Die Welt hat sich verlangsamt, steht und stand in diesen Monaten beinahe still. Menschen überall auf der Welt gehen nicht zur Arbeit, Fabriken fahren ihre Produktionen herunter, Exporte sind eingebrochen. Erst diese Woche meldeten Forscher im Magazin Nature Climate Change, dass die Treibhausgaswerte in diesem Jahr dramatisch zurückgegangen sind (Le Queré et al., 2020). Man könnte denken, dass sich durch die Beschränkungen der Pandemie die Natur ein wenig erholen kann. Dass das nicht überall der Fall zu sein scheint, vermeldet jetzt die Naturschutzorganisation WWF.

Die Umweltschützerinnen und -schützer haben sich angeschaut, wie viel Tropenwald im März 2020 zerstört wurde, verglichen mit dem gleichen Zeitraum in den vergangenen vier Jahren. Das Ergebnis: In fast allen betrachteten Ländern hat die Abholzung zugenommen und das trotz des neuen Coronavirus, das zu dieser Zeit bereits weltweit drastische Folgen auslöste. 

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Als Datengrundlage dienen Satellitenbilder von 18 Ländern mit tropischem Regenwald in Asien, Afrika und Südamerika. Insgesamt soll im März 2020 eine Waldfläche von rund 645.000 Hektar zerstört worden sein, also mehr als 900.000 Fußballfelder. Insgesamt lagen die Verluste rund 150 Prozent über dem März-Durchschnitt der Jahre 2017 bis 2019. "Alles weist darauf hin, dass wir es bei der explodierenden Waldzerstörung mit einem Corona-Effekt zu tun haben", sagt Christoph Heinrich, Vorstand Naturschutz beim WWF Deutschland. 

Was diese ersten Beobachtungen für die weiteren Monate bedeuten, lässt sich noch nicht sagen, denn wie viel Wald verloren geht, verändert sich auch über ein Jahr hinweg. Schaut man sich etwa den Jahresverlauf 2019 an, zeigen sich in manchen Ländern noch weit größere Schwankungen als aktuell, etwa weil im August und September in Brasilien und im Oktober in Kolumbien riesige Gebiete abgebrannt sind. Schon jetzt aber ist auffällig, dass auf allen drei Kontinenten mehr Wald als in derselben Zeit der Vorjahre verschwunden ist.

Illegale Abholzung im Schatten der Pandemie

Die meiste Waldfläche wurde wohl mit mehr als 300.000 Hektar in Asien vernichtet. Im Vergleich zum März in den Vorjahren ist das ein Zuwachs von 148 Prozent.

Allein in Indonesien wurden mehr als 130.000 Hektar gerodet, so viel wie in keinem anderen Land der Welt. Nachvollzogen haben die WWF-Experten das anhand von Fernerkundungsdaten der Landsat-Satelliten der Nasa, die täglich Runden um die Erde ziehen. Aufbereitet werden die Daten von dem Projekt Global Forest Watch.

"Jede Woche wird auf jeweils 30 mal 30 Metern die Baumkronenbedeckung ausgewertet. Für jedes Bildpixel gibt es einen Wert zwischen null und hundert. Wenn mehr als die Hälfte verändert ist, wird ein Alarm ausgelöst, der angibt, dass eine Störung vorliegt," sagt die WWF-Spezialistin Aurélie Shapiro. Und die Waldökologin Susanne Winter ergänzt, dass man so sehe, wo Bäume waren und wo nun keine mehr sind. "Natürliche und menschengemachte Verluste können wir zwar nicht unterscheiden, erfahrungsgemäß überwiegen aber die anthropogenen Gründe", sagt sie. Auch Waldbrände gingen nach früheren Recherchen des WWF weltweit zu 96 Prozent auf menschliches Handeln zurück.

Dass sich nun so drastische Veränderungen im März auf allen drei betrachteten Kontinenten zeigen, könne laut den Umweltschützern des WWF verschiedene Gründe haben. Der Staat habe sich vielerorts aus dem Waldschutz zurückgezogen, weshalb etwa illegale Holzeinschläge zunehmen. Indigene Territorien und Naturschutzgebiete seien durch die Beschränkungen der Pandemie schlechter gesichert, da Polizei, Ranger und NGOs weniger kontrollierten. Winter sagt, dass auch viele der WWF-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter im Homeoffice festsaßen und die Suche nach Gründen deshalb besonders schwierig sei.

Hinzu kommt aber auch, dass Menschen durch die Pandemie in existenzielle Not geraten. Etwa in der Region Greater Mekong, die sich über Kambodscha, Myanmar und Thailand erstreckt. Die Menschen, die dort normalerweise vom Tourismus leben und Honig, Nüsse oder Beeren verkaufen, sind durch die Pandemie auf andere Einnahmen angewiesen und roden die tropischen Wälder, um mit Brennholz Geld zu verdienen.

Wenn die Pandemie die Lebensgrundlage bedroht

In den untersuchten afrikanischen Ländern lag die Entwaldung ebenfalls über den Werten der Vergleichsmonate 2017 bis 2019. Insgesamt verschwanden in den afrikanischen Ländern im März 123.000 Hektar Tropen, also 152 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum. Der größte Teil davon fällt auf die Demokratische Republik Kongo.

Die untersuchten sechs Länder in Afrika liegen rund um das Kongobecken, wo neben dem Amazonasgebiet noch die größten zusammenhängenden Regenwälder stehen. Ein großer Teil der Holzprodukte von hier wird normalerweise nach China und Vietnam exportiert. Weil diese Handelswege im März aber unterbrochen waren, sei der legale Holzhandel unterbrochen worden, sagt der WWF. Statt die Wälder weiterhin nachhaltig zu bewirtschaften, werden sie nach und nach in Ackerfläche umgewandelt.

Wanderfeldbau gibt es in Afrika zwar schon seit Tausenden Jahren, aber in größerem Umfang wird er zum Problem. Denn die Asche der abgebrannten Wälder erhöht zwar erst einmal die Bodenfruchtbarkeit, sodass Gemüse und Getreide gut angebaut werden können. Der Effekt hält aber nicht lange an und danach muss ein neues Feld gefunden werden.

Die Gebiete der indigenen Bevölkerung sind bedroht

In den untersuchten Ländern Südamerikas gingen im März 2020 rund 220.000 Hektar Wald verloren. Besonders in Kolumbien sieht man eine Zunahme, aber auch in Brasilien wird weiterhin viel gerodet.

Der Amazonasregenwald ist mit mehr als fünf Millionen Quadratkilometern der größte tropische Wald der Erde, den Großteil davon nimmt der brasilianische Teil ein. Seit Jahren wird hier abgeholzt, brandgerodet und immer mehr Waldfläche zerstört. Unter Präsident Jair Bolsonaro hat sich die Abholzung schon im vergangenen Jahr fast verdoppelt. Die WWF-Naturschützer haben nun ausgewertet, dass im März 2020 allein in Brasilien 95.000 Hektar zerstört wurden. Die abgebrannten Waldflächen werden vor allem für Sojaanbau genutzt, das zum großen Teil als Tierfutter für die Rinder- und Schweinemast exportiert wird.

"In Brasilien werden jedes Jahr riesige Flächen zerstört und die Waldgebiete der indigenen Bevölkerung sind stark bedroht. Dass die Zerstörung auch in Corona-Zeiten zugenommen hat, ist bezeichnend – und gefährlich", sagt die Waldökologin Winter. Durch die Pandemie kommt hinzu, dass Menschen in die Gebiete eindringen, die potenziell infiziert sein können. Bringen sie das Virus mit sich, droht isoliert lebenden indigenen Stämmen der Tod, da es in den abgelegenen Gebieten keine Intensivstationen oder Beatmungsgeräte gibt.  

Der Regenwald im Amazonas spielt auch im Klimasystem der Erde eine entscheidende Rolle. Er ist allein so groß wie alle anderen tropischen Regenwälder zusammen und speichert bis zu 140 Milliarden Tonnen Kohlenstoff. Wird der Wald zunehmend abgeholzt oder abgebrannt, wird dieses CO2 freigesetzt – so wie jetzt. Zudem beginnt ein verheerender Kreislauf: Durch die Abholzung der Regenwälder trocknen die Tropen zusätzlich aus. Denn stehen weniger Bäume auf einer Fläche, wirkt sich das auf die Verdunstung aus und auf die Regenfälle. Schlimmstenfalls führt das wiederum zu Dürren, steigert die Waldbrandgefahr und dezimiert die Artenvielfalt (Nature: Spracklen et al., 2012).

Um die Entwaldung einzudämmen, fordern die Umweltaktivisten des WWF deshalb, Entwicklungs- und Schwellenländer zu unterstützen. Etwa indem alternative Einkommensquellen geschaffen werden, aber vor allem durch bessere Sozial- und Umweltstandards in internationalen Handelsketten. Zudem müssten die sozialen Probleme, die die Corona-Pandemie ausgelöst oder verschärft habe, bekämpft werden. "Der Schutz der Wälder ist eine gemeinsame Aufgabe der Staatengemeinschaft, der sich keiner entziehen kann. Wenn wir nicht zügig handeln, wird die Plünderung des Planeten mit aller Macht auf uns zurückfallen", sagt WWF-Vorstand Heinrich.