was:
Zu viele Großvögel

Müssen die Nandus jetzt gejagt werden?

Vor knapp 20 Jahren entkamen Nandus aus einer Haltung bei Lübeck: Seitdem haben sich die Tiere an der Grenze zwischen Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern stark vermehrt.

Schattin. Ein weißer Nandu! Es ist ein seltener Anblick, selbst hier, nicht weit vom Ostufer des Ratzeburger Sees entfernt. Hier ist Nandu-Gebiet. Immer wieder sind die großen Laufvögel, die ursprünglich aus Südamerika stammen, auf den Feldern zu sehen. „Aber so ein weißer ist selten. Ich weiß nur von zwei Exemplaren.“ In der Stimme von Naturschützer Thomas Neumann (70) klingt eine Spur Begeisterung mit. Dabei ist er eigentlich ein Nandu-Kritiker.

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Erneut hebt er das Fernglas und blickt über die verkrauteten Wiesen vor dem Mechower Holz, einem Wäldchen nordöstlich von Ratzeburg bei Lübeck. Das Grenzgebiet zwischen dem holsteinischen Kreis Herzogtum Lauenburg und Nordwestmecklenburg ist eine Idylle. Der weiße Nandu entschwindet in das nahe Wäldchen, gefolgt von einer Gruppe grauer Weibchen. „Da sitzen sie also drin!“ Neumann ist nicht begeistert von dieser Entdeckung. „Die haben sich hier breit gemacht.“ Er schüttelt den Kopf. „Wir müssen schneller handeln, als ich gedacht habe.“

Die Tiere stehen unter Schutz

Neumann ist Naturschutzbeauftragter des Kreises Herzogtum Lauenburg. „Auf den Wiesen sollten Rebhühner brüten und Feldlerchen, an dem kleinen Weiher Kraniche und Graugänse. Heimische Tiere, die in die Landschaft gehören.“ Stattdessen überall Nandus. Neumann schnaubt. „Das ist hier ein Freilandzoo geworden.“

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Die Kraniche und Rebhühner hätten keinen Bruterfolg mehr. Nicht einmal die Wildschweine wagten sich an die Nandus ran: „Diese Vögel sind äußerst wehrhaft.“ Besonders der Hahn, der das Nest mit 25 bis 30 Eiern bebrüte. Den solle man lieber nicht dabei stören, rät der Naturschützer. „Die können auch Menschen mit ihren Tritten schwer verletzen.“ Rund einen halben Zentner schwer werde so ein Nandu-Hahn. Um sich und seine Brut zu ernähren jage er, ähnlich wie der Storch, Frösche, Schlangen und andere kleine Wirbeltiere. Selbst Graugans-Küken, so wollen Fußgänger beobachtet haben, verschmähe ein hungriger Nandu nicht.

Ende der Neunzigerjahre waren die ersten Nandus aus einer Haltung in Groß Grönau (Kreis Herzogtum Lauenburg) ausgebrochen. Seither haben sie sich stark vermehrt. Neumann geht von rund 300 Tieren aus, die heute in dem Gebiet östlich des Ratzeburger Sees leben. 40 davon auf lauenburgischer Seite, der Großteil aber im Osten. „Die Mecklenburger sind schuld“, sagt Neumann. Die Regierung in Schwerin habe nichts unternommen, um das Anwachsen der Population zu stoppen. Dabei setze er sich als Kreis-Naturschutzbeauftragter seit Jahren dafür ein, den Nandu-Zuwachs durch das Einsammeln der Eier zu begrenzen. Nur: Das müsste erst genehmigt werden - denn die Nandus stehen unter Schutz.

Bauern beklagen Schäden

Nicht nur den Naturschützern reicht es inzwischen. Eine Reiterin berichtet von Nandu-Begegnungen, bei denen das Pferd gescheut habe. Es sei auch schon zu Stürzen gekommen. Ein Ferienhausbesitzer hat von Angriffen auf Spaziergänger gehört.

Auch die Bauern haben genug von den Großvögeln. „Es nimmt überhand“, sagt Landwirt Uwe Tollgreve aus Rieps (Nordwestmecklenburg). „Die Nandus sind ständig im Raps zugange.“ 120 Hektar hat Tollgreve angebaut, immer wieder beobachtet er Gruppen von 30 bis 40 Tieren, die die Pflanzen fressen.

Die Schäden gehen in die Hunderttausende, sagt Petra Böttcher vom Kreisbauernverband in Grevesmühlen. „Ganze Betriebe sind inzwischen in ihrer Existenz gefährdet.“ Es müsse endlich etwas geschehen: Die Nandus besiedelten mittlerweile ein Gebiet von rund 1000 Quadratkilometern. Und für die Schäden komme niemand auf. „Die Wildschadensausgleichskasse bei uns zahlt nur für Schäden durch Schwarz-, Rot- und Damwild.“

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Bauern wie Tollgreve fordern ausdrücklich eine Ausnahmegenehmigung für die Bejagung der Nandus. „Die Eier findet man doch gar nicht“, ist er überzeugt. „Beim Eiersammeln wünsche ich viel Spaß“, meint auch Thomas Böhm, Landwirt aus Schattin, der für die Jagdgenossenschaft spricht. Das Ministerium in Schwerin, sagt auch Böhm, habe das Problem zu lange unterschätzt. „Es geht nicht mehr.“

Mancher will das Fleisch kaufen

Vor einigen Tagen erst kam es zu einem Treffen von Landwirten, Jägern und dem Schweriner Landwirtschaftsministerium. Es soll jetzt gehandelt werden. „Das Absammeln der Eier ist eine Option“, informiert Eva Klaußner-Ziebarth, die Sprecherin des Ministeriums in der mecklenburgischen Hauptstadt; ebenso „die Tötung auf Basis von Ausnahmegenehmigungen zur Abwehr von Schäden“. Was nun geschehe, könne sie noch nicht sagen. So viel aber sei klar: Die „Reproduktion der Nandus“ solle begrenzt werden, und das noch „im laufenden Jahr“. In Schleswig-Holstein wiederum will man zunächst abwarten und Wildkameras zur Beobachtung aufstellen.

Es gibt aber auch Nandu-Freunde: „Manche Verwandte besuchen mich nur, um die Nandus zu sehen“, erzählt Jürgen Schmolke aus Utecht. Selbst aus Hamburg kämen die Touristen inzwischen zum „Nandu-Watching“. Wer vom Tourismus lebt wie Norbert Koop, Besitzer eines Cafés in Schattin, kann dem etwas abgewinnen. „Mich stören sie nicht.“ Sein Sohn Felix steht dennoch einer Bejagung aufgeschlossen gegenüber. „Wenn man das Fleisch dann kaufen kann - warum nicht?“

Von Marcus Stöcklin

Tiere, die aus der Fremde kamen

Eingewanderte Tiere und Pflanzenarten gehören längst zu unserer Umgebung. Manche schaden jedoch der Kulturlandschaft – und verdrängen heimische Arten. Der aus Nordamerika stammende Waschbär und der ursprünglich in Asien beheimatete Marderhund beispielsweise breiten sich mangels natürlicher Feinde zunehmend aus. Die Chinesische Wollhandkrabbe ist in vielen Gewässern heimisch geworden. Der aus Amerika eingeschleppte Kamberkrebs gilt als Überträger der Krebspest, gegen die er selbst immun ist. Amerikanische Ochsenfrösche, die aus Aquarien in Gewässer gebracht wurden, bedrohen andere Amphibien. Die Varroa-Milbe, die heimische Bienenbestände schädigt, war ursprünglich auf das tropische Ostasien beschränkt. Die spanische Wegschnecke hat sich seit den Siebzigerjahren hierzulande ausgebreitet. Sie ist mittlerweile die häufigste Nacktschnecke in Deutschland.

HAZ

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