Firmen sollen Talente in Schulen entdecken

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Gezielte FörderungFirmen sollen Talente in Schulen entdecken

Schulen müssten individuelle Begabungen entdecken, fordert ein Bildungspolitiker. Ihm schweben Talent-Scouts vor.

B. Zanni
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B. Zanni

Schlummert in Lena das Potenzial zur erfolgreichen Forscherin? Und hat Tim das Zeug zum begabten Musiker? Geht es nach Markus Hengstschläger sollen solche Fragen schon früh geklärt werden. In Schulen fordert der österreichische Genetik-Professor und Regierungsberater deshalb: «Wir brauchen Lehrer und wir brauchen Talentscouts.»

Die eine Hälfte der Zeit sieht er für das Unterrichten der Kinder vor, die andere für deren Scouting, präzisiert Hengstschläger im «Handelsblatt». «Die Lehrer vermitteln die Inhalte, der Scout schaut sich die individuellen Talentbereiche an.» Es gelte herauszufinden, ob ein Kind visuell oder auditiv begabt sei. Auch sollten die Scouts soziale, körperliche, musische, rhetorische und geisteswissenschaftliche oder naturwissenschaftliche Kompetenzen identifizieren.

Laut dem Wissenschaftler kann es sich die Gesellschaft nicht mehr leisten, sich um das Entdecken individueller Talente zu scheren. Auch Klaus Schwab, Chef des World Economic Forum, pochte kürzlich auf den Bedarf nach Talenten: «Die Welt vollzieht gerade den Übergang vom Kapitalismus zum Talentismus.» Denn gut augebildete und kreative Arbeitskräfte würden zunehmend wichtiger als Kapital.

«Talent-Scouts für Top-Wirtschaftsstandort»

Felix Müri, Präsident der Bildungskommission, will das Thema in der Kommission anstossen und danach eventuell einen entsprechenden Vorstoss in der Kommission einreichen. «Talent-Scouts sind das, was der Schweiz schon lange fehlt, um sich nachhaltig als Top-Wirtschaftsstandort zu behaupten», so der Luzerner SVP-Nationalrat. Da die Schweiz zu wenig Talentförderung betreibe, sei sie oft auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen. «Dabei bieten wir mit der Universität, der ETH und den Firmen beste Voraussetzungen für den eigenen Nachwuchs.»

Müri schweben Scouts aus der Praxis vor. «Niemand weiss besser, welche Talente gefragt sind als direkte Vertreter aus Unternehmen. Das können Google, die UBS oder Roche sein.» Schüler und Eltern dagegen hätten die Tendenz, Fähigkeiten zu über- oder unterschätzen. Zeit für die Talentförderung gebe es in der Schule genügend. «Anstatt dass die Schule endlich die Stärken der Kinder herausholt, werden etliche Stunden verschwendet, um deren Schwächen abzuklären.»

Talente durch Lernmaterial entdecken

Jürg Brühlmann, Leiter Pädagogik beim Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH, befürchtet «im Schnellzug der Digitalisierung», dass die Schüler in zehn Jahren automatisch auf ihre Talente geprüft werden. Dann würden Unternehmen gerade Schulen, die Finanzprobleme haben, mit günstigem Online-Lernmaterial versorgen. «Anhand der individuellen Datenprofile der Schüler eruieren die Firmen die Talente und Fähigkeiten.» Dadurch sei möglich, dass die Schüler später auf ihre Talente zugeschnittene Jobangebote erhalten.

Einen Bedarf nach Scouts sieht Brühlmann nicht. «Die Talente von Schülern zu erkennen und zu fördern, gehört zu den gewöhnlichen Erwartungen an einen Lehrer.» Es könne aber nicht schaden, wenn Lehrpersonen dies gezielter machten.

Bildungsökonom Stefan Wolter warnt vor Talent-Scouts. «Menschen, die einseitig erzogen werden, erzielen selten den vorgesehenen Erfolg.» Es bestehe das Risiko, vergeblich nur auf das Talent fokussiert ausgebildet zu werden. Denn häufig entpuppten sich vermeintliche Talente nicht als Überflieger. «Und selbst wenn man 30 Picassos hat, muss man aber mindestens so viele Leute haben, die diese fördern.» Zudem sei nicht klar, ob ein Talent auch in ferner Zukunft noch gefragt sei.

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