Über 40 Kilometer hatten die Männer ihn abgeschirmt, doch ein paar hundert Meter vor dem Ziel ließen sie ihn ziehen. Es sollte sein Moment sein. Und er sollte für alle sichtbar sein. Eliud Kipchoge rannte voran und über die Ziellinie, erst seiner Frau in die Arme und dann direkt in die Massen. Er schnappte sich Kenias Flagge und lief zum Abklatschen zu den Zuschauern. So weit, so normal nach einem Marathon. Nur hat Kipchoge keine Konkurrenten geschlagen. Er hat die Grenzen des Machbaren verschoben und Geschichte geschrieben. 

Der Kenianer ist am Samstagmorgen in Wien als erster Mensch der Welt einen Marathon in unter zwei Stunden gelaufen. Die "Ineos 1:59 Challenge" ist geglückt: Bei 01:59:40 Stunden blieb die Uhr stehen. "Rennt einfach. Zusammen könnt ihr die Welt zu einem wunderschönen Platz machen", sagte er im Ziel, sprach von der Positivität des Sports, von Inspiration für die Menschen. "No human is limited", es gibt keine Grenzen, für niemanden, so seine Botschaft. 

"Superhuman", übermenschlich, nannte es Jim Ratcliffe, der mit seinem Chemieunternehmen Ineos das Projekt finanzierte. Er hatte das Rennen am Rand der Strecke unter gelben Kastanien verfolgt. Die Schlagzeilen sind dem Konzern mit der Zeit sicher.

Was macht das mit dem Sport – und den Sportlern?

Der US-Mediziner Mike Joyner hatte schon 1991 berechnet, dass ein Marathon unter zwei Stunden möglich ist. 01:57:58 wären demnach theoretisch das Schnellste, was ein idealer Mensch unter idealen Bedingungen – Laborbedingungen – laufen könnte. Also versuchte das Unternehmen Kipchoge diesen Rahmen zu geben.

Sie entschieden sich für Wien, weil die Strecke flach und von Bäumen geschützt ist. Sie frästen die Strecke und legten neuen Asphalt, weil der alte auf dem 9,6-Kilometer-Rundkurs zu rau schien. Sie wählten Datum und Uhrzeit mit Blick auf den Wetterbericht. Regnen und winden sollte es nicht, nicht zu warm und nicht zu kalt sollte es sein. Am Ende wurden es neun Grad an einem vernebelten Herbstmorgen. Kein Laubblatt lag auf der Strecke. 

Ist das noch das Menschenmögliche? Es ist jedenfalls weit weg von dem, was für einen Menschen allein möglich ist. Auch wenn sich die Erzählung auf Kipchoge konzentrierte, waren hinter dem Ausnahmeläufer vor allem Wissenschaftler, die den Lauf und das Material über Monate bis ins Letzte planten und justierten. 

In der Vorbereitung und auch an diesem Samstag war immer wieder von Inspiration die Rede. Es sollte nicht nur Sportgeschichte geschrieben, sondern eine neue Ära geprägt werden. Von der Mondlandung des Marathons war die Rede. Kipchoge, hieß es, wolle die neue Generation und überhaupt alle Menschen inspirieren. Jeder Mensch könne mehr erreichen, als er selbst glaube. Grenzen, sagt er, gibt es nicht. Es ist eine Heldenerzählung, die perfekt auf den stillen Läufer aus dem kenianischen Dorf Kaptagat zugeschnitten ist.