so gut wie alles.“<br />

Die beiden Niederländer verbindet ein enges<br />

Verhältnis. Das Problem mit der Beckenarterie<br />

zum Beispiel vertraute Oomen ten Dam als Erstem<br />

an. Zuerst wollte er, berichtet uns ten Dam,<br />

nichtinvasive Methoden ausprobieren, um die<br />

Arterie so mithilfe eines Chiropraktikers oder<br />

Sam Oomen als treuer Helfer für Tom<br />

Dumoulin während des Giro d’Italia.<br />

DAS<br />

RICHTIGE<br />

TEAM<br />

Seine Ausbildung auf dem Weg zum<br />

Radprofi erhielt Oomen während seiner<br />

zwei Jahre mit dem Rabobank-Continental-Team<br />

2014 und 2015. „Die Basis dort<br />

war super“, erinnert er sich. „Passionierte<br />

Betreuer, eine gute Ausrüstung, alles<br />

war sehr gut arrangiert und wir hatten<br />

wirklich gute Rennen.“ Nach erfolgreichen<br />

Resultaten 2015 wie dem achten<br />

Platz bei der Tour de l’Ain, dem vierten<br />

Rang bei der Tour de l’Avenir und dem<br />

Sieg bei der Rhône-Alpes Isère Tour<br />

hätte er beispielsweise zu LottoNL–<br />

Jumbo wechseln können. Doch er war<br />

offen und sprach mit allen Teams.<br />

Sunweb, erzählt Oomen, habe früh<br />

Interesse gezeigt und ihm auch einen<br />

Dreijahresvertrag angeboten – ein<br />

Jahr länger als die Minimumdauer für<br />

Neoprofis. Bei den Verhandlungen mit<br />

Sunweb gab es zudem „mehrere sehr<br />

lange Gespräche über meine Persönlichkeit“,<br />

sagt er mit einem leisen<br />

Lächeln. „Sie wollten mich nicht nur<br />

wegen meiner Beine.“ Eine Beziehung,<br />

die bis heute anhält: Bereits 2017 wurde<br />

Oomens Vertrag von Sunweb bis 2020<br />

verlängert.<br />

44 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


SAM OOMEN<br />

© Getty Images<br />

AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 45


SAM OOMEN<br />

© Getty Images<br />

mit Massagen zu behandeln, ehe er sich für die<br />

Operation entschied. Ten Dam selbst war einmal<br />

zwei Jahre unter ähnlichen Umständen Rennen<br />

gefahren, weil sein Problem nicht richtig diagnostiziert<br />

worden war. Oomens Entscheidung, das<br />

Problem geheim zu halten und eine Grand Tour<br />

zu fahren, bezeichnet er als „sehr mutig“.<br />

Ten Dam gab den Giro <strong>2019</strong> während der<br />

sechsten Etappe auf – an jenem Tag, als Oomen<br />

in der Ausreißergruppe des Tages vertreten war.<br />

Vom Teamfahrzeug hinten beobachtete er seinen<br />

Freund für eine Weile: „Ich wusste, dass bei den<br />

finalen Attacken eines seiner Beine voller Laktat<br />

sein würde und er den Attacken nicht mehr folgen<br />

würde können. Und dann hätte er wieder irgendeine<br />

Story für die Journalisten erfinden müssen,<br />

anstelle ihnen die Wahrheit über die Beckenarterie<br />

zu erzählen.“ Ob er glaube, dass Sunweb<br />

Oomen in diese ausweglose Situation gebracht<br />

habe, obwohl man wusste, dass er unter Nennwert<br />

fahren würde? Und kannte man auch die<br />

ernsthaften Gründe dafür? „Ich weiß nicht, ob<br />

es sein Team war. Es war wohl auch er selbst“,<br />

mutmaßt ten Dam. „Er ist wohl einfach zu konsequent,<br />

um aufzugeben.“<br />

KONTINUIERLICHE ENTWICKLUNG<br />

„ICH WUSSTE, DASS BEI DEN <strong>FINAL</strong>EN ATTACKEN<br />

EINES SEINER BEINE VOLLER LAKTAT SEIN WÜRDE.<br />

UND DANN HÄTTE ER WIEDER IRGENDEINE<br />

STORY FÜR DIE JOURNALISTEN ERFINDEN MÜSSEN,<br />

ANSTELLE DIE WAHRHEIT ZU ERZÄHLEN.“<br />

LAURENS TEN DAM<br />

In der Tat verlief Oomens Entwicklung für sein<br />

junges Alter von gerade einmal 23 Jahren bisher<br />

überraschend kontinuierlich. In seiner ersten Saison<br />

lieferte er ein paar gute WorldTour-Rennen ab<br />

und gewann zudem die Gesamtwertung und eine<br />

Etappe bei der Tour de l’Ain. Im zweiten Jahr<br />

sammelte er Top-Ten-Resultate bei der Kalifornien-<br />

und der Polen-Rundfahrt und feierte bei<br />

der Vuelta a España ein beachtenswertes Grand-<br />

Tour-Debüt. Und im dritten Jahr wurde er Neunter<br />

beim Giro und holte zwei weitere Top-Ten-Resultate<br />

bei WorldTour-Etappenrennen. Die<br />

diesjährige Saison hätte ähnlich wie die letzte<br />

verlaufen sollen – mit einer Mischung aus Helfereinsätzen<br />

und Kapitänsrollen. Das vorzeitige Aus<br />

ist nach diesem geradlinigen Aufstieg nun umso<br />

schmerzhafter für ihn und sein Team.<br />

Denn spätestens seit seiner Giro-Performance<br />

2018 waren sich die Sunweb-Manager sicher,<br />

dass ihr frühes Gefühl für Oomens Talent richtig<br />

war. Oomen war Dumoulins wichtigster Helfer in<br />

jener dreiwöchigen Landesrundfahrt. Selbst am<br />

letzten Tag in den Alpen war er beim Giro 2018<br />

an der Spitze präsent und half, seinen Leader in<br />

eine Position zu bringen, von der aus dieser den<br />

im Rosa Trikot fahrenden Chris Froome in den<br />

Kehren hinauf nach Cervina attackieren hätte<br />

können. Sein Einsatz zahlte sich nur<br />

bedingt aus, da Dumoulin am Ende<br />

jenes langen Giros nicht die Beine<br />

für eine Attacke hatte. Doch auch<br />

Oomens Wille zählte. Insbesondere,<br />

da er für sich selbst auch<br />

noch einen neunten Platz in der<br />

Gesamtwertung herausfuhr.<br />

Seine einzige Schwäche bei jenem<br />

Giro hatte Oomen am Tag zuvor offenbart:<br />

Während Froomes beeindruckendem<br />

100-Kilometer-Solo von Venaria Reale nach Bardonecchia/Jafferau<br />

war er auffällig unauffällig gefahren.<br />

Dumoulin hatte schon vor der Etappe eine<br />

Attacke erwartet. Am Morgen beim Rennbriefing<br />

hatte er dem Team gesagt: „Sky wird einige Fahrer<br />

in der Gruppe des Tages platzieren, Poels wird ein<br />

hartes Tempo am Finestre anschlagen, und Froome<br />

wird einige Kilometer vor dem Gipfel attackieren<br />

und dann versuchen, zu seinen Teamkollegen<br />

vorne aufzuschließen. Das ist zu 100 Prozent das,<br />

was passieren wird.“ Es passierte genau so. Und<br />

Dumoulin wusste Oomen nicht an seiner Seite.<br />

Warum?, wollen wir in Anbetracht seiner starken<br />

Fahrt davor und danach wissen: „Die Sache<br />

Ein neunter Platz bei Tirreno–Adriatico<br />

deutete auf eine gutes Jahr hin – ehe<br />

Oomens Saison ein jähes Ende nahm.<br />

9<br />

Oomens Rang<br />

beim Giro<br />

2018<br />

ist, dass ich an jenem Tag nicht sehr selbstbewusst<br />

im Bezug auf meine körperlichen Fähigkeiten<br />

war. Am Tag zuvor, als es nach Prato Nevoso<br />

ging, war ich wirklich nicht gut drauf. Ich wurde<br />

früh abgehängt und so hatte ich Zweifel, wie es<br />

wohl während des schwersten Tages des Giros<br />

werden würde. Das Dumme war, dass ich eigentlich<br />

ganz okay drauf war. Später habe ich mich<br />

dann darüber natürlich geärgert“, so Oomen, der<br />

hin- und her überlegt. „Keine Ahnung. Klar könnte<br />

ich jetzt sagen, dass ich am ersten Berg attackieren<br />

hätte sollen“, grübelt er, nur um nach einer<br />

Pause hinzuzufügen: „Nein, ich hätte nichts<br />

anders machen können – glaube ich.“<br />

Ein Jahr später sind alle Fragen nach dem berühmten<br />

„Was-wäre-wenn-Prinzip“ tief unter<br />

einem Haufen positiver Gefühle begraben.<br />

„Es war eine tolle Erfahrung, die<br />

ich für den Rest meines Lebens in<br />

Erinnerung behalten werde. Das<br />

Erste, an das ich denke, ist das<br />

letzte Wochenende des Giros, der<br />

Finestre und das Bier in Rom nach<br />

einem dreiwöchigen Abenteuer. Das<br />

war schon speziell und man kann das<br />

mit nichts anderem vergleichen. Ich fühle<br />

mich wirklich privilegiert, das erlebt zu haben.“<br />

In unserem Gespräch gibt Oomen dennoch<br />

zu, dass er immer eine gewisse Unsicherheit über<br />

seine Fähigkeiten und sein Poten zial mit sich herumtrage.<br />

Diese tauche meist zu Beginn eines Etappenrennens<br />

auf, wenn er seine Heimat in Tilburg<br />

hinter sich lässt und auf die weltbesten Kletterer<br />

trifft. „Ich hatte schon immer dieses unsichere Gefühl,<br />

aber ich glaube nicht, dass das schlecht ist.<br />

Ich würde sogar sagen, dass es mich fokussierter<br />

macht. Insgesamt macht es mir daher nichts aus.“<br />

Es komm nicht von ungefähr, dass für einen<br />

Fahrer mit Oomens Talent nun die nächste Karrierestufe<br />

in den Fokus rückt. Doch der Schritt vom<br />

beständigen Top-Ten-Fahrer bei WorldTour-Rennen<br />

zum Top-Fünf- oder Siegfahrer war wohl nie<br />

schwerer als derzeit. Oomen stimmt zu: „Letztes<br />

Jahr landete ich oft zwischen Platz fünf und zehn.<br />

Man könnte meinen, dass es nur ein Schritt zu<br />

den Top Fünf wäre – aber es ist ein sehr harter<br />

Schritt. Und es braucht Zeit“, meint er. In diesem<br />

Jahr hätte es nun so weit sein sollen und es sah<br />

46 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


SAM OOMEN<br />

danach aus, als könnte Oomen seine Ausbildung<br />

abschließen und diesen nächsten großen Sprung<br />

machen – auch weil sein junges Alter ihm solche<br />

Leistungssprünge erlaubt. „Dann kommst du zu<br />

einem Punkt, vielleicht wenn du um die 25 bist,<br />

wenn die Schritte kleiner werden und du mehr<br />

und mehr investieren musst, um dich weiterzuentwickeln.<br />

Man kann das sehr gut bei Tom und<br />

den anderen Fahrern sehen: Wenn sie 26, 27<br />

sind, schaffen sie es wirklich an die Spitze.“ Vor<br />

den Rückschlägen in diesem Jahr hätte man<br />

durchaus meinen können, Oomen sei diesem<br />

klassischen Karriereschema weit voraus. Doch<br />

das ist nun hinfällig.<br />

Drei Wochen vor der Operation an der Beckenarterie<br />

war er bei den ten Dams zu Besuch,<br />

schlank und austrainiert. Eines der Gesprächsthemen,<br />

als man am an einem Abend um die<br />

Feuerstelle im Garten saß: Ob Oomen nach seiner<br />

Genesung in eine Gegend ziehen sollte, die hügeliger<br />

ist als seine Heimat Tilburg. „Er war immer<br />

noch so fokussiert“, erzählt ten Dam über<br />

jenen Abend. „Ich sagte ihm, dass er nicht so<br />

streng mit sich selbst sein solle. Und dass er die<br />

Saison abschreiben solle.“ Was sicher ist: Wenn<br />

sich Oomen von der Operation wieder erholt, wird<br />

es niemanden Glücklicheren geben als ten Dam,<br />

ihn in den Bergen wieder ganz vorne zu sehen.<br />

Oomen als Ausreißer beim diesjährigen<br />

Giro, ehe er nach einem Sturz auf der<br />

14. Etappe aussteigen musste.<br />

© Gruber Images<br />

AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 47


INTERVIEW SOPHIE HURCOM<br />

FOTOGRAFIE CHRIS AULD<br />

JACK<br />

BAUER<br />

M A N N M I T M I S S I O N<br />

Er wuchs in einem kleinen Bauerndorf in Neuseeland auf, wurde zu Hause<br />

unterrichtet, fuhr Mountainbike, spielte Bass in einer Band, machte einen<br />

Uni-Abschluss und arbeitete als Fahrradkurier. Eines Tages riskierte er es<br />

und flog nach Belgien – und alles änderte sich. Jack Bauer erzählt Procycling,<br />

wie er die Leiter zur Spitze der WorldTour hochkletterte.<br />

48 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


Rad zu fahren war eine Art, sich fortzubewegen,<br />

als ich jung war. Es war<br />

Mobilität, es war Freiheit für einen jungen<br />

Mann wie mich. Ich hatte einen älteren Bruder<br />

und einen Vater, die sehr aktiv und sportlich waren,<br />

ich wuchs auf mit der Liebe zum Joggen und<br />

Radfahren. Aber wir lebten draußen auf dem Lande,<br />

wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen.<br />

Wenn ich irgendwohin wollte, gab es keinen Bus,<br />

in den ich steigen konnte. Mum und Dad hatten<br />

zu tun, als nahmen wir das Rad. So bin ich auf<br />

den Geschmack gekommen, Rad zu fahren und<br />

draußen unterwegs zu sein.<br />

Ich war immer ein Junge, der Sport auf<br />

höchstem Niveau betreiben wollte. Das<br />

Training hat mir Spaß gemacht, es hat mir Spaß<br />

gemacht, mich selbst anzutreiben. Ich bin als<br />

Youngster ein paar Mountainbike-Rennen gefahren<br />

und habe erkannt, dass ich mit ein bisschen<br />

Training mithalten und mich behaupten konnte.<br />

Das Gefühl mochte ich, also machte ich weiter.<br />

Als ich älter wurde, wurde es zu diesem Traum:<br />

Wäre es nicht toll, wenn ich davon leben könnte?<br />

Das Mountainbike war das beste Fortbewegungsmittel<br />

in der Gegend, die eine bäuerliche Gemeinschaft<br />

war. Ich habe bis zur MTB-Weltmeisterschaft<br />

2006 überhaupt kein Rennrad angefasst.<br />

Ein Jahr vorher habe ich mir ein Rennrad fürs<br />

Training besorgt, um wirklich große Strecken zu<br />

fahren. Mum und Dad haben etwas dazugegeben<br />

und ich habe mein erstes richtiges Rennrad aus<br />

Aluminium bekommen. Es ist immer noch in der<br />

Familie – meine kleine Schwester hat es.<br />

Wir hatten einen neuseeländischen Star in<br />

der MTB-Szene namens Kashi Leuchs, der<br />

aus Dunedin kam. Wenn du als Kind ein konkretes<br />

Vorbild hast, jemanden, der es in Übersee<br />

geschafft hat und gegen die Besten antreten<br />

konnte und damit seinen Lebensunterhalt verdienen<br />

konnte, kannst du es dir als berufliche Laufbahn<br />

vorstellen. Auf der Straße kannte ich die Namen<br />

Julian Dean und Greg Henderson, aber ich<br />

kannte sie auch als Medaillengewinner bei Olympia<br />

auf der Bahn, Leute, die sehr jung angefangen<br />

und sich durchgesetzt hatten. Ich dachte, so muss<br />

man es machen. Ich hing an unserem örtlichen<br />

Fahrradladen rum, der Quiet Revolution hieß, ein<br />

schönes, kleines, bodenständiges Geschäft. Der<br />

Typ, der es aufgebaut hat, ist dieses Jahr an Krebs<br />

gestorben, aber das sind meine Jugenderinnerungen<br />

an den Radsport – ein Geschäft, das Mountainbikes<br />

verkaufte.<br />

Ich lebte zu dem Zeitpunkt viele verschiedene<br />

Leben. Ich studierte, ich versuchte Rennen zu<br />

fahren und zu trainieren, und ich spielte in einer<br />

Band. Es gipfelte alles darin, dass ich bei diesen<br />

MTB-Meisterschaften zum ersten Mal für Neuseeland<br />

antrat – als U23-Fahrer, was schon ziemlich<br />

alt war. Wenn ich mich heute umsehe und<br />

einige dieser Kids sehe, die Profis sind und eigentlich<br />

noch Junioren sind, das hätte ich nicht gekonnt.<br />

Ich fuhr dieses Rennen und erkannte, wie<br />

hoch das Niveau war und wie weit ich davon entfernt<br />

war, wenn ich ein normales Leben zu führen<br />

versuchte, zu arbeiten versuchte, zu studieren<br />

versuchte, zu trainieren versuchte. Ich erkannte<br />

sofort, dass andere Leute es anders machten und<br />

ich das nicht konnte. Ich hakte es mental ab, gab<br />

die Idee auf und studierte weiter. Das war’s, dachte<br />

ich, mit dem Radfahren.<br />

Ich bin in einer Familie aufgewachsen, wo<br />

wir zu Hause unterrichtet wurden. Mum<br />

und Dad haben uns vier Kinder unterrichtet, vom<br />

fünften Lebensjahr bis zur Uni. Um zur Hochschule<br />

zugelassen zu werden, brauchst du einen<br />

anerkannten Schulabschluss, und eines der Dinge,<br />

die mir neben der Bildung durch das Homeschooling<br />

halfen, war meine Musikalität. Wir<br />

wurden alle schon sehr früh angehalten, ein Instrument<br />

zu spielen. Blockflöte, Mum spielte Gitarre,<br />

Dad spielte Trompete … Als ich acht war, engagierten<br />

sie einen Klavierlehrer aus der Gegend. Er<br />

war ein echt exzentrischer Deutscher; er brachte<br />

uns bei, ohne Noten zu spielen. So bin ich aufgewachsen.<br />

Ich habe acht oder neun Jahre Klavier<br />

gespielt, habe gelernt, Musik zu hören und Musik<br />

zu machen.<br />

Ich und mein Bruder liebten Rockmusik. Ich<br />

war 14 und mein Bruder war 15 und Mum kaufte<br />

uns eine E-Gitarre. Ein Freund von mir hatte eine<br />

ältere Schwester, die eine Bassgitarre hatte, und<br />

sie ließ mich darauf spielen. Wir dachten: Wenn<br />

ich Bass spiele, spielt mein Bruder E-Gitarre und<br />

wir haben einen Kumpel, der Schlagzeug spielt …<br />

und fertig ist die Band. Ich habe diese Bassgitarre<br />

gekauft, als ich 14 war. Es war ein fürchterlich<br />

billiges Ding. Wir spielten und machten dieses<br />

ganze Highschool-Ding und spielten in einer kleinen<br />

Band. Ich bin in einer christlichen Familie<br />

aufgewachsen, daher spielten wir jeden Sonntag<br />

in der Kirche – das war wirklich gut. Ich lernte,<br />

mit anderen Musikern zu spielen, und erlernte<br />

verschiedene Musikstile.<br />

Als ich die Uni mit 20, 21 fertig hatte, reduzierten<br />

wir die Band auf vier Leute, die wirklich<br />

alles daran setzen wollten, mit der Musik<br />

Erfolg zu haben. Das hieß, dass wir alle in<br />

dieselbe Stadt ziehen mussten und einen Job finden<br />

mussten, um das mit der Musik wirklich voranzutreiben.<br />

Das haben wir ein paar Jahre ge-<br />

AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 49


JACK BAUER<br />

macht, bis einer der Jungs genug hatte und nicht<br />

mehr weitermachen konnte. Da bin ich auch wieder<br />

aufs Rad gestiegen und habe die Gitarre an<br />

den Nagel gehängt.<br />

In meinem ersten Jahr nach dem Uni-Abschluss<br />

bin ich in den örtlichen Radsportverein<br />

eingetreten – ich bin heute noch<br />

Mitglied. Ich habe dieses ganze Straßen-Ding<br />

mitbekommen, von Samstags-Rennen bis zu<br />

Dienstagsabends-Rennen. Dadurch hielt ich mich<br />

ziemlich fit. Ich arbeitete nebenher als Fahrradkurier<br />

im verregneten und windigen Wellington<br />

[Hauptstadt von Neuseeland]. Da habe ich gemerkt,<br />

dass mir das Radfahren immer noch Spaß<br />

machte und dass ich auch körperlich damit zurechtkam<br />

– tagein, tagaus.<br />

Ein Jahr später, 2009, saß ich in einem Flugzeug<br />

nach Belgien, um Rennen zu fahren.<br />

Es war ein großes Abenteuer, es alleine zu machen.<br />

Ich war 24. Es war ein wilder Schuss ins<br />

Blaue, und das sagten mir die Leute auch. Ich<br />

bin direkt nach Gent gegangen und dort sechs<br />

Monate gefahren. Seitdem lebe ich nicht mehr in<br />

Neuseeland.<br />

„ES WAR KALT UND<br />

REGNERISCH, ALS ICH<br />

IM APRIL IN BELGIEN<br />

ANKAM. DAS LEBEN<br />

WAR GANZ SCHÖN<br />

HART. ES WAR<br />

ÜBERHAUPT NICHT<br />

GLAMOURÖS. ABER ICH<br />

KONNTE SEHEN, DASS<br />

DIESE VERRÜCKTE IDEE<br />

LANGSAM GESTALT<br />

ANNAHM.“<br />

Dass es Länder gibt, wo die Leute Radsport<br />

mögen, war mir neu. Zu Hause war es das Allergrößte,<br />

wenn man Zeit zum Training und Geld<br />

hatte, um den Lebensstil eines Radsportlers zu<br />

Bauer, ein erwiesen starker Klassiker­<br />

Fahrer, bei der Flandern-Rundfahrt <strong>2019</strong>.<br />

finanzieren. Man verdiente kein Geld mit Radfahren.<br />

Ich kam grün hinter den Ohren in Belgien an.<br />

Ich war, nachdem ich ein Jahr als Fahrradkurier<br />

geackert hatte, ziemlich stark; ich war nicht mehr<br />

jung, ich war 24. Ich war relativ fit und relativ<br />

stark und relativ lebenstüchtig.<br />

Mein Ziel war, in Belgien zu lernen, wie man<br />

Rennen fährt, zurück nach Neuseeland zu<br />

gehen und die Tour of Southland zu fahren,<br />

dort eine Etappe zu gewinnen und meine<br />

Karriere zu beenden. Das war mein Best-Case-<br />

Szenario. Plötzlich konnte ich mich den ganzen<br />

Tag dem Radsport widmen und hatte ein kleines<br />

bisschen Geld auf der Bank. Ich erkannte, dass es<br />

zwei- oder dreimal die Woche ein Rennen in der<br />

Gegend gab und du, wenn du schnell und stark<br />

warst, ein paar Hundert Euro verdienen konntest,<br />

wenn du den Sprint auf den Runden gewannst<br />

oder das Rennen gewannst.<br />

50 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


JACK BAUER<br />

Große Enttäuschung: Auf der<br />

15. Etappe der Tour 2014 wird Bauer<br />

knapp vor der Linie abgefangen.<br />

Ich wohnte in einem Bauernhaus mit russischen,<br />

australischen und englischen Jungs,<br />

die die gleiche Idee hatten wie ich. Ich wollte<br />

es unbedingt, als ich einmal erkannt hatte, dass<br />

ich es schaffen konnte, wenn ich genug Rennen<br />

gewann und Leute schlug, von denen ich wusste,<br />

dass die Profiteams ein Auge auf sie geworfen<br />

hatten.<br />

Es dauerte ein, zwei Wochen, bis ich gewann,<br />

und ich machte fünf, sechs Monate so weiter.<br />

Ich habe wirklich gelernt, die harten Kilometer<br />

abzuspulen. Es war kalt und regnerisch, als ich<br />

im April in Belgien ankam. Das Leben war ganz<br />

schön hart. Es war überhaupt nicht glamourös.<br />

Aber ich konnte sehen, dass diese verrückte Idee,<br />

die ich als Kind hatte, langsam Gestalt annahm,<br />

wenn ich immer wieder jemanden schlug. Ich<br />

machte mir langsam einen Namen als dieser Junge,<br />

der aus dem Nichts kam und den anderen<br />

scheinbar mühelos davonfahren konnte. Ich hatte<br />

überhaupt kein Know-how, weil ich vorher nie<br />

Rennen gefahren war. Die einzige Art, zu gewinnen,<br />

war, die Leute mental oder körperlich zu<br />

knacken, und nur das habe ich gemacht.<br />

Ich habe viele Leute kennengelernt, bei<br />

Highroad und anderen Teams. Das brachte<br />

den Ball ins Rollen. Ich flog 2009 nach Hause,<br />

um meinen Etappensieg bei der Tour of Southland<br />

anzupeilen, und holte ihn auf der ersten Straßenetappe.<br />

Ich gewann die Etappe über den gefürchteten<br />

Bluff Hill. Es ist einer der schwersten Hügel<br />

in Neuseeland. In der Vergangenheit war ich ihn<br />

als Mountainbiker gefahren und habe auch eins<br />

aufs Dach gekriegt und mein Rad den Hügel<br />

hochgeschoben. Ich gewann meine Etappe, und<br />

plötzlich hörten die Leute meinen Namen, und<br />

die Sache nahm Fahrt auf.<br />

Ich lernte Allan Peiper kennen, der damals<br />

für HTC-Highroad arbeitete. Er sagte mir: „Es<br />

ist alles gut und schön, bei einem großen Straßenteam<br />

Profi zu werden, aber wenn du es in deiner<br />

jetzigen Verfassung versuchst, bekommst du eine<br />

Abreibung und fliegst gleich wieder raus und hältst<br />

höchstens ein Jahr durch.“ Er riet mir, die Grundlagen<br />

bei einem jungen Team zu lernen. Und das<br />

habe ich gemacht. Er machte mich mit Brian Smith<br />

bei Endura Racing bekannt, einem Continental-<br />

Team in Schottland. Sechs Monate später konnte<br />

ich schon darüber nachdenken, in Vollzeit nach<br />

Europa zu ziehen und für ein Team zu fahren.<br />

Die richtigen Türen öffneten sich zur richtigen<br />

Zeit, und so kam ich 2012 bei Jonathan<br />

Vaughters’ Garmin-Team unter. Damit wurde<br />

ein Traum für mich wahr, wobei ich die richtigen<br />

Leute zur richtigen Zeit kennenlernte. Ich verstand,<br />

dass man etwas zusätzlichen Glanz<br />

brauchte. Ich war 26, als ich bei Vaughters unterschrieb.<br />

Warum würdest du einen 26-Jährigen<br />

nehmen, der am Anfang seiner Karriere steht,<br />

wenn er nicht sehr vielversprechend ist? Was ich<br />

nicht war. Es lag an meiner Verbindung zu Peiper.<br />

Er war von HTC zu Garmin gewechselt und sagte<br />

einfach nur: „Schaut euch Jack mal an.“<br />

KARRIERE-HÖHEPUNKTE<br />

2010–2012<br />

ENDURA RACING<br />

2012–2016<br />

GARMIN SHARP<br />

2017<br />

QUICK-STEP FLOORS<br />

2018 BIS HEUTE<br />

MITCHELTON-SCOTT<br />

Unterschreibt bei dem britischen<br />

Conti-Team, das von Brian Smith<br />

geführt wird. Gewinnt die neuseeländische<br />

Straßenmeisterschaft<br />

2010 und nimmt das Meistertrikot<br />

mit zum Team. Er fährt<br />

seine ersten Etappenrennen in<br />

Europa und Kriterien in Großbritannien.<br />

Gewinnt sein erstes<br />

internationales Rennen, die Tour<br />

of Utah 2011, wo er einen jungen<br />

Elia Viviani im Sprint schlägt.<br />

Erreicht die WorldTour mit Garmin.<br />

Fährt seinen ersten Giro 2012 als<br />

Helfer für Ryder Hesjedal, der das<br />

Rosa Trikot gewinnt. Arbeitet in den<br />

Sprintzügen, hilft Garmin, das<br />

Mannschaftszeitfahren zu gewinnen,<br />

und entwickelt sich zur mannschaftsdienlichen<br />

Allzweckwaffe.<br />

Ist kurz davor, aus einer Ausreißergruppe<br />

eine Etappe der Tour 2014<br />

zu gewinnen, wird aber ein paar<br />

Meter vor der Linie abgefangen.<br />

Wird wieder neuseeländischer<br />

Meister, dieses Mal im Zeitfahren.<br />

Er unterschreibt bei dem<br />

belgischen Team und beweist<br />

seinen Wert im Sprintzug für<br />

Marcel Kittel, dem er zu fünf<br />

Etappensiegen verhilft. Als klar<br />

wird, dass Kittel das Team<br />

verlässt, ist auch Bauers Platz<br />

in Gefahr, und der Neuseeländer<br />

steht im Dezember ohne<br />

Vertrag da.<br />

Geht zu dem australischen Team,<br />

um die Klassiker-Fraktion zu<br />

verstärken, und startet regelmäßig<br />

bei den Kopfsteinpflasterrennen im<br />

Frühjahr, wo er die Kapitäne Matteo<br />

Trentin und Luke Durbridge<br />

unterstützt. Seine Vielseitigkeit<br />

macht ihn bei den großen<br />

Rundfahrten unbezahlbar, und<br />

bisher hat er Adam und Simon<br />

Yates bei der Tour und beim<br />

Giro unterstützt.<br />

© Getty Images<br />

AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 51


© Velofocus<br />

52 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


AUF<br />

TOUR<br />

MIT<br />

CANYON-<br />

SRAM<br />

Mit der früheren Siegerin Kasia Niewiadoma<br />

ging Canyon-Sram mit großen Ambitionen in die<br />

diesjährige Women’s Tour. Procycling hat das Team<br />

durch eine Woche begleitet, in der die Fahrerinnen<br />

die Höhen und Tiefen des Rennsports erlebten.<br />

Text Sophie Hurcom<br />

AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 53


CANYON-SRAM<br />

1. ETAPPE<br />

10.6.<strong>2019</strong><br />

BECCLES > STOWMARKET<br />

© Jojo Harper<br />

D<br />

ie Morgennachrichten im Fernsehen zeigen<br />

eine gelbe Wetterwarnung über dem<br />

Südosten Englands und East Anglia. Der<br />

Wetterbericht sagt 60 Liter Regen in den nächsten<br />

24 Stunden voraus – die Niederschlagsmenge eines<br />

Monats an einem Tag. Tag eins der Women’s Tour<br />

dürfte ein Schlag ins Wasser werden.<br />

Es ist morgens um halb acht, und die Fahrerinnen<br />

von Canyon-Sram kommen eine nach der anderen<br />

aus dem Hotel, ziehen ihren Koffer zur Ecke<br />

des Parkplatzes des Ipswich Holiday Inn. Die purpur-,<br />

pink- und orangefarbenen Streifen ihrer<br />

Mannschaftswagen sind ein bunter Farbtupfen<br />

vor dem grauen Himmel und Beton. Mechaniker<br />

Jochen Lamade ist seit fünf Uhr morgens auf,<br />

während Beth Duryea, Marketingmanagerin und<br />

Sportliche Leiterin des Teams, erst um halb vier in<br />

der Nacht angekommen ist, nachdem sie direkt<br />

vom gestrigen Dwars door Westhoek in Belgien<br />

mit dem Auto hergefahren war. Alle tragen Turnschuhe<br />

mit Boa-Rädchen statt mit Schnürsenkeln<br />

– ein kleines Geschenk vom Sponsor, das für eine<br />

nette Einheitlichkeit sorgt. Mir wurde gesagt,<br />

dass wir um viertel vor acht aufbrechen, um<br />

rechtzeitig am Start in Beccles zu sein, aber dass<br />

ich früher da sein solle. Wir richten uns nach<br />

deutscher Zeit, mit fünf Minuten vor der Abfahrtszeit<br />

liegt man also richtig.<br />

Ich steige hinten in einen weißen Skoda ein,<br />

der Hannah Barnes gehört, eine Leihgabe an das<br />

Team, da sie ein zusätzliches Auto brauchten.<br />

Duryea lächelt, als sie Richtung Uhrzeit nickt, als<br />

wir den Parkplatz verlassen; 7:41 Uhr.<br />

Die Etappe ist weitgehend flach und es ist mit<br />

einem Sprint zu rechnen, aber der Regen sorgt für<br />

einen Dämpfer, bevor der erste Tropfen gefallen<br />

ist. Das Team trägt ein spezielles Rapha-Trikot,<br />

um den Women’s 100 Ride zu feiern, und Hannah<br />

will sich vergewissern, dass sie genug Regensachen<br />

für den ganzen Tag dabei hat. Ihr Vater<br />

ruft während der einstündigen Fahrt an und hat<br />

einen noch schlechteren Wetterbericht. 100 Liter<br />

Regen könnten heute fallen, was die 157-Kilometer-Route<br />

durch die Suffolk Plains von Minute<br />

zu Minute unattraktiver macht.<br />

Mit Beginn des Rennens setzt der Regen ein und<br />

lässt während der vier Stunden nicht mehr nach.<br />

Alle sind durchnässt, als sie zum Platz von Canyon<br />

auf dem Parkplatz eines B&M-Schnäppchenmarkts<br />

in Stowmarket zurückkommen. Als<br />

Alice Barnes ihre Brille abnimmt, ist ihr Gesicht<br />

mit braunen Spritzern übersäht. „Funktioniert die<br />

Dusche?“, fragt Hannah. Sogar Hannahs Freund,<br />

der Ineos-Fahrer Tao Geoghegan Hart, der kurz<br />

vorbeigekommen ist, um hallo zu sagen, hat ein<br />

schwarzes Kapuzenshirt eng um den Kopf gezogen,<br />

um sich zu schützen. Es könnte November<br />

sein, nicht Juni.<br />

Das Rennen war weitgehend ereignislos, was<br />

heißt, dass es ein ruhiger Tag für Lamade war –<br />

es gab keine Stürze oder Defekte. Trotzdem hat<br />

er noch einen langen Abend vor sich. Nach der<br />

80-minütigen Fahrt zu unserem Hotel in Essex<br />

hat er noch einmal drei Stunden lang zu tun. Die<br />

Ersatzräder wurden zwar nicht gebraucht, aber sie<br />

haben Regen abbekommen und müssen alle wieder<br />

gereinigt werden. Genau wie die Mannschaftswagen<br />

von innen und außen – ein tägliches Erfordernis<br />

bei dem Rennen. Der Regen hat nicht nur<br />

die Laune der Fahrerinnen gedämpft.<br />

RENNVERLAUF<br />

Mit strömendem Regen und drei Zwischensprints,<br />

bei denen in der zweiten Hälfte der<br />

Etappe Bonussekunden zu holen sind, bleibt<br />

das Feld zusammen, bis Abby-Mae Parkinson<br />

24 Kilometer vor dem Ziel attackiert. Bei Ca -<br />

n yon war der Plan, mit Elena Cecchini in einem<br />

Massensprint zu punkten. Aber als Parkinson<br />

zwei Kilometer vor der Linie gestellt wird, ist<br />

Boels-Dolmans im Finale das organisier teste<br />

Team. Jolien D’Hoore gewinnt, Cecchini ist Ca -<br />

nyons bestplatzierte Fahrerin auf Platz zwölf.<br />

Alle Fahrerinnen der Women’s Tour<br />

trugen die rosa Schleifen einer Brustkrebs-Initiative.<br />

Die Stimmung vor der ersten Etappe ist<br />

gelöst, doch dann setzt der Regen ein.<br />

ERGEBNISSE 1. ETAPPE<br />

1 Jolien D’Hoore Boels-Dolmans 4:09:12<br />

2 Amy Pieters Boels-Dolmans + 0:00<br />

3 Lisa Brennauer WNT-Rotor + 0:00<br />

Gesamtführende: Jolien D’Hoore<br />

54 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


CANYON-SRAM<br />

Elena Cecchini versucht<br />

es auf der 2. Etappe<br />

mit einer Soloflucht, wird<br />

aber wieder eingeholt.<br />

E<br />

2. ETAPPE<br />

11.6.<strong>2019</strong><br />

KENT CYCLOPARK<br />

s ist morgens um halb zehn, als die<br />

erste Fahrerin, Kasia Niewiadoma, zum<br />

Frühstück kommt. Die heutige Etappe<br />

ist nur 65 Kilometer lang auf einem Rundkurs im<br />

Kent Cyclopark, daher können die Fahrerinnen<br />

heute ausnahmsweise einmal ausschlafen. „Road<br />

Captain“ Tiffany Cromwell wurde am Vorabend als<br />

Botschafterin ausgesandt, um Teamchef Ronny<br />

Lauke zu bitten, die Mannschaftsbesprechung um<br />

eine halbe Stunde zu verschieben, damit sie länger<br />

schlafen können.<br />

Die Etappe beginnt um zwei Uhr nachmittags,<br />

und der Kontrast zu gestern könnte nicht größer<br />

sein. Die angespannte Stimmung vom ersten Tag<br />

ist verflogen; Lisa Klein macht Yoga auf einer Matte<br />

auf dem Parkplatz, während Lamade und Arne<br />

Kenzler, der zweite Mechaniker, um die Autos herumwuseln<br />

und die freie Zeit nutzen.<br />

Für die Barnes-Schwestern sind die Etappen 2<br />

und 3 Heimspiele. Wir sind heute in Kent, wo Hannah<br />

geboren wurde, während Etappe 3 in Oxfordshire<br />

ausgetragen wird, wo Alice zur Welt kam. Ihr<br />

Vater arbeitete als Landwirt im Blenheim Palace,<br />

wo die 3. Etappe zu Ende geht – die beiden können<br />

sich noch daran erinnern, wie sie als Kinder auf<br />

dem Gelände gespielt haben. Zwei Tage sind sie bei<br />

den örtlichen Zeitungen und Fans sehr gefragt.<br />

Die Women’s Tour ist ein großes Ziel auf dem Kalender<br />

wegen der Siegprämien von 97.880 Pfund<br />

– anteilig so viel wie bei der Tour of Britain der<br />

Männer – und der Fernsehübertragung der täglichen<br />

Highlights. Hannah war seit der Erstauflage<br />

2014 jedes Jahr dabei und wurde 2017 Gesamt-<br />

Dritte; damit ist sie eine der einheimischen Favoritinnen.<br />

„Ich werde normalerweise nicht nervös, aber<br />

jetzt schon, weil so viel davon abhängt“, sagt sie.<br />

Hannah Barnes ist mit 26 in ihrer vierten Saison<br />

bei Canyon, und das Team verlässt sich darauf,<br />

dass die gute Kletterin und erfahrene Sprinterin<br />

die ganze Woche lang in jedem Finale für ihre Kapitänin<br />

Niewiadoma da ist. Hannah scheint im<br />

Laufe des Rennens immer stärker und selbstbewusster<br />

zu werden.<br />

„Es war nicht der beste Start [ins Jahr <strong>2019</strong>]. Ich<br />

hatte ein wirklich gutes Het Nieuwsblad und das<br />

Strade Bianche war gut, aber es war ein bisschen<br />

langsam für mich. Ich bin nach einem wirklich guten<br />

Winter mit großen Erwartungen in die Saison<br />

gegangen. Aber Juni und Juli sind normalerweise<br />

eine gute Jahreszeit für mich“, sagt sie mir später<br />

im Mannschaftshotel.<br />

Auch die Atmosphäre wird im Laufe der Saison<br />

besser. „Wenn wir einige Rennen hinter uns haben,<br />

fahren wir viel besser, was wichtig ist. Du brauchst<br />

einen guten Zusammenhalt im Team und die Verbindung.<br />

Es gibt definitiv Fahrerinnen, die viele engere<br />

Bande mit anderen Fahrerinnen haben, aber<br />

wir finden langsam den perfekten Weg“, sagt sie.<br />

Lokalmatadorin<br />

Hannah Barnes ist<br />

bei den Medien des<br />

Landes sehr gefragt.<br />

„Wir sagen immer, wir verlieren viele Rennen zusammen,<br />

aber das macht die, die wir gewinnen,<br />

umso besser.“<br />

RENNVERLAUF<br />

Von außen betrachtet, passiert nicht viel an<br />

diesem Tag. Alice Barnes und Cecchini sind<br />

die einzigen Fahrerinnen, die angreifen. Beide<br />

können sich zwischenzeitlich absetzen und<br />

Cecchini kann das Feld drei Runden lang auf<br />

Distanz halten, aber da Trek-Segafredo und<br />

Boels-Dolmans das Tempo kontrollieren, hat<br />

keine der beiden eine Chance und das Feld<br />

rollt wieder zusammen. Zum zweiten Mal<br />

kommt es zu einem Massensprint, den dieses<br />

Mal Marianne Vos gewinnt.<br />

ERGEBNISSE 2. ETAPPE<br />

1 Marianne Vos CCC Liv 1:34:17<br />

2 Lizzie Deignan Trek-Segafredo + 0:00<br />

3 Sarah Roy Mitchelton-Scott + 0:00<br />

Gesamtführende: Marianne Vos<br />

© Velofocus, Jojo Harper (klein)<br />

AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 55


CANYON-SRAM<br />

3. ETAPPE<br />

12.6.<strong>2019</strong><br />

HENLEY ON THAMES ><br />

BLENHEIM PALACE<br />

© Velofocus<br />

A<br />

uf der 3. Etappe fahre ich im zweiten<br />

Mannschaftswagen mit Alessandra<br />

Borchi, einer der beiden Physiotherapeuten<br />

des Teams, zur Verpflegungszone vo raus.<br />

Borchi fuhr früher Bahn- und Straßenrennen –<br />

ihre letzte Saison bei Alé-Cipollini, wie das Team<br />

heute heißt, bevor sie eine Ausbildung zur Physiotherapeutin<br />

machte. Sie kam vor vier Jahren zu<br />

Canyon und bringt viel italienisches Temperament<br />

mit – sie singt und summt im Auto, flucht in ihrer<br />

Muttersprache, bevor sie sich mehrmals für ihren<br />

Fahrstil entschuldigt.<br />

„Ich bin sehr leidenschaftlich“, sagt sie. Man<br />

würde mit einem Zusammenprall der Kulturen<br />

rechnen in einem Team, das vor allem deutsche<br />

Mitarbeiter hat, aber weit gefehlt. Borchi und<br />

Lars Schiffner, der andere Physiotherapeut des<br />

Teams, machen fast die ganze Woche Witze wie<br />

Geschwister.<br />

Das Duo arbeitet bei den meisten Rennen auf<br />

dem Kalender. Es ist ein anspruchsvolles Programm<br />

und die Mitarbeiter sind – genau wie die<br />

Fahrerinnen – fast 200 Tage im Jahr von zu Hause<br />

weg, aber Lauke mag die Vertrautheit und Kontinuität,<br />

die daraus resultiert, von den gleichen<br />

Gesichtern umgeben zu sein, statt abwechselnd<br />

Mitarbeiter aus einem größeren Pool einzusetzen.<br />

„Ronny mag es, wenn es wie eine Familie ist“,<br />

sagt Borchi.<br />

Borchi fällt ihr Job leicht – sie weiß, was die<br />

Fahrerinnen brauchen, ohne dass diese fragen<br />

müssen. Wenn eine Fahrerin sagt, dass sie ihre<br />

Sachen im Wohnmobil vergessen hat, hat Borchi<br />

sie schon für sie ins Auto gelegt. Wenn eine Fahrerin<br />

sagt, dass sie etwas zu essen haben möchte,<br />

hat die Betreuerin Reiswaffeln für sie.<br />

Aber man muss das richtige Maß finden und<br />

sehen, wann die Fahrerinnen Unterstützung<br />

brauchen und wann sie alleine klarkommen.<br />

Borchi hat in ihrer Karriere vor zehn Jahren ganz<br />

andere Erfahrungen gemacht, erzählt sie. Für sie<br />

wurde die Anreise zu einem Rennen nie organisiert,<br />

stattdessen fuhr sie mit dem Auto durch<br />

Europa und musste sich zurechtfinden – mit einer<br />

Landkarte.<br />

„Sie lernen noch, verglichen mit Mitchelton-<br />

Scott, die viele abgehärtete und erfahrene Fahrerinnen<br />

haben“, sagt sie. „Wir haben schon sehr<br />

talentierte Fahrerinnen, aber die jüngeren sind ein<br />

bisschen verrückter. Es ist wirklich der Geist von<br />

Peter Pan.“<br />

Die Etappen sind so kurz, dass die Fahrerinnen<br />

während des Rennens kaum etwas essen. Statt-<br />

dessen bereitet Borchi Flaschen vor, an denen sie<br />

mit einem Gummiband und etwas Klebeband ein<br />

Energiegel befestigt. Wir aktualisieren Twitter,<br />

suchen nach neuen Infos über das Rennen, bevor<br />

eine Nachricht von Lauke eintrifft. Borchi flucht.<br />

Es hat einen Sturz gegeben und das Rennen wurde<br />

neutralisiert. Hannah und Alice gehören zu<br />

den Betroffenen. Es heißt, ihre Räder seien beschädigt,<br />

aber sie haben sich nur Schnittwunden<br />

und Prellungen geholt.<br />

Als die Fahrer zurück am Wohnmobil im Ziel<br />

am Blenheim Palace sind, sind Alices Shorts<br />

zerrissen und Hannahs Arm bandagiert. Es<br />

kommt ein „Ah, shit!“ von Cromwell, als sie ihr<br />

Rad in den Ständer stellt. Nach dem ersten Sturz<br />

des Tages wurde Cecchini vier Kilometer vor dem<br />

Ziel, als Canyon sich an die Spitze setzte und einen<br />

Sprintzug für die Italienerin organisierte, von<br />

der Straße gedrängt und stürzte in einen Grünstreifen.<br />

Laut erstem Befund hat sie sich das<br />

Handgelenk gebrochen und ist bereits auf dem<br />

Weg ins Krankenhaus. Im Ziel ist die Enttäuschung<br />

des Teams mit Händen zu greifen.<br />

Um acht Uhr abends ist Cecchini immer noch<br />

nicht aus dem Krankenhaus zurück. Auch Hannah<br />

fehlt beim Abendessen, als Borchi und<br />

Schiffner mit tropfenden Mänteln hereinkommen,<br />

um sich zu vergewissern, dass die verbleibenden<br />

vier Fahrerinnen alles haben, was sie brauchen.<br />

Es dauert noch eine Weile, bevor einer der beiden<br />

selbst zum Abendessen kommt.<br />

Borchi und Schiffner haben Spaß vor<br />

dem Start l. o.); gefüllte Trinkflaschen stehen<br />

parat (r. o.); Hannah Barnes wird am<br />

Berg Tag für Tag stärker (r. u.); Kapitänin<br />

Cromwell zieht sich kurz vor dem Start die<br />

Armlinge zurecht (l. u.).<br />

RENNVERLAUF<br />

Ein Massensturz bei Didcot auf halber Strecke<br />

schickt eine Flutwelle durch das Peloton und<br />

macht eine vorübergehende Neutralisierung<br />

notwendig. Unter den neun Fahrerinnen, die<br />

das Rennen aufgeben, ist Spitzenreiterin Vos.<br />

Als sich das Peloton auf einen Sprint am<br />

Blenheim Palace vorbereitet, wird Cecchini<br />

vier Kilometer vor dem Ziel von der Straße<br />

gedrängt und stürzt, als Canyon vor ihr einen<br />

Sprintzug organisiert.<br />

ERGEBNISSE 3. ETAPPE<br />

1 Jolien D’Hoore Boels-Dolmans 3:46:04<br />

2 Lisa Brennauer WNT Rotor + 0:00<br />

3 Demi Vollering Parkhotel Valkenburg + 0:00<br />

Gesamtführende: Lisa Brennauer<br />

56 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


4. ETAPPE<br />

13.6.<strong>2019</strong><br />

WARWICK ><br />

BURTON DASSETT<br />

M<br />

it 158,9 Kilometer ist die 4. Etappe die<br />

längste des Rennens und der Tag, an<br />

dem der Kampf um die Gesamtwertung<br />

ausbrechen wird. Burton Dassett ist die erste Hügelankunft<br />

in der Geschichte der Women’s Tour;<br />

die Fahrerinnen fahren drei Runden durch den<br />

Park und über den 1,2 Kilometer langen Anstieg<br />

zur Linie. Es ist eine perfekte Etappe für Canyons<br />

Gesamtführende und Kletterin Kasia Niewiadoma.<br />

Ich sitze im Auto mit Lauke, einem der erfahrensten<br />

Manager im Frauen-Peloton. Als Fahrer<br />

war er Bahn-Weltmeister, hat es aber auf der Straße<br />

nach seinen eigenen Worten nicht weit gebracht<br />

und seine Karriere 2004 beendet. Er ging<br />

ins Management beim Frauen-Team von HTC-<br />

Columbia, bevor HTC zu Velocio-Sram fusionierte.<br />

Als das Team 2015 aufgelöst wurde, gründete er<br />

Canyon-Sram.<br />

Die Hälfte von Canyons 15-köpfigem Kader ist<br />

unter 25, darunter Alice Barnes und die Amstel-<br />

Gold-Siegerin Niewiadoma. Das Ziel des Teams<br />

ist es, Rennen zu gewinnen, aber Lauke betont,<br />

dass die Entwicklung für ihn wichtiger ist als Resultate.<br />

„Für mich ist das Schönste, wenn ich jemanden<br />

mit Potenzial finde und ihm helfe, es zu<br />

entfalten. Das Ideal ist, Fahrerinnen zu finden und<br />

sie an einen Punkt zu bringen, wo alle sie unter<br />

Vertrag nehmen wollen, aber ein so schönes Umfeld<br />

zu haben, dass sie nicht gehen wollen“, sagt er.<br />

Schon früh ruft Radio Tour Canyon zum Peloton.<br />

Alice lässt sich zurückfallen, um ihre Jacke<br />

abzugeben, klingt aber nicht optimistisch. „Ich<br />

habe zu kämpfen, meine Beine und meine Atmung“,<br />

sagt sie durch das Fenster.<br />

„Versuch dich reinzuhängen“, entgegnet Lauke.<br />

„An einem langen Tag kann sich das ändern. Du<br />

kannst es schaffen.“<br />

Eine dreiköpfige Gruppe setzt sich ab, und da<br />

niemand scharf auf die Nachführarbeit ist, wächst<br />

der Abstand auf mehr als sieben Minuten an. Es<br />

ist ein ungewöhnliches Szenario für ein Frauen-<br />

Peloton, und die mangelnde Action macht die<br />

Fahrerinnen unruhig. „Lisa kann nicht langsam<br />

fahren“, sagt Cromwell. „Niemand macht etwas.“<br />

Lauke weist sie an, erst einmal weiter mitzurollen.<br />

„Jetzt müssen wir zocken“, erklärt er. Lauke hofft,<br />

dass ein anderes Team zuerst die Nerven verliert<br />

und anfängt, Tempo zu machen, sodass seine<br />

Frauen im Finale frischer sind.<br />

„Die Regel ist, dass du zehn Kilometer brauchst,<br />

um eine Minute zuzufahren“, sagt er. Die Ausreißergruppe<br />

hat noch acht Minuten bei 80 verbleibenden<br />

Kilometern, sie wird arbeiten. Bis dahin<br />

müssen seine Fahrerinnen warten, weiß Lauke.<br />

Der Ausblick aus dem Begleitwagen ist seltsam.<br />

Man sieht nichts vom Rennen selbst. Wir sehen<br />

nur das Ende des Pelotons, als wir an die Spitze<br />

des Konvois gerufen werden, um einer der Fahrerinnen<br />

zu helfen. Die einzige Information, die wir<br />

haben, kommt durch unregelmäßiges Knistern<br />

über Funk. „Oft sind wir nur Autofahrer“, sagt<br />

Lauke achselzuckend. Da das Ziel des Teams morgens<br />

bei der Besprechung festgelegt wurde, kann<br />

Lauke von hier aus nur Mut zusprechen und darauf<br />

vertrauen, dass die Fahrerinnen die richtigen<br />

Entscheidungen treffen. Lernen und Fortschritt<br />

sind die Botschaften, die er wiederholt. Obendrein<br />

versucht er, das Gute in der Leistung des Teams zu<br />

sehen. Nach dem zwölften Platz auf der 1. Etappe<br />

hat Cecchinis vierter Platz auf der 2. Etappe Lauke<br />

Grund zum Lächeln gegeben. „Sie waren besser,<br />

das Resultat war besser, und darauf können wir<br />

aufbauen“, sagt er. Selbst als Cecchini stürzte und<br />

aufgeben musste, war Lauke optimistisch. Wie er<br />

es sah, war der Sturz reines Pech.<br />

Am Abend vor der 4. Etappe gab Niewiadoma<br />

zu, dass sie vor ihrem Sieg beim Amstel Gold in<br />

Hannah Barnes freut sich über den Sieg<br />

ihrer Teamgefährtin auf der 4. Etappe.<br />

diesem Jahr bei den Rennen eine Selbstbewusstseinskrise<br />

hatte. Und als das Rennen den Rundkurs<br />

von Burton Dassett erreicht und Niewiadoma<br />

attackiert, schickt Lauke ihr einfach wiederholte<br />

Ermutigungen.<br />

„Los, Kasia, weiter so, weiter so, weiter so“,<br />

sagt er. „Geh und hol es dir, geh, geh, geh …<br />

weiter so.“<br />

Als wir den Anstieg zur Ziellinie das letzte Mal<br />

hochfahren, aktualisiert Lauke Twitter. Der UCI-<br />

Account zeigt, dass Niewiadoma gewonnen hat.<br />

„Heiliger Scheiß, das ist spitze“, sagt er mit einem<br />

großen Lächeln, während Lamade ihn vom Rücksitz<br />

aus an der Schulter packt. „Wow, wow, wow“,<br />

Lauke greift sich das Funkgerät. „Ich bin stolz auf<br />

euch und wie ihr gefahren seid.“<br />

RENNVERLAUF<br />

Niewiadoma attackiert mit Elisa Longo Bor -<br />

ghini und Liane Lippert zu Beginn des Burton-<br />

Dassett-Rundkurses 20 Kilometer vor dem<br />

Ziel. Das Trio wird zehn Kilometer vor der<br />

Linie von einem dezimierten Peloton gestellt,<br />

aber als es in den Schlussanstieg geht,<br />

beschleunigt Niewiadoma erneut. Sie gewinnt<br />

den Bergaufsprint und schiebt sich auf den<br />

zweiten Platz in der Gesamtwertung vor,<br />

zeitgleich mit Lippert, während Lizzie Deignan<br />

drei Sekunden zurückliegt.<br />

ERGEBNISSE 4. ETAPPE<br />

1 K. Niewiadoma Canyon-Sram 4:18.29<br />

2 Liane Lippert Team Sunweb + 0:00<br />

3 Lizzie Deignan Trek-Segafredo + 0:07<br />

Gesamtführende: Liane Lippert<br />

© Velofocus<br />

AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 57


CANYON-SRAM<br />

5. ETAPPE<br />

14.6.<strong>2019</strong><br />

LLANDRINDOD WELLS ><br />

BUILTH WELLS<br />

D<br />

ie Fahrerinnen drehen eine 140-Kilometer-Runde<br />

nach Norden durch die<br />

Hügel von Powys, Lars Schiffner dagegen<br />

hat heute am Steuer des Wohnmobils einen<br />

leichten Job – nur eine halbe Stunde Fahrt vom<br />

Start zum Ziel ein paar Meilen weiter südlich. Wir<br />

machen unterwegs einen Boxenstopp am örtlichen<br />

Supermarkt. Dem Team gehen die Vorräte<br />

aus und Schiffner muss sie wieder auffüllen. Vier<br />

Becher Naturjoghurt und drei Baguettes für die<br />

Fahrinnen, eine Tiefkühlpizza für ihn zum Mittagessen<br />

und sechs Packungen Halloumi, den<br />

Borchi so gerne isst.<br />

Das Wohnmobil ist der sichere Hafen der Fahrerinnen<br />

am Tag des Rennens. Es ist klein, aber es<br />

wurde viel hineingestopft: zwei Einzelbetten, Toilette<br />

und Dusche, ein Sofa, Kühlschrank, Spüle<br />

und Kochfeld, dazu ein Stauraum für Bekleidung<br />

und Lebensmittel. Auf einem weißen Brett stehen<br />

die Aufgaben, die täglich erledigt werden müssen<br />

– Wohnmobil saubermachen, Panini für das Rennen<br />

machen, Flaschen füllen, Lunchpakete machen,<br />

Helme reinigen, Regensachen packen.<br />

Schiffner und Borchi streichen sie mit einem Filzstift<br />

durch, wenn sie erledigt sind, damit der andere<br />

weiß, was noch zu tun ist. Da Borchi draußen<br />

an der Verpflegungszone ist, arbeitet<br />

Schiffner die Liste ab und bereitet Essen für die<br />

6. Etappe vor: Waffeln und Brioche, gefüllt mit<br />

einer Mischung aus Frischkäse, Marmelade, Honig,<br />

Walnüssen, Banane oder Schokocrème. Ein<br />

Schongarer mit Quinoa blubbert vor sich hin; es<br />

ist fertig, wenn die Etappe später zu Ende ist.<br />

Schiffner arbeitet seit 2012 mit Lauke zusammen.<br />

Er hat in Deutschland eine Ausbildung zum<br />

Rettungssanitäter gemacht, bevor er als Physiotherapeut<br />

bei der deutschen Nationalmannschaft<br />

anfing. Sein Job umfasst jede Menge Aufgaben,<br />

von banaleren wie Mittagessen machen über<br />

Massagen bis hin zu Physio- und Integralbehandlungen,<br />

etwa die Fahrerinnen auf Gehirnerschütterungen<br />

zu untersuchen wie bei Alice nach ihrem<br />

Sturz auf der 3. Etappe.<br />

Schiffner zieht Unterlagen aus einem Hängeschrank.<br />

Nach dem Start der Saison absolvieren<br />

die Fahrerinnen den SCAT-Test (Sport Concussion<br />

Assessment Tool) – einen Fragebogen, der<br />

unter anderem Gedächtnisleistung, Gleichgewichtssinn<br />

und Sehvermögen misst und Grundwerte<br />

für ihren Zustand ohne Gehirnerschütterung<br />

liefert. Wenn Fahrerinnen stürzen, wird<br />

der Test wiederholt, sodass die Werte verglichen<br />

werden können. Ein starker Anstieg ist ein Zeichen<br />

für eine Gehirnerschütterung.<br />

Bei Alice deuteten ihre SCAT-Resultate auf eine<br />

Gehirnerschütterung hin, aber es stellt sich he-<br />

raus, dass ihre Grundwerte ungewöhnlich hoch<br />

sind, und sie bekommt grünes Licht und darf das<br />

Rennen fortsetzen. „Meine Resultate kamen zurück<br />

und sie sagten: ‚Oh Gott, sicher hat sie eine<br />

Gehirnerschütterung.‘ Und dann haben sie es mit<br />

meinen Grundwerten verglichen und gesagt: ‚Oh<br />

nein, das ist normal‘“, sagt sie lachend.<br />

Schiffner betont, wie wichtig das Protokoll ist,<br />

und erinnert an den Fall der US-Bahnfahrerin<br />

Kelly Catlin, die sich Anfang des Jahres das Leben<br />

genommen hat, nachdem sie an einer Depression<br />

gelitten hatte, die einige auf eine Gehirnerschütterung<br />

zurückführen. Der Test kann auch eine<br />

Früherkennung von Erkrankungen wie Alzheimer<br />

oder Parkinson ermöglichen, die von wiederholten<br />

Gehirn erschütterungen verursacht wurden.<br />

„Es gibt immer wieder Todesfälle; wir wissen<br />

nicht, woran sie sterben, ihr Herz hört einfach auf<br />

zu schlagen“, sagt Schiffner. „Sie haben einen<br />

kleinen Sturz, aber sie stehen nicht mehr auf.<br />

Oder ein zweiter Sturz wird durch eine nicht diagnostizierte<br />

Gehirnerschütterung herbeigeführt.<br />

Deswegen machen wir es. Das Second-Impact-Syndrom<br />

kann tödlich sein.“<br />

Canyon hat den Test durch seine Kontakte zum<br />

BG Klinikum in Hamburg kennengelernt, Di-Data<br />

und Katusha arbeiten ebenfalls damit. Trotzdem<br />

testen nicht alle Frauenteams auf diese Art auf<br />

Gehirnerschütterung. „Ich weiß nicht, warum“,<br />

sagt Schiffner.<br />

RENNVERLAUF<br />

Mit zwei kategorisierten Anstiegen ist dies<br />

die schwerste Etappe des Rennens. Es gibt<br />

kaum einen flachen Meter, und daraus will<br />

Canyon Kapital schlagen. Niewiadoma setzt<br />

sich 20 Kilometer vor dem Ziel am Epynt mit<br />

den Trek-Sega fredo-Fahrerinnen Elisa Longo<br />

Borghini und Lizzie Deignan ab. Aber bei zwei<br />

gegen eine spannt sich Longo Borghini vor<br />

ihre Team kollegin Deignan, die den Sprint<br />

gewinnt und die Gesamtführung dank einer<br />

Zeitgutschrift holt.<br />

ERGEBNISSE 5. ETAPPE<br />

1 Lizzie Deignan Trek-Segafredo 3:54:35<br />

2 K. Niewiadoma Canyon-Sram + 0:00<br />

3 E. L. Borghini Trek-Segafredo + 0:02<br />

Gesamtführende: Lizzie Deignan<br />

6. ETAPPE<br />

15.6.<strong>2019</strong><br />

CARMARTHEN > PEMBREY<br />

A<br />

COUNTRY PARK<br />

ls wir ein letzten Mal ins Teamfahrzeug<br />

steigen, um von unserem Hotel in<br />

Swansea zum Start zu fahren, sagt<br />

Cromwell: „Ich werde heute wirklich meine Brille<br />

brauchen – die Sonne kommt raus!“ Der Himmel<br />

ist endlich blau statt grau, und zusammen mit der<br />

Aussicht darauf, dass das der letzte Renntag ist,<br />

sorgt dies allenthalben für gute Laune.<br />

Auch Lauke ist entspannt. Es ist ihm deutlich<br />

anzusehen, wenn er nervös und angespannt ist,<br />

doch da das Team bereits einen Etappensieg erzielt<br />

hat und am letzten Tag den zweiten Rang<br />

im Klassement besetzt mit einer Chance auf den<br />

Gesamtsieg, gibt es keinen Grund, nervös zu sein.<br />

Niewiadoma muss Deignan zwei Sekunden abnehmen,<br />

und Trek-Segafredo die Führung zu entreißen,<br />

wird schwierig sein, doch das heißt nicht,<br />

dass sie es nicht versuchen wird. „Sie sind motiviert“,<br />

sagt Borchi.<br />

58 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


CANYON-SRAM<br />

Am Black Mountain ist Deignan Dritte im Zwischensprint,<br />

einen Platz vor Niewiadoma, wodurch<br />

sie eine zusätzliche Bonussekunde bekommt.<br />

Trotz aller Bemühungen von Canyon-Sram, das<br />

Peloton zu spalten, kann Niewiadoma Deignan<br />

nicht abhängen, und im Massensprint im Pembrey<br />

Country Park kommen beide zeitgleich ins Ziel.<br />

„Es war superschwer, von Anfang an. Es gab<br />

viele Attacken, und wir gaben unser Bestes. Ich<br />

könnte nichts anderes sagen“, erklärt Niewiadoma,<br />

als sie hinter der Linie wieder zu Atem<br />

kommt. Sie leert eine Dosa Fanta Orange. „Jede<br />

hat alles gegeben.“<br />

Die Stimmung im Teambus ist wie vor den großen<br />

Ferien; alle wuseln herum, packen und ziehen<br />

sich um. Die Fahrräder werden im Materialwagen<br />

verstaut, die Autos werden mit Taschen beladen.<br />

Heute gibt es kein Abendessen und keine Besprechung,<br />

denn alle kümmern sich um ihre Heimreise.<br />

Lauke fährt Niewiadoma direkt zum Flughafen<br />

Heathrow, von wo aus sie nach Girona fliegt;<br />

Cromwell und Klein bleiben ein paar Tage in London,<br />

bevor sie nach Südfrankreich bzw. Deutschland<br />

abreisen. Nur die zwei Barnes-Schwestern<br />

bleiben im Land. Alle anderen stehen vor der undankbaren<br />

Aufgabe, die Teamfahrzeuge zum Service<br />

Course von Canyon-Sram in Leipzig zu fahren<br />

– 1.300 Kilometer mit einer Übernachtung<br />

im belgischen Gent.<br />

Lauke lehnt am Teamfahrzeug; er genießt die<br />

Sonne und die Erinnerung an eine erfolgreiche<br />

Rennwoche. „Ich bin sehr zufrieden mit ihrer<br />

Leistung. Ich glaube, sie sind in dieser Woche<br />

zusammengewachsen. Sie haben zusammen ein<br />

paar schwere Momente durchlebt“, sagt er. „Es<br />

war toll. Ich bin sehr glücklich.“<br />

Niewiadoma freut sich über einen knappen<br />

zweiten Platz in der Gesamtwertung.<br />

Tiffany Cromwell kann am Start der<br />

6. Etappe endlich die Sonne genießen.<br />

RENNVERLAUF<br />

Am Black Mountain versucht Canyon-Sram,<br />

das Rennen zu sprengen, aber Trek-Segafredo<br />

ist zu stark und Niewiadoma kann Deignan<br />

nicht abschütteln. Nach einer langen Abfahrt<br />

und einem flachen Finale steht wieder ein<br />

Sprint an, den Amy Pieters von Boels-Dolmans<br />

gewinnt – der dritte Tagessieg ihres Teams.<br />

ERGEBNISSE 6. ETAPPE<br />

1 Amy Pieters Boels-Dolmans 3:27:02<br />

2 Leah Kirchmann Sunweb + 0:00<br />

3 Roxane Fournier Movistar + 0:00<br />

ENDKLASSEMENT<br />

2.<br />

KASIA<br />

NIEWIADOMA<br />

Canyon-Sram<br />

1. 3.<br />

LIZZIE<br />

DEIGNAN<br />

Trek-Segafredo<br />

AMY<br />

PIETERS<br />

Boels-Dolmans<br />

© Velofocus (groß), Jojo Harper (klein), Getty Images (Kasten)<br />

AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 59


RENNKULTUR<br />

TOUR OF<br />

CALIFORNIA<br />

DREAMING<br />

Die Kalifornien-Rundfahrt <strong>2019</strong> war bereits die<br />

14. Auflage des Rennens, womit sie inzwischen ein<br />

fester Bestandteil des Kalenders ist. Procycling war<br />

dort und hat ihre unvergleichliche Atmosphäre<br />

und unglaubliche Landschaft erlebt.<br />

Text Edward Pickering<br />

Fotografie Getty Images<br />

60 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


© Cor Vos<br />

AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 61


TOUR OF CALIFORNIA<br />

ETAPPE 1: STADT DES RENNENS<br />

Das California State Capitol in Sacramento, ein pompöses neoklassizistisches<br />

Gebäude, in Weiß gestrichen und Sitz des Gouverneurs von<br />

Kalifornien, ist an große Persönlichkeiten gewöhnt. Zwei berühmte<br />

Bewohner waren Arnold Schwarzenegger und Ronald Reagan. Als der Start<br />

der 1. Etappe der Kalifornien-Rundfahrt bevorsteht und die prominentesten<br />

Fahrer dem Publikum unter strahlend blauem Himmel vorgestellt werden, ist<br />

vorstellbar, dass die Einheimischen nicht leicht zu beeindrucken sind. Gleiches<br />

gilt für die meisten anderen Radsportfans: Mehrere Zeitzonen weiter<br />

weg ist der Giro d’Italia zwei Tage alt, und die Radsportwelt redet von Primož<br />

Roglič’ Zeitfahrsieg auf der 1. Etappe.<br />

Einer der Sprecher des Rennens, Brad Sohner, wird mir im Laufe der Woche<br />

erklären: Wenn die europäischen Rennen eine Symphonie sind, ist die<br />

Tour of California ein Rock’n’Roll-Konzert, und den Zuschauern wird von<br />

Sohners Sprecherkollegen Dave Towle eingeheizt. Towle ist eine Institution,<br />

die erregte, übertriebene und heisere Stimme, die die akustische Kulisse<br />

vieler Rennen in den USA bildet. Seine Technik ist, der Menge Auftrieb zu<br />

geben, sie dort zu halten, ihr wieder Auftrieb zu geben, sie dort zu halten,<br />

wieder und wieder, durch die schiere Kraft seines stimmlichen Willens.<br />

Towle zieht den Namen des einheimischen Sprinters Travis McCabe gute<br />

acht Sekunden in die Länge. Er bezeichnet den neuseeländischen Sprinter<br />

George Bennett als von „Down Under“, aber mit einem solchen Enthusiasmus,<br />

dass selbst Bennett nicht allzu pikiert aussieht. Nacer Bouhanni: „Dieser<br />

Mann ist wild!“ Und als Mark Cavendish und Peter Sagan, die es zusammen<br />

auf 25 Etappensiege bringen, vorgestellt werden, bereitet Towle die<br />

Menge auf den Grand Depart vor. „Wir sind zum Angriff bereit“, brüllt er.<br />

Die Fahrer verlassen Sacramento Richtung Westen, überqueren die legendä -<br />

re, gelb gestrichene Tower Bridge, das eiserne Eingangstor zur Stadt, wo das<br />

Geschnatter brütender Gänse über dem Sacramento River hallt, dann, viele<br />

Meilen breite und schnurgerade Straßen später, zurück nach Sacramento zu<br />

drei Runden um das Capitol. Am Ende des Tages wird Sagan seine 16. Etappe<br />

geholt haben.<br />

James Raia, ein altgedienter Radsportjournalist und früherer Angestellter<br />

der Zeitung Sacramento Bee, erzählt mir von der Stadt. Sie richtet seit 2014<br />

die erste oder letzte Etappe des Rennens aus – wenn es eine Stadt gibt, die<br />

dem Rennen derzeit Gestalt verleiht, ist es Sacramento. Die „Stadt der Kamelien“<br />

wurde während des Goldrausches 1849 gegründet, das alte Eisenbahndepot<br />

und ein paar gewaltige Kraftwerke stehen gut erhalten unweit von Downtown.<br />

Die Stadt wirkt sowohl alt als auch neu; sie ist zudem sowohl reich als<br />

auch arm: Technikfreaks pendeln von hier nach San Francisco und in Downtown<br />

wimmelt es von kleinen Coffeeshops, aber abseits des Zentrums überrascht<br />

die Anzahl von Obdachlosen und Menschen, die auf der Straße schlafen.<br />

Raia erzählt mir von Sacramentos Minderwertigkeitskomplex. „Sacramento<br />

spielt die zweite Geige hinter San Francisco“, sagt er. „Wir sind Regierungssitz,<br />

aber wie kann man mit San Francisco konkurrieren, einer der großartigsten<br />

Städte der Welt?“<br />

Die Kalifornien-Rundfahrt hat viele Reize. Eine atemberaubende Landschaft,<br />

einen prominenten Sieger – zumindest auf der 1. Etappe – und eine<br />

lebhafte Atmosphäre. Aber da sie zeitgleich mit dem Giro d’Italia stattfindet,<br />

steht sie vor der Herausforderung, von der Radsportwelt wahrgenommen<br />

zu werden.<br />

62 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


TOUR OF CALIFORNIA<br />

ETAPPE 2: STAIRWAY TO HEAVENLY<br />

Die Skistation, die das Finale der 2. Etappe in South Lake Tahoe ausrichtet,<br />

heißt Heavenly Mountain. Es ist streng genommen keine Bergankunft<br />

– Lake Tahoe liegt auf einer Hochebene und nach Heavenly<br />

kommt man über eine Reihe von fürchterlich steilen Steigungen und Stufen<br />

von der einige Hundert Fuß tiefer gelegenen Stadt. Stairway to Heavenly.<br />

In Heavenly ist die Luft kühl und dünn, obwohl die Sonne Kraft hat. Nach<br />

dem Start im fast auf Meereshöhe gelegenen Rancho Cordova am Ostrand von<br />

Sacramento ist das Peloton fast nonstop geklettert, geklettert, geklettert – zum<br />

Höhepunkt bei Kilometer 167, dem Carson Pass. Der Carson ist 2.615 Meter<br />

hoch, nur 27 Meter weniger als der Col du Galibier. Das Finale liegt 45 wellige<br />

Kilometer weiter auf 2.022 Meter Höhe. Neben der Höhe macht die Distanz<br />

den Fahrern zu schaffen. Der Anstieg nach Heavenly war eine siebenstündige<br />

Strapaze, die Mark Cavendish mit „sieben Stunden auf einem verfluchten Rollentrainer“<br />

verglich. Es ist keine furchteinflößende Bergetappe mit mehreren<br />

Pässen wie in den Alpen – eher ein gleichmäßiger, aber gnadenloser Kraftakt.<br />

Auf dem Parkplatz hinter der Ziellinie lockert Jumbo-Fahrer Neilson Powless<br />

seine Beine auf dem Rollentrainer. George Bennett, Zehnter auf der Etappe,<br />

aber von dem Quintett distanziert, das den Sprint 30 Sekunden vor ihm<br />

austrug – Asgreen, van Garderen, Moscon, Pogacar und Schachmann –<br />

kommt ins Ziel und ist angefressen. Er wurde heute taktisch geschlagen,<br />

nicht physisch, durch die schiere Überzahl von EF Education First an der<br />

Spitze des Rennens. „Scheiß EF“, flucht Powless vor sich hin, während er sich<br />

weiter abwärmt.<br />

Powless ist Kalifornier, in Sacramento geboren und in Roseville 20 Kilometer<br />

weiter zu Hause. Seine Eltern haben eine Hütte in Pollock Pines<br />

unweit der Strecke der 2. Etappe. Es ist ein großes Rennen für ihn. Es ist<br />

natürlich sein Heimspiel, aber auch das Rennen, bei dem er erstmals ein<br />

Radsportpublikum außerhalb von Nordamerika auf sich aufmerksam machte.<br />

Für das Team Axeon wurde er 2016 mit erst 19 Jahren Gesamt-Neunter<br />

des Rennens. <strong>2019</strong> ist es aus einem anderen Grund ein großes Rennen. Er<br />

fährt als Helfer für Bennett, der sich auf die Gesamtwertung konzentriert.<br />

Dass er in der Gesamtwertung schlechter abschneiden wird als seinerzeit als<br />

Teenager, zeigt nicht, dass er weniger stark ist, sondern dass er jetzt eine andere<br />

Aufgabe hat. 2016 ging er in Topform in das Rennen, das sein Hauptziel<br />

war. Jetzt ist die Kalifornien-Rundfahrt nur eine von einer Reihe von<br />

Rennen, bei dem von ihm erwartet wird, auf einem gleichbleibend hohen<br />

Niveau zu sein, um seine Kapitäne zu unterstützen. Er ist spät für die Rundfahrt<br />

nominiert worden. „Ich habe es erst vor fünf oder sechs Tagen erfahren“,<br />

hatte er mir am Vortag gesagt.<br />

Powless kommt aus einer Familie von Ausdauersportlern. Sein Vater ist<br />

Triathlet; seine Mutter Jeanette Allred-Powless lief den Marathon bei den<br />

Olympischen Spielen 1992 für Guam. Seine Eltern nahmen ihn aus der<br />

Schule, um sich die Kalifornien-Rundfahrt anzusehen. „Ich erinnere mich<br />

an die Geschwindigkeit und welchen Wind das Peloton macht, wenn es<br />

durchrollt. Wenn es durch ist, gibt es eine Windböe – es fühlt sich an wie ein<br />

Auto“, sagt er. „Sie sahen super athletisch aus.“<br />

Da die Fahrer in kleinen Grüppchen nach Heavenly kletterten, gab es heute<br />

kein solches Gefühl der Geschwindigkeit, aber Powless hat die Etappe trotzdem<br />

genossen. „Ich hatte bessere Laune als einige der Jungs um mich herum.<br />

Es gab einige saure Gesichter da draußen, aber ich hatte eine gute Zeit.“<br />

© Cor Vos<br />

AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 63


TOUR OF CALIFORNIA<br />

ETAPPE 3: STERNCHEN IN STREIFEN<br />

Als D. H. Lawrence schrieb, Kalifornien sei „absolut selbstbezogen,<br />

sehr leer, aber nicht falsch und zumindest nicht voller falscher Bemühungen“,<br />

hätte er über Ausreißer bei Radrennen schreiben können.<br />

Die Kalifornien-Rundfahrt <strong>2019</strong> ist erst zwei Tage alt, aber da die Hierarchie<br />

in der Gesamtwertung auf der Etappe nach South Lake Tahoe etabliert<br />

wurde und die Sprinter am ersten Tag ihre Chance hatten, können sich Kletterer<br />

und Sprinter den Parcours der 3. Etappe anschauen und zu dem Schluss<br />

kommen, dass es nichts für sie ist – eine Mittelgebirgsetappe mit ein paar Hügeln<br />

und gleichmäßigen Anstiegen, wovon der höchste der 1.274 Meter hohe<br />

Mount Hamilton ist. Zu viele Berge für die Sprinter, nicht genug Berge für die<br />

Kletterer: daher ein Tag, an dem die Ausreißer durchkommen könnten.<br />

Zwei Fahrer gehen aus dem Vorgeplänkel an den ersten Anstiegen hervor.<br />

Deceuninck-Profi Rémi Cavagna und Alex Hoehn vom US-Nationalteam.<br />

Das Arbeitsarrangement scheint zu sein, dass Hoehn die Bergpunkte und<br />

Cavagna den Etappensieg holt. Das funktioniert, bis der Mount Hamilton<br />

(HC-Kategorie) kommt, wo Hoehn seinem WorldTour-Rivalen nicht mehr folgen<br />

kann. Cavagna bleibt nichts anderes übrig, als an sich selbst zu denken<br />

und alleine weiterzufahren. Trotz einiger haariger Momente in den Abfahrten<br />

gewinnt Cavagna die Etappe mit sieben Minuten Vorsprung; Hoehn versucht,<br />

sich auf den zweiten Platz zu retten, wird aber auf den letzten Kilometern<br />

vom Peloton eingeholt und landet auf einem nichtssagenden 63. Platz.<br />

Nach der Etappe lässt Hoehn sein Rad ausrollen, um sich von einem Masseur<br />

in Empfang nehmen zu lassen, und selbst das Bremsen scheint zu viel<br />

für ihn zu sein. „Mir tut der Magen so weh“, sagt er und erklärt, dass er sich<br />

mit Koffeingels verpflegt hat, um das Feld auf Distanz zu halten. Als er unter<br />

Schmerzen absteigt, das Trikot mit Salzrändern bedeckt, stöhnt er: „Nichts<br />

tut nicht weh. Alles tut weh. Ich habe überall Krämpfe.“ Er musste sich zu<br />

einem weiteren schmerzhaften Schritt zwingen, die Stufen hoch zum Podium,<br />

um das Bergtrikot überreicht zu bekommen, das er einen weiteren Tag<br />

lang tragen darf. Er wird es an Astana-Profi Davide Ballerini verlieren, aber<br />

auf der letzten Etappe nach Pasadena wird Hoehn als kämpferischster Fahrer<br />

des gesamten Rennens geehrt.<br />

Das US-Team wuchs bei der Kalifornien-Rundfahrt über sich hinaus. Die<br />

Mischung aus Lokalmatadoren und U23-Fahrern hatte nicht die Feuerkraft<br />

oder das Gewicht der WorldTour-Teams, auch nicht den Zusammenhalt oder<br />

die Vertrautheit der ProConti- und Nachwuchsteams. Aber Hoehn sagte nach<br />

der letzten Etappe, dass sie erhobenen Hauptes aus dem Rennen gehen könnten.<br />

„Wir sind ohne Siegeserwartungen in das Rennen gegangen, aber dass<br />

wir mit diesem Trikot daraus hervorgehen, zeigt, dass wir uns mit den Besten<br />

der Welt messen können.“ Sie waren auch dicht dran an einem Etappensieg,<br />

als Travis McCabe in Sacramento Zweiter hinter Sagan wurde.<br />

Aber kaum, dass sie zusammengekommen waren, gingen die Fahrer des US-<br />

Teams wieder getrennte Wege. Hoehn beendete in diesem Jahr seine letzte<br />

Saison als U23-Fahrer für das Aevolo-Team. „Ich weiß nicht, was ich nächstes<br />

Jahr mache. Ich habe kein Team. Ich will weiter Rennen fahren und ich will<br />

weiter gegen die Besten der Welt fahren“, sagt er. „Hoffentlich passiert etwas.“<br />

64 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


TOUR OF CALIFORNIA<br />

ETAPPE 4: DIE LEBENDE STRASSE<br />

Der Pacific Coast Highway, auch California State Route 1 genannt,<br />

ist ein Meisterwerk der Straßenbaukunst und ein Band, das sich<br />

Hunderte von Meilen an der kalifornischen Küste entlangzieht. Die<br />

Pazifikküste ist lebendig und ändert sich ständig. Die volle Kraft des Ozeans<br />

wirkt auf sie ein, während starke Regenfälle, wenn sie dann kommen, die<br />

Erde aushöhlen und kleine und große Erdrutsche verursachen. Die Straße<br />

ist eine permanente Baustelle, ihr vollendeter Zustand ist, dass sie unvollendet<br />

ist. Es heißt, dass der Moment, um die Forth Bridge neu zu lackieren,<br />

gekommen war, als die letzte Farbschicht aufgetragen war, und als das<br />

letzte Stück Pacific Coast Highway gebaut war, war es an der Zeit, am nächsten<br />

zu arbeiten.<br />

Die Kalifornien-Rundfahrt über die Route 1 zu schicken ist – wie Eric<br />

Smith, der Technische Direktor des Rennens, mir sagt – eine der größten<br />

logistischen Herausforderungen der Woche.<br />

„Die Straße verändert sich von Woche zu Woche“, sagt er. „Ich bin sie<br />

50 Mal gefahren, und kein einziges Mal gab es dort keine Baustelle. Es gibt<br />

Schlaglöcher und Zeug, das auf die Straße fällt … Wir haben eine kleine Armee<br />

von Leuten, die mit Besen, Schaufeln, Asphalt und Farbe vor dem Rennen<br />

hereilt, falls es ein großes Schlagloch gibt, das wir nicht reparieren können.<br />

Wir machen die Straße so jungfräulich wie möglich für die Fahrer.“<br />

Die Route 1 ist auch eine der schönsten Strecken im Radsport. Ich hätte<br />

am liebsten überall angehalten, um das Rennen vor spektakulärer Kulisse<br />

vorbeirollen zu sehen. Am Ende entschied ich mich für einen Parkplatz auf<br />

einer hohen Klippe, von wo ich sehen konnte, wie sich die Straße durch vier<br />

oder fünf Buchten schlängelte – gleich südlich von Big Sur. So konnte ich verfolgen,<br />

wie sich das Rennen aus mehreren Meilen Entfernung näherte, bemerken,<br />

wie klein es aussah neben den gewaltigen Anhöhen auf der einen Seite<br />

und der enormen Ausdehnung des Pazifiks auf der anderen. Aus dieser Entfernung<br />

war das Peloton fast unsichtbar, und dass es sich näherte, konnte ich<br />

nur aus dem weit entfernten Knattern des Fernsehhubschraubers und dem<br />

Schimmern der Scheinwerfer der Begleitfahrzeuge schließen. Die Sonne kam<br />

durch, nachdem es stark geregnet hatte, daher war das Meer an den flacheren<br />

Stellen türkisfarben. Jedes Mal, wenn das Rennen hinter einem Felsvorsprung<br />

verschwand, trat es klarer wieder hervor, wenn es sich wieder in mein Blickfeld<br />

schob, bis zuerst eine kleine Ausreißergruppe und dann das Peloton vorbeisausten.<br />

Das Feld war in die Länge gezogen.<br />

Das Rennen selbst war im Großen und Ganzen nicht aufregend, als könnte<br />

es nicht mit der Großartigkeit der Landschaft mithalten. Es sah wie eine klassische<br />

Ausreißer-Verfolgungs-Sprintetappe aus, und so erledigte das Peloton<br />

die ersten beiden Teile des Jobs. Aber die Ingenieure der Route 1 werden Ihnen<br />

raten, nie davon auszugehen, dass ein Job vollendet ist: Ein Akt Gottes<br />

kann alles verändern. Und als Tejay van Garderen, der Spitzenreiter, in einen<br />

Sturz verwickelt war, bevor es auf den letzten zehn Kilometern einen weiteren<br />

Sturz gab, verlor er erst das Trikot und wurde dann wieder eingesetzt, nachdem<br />

beschlossen worden war, dass der zweite Sturz nah genug an der<br />

Drei-Kilometer-Marke war, um allen Betroffenen dieselbe Zeit zu geben wie<br />

dem Sieger. Dass van Garderen praktisch nicht in der Gruppe war, als der<br />

zweite Sturz passierte, schien der Aufmerksamkeit der Jury entgangen zu<br />

sein. Manchmal, wenn Unvorhergesehenes passiert, flicken sie es einfach, so<br />

gut sie können, zum Guten oder Schlechten.<br />

AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 65


TOUR OF CALIFORNIA<br />

ETAPPE 5: STRECKENPLANUNG<br />

Die Kalifornien-Rundfahrt hat die ganze Woche mit Wetterextremen<br />

geflirtet. Sacramento war heiß, Tahoe lag über der Schneegrenze,<br />

das Feld wurde auf der Route 1 von einem Gewitter überrascht, und<br />

jetzt, auf der 5. Etappe nach Ventura, bläst der Wind. Er peitscht das Meer zu<br />

Schaumkronen auf und hat Teile der Aufbauten im Zielbereich weggerissen.<br />

Auf der Zielgeraden bläst der Wind den Fahrern ins Gesicht, sodass Iván García<br />

Cortina von Bahrain-Merida gut daran tut, seinen Sprint so spät wie möglich<br />

zu eröffnen.<br />

Der Wind war nicht so stark, dass man die Etappe hätte absagen müssen,<br />

obwohl die Organisatoren in Tahoe mehr Glück hatten – drei Tage, nachdem<br />

das Rennen hier angekommen war, hatten sie 20 Zentimeter Schnee. Das<br />

sind die Risiken, die der Technische Direktor Eric Smith alle berücksichtigen<br />

muss, wenn die Route geplant wird. Das Rennen ist ein Puzzle aus einer Million<br />

Teile, bei dem potenzielle Fallen hinter fast jeder Kurve lauern. Er erzählt<br />

mir, wie das Rennen zusammengestellt wird.<br />

„Als Erstes setzen wir zwei Anker, den Start und das Ziel des ganzen Rennens“,<br />

sagt er. „Dann gehen wir die Liste der Städte durch, die teilnehmen<br />

wollen und noch nicht wissen, dass wir sie teilnehmen lassen wollen.<br />

Ich weiß, dass Sacramento immer einen Start und eine Ankunft will, und<br />

wir haben fünf oder sechs Kurse, die wir nutzen können. Ich weiß, dass South<br />

Lake Tahoe eine lange Etappe ist und nur zwei Wege dort hochführen. Einer<br />

ist Highway 50 und der andere ist Highway 88, und Highway 50 können wir<br />

nicht nehmen.<br />

In Sacramento gibt es eine Straße namens Old River Road, die wir nutzen,<br />

die westlich aus der Stadt herausführt. Sie liegt unter dem Wasserspiegel, in<br />

den Rückhalteflächen, und wenn die Dämme zu viel Wasser haben, lassen sie<br />

Wasser ab und fluten die Rückhalteflächen. Vor drei Wochen blickte man von<br />

Sacramento Richtung Westen und meinte, den Ozean zu sehen – die Straße,<br />

die wir nutzen wollten, stand anderthalb Meter unter Wasser. Wenn das noch<br />

so gewesen wäre, hätte ich den Freeway sperren lassen und darauf ausweichen<br />

müssen, was ich nie gerne mache, weil es teuer ist.<br />

Wir denken auch an die mögliche Auswirkung auf Städte, den Verkehr, Geschäfte<br />

und Einwohner. Wann ist die Schule aus? Wir wollen nicht an einer<br />

Schule vorbeifahren, wenn der Schulbus hält. Wir haben ein Zeitfahren in Los<br />

Angeles gemacht und ich glaube, wir haben einen Rekordverkehrsstau verursacht<br />

– wir haben die Stadt auf einer Länge von zehn Meilen in zwei Hälften<br />

geteilt – das war ein gewaltiges Unterfangen und sehr teuer.<br />

Wir beginnen, die Etappen aufzubauen, Etappe für Etappe, und schauen<br />

es uns an. Ist das sinnvoll? Sind das alles Sprinteretappen? Alles Klettereretappen?<br />

Wir versuchen, es zu mischen, sodass jeder eine Chance hat.<br />

Wenn der Kurs auf dem Papier abgesteckt ist, fahren wir ihn mit dem<br />

Auto ab. Wir erfassen ihn auf den Hundertstel eines Kilometers, jedes Verkehrsschild,<br />

jede Kreuzung, bis ins kleinste Detail. Wir geben die Daten<br />

für die Durchschnittsgeschwindigkeit ein und rechnen aus, zu welcher Zeit<br />

wir da sind.“<br />

Und wenn die ganze Planung eine Stadt immer noch nicht überzeugt, dass<br />

es keine allzu großen Umstände macht, die Kalifornien-Rundfahrt zu Gast zu<br />

haben, hat Smith ein weiteres Ass im Ärmel: „Wenn du das erste Mal mit einer<br />

neuen Stadt sprichst und sie sagen: ‚Sie werden was machen?‘, sage ich<br />

ihnen nur, dass ich die Golden Gate Bridge zweimal habe sperren lassen.“<br />

66 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


TOUR OF CALIFORNIA<br />

ETAPPE 6: DER GIGANT VON KALIFORNIEN<br />

Der Mount Baldy erhebt sich steil aus den Vororten von Los Angeles<br />

– die Trennlinie zwischen der Stadt und der Wildnis ist eine plötzliche.<br />

Im Süden: endlose Stadt. Im Norden: die Gipfel des Angeles<br />

National Forest.<br />

Mit Ausnahme von Paris–Roubaix braucht jedes große Rennen einen prägenden<br />

Anstieg, ob groß oder klein. Die Tour de France hat Alpe d’Huez, die<br />

Lombardei-Rundfahrt die Madonna del Ghisallo, die Flandern-Rundfahrt die<br />

Muur van Geraardsbergen und der Giro d’Italia hat das Stilfser Joch. Die Kalifornien-Rundfahrt<br />

ist erst 14 Jahre alt und hat ihre Teenager-Jahre erreicht,<br />

in denen sie nach ihrer Identität sucht. Sie hat mit einigen Bergankünften experimentiert,<br />

aber der Mount Baldy entwickelt sich zum Fixpunkt.<br />

Rennsprecher Brad Sohner sagt: „Der Baldy wird der charakteristische Anstieg<br />

des Rennens. Es hat einige andere im Laufe der Jahre gegeben, aber der<br />

Baldy ist perfekt. Er ist wirklich ein alpiner Anstieg, und er ist wirklich schwerer<br />

als viele Anstiege in Europa. Viele Kalifornien-Rundfahrten wurden auf<br />

dem Baldy entschieden.“<br />

Der Baldy ist hoch – er erreicht 1.959 Meter über dem Meeresspiegel, und<br />

eine Reihe von Serpentinen geben ihm viel mehr Charakter als die lang gezogenen<br />

Kurven der restlichen Anstiege des Rennens. Und er ist steil und unregelmäßig,<br />

<strong>2019</strong> außerdem in kalten Nebel gehüllt.<br />

Das Rennen redet seit zwei Tagen darüber, welches Glück Tejay van Garderen<br />

hatte, das Gelbe Trikot nach den Stürzen auf der 4. Etappe zu behalten.<br />

Sein Team EF Education First macht auf der Etappe pflichtgemäß Tempo.<br />

Warum auch nicht? Es ist das stärkste Team; van Garderen ist der stärkste<br />

Fahrer. Aber die Kapitulation ist plötzlich und entscheidend: In einem Moment,<br />

am Anfang des Anstiegs, schien er sich gut zu fühlen. Im nächsten<br />

war er zurückgefallen, hatte das Rennen und sein Selbstvertrauen verloren.<br />

Vor ihm ging die Kapitänsrolle nahtlos an Sergio Higuita über und die Position<br />

des Spitzenreiters nahtlos an Tadej Pogacar, der Higuita am Gipfel im<br />

Sprint bezwang, bevor George Bennett ins Ziel kam.<br />

In solchen Momenten werden Geschichten neu geschrieben. Die Geschichte<br />

des Rennens war vermeintlich die von van Garderens Comeback-Sieg – und<br />

davon, dass EF endlich seine Pechsträhne in der Gesamtwertung der Kalifornien-Rundfahrt<br />

beendet. In der Zeit, die es dauerte, bis Pogacar und Higuita<br />

dem Amerikaner davongefahren waren, wurde das Rennen zu etwas anderem.<br />

Die Etappen waren vor allem von jungen Fahrern gewonnen worden –<br />

Asgreen, Cavagna, Fabio Jakobsen und Garcia waren alle 24 oder jünger. Jetzt<br />

wurde die Gesamtwertung von einem 20-Jährigen (Pogacar) und einem<br />

21-Jährigen (Higuita) angeführt.<br />

Das ist es, was Berge und Radrennen mit Karrieren machen können. Als<br />

er 21 war, wurde van Garderen Dritter der Dauphiné 2010, dann Fünfter der<br />

Tour de France 2011. Als der Amerikaner, einsilbig, enttäuscht und geschlagen,<br />

seinen Tag in der kühlen Luft des Zielbereichs verdaute, bekam Pogacar<br />

das Gelbe Trikot, das er bis zum Schluss behalten sollte, und wurde als künftiger<br />

Star gefeiert. Einige Fans erinnerten sich vielleicht, dass van Garderen<br />

die Zukunft war … einst.<br />

Aber unstete Blicke wandten sich rasch von van Garderen ab und zu Pogacar<br />

hin. Sie nennen das riesige Häusermeer der Vororte von Los Angeles südlich<br />

des Angeles Forest das Inland Empire. Oben auf dem Mount Baldy hat die<br />

Kalifornien-Rundfahrt Tadej Pogacar als neuen Herrscher gekürt.<br />

AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 67


TOUR OF CALIFORNIA<br />

ETAPPE 7: DIE SEELE DES RENNENS<br />

Ich habe die ganze Woche nach der Seele der Kalifornien-Rundfahrt gesucht.<br />

Vielleicht habe ich sie an den letzten beiden Tagen des Rennens, am<br />

Mount Baldy und in Pasadena, Los Angeles, gefunden. Ich hatte am Mount<br />

Baldy mit Exprofi Jens Voigt gesprochen. Voigt liebte es, Rennen in den USA<br />

zu fahren, und seinen letzten Sieg als Profi holte er bei der Kalifornien-Rundfahrt<br />

2013 in Avila Beach. „Die Seele?“, fragt Voigt, bevor er ein paar Sekunden<br />

nachdenkt. „Ich glaube, es ist eine tolle Beziehung zu den Fans. Das Rennen<br />

ist wirklich schwer, aber es ist ein bisschen entspannter. Die Teams sind<br />

ansprechbar, jeder kann kommen, an die Tür klopfen und sagen: ‚Hey, kann<br />

ich ein Autogramm haben?‘“ Voigt weist darauf hin, dass sie wegen der lockeren<br />

Atmosphäre bei den Fahrern genauso beliebt ist. „Die Teams reisen früh<br />

an, um den Jetlag zu überwinden, und so haben die Fahrer ein bisschen Zeit<br />

zum Shoppen, das Hotel zu verlassen und zu In-N-Out Burger zu gehen.<br />

Wenn sie beim Trainingslager im Dezember fragen, wer an der Kalifornien-<br />

Rundfahrt teilnehmen möchte, gehen 20 Arme für die sieben Plätze hoch.“<br />

Das Rennen ist eine Postkarte von Kalifornien. Die Landschaft des Golden<br />

State ist umwerfend schön. Der Nachteil ist, dass es in den USA weniger Straßen<br />

gibt und sie mehr auf Autos zugeschnitten sind als in Europa, was die<br />

eigenartige Wirkung hat, das Rennen zu verflachen. Besser für Autos gebaut<br />

heißt breitere Fahrspuren und weitere Kurven, daher ist das Fahren im Peloton<br />

technisch weniger anspruchsvoll. Die spannenden Momente sind meist<br />

kurz und intensiv und getrennt durch lange, ruhige Abschnitte, wo das einzig<br />

Betrachtenswerte die Landschaft ist. Aber die Fans, insbesondere am Baldy<br />

und am Rose Bowl-Stadion in Pasadena, sind zahlreich und die Atmosphäre<br />

ist gigantisch. In Pasadena ist dem Rennen ein großer Bereich vorbehalten<br />

und die Fans können die Männer- und Frauenrennen sehen, die den abschließenden<br />

Rundkurs mehrmals absolvieren. Es ist laut, warm und voll.<br />

Brad Sohner, der Sprecher des Rennens, sagte mir, das sei das Alleinstellungsmerkmal<br />

des amerikanischen Radsports. „Er ist energiegeladen, laut<br />

und hat eine Partystimmung, und das steht für Rennen in den USA. Da rennt<br />

einer als Papst verkleidet neben den Fahrern her. Das Rennen ermutigt auf<br />

jeden Fall dazu.“<br />

In Pasadena denkt Jonathan Vaughters, Manager von EF Education First,<br />

für das Sergio Higuita Zweiter wurde, über seine lange Verbundenheit mit<br />

dem Rennen nach. „Ich glaube, wir sind die Seele des Rennens“, scherzt er.<br />

„Wir waren jetzt zehn Jahre in Folge Zweiter. Unglaublich.“<br />

Dorothy Parker schrieb einst, Los Angeles seien „88 Vororte, die eine Stadt<br />

suchen“. Mitten in der Kalifornien-Rundfahrt <strong>2019</strong> fragte ich mich, ob das<br />

Rennen sieben Etappen waren, die ein Rennen suchten. Die Kulisse war<br />

atemberaubend, schöner als jedes andere Rennen, bei dem ich war. Aber es<br />

war an den meisten Tagen leicht, das Rennen auf eine Überschrift zu verdichten,<br />

auch wenn die Etappe nach South Lake Tahoe und der Sturz von van<br />

Garderen zwei Tage später den Fans viel Gesprächsstoff lieferte. Aber Baldy<br />

und Pasadena waren spannende Spektakel, die die großen Geschichten des<br />

Rennens hervortreten ließen: die Ankunft einer neuen Generation und die<br />

Bestätigung des Baldy als emblematischer Anstieg der Kalifornien-Rundfahrt.<br />

Wenn es irgendeinen Minderwertigkeitskomplex gegenüber dem Giro d’Italia<br />

gibt, ist das nichts, worüber sich das Rennen Sorgen zu machen scheint.<br />

68 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


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NACHLESE<br />

ANALYSE • ERKENNTNISSE • DATEN<br />

© Getty Images<br />

CRITÉRIUM DU DAUPHINÉ / 09.–16.06.<strong>2019</strong><br />

FUGLSANG DOMINIERT<br />

DAUPHINÉ<br />

Vor zwei Jahren gewann Jakob Fuglsang<br />

das Critérium du Dauphiné,<br />

indem er die Gelegenheit nutzte<br />

und Richie Porte das Trikot am letzten Tag<br />

entriss. Fuglsang hatte vor der 115 Kilometer<br />

langen Etappe über vier große Anstiege<br />

75 Sekunden Rückstand auf den<br />

Australier. Auf dem Terrain, das sich für<br />

ERGEBNIS<br />

Angriffe anbot, war Fuglsang Teil einer<br />

erlesenen Gruppe um Chris Froome, Dan<br />

Martin, Romain Bardet und Emanuel<br />

Buchmann. Sie attackierten den Australier<br />

immer wieder. Martin und Froome eröffneten<br />

das Feuer, aber als Froome einbrach<br />

und Fuglsang am Schlussanstieg stärker<br />

war als Martin, konnte sich der Däne ab-<br />

FAHRER TEAM ZEIT<br />

1 Jakob Fuglsang Astana Pro Team 30:44:27<br />

2 Tejay van Garderen EF Education First + 0:20<br />

3 Emanuel Buchmann Bora–hansgrohe + 0:21<br />

4 Wout Poels Team Ineos + 0:28<br />

5 Thibaut Pinot Groupama-FDJ + 0:33<br />

Fuglsang und<br />

sein Astana-Team<br />

waren bei der<br />

Dauphiné unter<br />

erschwerten Bedingungen<br />

überlegen.<br />

9<br />

Siege bei<br />

Etappenrennen<br />

für Fuglsang<br />

setzen und mit dem Etappensieg auch das<br />

Rennen für sich entscheiden.<br />

Fuglsang, 34, hat nach seinem Erfolg<br />

im Juni jetzt zwei Dauphiné-Titel zu Buche<br />

stehen. Gleiches Rennen, ganz anderer<br />

Modus Operandi. Wenn 2017 seinen<br />

Opportunismus zeigte, unterstrich dieses<br />

Jahr die Stärke des Dänen und des Astana-<br />

Teams in seinem Rücken.<br />

Dieses Mal war Fuglsang, als der letzte<br />

Tag einer insgesamt weniger gebirgigen<br />

Woche kam, in der Rolle des Spitzenreiters.<br />

Sechs Fahrer hatten weniger als<br />

34 Sekunden Abstand auf sein Trikot,<br />

Trotzdem kam nie ein gefährlicher Angriff.<br />

In seinem Statement nach dem Rennen<br />

sagte Fuglsang, er sei mit der „blauen<br />

Limousine“ zum Sieg gefahren. Auf jeden<br />

Fall hatte er die offensichtliche Unterstützung<br />

von Magnus Cort, Gorka Izagirre,<br />

Alexei Luzenko und Hugo Houle,<br />

die auf der 8. Etappe eine dicke und undurchlässige<br />

blaue Linie bildeten.<br />

Dass seine Führung nie in Gefahr war,<br />

lag an verschiedenen Faktoren. Das Rennen<br />

und die Bedingungen, unter denen es<br />

ausgetragen wurde, forderten im Laufe der<br />

Woche ihren Tribut von seinen Rivalen.<br />

70 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


EDWARD PICKERING<br />

Herausgeber<br />

Eds liebstes Etappenrennen im<br />

Juni? Die Route d’Occitanie: span -<br />

nender Rennverlauf, schöne Stra ßen<br />

und eine harte Pyrenäen-Etappe.<br />

SAM DANSIE<br />

Redakteur<br />

Sam hofft auf einen besseren Termin<br />

für das Ventoux Dénivelé im nächsten<br />

Jahr, sodass mehr Fahrer von der<br />

Dauphiné dort antreten werden.<br />

SOPHIE HURCOM<br />

Procycling-Autorin<br />

Sophie ist begeistert vom Rezept der<br />

Women’s Tour: ein schwerer, hügeliger<br />

Kurs und ein bis zur letzten Sekunde<br />

spannender Rennverlauf.<br />

Mitchelton-Scott-Profi Adam Yates, der<br />

mit acht Sekunden Rückstand auf Fuglsang<br />

in die letzte Etappe ging, stieg 48 Ki -<br />

lometer vor dem Ziel aus. (Yates’ Team<br />

sagte später, der Brite sei mit Fieber aufgewacht<br />

und man wollte ihn vor der Tour<br />

keinem Risiko aussetzen.) Steven Kruijswijks<br />

Rennen ging auf einer nasskalten<br />

7. Etappe in die Binsen, und auch er gab<br />

einen Tag später auf. Tom Dumoulins Verletzungspech<br />

in dieser Saison setzte sich<br />

fort, als er vor der 7. Etappe aufgab. Und<br />

dann war da Froomes schwerer Sturz<br />

bei der Erkundung des Zeitfahrkurses der<br />

4. Etappe. Sie waren alle Kandidaten, die<br />

Fuglsang auf dem Weg nach Champéry in<br />

der Schweiz, wo das Rennen endete, hätten<br />

gefährlich werden können.<br />

Hätte der Däne ohne das Pech der anderen<br />

gewonnen? Wer weiß? Jedoch ging<br />

Fuglsang voller Entschlossenheit ins Rennen.<br />

Schon auf der 2. Etappe, an einem<br />

Tag, an dem Thibaut Pinot den Kampf<br />

um die Gesamtwertung eröffnete, gewann<br />

Fuglsang den Sprint der Gruppe um den<br />

dritten Platz und vier Bonussekunden, die<br />

ihn auf den dritten Gesamtplatz beförderten.<br />

Wenn das taktisch war, beruhte Asta-<br />

Yates ging in Führung, musste<br />

aber am Ende krankheitsbedingt<br />

aussteigen.<br />

nas Strategie darauf, dass Teamkollege<br />

Luzenko weit oben in der Gesamtwertung<br />

bei Fuglsang blieb. Der kasachische Meister<br />

rutschte beim 26-Kilometer-Zeitfahren<br />

in Roanne vom dritten auf den achten<br />

Platz ab, hatte aber am Ende der Prüfung<br />

nur 30 Sekunden Rückstand auf den neuen<br />

Spitzenreiter Yates. Als Luzenko auf<br />

der 7. Etappe bei schmuddeligem Wetter<br />

in eine 22 Mann starke Ausreißergruppe<br />

ging, hatte Astana die besten Karten. Im<br />

Vergleich dazu lag der Mitchelton-Scott-<br />

Vertreter in der Spitzengruppe, Damien<br />

Howson, fast fünf Minuten zurück. Das<br />

hieß, dass die Astana-Männer Cort, der<br />

stark kletterte, und Izagirre im Windschatten<br />

mitfuhren, bis sie sich am<br />

Schlussanstieg nützlich machen konnten.<br />

Aber der große Unterschied war Fuglsang<br />

selbst. Vier Kilometer vor dem Gipfel<br />

des langen Anstiegs nach Pipay unter Bedingungen,<br />

in denen er in seinem Element<br />

war, schloss der Lüttich-Sieger zu Buchmanns<br />

Hinterrad auf und setzte sich von<br />

Yates ab. Er verpasste den Etappensieg<br />

nur, weil Wout Poels am Ende noch herankam.<br />

Mit seinem Acht-Sekunden-Vorsprung<br />

wurde Fuglsang das vierte Gelbe<br />

Trikot des Rennens.<br />

Am achten Tag verteidigte Astana<br />

à la Ineos. Fuglsang bescherte dem Team<br />

den 28. Sieg des Jahres, eine Zahl, die<br />

der letztjährigen Gesamtausbeute von<br />

31 nahekam.<br />

Vor zwei Jahren unterstrich Portes<br />

Leistung in der Woche seine persönlichen<br />

Qualitäten als Tour-de-France-Mitfavorit.<br />

Er gewann das Zeitfahren nach<br />

der Hälfte des Rennens souverän und<br />

blieb auf den ersten beiden Bergetappen<br />

relativ leicht auf Tuchfühlung mit seinen<br />

Rivalen. Die Frage, die das Critérium de<br />

Dauphiné aufwarf, war, ob sein Team ihn<br />

in den Bergen beschützen können würde.<br />

Fuglsang ging aus dieser Dauphiné-Auflage<br />

ohne solche Zweifel an der Tiefe seiner<br />

Truppe hervor. Astana mag zwar<br />

nicht die Starpower der Namen auf der<br />

Ineos-Gehaltsliste haben, aber mit Leuten<br />

wie Izagirre, Luzenko, Houle und<br />

Cort plus Omar Fraile und Luis León<br />

Sánchez, die die Tour de Suisse gefahren<br />

sind, hat Astana in aller Ruhe ein extrem<br />

formidables Aufgebot zusammengestellt.<br />

DIE DAUPHINÉ<br />

GEHT NACH WESTEN<br />

Zum ersten Mal seit der Gründung des Critérium<br />

du Dauphiné 1947 begann das Rennen in Aurillac<br />

im Département Cantal in Südmittelfrankreich. Das<br />

Rennen hat sich traditionell auf das Verbreitungsgebiet<br />

der Zeitung Dauphiné Libéré, die das<br />

Rennen gründete, beschränkt. Abstecher weiter<br />

westlich als Saint-Étienne hat es gegeben, aber sie<br />

waren selten. (So gab es beispielsweise 2014 eine<br />

Bergankunft am Col du Béal im Nordosten des<br />

Zentralmassivs.)<br />

Der Schritt nach Westen des Organisators ASO<br />

in diesem Jahr folgt einer Neuorganisation der<br />

französischen Regionen 2016, bei der die alte Region<br />

Rhône-Alpes – traditionelles Dauphiné-Territorium<br />

– in die viel größere Region Auvergne-Rhône-Alpes<br />

eingegliedert wurde. Neues Territorium bedeutete<br />

neues Terrain, und die ersten drei Etappen im und<br />

um das Zentralmassiv hatten einen anderen Cha -<br />

rakter als die üblichen Talstraßen, Alpenpässe und<br />

Anstiege zu Skistationen, die normalerweise mit den<br />

schneebedeckten Gipfeln der Alpen verbunden sind.<br />

Einige fanden den diesjährigen Parcours weniger<br />

anspruchsvoll als andere Austragungen. „Ich finde<br />

diese Auflage weniger schwer und nicht so gebirgig<br />

wie in den letzten Jahren“, lautete Romain Bardets<br />

kritisches Urteil vor dem Rennen. Aber was die<br />

schiere Anzahl von Anstiegen angeht, erschien das<br />

diesjährige Rennen auf dem Papier schwerer. Die<br />

hohe Konzentration von Anstiegen niedrigerer<br />

Kategorien plus einige lange Etappen – zum ersten<br />

Mal seit 2006 hatte das Rennen zwei Etappen über<br />

200 Kilometer – und dazu schlechtes Wetter machten<br />

das Rennen vielleicht auf andere Weise schwerer.<br />

ANSTIEGE DER DAUPHINÉ<br />

JAHR 4–3 2–1 HC TOTAL STRECKE<br />

<strong>2019</strong> 24 15 1 40 1.203 km<br />

2018 13 10 4 27 958 km<br />

2017 22 10 3 35 1.150 km<br />

2016 17 14 1 32 1.153 km<br />

2015 21 15 0 36 1.212 km<br />

© Getty Images<br />

AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 71


NACHLESE<br />

TOUR DE SUISSE / 15.–23.06.<strong>2019</strong><br />

BERNAL MACHT<br />

WEITEREN GRAND-<br />

TOUR-SCHRITT<br />

© Getty Images<br />

Egan Bernal und Rohan Dennis<br />

könnten unterschiedlicher nicht<br />

sein. Erst einmal liegt ein Altersunterschied<br />

von sieben Jahren zwischen<br />

ihnen, Bernal ist 22, Dennis 29. Bernal<br />

ist ein reiner Kletterer, Dennis Zeitfahr-<br />

Spezialist und amtierender Weltmeister<br />

in dieser Disziplin. Aber beide sind im<br />

Begriff, Gesamtsiege bei großen Rundfahrten<br />

in Angriff zu nehmen.<br />

Bei der Tour de Suisse machten die beiden<br />

den Sieg unter sich aus, wobei beide<br />

Fahrer ihre jeweils wirkungsvollste Waffe<br />

gegeneinander einsetzten. Dennis ist besser<br />

gegen die Uhr und gewann das Zeitfahren<br />

zum Auftakt, bevor er dem Kolumbianer<br />

beim zweiten auf der 8. Etappe<br />

mehr Zeit abnahm – weitere 19 Sekunden.<br />

Aber Bernal war der stärkste Kletterer<br />

des Rennens und distanzierte Dennis<br />

an den zwei Tagen in den Bergen mit<br />

29 Sekunden auf der 6. Etappe und 23<br />

auf der 7. Etappe. Das reichte Bernal zusammen<br />

mit den unterwegs gesammelten<br />

ERGEBNIS<br />

Bonussekunden zum Gesamtsieg, womit<br />

er jetzt seit 2017 fünf Etappenrennen gewonnen<br />

hat: Sibiu Cycling Tour, Colombia<br />

Oro y Paz, Kalifornien-Rundfahrt, Paris–<br />

Nizza und jetzt die Tour de Suisse. Die<br />

drei Letzteren sind auf WorldTour-Niveau.<br />

Tatsächlich war Bernal in den zwei Jahren,<br />

seit er bei Ineos unterschrieb, der erfolgreichste<br />

Rundfahrer des Teams und hat<br />

mehr gewonnen als Geraint Thomas und<br />

Chris Froome zusammen. Es ist bemerkenswert,<br />

dass Bernal gar nicht dafür vorgesehen<br />

war, Ineos bei der Tour de Suisse<br />

anzuführen, und erst in die Kapitänsrolle<br />

schlüpfte, nachdem Geraint Thomas auf<br />

der 3. Etappe gestürzt war und das Rennen<br />

aufgeben musste.<br />

Unterdessen ist Dennis an seine Transformation<br />

zum Grand-Tour-Kapitän ähnlich<br />

herangegangen wie die Rouleure Tom<br />

Dumoulin und Bradley Wiggins. Während<br />

Bernal im letzten Jahr 15. der Tour de<br />

France wurde, ist Dennis’ bestes Resultat<br />

bei einem dreiwöchigen Rennen bisher der<br />

16. Platz beim letztjährigen Giro d’Italia.<br />

Seit er in dieser Saison zu Bahrain-Merida<br />

wechselte, war sein bester Gesamtrang vor<br />

der Tour de Suisse ein fünfter bei der Tour<br />

Down Under im Januar.<br />

Nachdem Dennis die 1. Etappe – ein<br />

sehr flaches, 9,5 Kilometer langes Zeitfahren<br />

– erwartungsgemäß gewonnen<br />

hatte, gingen die folgenden Tagesabschnitte<br />

an Luis Léon Sánchez, Peter<br />

Sagan und Elia Viviani (zwei). Aber als<br />

auf der 6. Etappe die Berge kamen, fuhr<br />

Bernal in seiner eigenen Liga – wie schon<br />

in der ganzen Saison. Bei der Ankunft am<br />

Flumserberg, dem 8,5 Kilometer langen<br />

Anstieg, der am Gipfel mit 10,5 Prozent<br />

FAHRER TEAM ZEIT<br />

1 Egan Bernal Team Ineos 27.43.10<br />

2 Rohan Dennis Bahrain-Merida + 0:19<br />

3 Patrick Konrad Bora–hansgrohe + 3:04<br />

4 Tiesj Benoot Lotto Soudal + 3:12<br />

5 Jan Hirt Astana + 3:13<br />

Bernal in Gelb<br />

weit vorne im Peloton<br />

am letzten Tag<br />

der Tour de Suisse.<br />

Zeitfahr-Weltmeister<br />

Dennis<br />

gewann die erste<br />

Etappe und wurde<br />

Gesamt-Zweiter.<br />

5<br />

Etappenrennen<br />

in Egan Bernals<br />

Palmarès<br />

am steilsten ist, war er der beste Klassementfahrer<br />

und kam nur 17 Sekunden<br />

hinter Antwan Tolhoek ins Ziel, der aus<br />

der Spitzengruppe des Tages stammte.<br />

Einen Tag später, bei der Bergankunft am<br />

St. Gotthard, distanzierte Bernal Dennis<br />

und den Rest erneut, gewann die Etappe<br />

und fuhr ins Leadertrikot – mit einer<br />

so bissigen Beschleunigung, dass er auf<br />

2,7 Kilometern 41 Sekunden herausfuhr.<br />

Selbst beim Zeitfahren der 8. Etappe, ein<br />

flacher 19-Kilometer-Kurs, der ihm nicht<br />

lag, konnte Bernal seine Verluste gegenüber<br />

Dennis auf 19 Sekunden begrenzen.<br />

Derweil kann sich Dennis darüber freuen,<br />

dass er weitere Fortschritte macht,<br />

wenn auch nicht so schnell wie Bernal.<br />

Sein Klettern verbesserte sich im Laufe des<br />

Rennens, und auf der 9. und letzten Etappe<br />

nach Goms blieb Dennis bei Bernal, als<br />

der versuchte, ihn am Schlussanstieg des<br />

72 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


NACHLESE<br />

ROUTE D’OCCITANIE / 20.–23.06.<strong>2019</strong><br />

VALVERDE, DAS<br />

COMEBACK-KID<br />

Rennens, dem Furkapass, zu distanzieren.<br />

Bernal sicherte sich<br />

seinen Sieg mit einer<br />

solchen Leichtigkeit,<br />

dass sein<br />

Team nur wenige Tage<br />

später bekanntgab, er<br />

werde die Tour de France<br />

als Co-Kapitän neben<br />

Thomas bestreiten – nicht<br />

überraschend angesichts<br />

seiner Form, aber eine ungewöhnliche<br />

Entscheidung,<br />

wenn man bedenkt,<br />

dass Thomas der<br />

Titelverteidiger ist. Es<br />

wird weiteres Öl ins<br />

Feuer gießen, zumal<br />

die Frage nur zu sein<br />

scheint, wann er seine<br />

erste Grand Tour gewinnt.<br />

Hat Alejandro Valverde einen Sponsorenvertrag<br />

mit einem großen<br />

Akku-Hersteller? Wenn nicht,<br />

sollte er es seinen Leuten vorschlagen,<br />

aber pronto. Gerade wenn man denkt,<br />

dass ihm der Strom ausgeht, wie in diesem<br />

Frühjahr, als er mit den schlechtesten Resultaten<br />

seiner Karriere aus den Ardennen-Rennen<br />

hervorging, taucht er irgendwo<br />

anders wieder auf und bringt mehr<br />

Druck auf die Pedale denn je.<br />

53 Tage, nachdem er Lüttich mit einem<br />

angeschlagenen Steißbein aufgegeben<br />

hatte, griff der 39 Jahre alte Weltmeister<br />

bei der Route d’Occitanie wieder ins Geschehen<br />

ein und zeigte sich in alter Frische.<br />

Natürlich hat Valverde schon in der<br />

Vergangenheit nach längeren Pausen gewonnen<br />

– der Mann aus Murcia siegt<br />

meist früh in der Saison bei einem Rennen<br />

und bleibt dann bis Mitte September in<br />

Aktion. So gewann er eine Etappe der<br />

Tour Down Under 2012, nachdem seine<br />

rückwirkende zweijährige Dopingsperre<br />

abgelaufen war.<br />

Zugegeben, die vier Kilometer lange<br />

Côte d’Aubignac auf der 1. Etappe spielte<br />

Valverde in die Karten. Aber bevor er sich<br />

den Zehn-Sekunden-Bonus für den ersten<br />

Platz schnappen und das Leadertrikot sichern<br />

konnte, parierte er persönlich fünf<br />

Angriffe – zwei von Rigoberto Urán und<br />

je einen von Rein Taaramäe (Total-Direct<br />

Energie), Eddie Dunbar (Ineos) und Elie<br />

Gesbert (Arkéa-Samsic). In der Schlussphase<br />

gab Valverde die Rolle des Aufpassers<br />

am zweiten oder dritten Hinterrad auf<br />

und verschärfte von vorne das Tempo. Zu<br />

diesem Zeitpunkt war sich die kleine Spitzenreitergruppe<br />

ihres Schicksals wohl bewusst,<br />

aber unfähig, etwas gegen das Unvermeidliche<br />

zu tun. Wenn Valverde aus<br />

ERGEBNIS<br />

einer kleinen Gruppe heraus sprintet, gewinnt<br />

er meistens.<br />

Die 3. Etappe war die zweite, auf der<br />

das Klassement sortiert wurde, und führte<br />

auf sehr schweren 173 Kilometern über<br />

die Hourquette d’Ancizan, den Balès und<br />

den Hospice de France. Am Schlussanstieg<br />

fuhr Valverde ein gleichmäßiges<br />

Tempo und verteidigte sein Leadertrikot<br />

angesichts einer gefährlichen konzertierten<br />

Aktion von Ineos-Fahrer Iván Sosa<br />

und Urán. In der Schlussphase holte Valverde<br />

das Paar wieder ein und verteidigte<br />

sein Trikot gegen die Kolumbianer. Die<br />

konnten sich auf den zweiten und dritten<br />

Gesamtrang vorschieben, Valverde jedoch<br />

nicht entthronen – aber er ist eben auch<br />

ein Fahrer, dessen Akku länger hält.<br />

Nach einem schlechten Frühjahr meldete<br />

sich der Weltmeister mit einem Sieg zurück.<br />

FAHRER TEAM ZEIT<br />

1 Alejandro Valverde Movistar 18:04:42<br />

2 Iván Sosa Team Ineos + 0:<strong>08</strong><br />

3 Rigoberto Urán EF Education First + 0:17<br />

4 Tony Gallopin AG2R La Mondiale + 0:42<br />

5 Eddie Dunbar Team Ineos + 0:45<br />

© Getty Images<br />

AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 73


NACHLESE<br />

Deceuninck–Quick-Step<br />

Jumbo–Visma<br />

Astana<br />

Bora–hansgrohe<br />

UAE Emirates<br />

Mitchelton-Scott<br />

41<br />

31<br />

28<br />

27<br />

21<br />

21<br />

SIEGE<br />

PRO<br />

TEAM<br />

Israel Cycling Academy ........................17<br />

Team Ineos .................................... 16<br />

Movistar .......................................15<br />

Androni-Giocattoli ............................ 14<br />

Groupama-FDJ .................................13<br />

SIEGE<br />

PRO LAND<br />

58<br />

FRANKREICH<br />

40<br />

NIEDERLANDE<br />

55<br />

ITALIEN<br />

29<br />

KOLUMBIEN<br />

Lotto Soudal ...................................13<br />

Cofidis .........................................12<br />

Total Direct Energie ............................11<br />

EF Education First .............................10<br />

Vital Concept-B&B Hotels ......................9<br />

10<br />

DYLAN<br />

GROENEWEGEN<br />

JUMBO–VISMA<br />

SIEGE<br />

PRO FAHRER<br />

10<br />

JULIAN<br />

ALAPHILIPPE<br />

DECEUNINCK–<br />

QUICK-STEP<br />

9<br />

PRIMOŽ<br />

ROGLIČ<br />

JUMBO–VISMA<br />

Sam Bennett Bora–hansgrohe 7<br />

Caleb Ewan Lotto Soudal 6<br />

Elia Viviani Deceuninck–Quick-Step 6<br />

Bryan Coquard Vital Concept-B&B Hotels 6<br />

P. Ackermann Bora–hansgrohe 6<br />

M. van der Poel Corendon-Circus 5<br />

A. Kristoff UAE Emirates 5<br />

Jesús Herrada Cofidis 5<br />

Niccolò Bonifazio Total Direct Energie 5<br />

M. Schachmann Bora–hansgrohe 5<br />

Tadej Pogačar UAE-Emirates 5<br />

© Getty Images (Roglič), BettiniPhoto (Alaphilippe), Yuzuru Sunada (Groenewegen); Stand: 25.06.<strong>2019</strong><br />

GP DU CANTON D’ARGOVIE/ 13.06.<strong>2019</strong><br />

KRISTOFF ZUM<br />

DRITTEN SIEG<br />

IN DER SCHWEIZ<br />

Alexander Kristoff hat beim GP du Canton<br />

d’Argovie in der Schweiz seinen dritten<br />

Sieg gefeiert und ist der höchstdekorierte<br />

Sieger des Rennens in seiner 56-jährigen Geschichte.<br />

Der Sieg war der fünfte des Norwegers<br />

<strong>2019</strong> und kam in einem Monat, als sein Team<br />

UAE Emirates sieben Rennen gewann. Das Eintagesrennen<br />

findet im malerischen Kanton Aargau<br />

im Norden der Schweiz statt und wird ge prägt<br />

von einem achtmal zu absolvierenden Rundkurs<br />

mit dem 1,8 Kilometer langen Anstieg nach<br />

Schlatt. Die letzten sieben Auflagen endeten<br />

mit einem Massensprint, wobei Kristoff nach<br />

seinen Erfolgen von 2018 und 2015 zum dritten<br />

Mal gewann.<br />

FAHRER<br />

TEAM<br />

1 Alexander Kristoff UAE Emirates<br />

2 Andrea Pasqualon Wanty-Groupe Gobert<br />

3 R. J. van Rensburg Dimension Data<br />

SPAR FLANDERS TOUR / 16.06.<strong>2019</strong><br />

WIEBES FÜHRT<br />

MIT ACHT SIEGEN<br />

Die 20 Jahre alt Lorena Wiebes, die die<br />

meisten Siege im Frauen-Peloton zu<br />

Buche stehen hat, blieb der Konkurrenz<br />

mit ihrem achten Saisonsieg weiter einen Schritt<br />

voraus. Die Fahrerin von Parkhotel Valkenburg,<br />

die letztes Jahr Profi wurde, gewann den Massensprint<br />

bei der vollkommen flachen Spar Flanders<br />

Tour in Nijlen bei Antwerpen. Die Sprinterin<br />

Wiebes gewann bereits Nokere Koerse, Omloop<br />

van Borsele, eine Etappe der Tour de Yorkshire<br />

sowie alle drei Etappen und die Gesamtwertung<br />

der Tour of Chongming Island und ist so beständig,<br />

dass sie dazu sieben weitere Top-Fünf-Plätze<br />

erringen konnte.<br />

FAHRERIN<br />

TEAM<br />

1 Lorena Wiebes Parkhotel Valkenburg<br />

2 Elisa Balsamo Valcar Cylance Cycling<br />

3 Lotte Kopecky Lotto Soudal Ladies<br />

MONT VENTOUX CHALLENGE / 17.06.<strong>2019</strong><br />

HERRADA BEZWINGT<br />

ERSCHÖPFTEN<br />

BARDET<br />

Romain Bardet war der einzige Fünf-Sterne-<br />

Favorit beim ersten Mont Ventoux Dénivelé,<br />

obwohl er das Critérium du Dauphiné<br />

gefahren war und fünf Stunden ohne Pause im<br />

Auto gesessen hatte, um rechtzeitig am Start zu<br />

sein. Der AG2R-Kapitän startete seine Attacke<br />

8,5 Kilometer vor dem Ziel, konnte den Cofidis-<br />

Fahrer Jesús Herrada aber nicht abschütteln. Kurz<br />

vor dem Gipfel ließ der Spanier seinen erschöpften<br />

Rivalen einfach stehen. Herrada-Sportdirektor<br />

Roberto Damiani sagte, das Team habe das Rennen<br />

mit einem formstarken Herrada gezielt in Angriff<br />

genommen und ihn vom Critérium du Dauphiné<br />

zurückgehalten. Bei nur drei teilnehmenden<br />

WorldTour-Teams waren es tief hängende Früchte.<br />

FAHRER<br />

TEAM<br />

1 Jesús Herrada Cofidis<br />

2 Romain Bardet AG2R La Mondiale<br />

3 Rein Taaramäe Total Direct Energie<br />

74 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


NACHLESE<br />

Nicht nur beim<br />

Flèche Wallonne<br />

konnte Julian Alaphilippe<br />

(rechts)<br />

bisher in diesem<br />

Jahr glänzen.<br />

SIEGE PRO LAND – FRAUEN<br />

29 19<br />

18 11<br />

SIEGE<br />

PRO<br />

TEAM –<br />

FRAUEN<br />

15<br />

13<br />

NIEDERLANDE<br />

ITALIEN<br />

TOUR OF SLOVENIA / 19.–23.06.<strong>2019</strong><br />

GESCHICHTE WIEDER-<br />

HOLT SICH FÜR ULISSI<br />

IN SLOWENIEN<br />

AUSTRALIEN<br />

DEUTSCHLAND<br />

ZLM TOUR / 19.–23.06.<strong>2019</strong><br />

JUMBO–VISMA<br />

MIT NEUEM<br />

HÖHENFLUG<br />

Trek-Segafredo<br />

Team Virtu Cycling<br />

WNT-Rotor Pro Cycling<br />

Boels-Dolmans<br />

Mitchelton-Scott<br />

11<br />

11<br />

12<br />

Vor acht Jahren feierte Diego Ulissi bei der<br />

Slowenien-Rundfahrt seinen ersten Gesamtsieg<br />

– ein Erfolg, der auf einem Solosieg<br />

auf der 3. Etappe basierte. <strong>2019</strong> wiederholte<br />

der Italiener die Vorstellung auf exakt die gleiche<br />

Art. Er gewann die Gesamtwertung in Slowenien<br />

<strong>2019</strong>, nachdem er die 3. Etappe für sich entschied,<br />

die mit einer technisch sehr anspruchsvollen Abfahrt<br />

zu Ende ging. 2011, als Ulissi das erste Mal<br />

gewann, war er in seiner zweiten Saison als Profi<br />

und hatte gerade mit einem Etappensieg beim Giro<br />

seinen Durchbruch gefeiert. Dieses Mal baute Ulissi<br />

mit seinen zwei Siegen in Slowenien seine Ausbeute<br />

für die Jahre 2018 and <strong>2019</strong> auf vier aus.<br />

Ist es der Beginn einer neuen Reihe von Siegen?<br />

FAHRER<br />

TEAM<br />

1 Diego Ulissi UAE Emirates<br />

2 Giovanni Visconti Neri Sottoli–Selle Italia<br />

3 Aleksandr Vlasov Gazprom-RusVelo<br />

Bis Mai hatte Mike Teunissen in seiner Profikarriere<br />

nur einen einzigen Sieg gefeiert:<br />

den Prolog bei der Tour de l’Ain 2015. Doch<br />

der Holländer baute seine Ausbeute auf sechs Siege<br />

aus: Er holte zwei Etappen und die Gesamtwertung<br />

der Vier Tage von Dünkirchen sowie die Gesamtwertung<br />

der ZLM Tour. Wie in Dünkirchen<br />

dominierte sein Jumbo–Visma-Team: Jos van Emden<br />

gewann den Prolog, Dylan Groenewegen zwei<br />

Sprints und Amund Grøndahl Jansen die wellige<br />

3. Etappe. Beständigkeit verhalf Teunissen zum<br />

Gesamtsieg; er war Zweiter beim Auftaktzeitfahren<br />

und auf der entscheidenden 3. Etappe. Seine<br />

gute Form nahm der Niederländer in die Tour de<br />

France mit, wo er die erste Etappe für sich entschied.<br />

FAHRER<br />

TEAM<br />

1 Mike Teunissen Jumbo–Visma<br />

2 Amund G. Jansen Jumbo–Visma<br />

3 Mads W. Schmidt Katusha-Alpecin<br />

SIEGE PRO<br />

FAHRERIN<br />

6 8 6<br />

MARTA<br />

BASTIANELLI<br />

TEAM VIRTU<br />

CYCLING<br />

LORENA<br />

WIEBES<br />

PARKHOTEL<br />

VALKENBURG<br />

KIRSTEN<br />

WILD<br />

WNT-ROTOR PRO<br />

CYCLING<br />

Arlenis Sierra Astana 5<br />

Jutatip Maneephan Thailand W. Team 5<br />

Chloe Dygert Sho-Air Twenty 20 5<br />

Marianne Vos CCC Liv 4<br />

Brodie Chapman Tibco-Silicon Valley 4<br />

© Velofocus (Bastianelli), Getty Images, Luc Claessen/Getty Images (oben)<br />

AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 75


NACHLESE<br />

Fahrer im Fokus<br />

DAVIDE FORMOLO<br />

© Chris Auld<br />

Davide Formolos 15. Platz beim Giro d’Italia<br />

im Mai war … ein ganz ordentliches<br />

Resultat. Er verlor 22:38 Minuten auf<br />

den Sieger Richard Carapaz und ließ sich während<br />

des gesamten Rennens blicken. Er ging auf der<br />

17. Etappe nach Antholz in die frühe Ausreißergruppe,<br />

kam durch und nahm seinen Rivalen in der<br />

Gesamtwertung fast zwei Minuten ab. Damit war<br />

er Gesamt-Zehnter mit 8:59 Minuten Rück stand,<br />

brach aber auf der letzten Bergetappe komplett ein<br />

und verlor zwölf Minuten auf die Favoriten.<br />

Formolo hat bei großen Rundfahrten schon höher<br />

und besser abgeschnitten. Er<br />

war Zehnter des Giro 2017 und<br />

2018 sowie Neunter der Vuelta<br />

2016 mit 13:17 Minuten Rückstand<br />

auf Nairo Quintana. Er fuhr<br />

bei Tirreno–Adriatico, der Tour<br />

de Suisse und der Tour de Pologne<br />

in die Top Ten. Seine Bilanz bei<br />

Eintagesrennen weist zweite Plätze<br />

bei Lüttich–Bastogne–Lüttich<br />

<strong>2019</strong> und der italienischen<br />

Meisterschaft 2014 auf – ein<br />

Resultat, an das er anknüpfte,<br />

indem er die Trikolore in diesem<br />

Jahr gewann. Seine sichtbarste<br />

Leistung lieferte er bisher beim<br />

Giro d’Italia 2015 ab, wo er einen<br />

Etappen sieg auf einer schweren,<br />

hügeligen Etappe nach La Spezia<br />

holte. Er ist ein guter Kletterer und spritzig auf<br />

kürzeren Hügeln.<br />

Formolo ist nicht mehr jung, aber noch in der<br />

ersten Hälfte seiner Karriere. Mit 26 Jahren sind<br />

drei Top-Ten-Plätze bei großen Rundfahrten ein<br />

Zeichen der Hoffnung. Die Frage ist allerdings,<br />

ob er darauf aufbauen und sich steigern kann. Er<br />

scheint auf dem zehnten Platz mit 15 bis 20 Minuten<br />

Defizit festzustecken. Und angesichts von<br />

etablierten und aufstrebenden Klassementfahrern<br />

in seinem Bora-Team – Rafał Majka, Emanuel<br />

Buchmann und Patrick Konrad – scheint Formolo<br />

weiter die zweite Geige zu spielen.<br />

FORMOLOS GROSSE ERFOLGE<br />

TIRRENO–ADRIATICO<br />

VOLTA A CATALUNYA<br />

LÜTTICH–BASTOGNE–LÜTTICH<br />

GIRO D’ITALIA<br />

TOUR DE SUISSE<br />

IT. STRASSEN MEISTERSCHAFT<br />

POLEN-RUNDFAHRT<br />

VUELTA A ESPAÑA<br />

’14 ’15 ’16 ’17 ’18 ’19<br />

7<br />

2<br />

16<br />

27<br />

32<br />

31<br />

DNF<br />

9<br />

47<br />

9<br />

4<br />

9<br />

7 22<br />

15 12 DNF 20<br />

23 7 2<br />

31 10 10 15<br />

74 1<br />

8<br />

22<br />

WAS WIR<br />

DIESEN MONAT<br />

GELERNT HABEN<br />

VAN AERT ist der neue VAN<br />

DER POEL.<br />

Anfang <strong>2019</strong> sprachen alle davon, dass<br />

Mathieu van der Poel der neue Wout Van<br />

Aert sei – ein Cyclocrosser, der plötzlich<br />

auf der Straße aufgetaucht und seine erste Klas -<br />

siker-Saison auf allerhöchstem Niveau gefahren<br />

war. Die Leistungen des Holländers <strong>2019</strong>, als er<br />

Amstel Gold, den Brabantse Pijl und Dwars door<br />

Vlaanderen gewann, stellten sogar die von Van<br />

Aert in den Schatten, der im Vorjahr mit einem<br />

dritten Platz beim Strade Bianche und einem<br />

neunten bei der Flandern-Rundfahrt beeindruckt<br />

hatte. Van Aerts Klassiker-Kampagne <strong>2019</strong> war<br />

eine geringfügige Verbesserung gegenüber 2018<br />

– er war wieder Dritter beim Strade Bianche,<br />

Sechster bei Mailand–San Remo, Zweiter beim<br />

E3 und 14. bei der Ronde.<br />

Aber wenn van der Poel Van Aert den Wind<br />

aus den Segeln nahm, war die Leistung des Belgiers<br />

beim verregneten Critérium du Dauphiné<br />

ein Sonnenstrahl. Er sprintete auf der 1. Etappe<br />

auf den dritten Platz. Zwei Tage später setzte<br />

er noch einen drauf und wurde in einem flachen<br />

Sprint Zweiter hinter einem unbändigen Sam<br />

Bennett. Und dabei sollte das Beste noch kommen:<br />

Er gewann das Zeitfahren auf der 4. Etappe<br />

mit 31 Sekunden Vorsprung auf Tejay van Garderen,<br />

einem Spezialisten, und schlug dann Bennett<br />

im Massensprint der 5. Etappe.<br />

So starke Leistungen als Allrounder veranlassten<br />

die Experten sofort zu Spekulationen, was er<br />

bei der Tour de France ausrichten könnte. Van<br />

Aert erreichte beim Critérium du Dauphiné ein<br />

höheres Niveau und zeigte, dass er ein Siegfahrer<br />

im Flachen, bei Zeitfahren und bei den Klassikern<br />

ist. Während bei Greg Van Avermaet und Philippe<br />

Gilbert das Ende der Karriere näher rückt, scheint<br />

Van Aert ein neuer Straßenstar für die belgischen<br />

Fans zu sein.<br />

76 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


NACHLESE<br />

TAKTIK-TIPPS: EINFACH GUT KLETTERN<br />

Bernals Überlegenheit<br />

in den Bergen<br />

brachte ihm<br />

einen Tageserfolg<br />

und den Gesamtsieg<br />

bei der Tour<br />

de Suisse ein.<br />

Bei aller taktischen Komplexität und<br />

Schattierung des Radsports ist der<br />

direkteste Weg zum Sieg manchmal<br />

ein ganz einfacher: der stärkste Fahrer<br />

zu sein. Im Kontext eines gebirgigen Etappenrennens<br />

ist dies noch weniger uneindeutig:<br />

Sei der stärkste Kletterer, und du<br />

hast eine sehr gute Chance zu gewinnen.<br />

Die Etappenrennen im Juni folgten alle<br />

diesem Muster. Jakob Fuglsang war der<br />

stärkste Kletterer des Critérium du Dauphiné,<br />

und indem er Zweiter auf der entscheidenden<br />

Bergetappe wurde, der Bergankunft<br />

in Pipay am vorletzten Tag, und<br />

sich auf den anderen schweren Etappen<br />

durchgehend gut platzierte, konnte er es<br />

sich leisten, ein weitgehend defensives<br />

Rennen zu fahren. Bei der Tour de Suisse<br />

war klar, wer am besten kletterte – Egan<br />

Bernal schüttelte seine Rivalen ab und<br />

wurde Zweiter am Flumserberg und Erster<br />

am Gotthardpass. Sein dritter Platz hinter<br />

dem späteren Zweitplatzierten Rohan<br />

Dennis auf einer sehr schweren Schlussetappe,<br />

die dreimal über 2.000 Meter hi -<br />

n ausführte, zeigte, dass Bernals Gesamtsieg<br />

verdient war, obwohl Dennis auf den<br />

beiden Zeitfahretappen ein bisschen vom<br />

Vorsprung des Kolumbianers abgeknapst<br />

hatte. Derweil gab es in Frankeich bei der<br />

Route d’Occitanie zwei Hügelankünfte.<br />

Alejandro Valverde gewann die erste in<br />

Saint-Géniez-d’Olt-et-d’Aubrac und war<br />

Zweiter am Hospice de France. Je schwerer<br />

das Rennen, so scheint es manchmal,<br />

desto leichter ist es zu gewinnen.<br />

© Chris Auld<br />

AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 77


NACHLESE<br />

EINTAGESSIEGE<br />

GROSSE<br />

ERFOLGE<br />

Es ist keine Überraschung, dass Deceuninck–Quick-Step <strong>2019</strong> bisher<br />

die meisten Eintagesrennen gewinnen konnte – das Team dominierte<br />

die Klassiker und war das beste Klassiker-Team der vergangenen Jahre.<br />

Wir haben alle Siege und Podiumsplätze der WorldTour-Teams addiert, und<br />

was überrascht, ist, wie wenige andere Teams Siege geholt haben. Bei Redaktionsschluss<br />

hatten nur sieben andere Teams mehr als ein einziges Eintagesrennen<br />

gewonnen, während mit Dimension Data und CCC zwei Teams noch<br />

gar keinen Eintagessieg zu Buche stehen hatten.<br />

Der Radsport wird immer noch von den fünf Monumenten, den drei<br />

großen Rundfahrten und der Weltmeisterschaft dominiert. Und es<br />

sind die Resultate bei diesen Rennen, die letztlich über den Erfolg der<br />

Saison eines Teams entscheiden. Da vier Monumente – San Remo, Flandern,<br />

Roubaix und Lüttich – und der Giro schon Geschichte sind, haben wir nach<br />

den bestplatzierten Fahrern jedes WorldTour-Teams bei diesen Rennen gesucht.<br />

Dann haben wir sie nach ihren besten Einzelresultaten geordnet.<br />

TEAM M–SR F-R P–R L–B–L G D’I<br />

1 Deceuninck–Quick-Step 1 2 1 16 33<br />

2 EF Education First 9 1 4 5 11<br />

Deceuninck–<br />

Quick-Step<br />

Siege: 15<br />

Platz 2/3: 10<br />

Astana<br />

Siege: 2<br />

Platz 2/3: 5<br />

Trek-<br />

Segafredo<br />

Siege: 1<br />

Platz 2/3: 6<br />

Bora–<br />

hansgrohe<br />

Siege: 10<br />

Platz 2/3: 9<br />

Jumbo–<br />

Visma<br />

Siege: 2<br />

Platz 2/3: 4<br />

Team<br />

Ineos<br />

Siege: 1<br />

Platz 2/3: 5<br />

UAE<br />

Emirates<br />

Siege: 4<br />

Platz 2/3: 9<br />

Movistar<br />

Siege: 2<br />

Platz 2/3: 2<br />

Bahrain-<br />

Merida<br />

Siege: 1<br />

Platz 2/3: 3<br />

AG2R La<br />

Mondiale<br />

Siege: 4<br />

Platz 2/3: 7<br />

Lotto<br />

Soudal<br />

Siege: 1<br />

Platz 2/3: 5<br />

Team<br />

Sunweb<br />

Siege: 1<br />

Platz 2/3: 1<br />

Groupama-<br />

FDJ<br />

Siege: 3<br />

Platz 2/3: 7<br />

Mitchelton-<br />

Scott<br />

Siege: 1<br />

Platz 2/3: 3<br />

Dimension<br />

Data<br />

Siege: 0<br />

Platz 2/3: 3<br />

EF Education<br />

First<br />

Siege: 3<br />

Platz 2/3: 4<br />

Katusha-<br />

Alpecin<br />

Siege: 1<br />

Platz 2/3: 2<br />

CCC<br />

Team<br />

Siege: 0<br />

Platz 2/3: 2<br />

3 Astana 15 72 25 1 7<br />

4 Movistar 7 8 73 7 1<br />

5 Bora–hansgrohe 4 11 5 2 6<br />

6 Bahrain-Merida 5 24 14 8 2<br />

7 Katusha-Alpecin 17 5 2 22 10<br />

8 AG2R La Mondiale 2 7 13 21 29<br />

9 Jumbo–Visma 6 14 7 17 3<br />

10 Team Ineos 3 18 21 10 9<br />

11 UAE Emirates 14 3 56 18 14<br />

12 Mitchelton-Scott 10 21 43 4 8<br />

13 Trek-Segafredo 34 19 27 26 5<br />

14 Groupama-FDJ 32 28 11 6 13<br />

15 Sunweb 11 6 44 30 34<br />

16 Lotto Soudal 29 9 29 11 51<br />

17 CCC Team 42 10 12 41 21<br />

18 Dimension Data 20 32 45 43 32<br />

ZAHLENMÄSSIGE STÄRKE<br />

© Getty Images<br />

Drei Teams haben den diesjährigen<br />

Giro d’Italia mit einem<br />

kompletten Satz Fahrer beendet:<br />

Bora, Movistar und Astana.<br />

Wir haben uns alle vier<br />

großen Rundfahrten seit der<br />

Umstellung auf achtköpfige<br />

Teams Anfang 2018 angeschaut<br />

und die WorldTour-<br />

Teams nach der durchschnittlichen<br />

Zahl ihrer ins Ziel gekommenen<br />

Fahrer sortiert.<br />

Team Giro ’18 Tour ’18 Vuelta ’18 Giro ’19 Ø<br />

Bora–hansgrohe 7 8 7 8 7,5<br />

Mitchelton-Scott 8 7 8 7 7,5<br />

Movistar 7 7 8 8 7,5<br />

Jumbo–Visma 8 7 8 7 7,5<br />

Astana 7 6 8 8 7,25<br />

Trek-Segafredo 8 7 7 7 7,25<br />

EF Education First 7 7 8 6 7<br />

Bahrain-Merida 7 7 6 7 6,75<br />

Groupama-FDJ 5 8 7 7 6,75<br />

Team Giro ’18 Tour ’18 Vuelta ’18 Giro ’19 Ø<br />

Team Ineos 7 7 6 7 6,75<br />

AG2R La Mondiale 7 5 7 7 6,5<br />

UAE Emirates 7 8 6 5 6,5<br />

CCC Team 6 6 7 6 6,25<br />

D.–Quick-Step 8 5 7 5 6,25<br />

Sunweb 7 7 7 4 6,25<br />

Dimension Data 5 5 8 6 6<br />

Katusha-Alpecin 8 4 6 6 6<br />

Lotto Soudal 5 3 7 4 4,75<br />

78 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


NACHLESE<br />

Elia Viviani will bei der<br />

Tour in diesem Jahr<br />

weitere Siege für<br />

Deceuninck–Quick-<br />

Step einfahren.<br />

© Tim de Waele/Getty Images<br />

AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 79


RETRO<br />

PATRICK SERCU<br />

BESTER<br />

DER SECHS<br />

Die Bahnlegende Patrick Sercu war einer der Stars der 1970er;<br />

er kombinierte eine erfolgreiche Karriere auf der Straße mit beispiellosen<br />

88 Sechstage-Siegen, viele zusammen mit Eddy Merckx. Procycling<br />

blickt zurück auf die Karriere des „Pfeils von Izegem“,<br />

der im April dieses Jahres verstarb.<br />

Text William Fotheringham Fotografie Cor Vos<br />

Als Teenager verbrachte ich zwei Septemberabende,<br />

1979 und 1980, im dunklen<br />

Inneren des Wembley’s Empire Pool (der<br />

heutigen Wembley Arena), wo eine enge Holzbahn<br />

mit 51 Grad Gefälle für das Skol Six eingerichtet<br />

worden war. Ich hatte ein ruhiges Leben<br />

geführt und erlebte ein exotisches Spek takel,<br />

als es auf Mitternacht zuging: der Sound von<br />

Alan Elsdons Jazzband gegen das Hintergrundgeräusch<br />

der Radprofis, die über die Bretter<br />

sausten.<br />

Es gab längst vergessene Sechstage-Spezialisten<br />

wie Willy Debosscher und Nils Fredborg, britische<br />

Fahrer wie Maurice Burton, Paul Medhurst<br />

und Tony Gowland neben den importierten Australiern<br />

Don Allen, Danny Clark und anderen.<br />

Die Gestalt der Kette änderte sich ständig wie ein<br />

hypnotisches zweirädriges Kaleidoskop, bei dem<br />

ein Mann im Fokus stand.<br />

Das Zentrum von allem war der Boss: Patrick<br />

Sercu, hohe Wangenknochen, unergründlich,<br />

wie Eddy Merckx’ selbstbewussterer Zwillingsbruder,<br />

ein Mann, über den man hätte schreiben<br />

können – wie über Merckx geschrieben wurde –,<br />

dass er „die geschnitzten Gesichtszüge eines<br />

Totempfahls trug und ebenso oft in Lachen ausbrach“.<br />

Sercu war der Mann, der die Kette in den<br />

entscheidenden Momenten in die Länge zog, der<br />

den anderen sein Rennen aufzwang, der beim<br />

Skol 1979 Peter Posts Rekord von 65 Sechstage-Siegen<br />

einstellte und ihn im folgenden Jahr<br />

auf 72 hochschraubte.<br />

„Der absolute Monarch des Sechstagesrennens“,<br />

hieß es in einem Nachruf, als er im April<br />

dieses Jahres mit 74 Jahren starb. Sercu war der<br />

Merckx des Velodroms, ein Fahrer, der es von<br />

1965 bis 1983 auf 88 Sechstage-Siege brachte.<br />

Sich seine Liste von Erfolgen auf der Bahn anzuschauen,<br />

ist wie ein kurzer Blick in eine längst<br />

verlorene Welt, wo ein talentierter Allrounder<br />

von September bis März in Belgien, Holland,<br />

Deutschland und der Schweiz Rennen fahren<br />

konnte. Manchmal bildete er ein Duo mit einem<br />

Lokalmatador wie Gowland, manchmal wiederum<br />

mit einem Straßen-Star wie Merckx. So oder<br />

so gewann er oft.<br />

Als ich den „Pfeil von Izegem“ rund 30 Jahre<br />

später in seinem Haus bei Gent besuchte, traf ich<br />

einen ernsten und immer noch undurchdringlichen<br />

Mann. Seine Freundschaft mit Merckx hatte<br />

fast ein halbes Jahrhundert gedauert, seit ihre Väter<br />

sie zusammen in ein Jugend-Madison im Velodrome<br />

d’Hiver im Palais des Sports in Schaerbeek<br />

bei Brüssel geschickt hatten.<br />

Sie waren beide ruhige, sehr motivierte Burschen,<br />

die noch in den 1970ern zusammen<br />

Sechstagerennen fuhren; Sercus Anekdoten über<br />

ihn bildeten ein wichtiges Element, als ich die<br />

Merckx-Biografie Half Man, Half Bike schrieb.<br />

Meine liebste war die über den Tag, an dem Brooklyn<br />

Sercu kurzfristig zu Lüttich–Bastogne–Lüttich<br />

schickte, weil Roger de Vlaeminck sich krank gemeldet<br />

hatte.<br />

80 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 81


RETRO<br />

PATRICK SERCU<br />

Sercu und sein Vater machten sich mit dem Auto<br />

auf den Weg in die Wallonie; als sie auf der<br />

Hauptstraße von Brüssel nach Lüttich unterwegs<br />

waren – die Autobahn war noch nicht eröffnet –,<br />

sahen sie weit vor ihnen im Schneeregen einen<br />

einsamen Radfahrer. Es war Merckx, der sich<br />

selbst dafür bestrafte, dass er Flèche Wallonne in<br />

jener Woche nicht gewonnen hatte, indem er mit<br />

dem Rad von Zuhause ins Mannschaftshotel fuhr<br />

– an einem Tag, an dem, wie Sercu sagte, „niemand<br />

vor die Tür gegangen wäre“.<br />

Aber die andere Geschichte, die Sercu mir an<br />

dem Tag 2011 erzählte, wurde nie geschrieben:<br />

Es war die Geschichte vom König der Sechstagerennen,<br />

einem Mann, der Bahnrennen und die<br />

großen Etappenrennen auf der Straße sehr effektiv<br />

miteinander kombinierte – ein Musterbeispiel<br />

an Fähigkeiten, die das Velodrom einem Rennfahrer<br />

für den Straßenradsport auf höchstem<br />

Niveau mitgibt. Er war der letzte in einer großen<br />

Generation von Stars, die Straße und Bahn kombinierten<br />

und die über Peter Post und Rik Van<br />

Steenbergen auf die frühesten Tage des Radsports<br />

zurückging. Diese Tradition ist nicht ganz tot,<br />

aber die Grenzgänger sind weniger geworden.<br />

Einige moderne Radstars verbinden Bahn und<br />

Straße; Mark Cavendish, Fernando Gaviria und<br />

Elia Viviani konzentrieren sich auf die Straße,<br />

nehmen aber noch an Bahnrennen teil.<br />

SERCU TRUG AUCH<br />

DAS GELBE TRIKOT, UND<br />

ZWAR BEIM KÜRZESTEN<br />

INTERMEZZO IM MAILLOT<br />

JAUNE ALLER ZEITEN – ELF<br />

MINUTEN UND 24 SEKUNDEN.<br />

Die 223 Sechstagerennen, die Sercu fuhr, machen<br />

insgesamt vier Jahre seines Lebens aus,<br />

die er auf den Brettern oder in den Kabinen unter<br />

den Brettern verbrachte. Aber er war beileibe kein<br />

Spezialist, sondern der einzige Rennfahrer, der<br />

die Sprint-Weltmeisterschaft auf der Bahn und<br />

das Grüne Trikot der Tour de France gewinnen<br />

konnte, der insgesamt 19 Etappen des Giro und<br />

der Tour gewann. Er war (wahrscheinlich) auch<br />

der einzige Rennfahrer, der auf einer Bahn begann,<br />

die sein Vater nur für ihn instand gesetzt<br />

hatte. Kein Druck also.<br />

DER ROULEUR AUS ROULERS<br />

Sercu kam am 27. Juni 1944 in Roeselare in<br />

Westflandern zu Welt, einer Stadt, deren französischer<br />

Name, Roulers, vielleicht passt für den<br />

Geburtsort von mehr als einem berühmten<br />

Rennfahrer. Sein Vater Albert hatte bei der<br />

Straßen weltmeisterschaft 1947 die Silbermedaille<br />

geholt und im selben Jahr Omloop Het Volk<br />

gewonnen. Als der junge Patrick auftauchte, führte<br />

Albert ein Fahrradgeschäft und eine Kneipe in<br />

Rumbeke, wo einst der erste belgische Toursieger,<br />

der Gewinner von 1912, Odile Defraye, zu Hause<br />

war. Dieser hatte dort ein Stück Land gekauft,<br />

eine 167-Meter-Rennbahn aus Beton gebaut und<br />

ein Restaurant aufgemacht, wobei er Rennen auf<br />

der Bahn hinter dem Restaurant organisierte, um<br />

den Umsatz anzukurbeln.<br />

Die Bahn war steil, über 40 Grad; sie verfiel im<br />

Krieg, aber als sein Sohn mit dem Radsport begann,<br />

richtete Albert sie mit ein paar Freunden<br />

wieder her, sodass er dort Rennen für Patrick veranstalten<br />

konnte. Die Bahn, sagte Sercu mir<br />

2011, war noch da, stand unter Denkmalschutz<br />

und konnte nicht überbaut werden. Sie wurde<br />

jetzt aber nicht mehr genutzt und verkam.<br />

Patrick Sercu hatte den ersten seiner Sprint-<br />

Weltmeistertitel 1963 als 19 Jahre alter Amateur<br />

gewonnen – er sollte von 1965 bis 1969 weitere<br />

zwei Gold- und zwei Silbermedaillen holen –, und<br />

er startete bei Olympia 1964 in Tokio im belgischen<br />

Nationalteam mit Merckx und holte Gold im<br />

1.000-Meter-Zeitfahren. Im Winter fuhr er erstmals<br />

Sechstagerennen mit Merckx; im folgenden<br />

Jahr gingen beide zum Solo-Superia-Team, das<br />

von Rik Van Looy geleitet wurde. Damit begann<br />

das Muster, das Sercus Karriere prägen sollte: Er<br />

gab der Bahn den Vorrang, seine Abstecher auf die<br />

Straße dienten dem Formaufbau für den Winter.<br />

Er machte in einem typischen Jahr zweimal<br />

zwei Wochen Pause, fuhr das ganze Frühjahr<br />

über, nahm meist den Giro d’Italia mit, ruhte sich<br />

im Juli aus und kehrte dann nach Italien zurück,<br />

um sich auf den Herbst und Winter vorzubereiten.<br />

Er staubte ein Handvoll Etappen beim Giro ab –<br />

zwischen einer und drei in den meisten Jahren<br />

von 1970 bis 1976 (insgesamt 13) – und konnte<br />

Top-Ten-Plätze bei allen flacheren Klassikern<br />

holen, darunter Paris–Roubaix und die Flandern-<br />

Rundfahrt, und es fehlte nicht viel zu Siegen beim<br />

Omloop Het Volk und Gent–Wevelgem.<br />

Da er sich im Juli ausruhte, verpasste er die<br />

Tour de France, aber das störte italienische Spon-<br />

Sercu fuhr in seiner zwei Jahrzehnte<br />

dauernden Karriere 223 Sechstagerennen.<br />

82 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


soren wie Brooklyn nicht. „Deswegen war ich<br />

30, als ich die Tour zum ersten Mal fuhr“, sagte<br />

er mir. 1974 hatte er ein Engagement bei Faema<br />

hinter sich, wo er sich mit dem umstrittenen Manager<br />

Lomme Driessens überworfen hatte, dessen<br />

Spitzname „Lomme der Lügner“ wohlverdient<br />

war. Danach war er für Dreher gefahren und mit<br />

Roger De Vlaeminck zu Brooklyn gegangen. „Ich<br />

hätte mir eine Karriere ohne die Tour nicht vorstellen<br />

können, und Brooklyn ging nur meinetwegen<br />

zur Tour.“<br />

Die Tour 1974 war die letzte, wo Merckx wirklich<br />

in Bestform war; es war der fünfte Sieg des<br />

Kannibalen in sechs Jahren, mit dem er den Rekord<br />

einstellte, und dort wurde der Begriff Brookmol<br />

geprägt. Die Verbindung aus Brooklyn und<br />

Molteni spiegelte das allgemeine Gefühl wider,<br />

dass Merckx und Molteni Sercus Kampf um das<br />

Grüne Trikot unterstützt oder zumindest nicht<br />

behindert hatten – er holte das Leibchen nach<br />

Etappensiegen an aufeinanderfolgenden Tagen in<br />

Saint-Malo und Caen sowie einem dritten Erfolg<br />

in Besançon.<br />

SERCUS BESTE<br />

ERGEBNISSE BEI<br />

EINTAGESRENNEN<br />

TEAM JAHR ERGEB.<br />

KUURNE–BRUSSELS–KUURNE 1977 1.<br />

OMLOOP HET VOLK 1975 2.<br />

GENT–WEVELGEM 1970 5.<br />

MAILAND–SAN REMO 1976 7.<br />

FLANDERN-RUNDFAHRT 1970 7.<br />

PARIS–ROUBAIX 1969 8.<br />

PARIS–TOURS 1972 11.<br />

FLÈCHE WALLONNE 1969 15.<br />

Sercu wird von René Pijnen<br />

beim Rotterdam Six 1982, das sie<br />

gewannen, nach vorne geschleudert.<br />

Sercu trug auch das Gelbe Trikot, und zwar beim<br />

kürzesten Intermezzo im Maillot Jaune aller Zeiten:<br />

Er holte es auf dem ersten Teil der 6. Etappe<br />

nach Harelbeke in seinem heimatlichen Westflandern<br />

am Vormittag des 3. Juli und trug das<br />

Führungstrikot ganze neun Kilometer beziehungsweise<br />

elf Minuten und 24 Sekunden lang<br />

beim Mannschaftszeitfahren am Nachmittag,<br />

bevor es wieder an Gerben Karstens vom Bic-<br />

Team ging.<br />

„1974 bin ich alles gefahren. Die Tour de<br />

France, den Giro und jede Menge Kriterien: 200<br />

Renntage“, sagte mir Sercu. Brooklyn hatte im<br />

nächsten Jahr kein Interesse daran, wieder mit<br />

ihm in die Tour zu gehen, und 1976 rechnete er<br />

damit zu starten, erholte sich aber vom<br />

schlimmsten Sturz seiner Karriere, einer Kollision<br />

mit einem Fernsehkameramann auf der<br />

Ziellinie der Giro-Etappe nach Ozegnia. „Alle<br />

dachten, ich wäre tot“, sagt er. Er lag drei Stunden<br />

im Koma und litt immer noch unter<br />

Schwindel, als er zwei Monate später wieder auf<br />

der Bahn war.<br />

AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 83


84 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


RETRO<br />

PATRICK SERCU<br />

SENSATIONELLES SOLO<br />

1977 war Sercu entschlossen, zur Tour de France<br />

zurückzukehren, aber Brooklyn war immer noch<br />

unentschlossen; ihre Priorität war der italienische<br />

Markt, und sie wollten nur zur Tour, wenn Roger<br />

De Vlaeminck sie fahren wollte. The Gypsy hatte<br />

keine Lust – er hatte sich nie wirklich von seinem<br />

Versuch erholt, Merckx 1969 zu schlagen –, daher<br />

schloss sich Sercu seinem alten Freund, dem<br />

Kannibalen, beim Fiat-Team an, das der explo -<br />

sive und kämpferische Raphaël Géminiani managte.<br />

(„Ein lustiger Sportlicher Leiter“, reflektierte<br />

Sercu, „aber es war nicht schwer, Rennen zu<br />

gewinnen, wenn du Merckx unter deinen Fittichen<br />

hattest.“)<br />

Merckx hatte mittlerweile seinen Zenit überschritten<br />

– er sollte seine Karriere im folgenden<br />

Frühjahr beenden, ein Schatten seiner selbst –,<br />

aber Sercu holte in der Saison 18 Siege, darunter<br />

Kuurne–Brüssel–Kuurne und weitere drei Etappen<br />

der Tour. Zwei davon waren Massensprints;<br />

der erste Teil der 7. Etappe nach Angers, wo Fiat<br />

das Mannschaftszeitfahren am Nachmittag gewann,<br />

und die 46-Kilometer-Schleife von und<br />

nach Freiburg im Breisgau am Vormittag des französischen<br />

Nationalfeiertags. Aber es war der<br />

Etappensieg in Charleroi 36 Stunden vor Freiburg,<br />

der für Aufsehen sorgte: ein 175-Kilometer-Solo<br />

durch Belgien, das er kurz vor der Grenze in Roubaix<br />

gestartet hatte.<br />

Wie Sercu sagte, war es überhaupt nicht geplant<br />

und komplett verrückt. Er hatte den Massensprint<br />

im Velodrom von Roubaix gewonnen<br />

und strebte wieder das Grüne Trikot an. Am folgenden<br />

Morgen ging er in eine sechsköpfige Ausreißergruppe<br />

(in der das Gelbe Trikot Didi Thurau<br />

war), um die Punkte am ersten „Hotspot“-Sprint<br />

des Tages ab zuräumen. Nach dem<br />

Sprint nahmen seine Begleiter die<br />

Beine hoch, er aber fuhr weiter.<br />

„Es war nur aus Spaß, weil sie<br />

mich alle anschrien, nur um mich<br />

aufzuziehen“, sagte er.<br />

Er fuhr sofort eine Minute heraus.<br />

„Ich war wütend auf mich<br />

selbst, es war nicht meine Idee,<br />

weiterzufahren, aber ich wollte<br />

nicht die Beine hochnehmen, weil<br />

ich dachte, sie würden mich alle<br />

auslachen.“ Sein erstes Ziel war die<br />

Muur van Geraardsbergen; nachdem<br />

er sie überwunden hatte, wartete<br />

eine Prämie von 100.000 belgischen<br />

Francs vor der Aktienbörse<br />

in Brüssel. „Dort hatten sie ein Photofinish eingerichtet,<br />

aber das war gar nicht nötig, ich hatte einen<br />

Vorsprung von drei Minuten. Ich spürte die Pedale<br />

nicht richtig; da war eine riesige Menge, es waren<br />

alles Belgier, sie kannten mich alle und ich kannte<br />

88<br />

Sixday-<br />

Siege<br />

die meisten von ihnen. Raleigh leistete mittlerweile<br />

Nachführarbeit, aber sie konnten nichts ausrichten;<br />

Jan Raas fuhr zu Eddy Merckx auf und fragte<br />

ihn, ob ich in einem Auto sei.“<br />

Nach Brüssel war das nächste Ziel die Verpflegungszone;<br />

hier betrug sein Vorsprung sechs Minuten.<br />

„Ich dachte: Ich mache ein 100-Kilometer-Zeitfahren<br />

und nehme dann raus; dann dachte<br />

ich: Ich kann auch einfach weiter durchziehen. Ich<br />

hatte genug Zeit, um etwas zu essen<br />

und mir den Massensprint anzuschauen.“<br />

Doch Sercu litt noch<br />

unter den Nachwirkungen des<br />

Sturzes in Ozegnia; sein Rücken<br />

war so steif, dass er kaum die Trophäe<br />

hochheben konnte. Es war<br />

ein Sieg mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit<br />

von 42 km/h,<br />

der, wie der Journalist Geoffrey<br />

Nicholson damals schrieb, „zeigte,<br />

wie weit er sich als Allrounder entwickelt<br />

hatte“. Er brachte ihm auch<br />

40 lukrative Verträge bei Kriterien<br />

für die Zeit nach der Tour ein.<br />

Wie bei vielen anderen in jener<br />

Tour, bei der nur 53 Fahrer Paris<br />

erreichten, endete sein Rennen vorzeitig – in<br />

Alpe d’Huez nach der 17. Etappe. Merckx eröffnete<br />

das Rennen an dem Tag früh; das 30-köpfige<br />

Gruppetto bildete sich am ersten Berg und<br />

erreichte den Fuß der Alpe ungefähr zu der Zeit,<br />

als Hennie Kuiper oben die Ziellinie überquer -<br />

te. Sie wurden alle eliminiert. „An dem Abend<br />

schaute ich mich im Spiegel an“, sagte mir Ser -<br />

cu. „Ich war dünn und fertig. Ich kam zu dem<br />

Schluss, dass es nicht möglich war, eine Straßen-Saison<br />

und die Sechstagerennen zu absolvieren.“<br />

Von da an fuhr er nur noch für kleine<br />

belgische Teams, sodass er seine Saison genau<br />

so planen konnte, wie er wollte.<br />

Für Sercu waren die Sechstagerennen eine<br />

lukrative Sache. „Ich Winter verdiente ich doppelt<br />

so viel wie im Sommer; es ging alles ums Startgeld,<br />

nicht den Vertrag mit dem Team. Die Teams<br />

hatten ein kleines Budget, die Gehälter waren<br />

niedrig; ein Fahrer wie Van Looy gewann die Straßen-Weltmeisterschaft<br />

und fuhr dann zehn<br />

Sechstagerennen, um sein Geld zu verdienen. Die<br />

Sixdays waren genauso wie die Kriterien auf der<br />

Straße; je besser dein Palmarès, desto höher deine<br />

Gage.“ Das Aufkommen großer Team-Budgets<br />

und hoher Gehälter in den 1980ern änderte das<br />

komplett, killte sowohl Kriterien als auch Sechstagerennen<br />

und schnitt nach Meinung vieler, auch<br />

Sercus, die Stars der Straße vom Publikum ab.<br />

Sercu im belgischen Nationaltrikot<br />

bei der Bahn-WM in München 1978.<br />

AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 85


RETRO<br />

PATRICK SERCU<br />

Sercu (l.) und Eddy Merckx waren nicht<br />

nur Kollegen, sondern auch Freunde.<br />

ZEITENWECHSEL<br />

© Offside Sports Photography<br />

Eine Handvoll Winter-Bahnrennen überlebt, aber<br />

gerade so eben. Sercus Herzensprojekt Gent<br />

hängt teilweise von einem großen Kontingent anreisender<br />

britischer Fans ab. London wurde neu<br />

geboren; das heutige Format mit abendlichen statt<br />

nächtlichen Rennen entwickelte sich beim Skol in<br />

den späten 1960ern. Es war ein Moment, den<br />

Sercu zu genießen schien.<br />

„Der Direktor Ron Webb war der Vater der modernen<br />

Sechstagerennen; in London brauchtest du<br />

eine Lizenz, um eine Bar nach Mitternacht offenzuhalten,<br />

und Webb erkannte, dass er würde zahlen<br />

müssen, wenn er Fahrer zu einer Zeit fahren<br />

ließ, wo das britische Publikum nicht auftauchen<br />

würde. Früher fuhren wir von Mitternacht bis fünf<br />

Uhr morgens; Webb stellte das auf die Zeit von<br />

sechs Uhr abends bis Mitternacht um. Peter Post<br />

nahm das Format nach Rotterdam mit und alle<br />

machten es nach. Jetzt fahren sie in den Stunden,<br />

in denen wir uns früher ausruhten.“<br />

Als wir uns trafen, legte Sercu Wert darauf,<br />

mir die Bedeutung des Bahnradsports zu erklären,<br />

klarzumachen, was es ihm bedeutet hatte,<br />

was es gewesen war und was es sein sollte. Er war<br />

ein aus der Zeit gefallener Mann, der hart dafür<br />

gekämpft hatte, zu bewahren, was er für einen<br />

wichtigen Teil des Vermächtnisses des Radsports<br />

hielt. Er war Direktor des Velodroms in Gent geworden<br />

und hatte viel dazu beigetragen, dort die<br />

Tradition der Sechstagerennen aufrechtzuerhalten.<br />

Er protestierte, als ein Fahrer wie Bradley<br />

Wiggins – ein Mann mit einem Bahnhintergrund,<br />

der seinesgleichen sucht – nicht beim Sechstagerennen<br />

starten sollte, weil er sich auf die Tour<br />

konzentrieren musste.<br />

„Ich höre den Unsinn seit Jahren, dass, wenn<br />

ein Fahrer ein oder zwei Sechstagerennen fährt,<br />

er seine Form für das Frühjahr beeinträchtigt.<br />

Merckx hat 17 Sechstagerennen gewonnen.“ Um<br />

fair zu Wiggins zu sein: Er blieb Sercu treu und<br />

beendete seine Karriere bei dessen Gent Six, um<br />

den „König der Sechstagerennen“ in seinem Bemühen<br />

zu unterstützen, die Sechstagerennen am<br />

Leben zu erhalten. „Die Bahn ist die Grundschule<br />

des Radsports; ein Fahrer sollte sie an einem bestimmten<br />

Punkt besuchen“, schloss Sercu. „Aber<br />

das Problem ist, dass es nur von örtlichem Interesse<br />

ist, deswegen sind die größten Fahrer und die<br />

größten Teams nicht interessiert.“<br />

2 2<br />

PARIS–<br />

NIZZA<br />

ETAPPEN-<br />

SIEGE<br />

Für einen Bahnspezialisten war Patrick<br />

Sercu auf der Straße ausgesprochen<br />

erfolgreich. Vor allem bei Rundfahrten<br />

glänzte er; beim Giro d’Italia holte er<br />

insgesamt 13 Etappensiege.<br />

TOUR DE<br />

ROMANDIE<br />

4<br />

TIRRENO–<br />

ADRIATICO<br />

13<br />

GIRO<br />

D’ITALIA<br />

4<br />

CRITÉRIUM<br />

DU DAUPHINÉ<br />

6<br />

TOUR DE<br />

FRANCE<br />

86 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


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WUNSCHLISTE<br />

DIE PRODUKT-HIGHLIGHTS DES MONATS<br />

88 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


BMC ROAD­<br />

MACHINE<br />

01 ONE<br />

10.499 €<br />

www.bmc-switzerland.com<br />

Die Schweizer bleiben ihrer<br />

Formensprache treu und stellen<br />

mit der Roadmachine 2020 den -<br />

noch ein zukunftsweisendes Rennrad<br />

vor. Per „Tuned Complience<br />

Concept“ wird dem Allrounder<br />

hoher Fahrkomfort eingehaucht;<br />

beim Topmodell trägt auch das<br />

Carbon-Cockpit zur Vibrationsdämpfung<br />

bei. Ebenfalls hilfreich ist<br />

der große Reifendurchlauf. In der<br />

edlen Ausführung mit Sram Red<br />

eTap AXS 2 x 12 bietet das Rad<br />

einen unerreicht großen Übersetzungsumfang<br />

bis hinunter zu 1:1,<br />

womit es auch schwere Bergtouren<br />

mitmacht; als kleine Bike packing-<br />

Reverenz lässt sich am Oberrohr<br />

eine Tasche anbringen. 7,71 Kilo<br />

zuzüglich Pedale bringt dieses<br />

Traumrad auf die Waage. Die<br />

spitzenmäßige Ausstattung,<br />

zu der auch Enve-Laufräder<br />

und Tubeless-Reifen von<br />

Vittoria gehören, bedingt<br />

den hohen Preis.<br />

AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 89


WUNSCHLISTE<br />

THULE<br />

ROUNDTRIP<br />

TRANSITION<br />

699,95 €<br />

www.thule.com<br />

Der formschöne Fahrradkoffer weist<br />

zahlreiche praktische Merkmale auf, die<br />

dem Reisenden das Leben erleichtern.<br />

Laufradtaschen sind selbstverständlich<br />

dabei; weniger üblich ist ein integrierter<br />

Montageständer, der den Zusammenbau<br />

am Urlaubsort erleichtert. Steckachsenadapter<br />

(15 und 20 Millimeter) ver e in -<br />

fa chen die sichere Befestigung moder -<br />

ner Rennmaschinen; mit dem tiefen<br />

Deckel ist das Hineingreifen deut lich<br />

unkomp lizierter. Der mit soliden, leise<br />

laufenden Rollen versehene Rad koffer<br />

wiegt 17,5 Kilo und misst 137 x 40 x 94<br />

Zenti meter, womit er sehr kippsicher ist.<br />

100%<br />

S3 SOFT TACT FLUME<br />

HIPER RED MULTI­<br />

LAYER MIRROR LENS<br />

199 €<br />

www.ride100percent.com<br />

Der Trend zu großflächigen Brillen wurde nicht<br />

zuletzt durch Peter Sagan befeuert, auf dessen<br />

Nase die S3 prominent platziert ist. Ander als so<br />

manche schrille Sportbrille der Vergangenheit<br />

hat dieses Modell jedoch in erster Linie funktionelle<br />

Qualitäten: Die angenehm gewölbte,<br />

großflächige Scheibe bietet Schutz vor Zugluft<br />

und Fremdkörpern, mit gummierten Bügeln hält<br />

die Brille auch bei starker Schweißbildung fest<br />

am Kopf. Und dank des elastischen Materials sitzt<br />

sie angenehm, ohne zu drücken. Das Gestell wird<br />

in Italien gefertigt, die Scheibe in Frankreich;<br />

Wechselscheiben in diversen Ausführungen<br />

sowie mehrere Rahmenfarben gibt es natürlich<br />

auch noch.<br />

90 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


WUNSCHLISTE<br />

ASSOS<br />

TEAM<br />

DI MEN SION<br />

DATA<br />

170 / 200 €<br />

www.assos.com<br />

Assos hielt sich in Sachen<br />

Sponsoring lange vornehm<br />

zurück, doch inzwischen<br />

können sich zumindest die<br />

Profis von Dimension Data<br />

über das hochwertige Outfit mit<br />

den legendär komfortablen<br />

Radhosen freuen. Das RS Short<br />

Sleeve Jersey wird aus 3D-Strick<br />

mit hoher Elastizität gefertigt<br />

und verfügt über ein stabilisierendes<br />

Gewebe am Rücken, was<br />

bei vollen Taschen nützlich ist.<br />

Die Equipe RS Bib Shorts S9<br />

fallen mit der völlig neu<br />

konzipierten, minimalistischen<br />

Trägerpartie auf. Das Sitzpolster<br />

ist etwas kleiner geworden, soll<br />

aber nie gekannten Halt bieten<br />

und mit „MicroShock“-Schaum<br />

und gewaffelter Oberfläche<br />

Vibrationsdämpung und<br />

Kühlung bringen.<br />

AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 91


WUNSCHLISTE<br />

R2-BIKE<br />

EXTRALITE<br />

MCFK<br />

2.077,50 €<br />

www.r2-bike.com<br />

Kaum mehr als 1.200 Gramm wiegt der<br />

edle Radsatz, den r2 für Disc-Rennräder<br />

anbietet und der mit 26 Millimeter breit<br />

bauenden, 35 Millimeter tiefen Felgen<br />

auch aerodynamisch keineswegs unbe -<br />

gabt ist. Die in Leipzig per Monocoque-<br />

Verfahren gefertigten Felgen können<br />

schlauchlos gefahren werden und sind<br />

mit 17,5 Millimeter Maulweite auch auf<br />

Querfeldein-Bereifung zugeschnitten;<br />

8,5 bar Maximaldruck sprechen für<br />

große Stabilität. Das Minimalgewicht<br />

von 572 Gramm fürs Vorder- und<br />

647 Gramm fürs Hinterrad kommen<br />

auch durch die Extralite-Naben zustande,<br />

die auf Sechs-Loch-Rotoren zugeschnitten<br />

sind; auffällig ist die tangentiale<br />

Einspeichung links vorne, womit die<br />

Bremskräfte besser verdaut werden.<br />

92 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


WUNSCHLISTE<br />

TUNE<br />

ONE SHOT<br />

SEALANT<br />

13 € (120 ml)<br />

www.tune.de<br />

Der praktische Flachmann ist immer<br />

dabei, wenn ein größerer Tubeless-<br />

Defekt unterwegs Dichtmittel austreten<br />

lässt, und auch in herkömmliche Schläu -<br />

che lässt sich die Schwarzwaldmilch<br />

zum Abdichten einfüllen. Vor allem aber<br />

verspricht die Mischung ohne Ammoniak<br />

und Latex eine deutlich längere Haltbar -<br />

keit bzw. Wirksamkeit als herkömmliche<br />

Mittel – die synthetische Emulsion soll<br />

bis zu zwölf Monate lang Stiche und<br />

Schnitte versiegeln. Das Procycling-<br />

Schwestermagazin World of MTB verlieh<br />

der neuartigen Dichtmilch bereits das<br />

Siegel „Best of <strong>2019</strong>“ – das sagt alles.<br />

TUNAP SPORTS<br />

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PFLEGE<br />

Set Intensivreiniger/<br />

Antriebsreiniger/Kettenöl 38,85 €<br />

Rahmenpolitur 300 ml 12,95 €<br />

www.tunap.com<br />

Die neuen Radpflegemittel von Tunap<br />

werden unter anderem von Bahrain-<br />

Merida und Bora–hansgrohe in der<br />

WorldTour verwendet, was für hohe<br />

Wirksamkeit spricht. Mit dem Dreierset<br />

sind die wichtigsten Pflegemittel<br />

preisgünstig zu haben; wer sein Rad<br />

besonders liebt, gönnt ihm dazu die<br />

Rahmenpolitur, die auch vor mattem<br />

Lack nicht kapituliert – anders als so<br />

manches Profiteam, das aufgrund<br />

ungeeigneter Reinigungsmittel wieder<br />

zu „glänzend“ wechseln musste.<br />

Praktisch sind die Pinselaufsätze, die<br />

punktgenaues Reinigen des Antriebs<br />

und Ölen der Kette zulassen.<br />

AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 93


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Procycling erscheint monatlich bei<br />

WOM Medien GmbH<br />

Auwiesenstraße 1<br />

94469 Deggendorf<br />

info@wom-medien.de<br />

Ihr Procycling-Team<br />

Redaktionsleitung Dieter Steiner<br />

Textchef Caspar Gebel<br />

E-Mail info@procycling.de<br />

Ständige redaktionelle Mitarbeiter<br />

Chris Hauke, Dominik Ruiz Morales,<br />

Peter Cossins, Sam Dansie, Alasdair<br />

Fotheringham, Daniel Friebe, Werner<br />

Müller-Schell, Sadhbh O’Shea, Herbie<br />

Sykes, John Whitney, Jamie Wilkins,<br />

Cam Winstanley<br />

Layout Saskia Funke<br />

Übersetzungen Esther Kriegel<br />

Lektorat Helga Peterz<br />

Fotos Andreas Meyer, Getty Images,<br />

Jesse Wild (Cover)<br />

Objekt- und Anzeigenleitung<br />

Maximilian Seidl<br />

m.seidl@wom-medien.de<br />

Druck Mayr Miesbach GmbH<br />

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stella distribution GmbH<br />

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bzw. 79,90 Euro (Ausland).<br />

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16. Jahrgang<br />

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Das Magazin Procycling und die<br />

Internetseite procycling.de sowie<br />

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Herz der Republik<br />

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MAI <strong>2019</strong> | Nummer 183<br />

JUNI <strong>2019</strong> | Nummer 184<br />

Tom Dumoulin | Maximilian Schachmann | Mathieu van der Poel | Team Ineos | Sieben Gravel-Bikes im Test | Retro: Once<br />

PARIS–ROUBAIX<br />

Heiße Bilder aus der<br />

Hölle des Nordens<br />

„ICH HABE<br />

KEINE ANGST<br />

VOR DEM<br />

TEAM INEOS.“<br />

RICK ZABEL<br />

Neues Selbstvertrauen<br />

nach dem Sieg in Yorkshire<br />

EXKLUSIV-INTERVIEW<br />

TOM<br />

DUMOULIN<br />

ÜBER RUHM UND DRUCK<br />

JULI <strong>2019</strong> | Nummer 185<br />

Simon Yates | Giro-Vorschau | Pascal Ackermann | Radtest: Sechs Aerorenner von Cannondale bis Trek | Deutschland Tour<br />

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DAS<br />

BESTE<br />

RENNEN<br />

FRISCHES GELD<br />

Jim Ratcliffe:<br />

Der Mann hinter<br />

DER dem Team IneosWELT<br />

DER TITELVERTEIDIGER<br />

Geraint Wir Thomas fragen spricht Fahrer, über Manager<br />

seine Chancen RETRO: auf Gelb ONCE<br />

und Experten, warum sie<br />

Das spanische<br />

den Giro Superteam lieben<br />

DIE<br />

ANSTIEGE<br />

DES GIRO<br />

Diese Berge muss das<br />

Peloton <strong>2019</strong> erklimmen<br />

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PASCAL<br />

ACKERMANN<br />

Neues Jahr, neue Höhen?<br />

Der deutsche Meister<br />

im Gespräch<br />

der 1990er-Jahre<br />

SIMON YATES<br />

MAXIMILIAN<br />

SCHACHMANN<br />

In der Weltspitze angekommen<br />

RÜCKKEHR NACH ITALIEN –<br />

DER VUELTA-SIEGER WILL DAS ROSA TRIKOT<br />

MATHIEU<br />

VAN DER POEL<br />

Tour-Vorschau | Geraint Thomas | Degenkolb & Co. | Dylan Groenewegen | Romain Bardet | Nairo Quintana | La Course<br />

Vom Cross-Weltmeister<br />

zum Klassiker-Star<br />

DYLAN GROENEWEGEN<br />

Der niederländische Sprinter<br />

geht zuversichtlich in die Tour<br />

DEUTSCHE FAHRER<br />

Die Siegesprognosen der<br />

deutschen Tour-Hoffnungen<br />

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DAS LETZTE WORT<br />

JENS VOIGT<br />

Der Verlust großer Namen für die Tour lässt Jens fragen, wer Gelb gewinnen wird.<br />

© Getty Images<br />

Der Monat Juni hat bei mir<br />

mehr Fragen als Antworten<br />

über das große Rennen aufgeworfen,<br />

das ihr gerade alle anschauen<br />

werdet – die Tour de France.<br />

Ich war ein wenig verwirrt von der<br />

Abwesenheit so vieler großer Namen<br />

der Sprinter. Marcel Kittel befindet<br />

sich im selbst gewählten Exil, und<br />

wer weiß, was seine Zukunft bringt?<br />

André Greipel ist zwar dabei, scheint<br />

seine Beine für sein neues Team in<br />

dieser Saison aber noch nicht gefunden<br />

zu haben, und Mark Cavendish<br />

befindet sich nach der Überwindung<br />

des Epstein-Barr-Virus nicht im Aufgebot<br />

seines Teams.<br />

Ich weiß, dass die Genannten bereits<br />

als die alte Garde angesehen<br />

werden, aber bei diesen drei Fahrern<br />

sprechen wir von über 55 Etappensiegen<br />

in den letzten Jahren und<br />

über aufregende Schlachten.<br />

Die Helden meiner Jugend (darf<br />

ich das in meinem Alter sagen?)<br />

beginnen zu gehen und ich bin ein<br />

wenig traurig darüber. Natürlich<br />

gewinnt Peter Sagan immer noch,<br />

aber ich habe ihn noch nie als reinen<br />

Sprinter gesehen. Er ist einfach ein<br />

Weltklasse-Radfahrer. Obwohl er in<br />

diesem Jahr bisher nicht das letzte<br />

Prozent hatte, um ihn zu dem perfekten<br />

und spektakulären Fahrer zu<br />

machen, der er in den letzten fünf<br />

oder sechs Jahren war. Das ist normal<br />

und menschlich – nach so vielen<br />

Jahren auf höchstem Level verlangsamen<br />

sich Körper und Geist ein<br />

wenig. Vielleicht braucht er etwas<br />

mehr Konzentration, aber dieser<br />

Etappensieg bei der Tour de Suisse<br />

hat mir gezeigt, dass er vielleicht das<br />

Engagement und die Motivation finden<br />

kann, auch weiterhin ein Superstar<br />

zu sein. Wer weiß? Vielleicht<br />

hat er das bei der Tour schon gezeigt,<br />

wenn ihr das hier lest.<br />

Wir hatten eine ähnliche Situation<br />

bei den Klassementfahrern. Alle,<br />

die im Giro heftig gekämpft haben,<br />

ruhen sich jetzt aus, außer Vincenzo<br />

Nibali, der gesagt hat, dass diese<br />

Tour für Etappensiege und das Bergtrikot<br />

anstelle des Klassements<br />

stünde. Chris Froome stürzte beim<br />

Critérium du Dauphiné, und Tom<br />

Dumoulin zog sich mit seiner anhaltenden<br />

Knieverletzung von der Tour<br />

zurück. Selbst der Titelverteidiger<br />

Geraint Thomas zeigte bisher nicht<br />

die nötige Form.<br />

Was ist mit den Gewinnern?<br />

Als ich sah, wie Egan Bernal in der<br />

Schweiz gewann, war ich überzeugt,<br />

dass er auch die Tour leicht gewinnen<br />

könnte. Er ist jung und die ersten<br />

Vier der letztjährigen Tour sind<br />

entweder nicht beim Rennen oder<br />

nicht in Topform.<br />

Bei der Dauphiné öffnete sich<br />

die Tür für meinen alten Freund<br />

und Teamkollegen Jakob Fuglsang,<br />

der das Rennen zum zweiten Mal<br />

ICH ERINNERE MICH, ALS JAKOB ENDE<br />

20<strong>08</strong> NACH DEM SIEG BEI DER DÄNEMARK-<br />

RUNDFAHRT ZU MEINEM TEAM CSC KAM.<br />

ER BESASS UNGESCHLIFFENES TALENT<br />

UND EINEN MUTIGEN RENNSTIL.<br />

gewann. Was für ein tolles Jahr er<br />

hat. Er erreichte die Podien bei allen<br />

Ardennenklassikern, gekrönt<br />

durch den Sieg in Lüttich–Bastogne–Lüttich<br />

und eben nun auch die<br />

Dauphiné.<br />

Ich erinnere mich, als Jakob Ende<br />

20<strong>08</strong> nach dem Sieg bei der Dänemark-Rundfahrt<br />

zu meinem Team<br />

CSC kam. Er besaß ungeschliffenes<br />

Talent und einen mutigen Rennstil.<br />

Er zeigte nie Angst vor großen Namen<br />

und hatte immer ein kleines<br />

Lächeln auf den Lippen. Und er ist<br />

ein starker Fahrer in den Bergen und<br />

beim Zeitfahren.<br />

Nachdem er die Dauphiné gewonnen<br />

hat, wurde er natürlich zu einem<br />

Jens’ ehemaliger Teamkollege<br />

Fuglsang holte sich seinen zweiten<br />

Gesamtsieg bei der Dauphiné.<br />

Favoriten für die Tour. Bisher schien<br />

bei ihm bei der großen Schleife in<br />

Frankreich immer etwas schief zu<br />

gehen – entweder im Kopf oder in<br />

den Beinen –, aber ich drücke ihm<br />

die Daumen für dieses Jahr.<br />

Jens Voigt beendete seine Profi -<br />

karriere 2014 nach 18 Jahren.<br />

Der Berliner war einer der angriffslustigsten<br />

und beliebtesten Fahrer<br />

im Peloton. Unter anderem hielt er<br />

für 42 Tage den Stundenweltrekord.<br />

98 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>


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