Und dann saß sie da. Endlich. Nach Stunden, Tagen, Wochen des hektischen Wartens. Eveline Widmer-Schlumpf, die Hände auf dem Schoß, neben ihr der Regierungssprecher. Die Schweizer Finanzministerin setzte an und sprach zuerst – über die Energiestrategie. "Es gibt nichts gratis, meine Damen und Herren."

Nach ein paar Minuten dann die Worte, die die Journalisten im Saal herbeisehnten: Sie hat genug, die Bundesrätin tritt zurück. "Ich habe intensive Jahre hinter mir. Ich habe meine Arbeit gemacht, ich habe sie nicht schlecht gemacht – damit ist mein Auftrag erfüllt." Allerdings wolle sie bis Ende des Jahres bleiben und erledigen, was noch so drin sei in der Legislaturplanung. Sie habe sich diesen Schritt über Monate hinweg überlegt, mit ihrem engen Umfeld darüber gesprochen. Loslassen könne sie wohl besser als manch anderer. "Ich entscheide – und dann schaue ich nach vorne."

Etwas Besseres als Eveline Widmer-Schlumpf hätte den Schweizer Medien nicht passieren können. Denn: Geschichtenerzähler brauchen gute Figuren, am besten in der Hauptrolle. Und die Bundesrätin der Mittepartei BDP, obwohl als Person unspektakulär und unnahbar, spielte in den vergangenen acht Jahren diese Hauptrolle hervorragend.

Die flinke, kleine Frau gegen den SVP-Übervater Blocher

Alleine schon diese Symbolkraft: Sie, eine Frau aus dem Bündnerland, klein, zierlich und flink, als Antipodin von SVP-Übervater Christoph Blocher, dem alten, behäbig gestikulierenden Mann von der Züricher Goldküste.

Ihre Geschichte ist die einer zähen Kämpferin und bester Stoff für große Unterhaltung. Und damit auch für Verschwörungstheorien. Ihre Wahl in die Regierung im Jahr 2007: ein Showdown. Eine absolute Überraschung. Geprägt von politischer Taktiererei, Machtspielen und Intrigen.

Christoph Blocher, damals Justizminister, wird aus der Regierung abgewählt. Er tobt und droht – und trotzdem nimmt Widmer-Schlumpf, die Unbeirrbare, ihre Wahl an. Sie wird aus ihrer Partei ausgeschlossen und setzt sich mit ihrer Entscheidung über Jahre hinweg massivsten Anfeindungen der mächtigen SVP-Männer aus. Abgestempelt als Verräterin.

Je schwieriger die Situation, desto besser wird Widmer-Schlumpf. 2008, auf dem Höhepunkt der Finanzkrise, muss sie als Stellvertreterin das Finanzministerium von ihrem Kollegen übernehmen, dem FDP-Bundesrat Hans-Rudolf Merz. Er hatte einen Herzinfarkt. Widmer-Schlumpf rettet zusammen mit der Nationalbank die in Not geratene Schweizer Großbank UBS vor dem Bankrott. Zwei Jahre später nach dem Rücktritt von Finanzminister Merz übernimmt sie sein Ministerium ganz. Und tut, was lange Jahre undenkbar schien: Sie reguliert den Finanzmarkt, führt den automatischen Informationsaustausch ein – und vor allem: Sie schafft bei Geschäften mit dem Ausland das Schweizer Bankengeheimnis ab. Im Inland gelte das Bankengeheimnis noch, sagt Widmer-Schlumpf bei ihrer Rücktrittserklärung. So viel Präzision muss sein, auch beim Abschied.