Nahrungsmittel
Fleisch aus dem Labor: Grossinvestoren wollen Kühe überflüssig machen

Jetzt investieren Prominente wie Bill Gates in Fleisch, das aus Zellkulturen heranwächst. Doch die Konsumenten sind kritisch, wie eine noch unveröffentlichte Studie der ETH Zürich zeigt.

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Schluss mit Nutztierhaltung

Schluss mit Nutztierhaltung

Kestone/Montage

Kein Rind hat je ein Huf in das Labor von Mark Post an der Universität Maastricht in den Niederlanden gesetzt. Und doch entsteht dort Rindfleisch — es wächst im Bioreaktor heran. Ziemlich edles Rindfleisch, wenn sich dies nach dem Preis beurteilen lässt. Der erste Hamburger, den der Professor 2013 der Öffentlichkeit präsentierte, hatte nach seinen Angaben umgerechnet 300 000 Franken gekostet. Inzwischen wäre das Fleisch für einen Hamburger für ungefähr 11 Franken zu produzieren, schätzt er.

Das ist immer noch zu viel, um das Laborfleisch der breiten Bevölkerung schmackhaft zu machen. Doch der Weg zum Supermarkt dürfte für «sauberes Fleisch» – wie das Produkt in Analogie zur «sauberen Energie» auch genannt wird – nicht mehr allzu weit sein. Daran glauben jedenfalls prominente Investoren: Microsoftgründer Bill Gates. Richard Branson, Kopf der britischen Virgin-Gruppe. Und nicht zuletzt der US-Lebensmittelkonzern Cargill. Sie alle haben in das kalifornische Start-up Memphis Meats investiert, bei dessen Fundraising insgesamt 22 Millionen Dollar zusammenkamen, wie das Unternehmen im August bekannt gab. Branson erklärte dazu gegenüber Bloomberg News: «Ich glaube, in vielleicht dreissig Jahren werden wir keine Tiere mehr töten müssen und alles Fleisch wird entweder sauber oder pflanzlich sein, gleich schmecken und für alle viel gesünder sein.»

Längst muss man kein Tier mehr töden, um künstlich Fleisch zu erzeugen. Heute arbeiten Forscher mit Zellproben.

Längst muss man kein Tier mehr töden, um künstlich Fleisch zu erzeugen. Heute arbeiten Forscher mit Zellproben.

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Hohes Wachstumspotenzial

Bei Memphis Meats wächst derzeit Hühner-, Enten- und Rindfleisch. Die Firma Mosa Meat von Mark Post in Holland konzentriert sich auf die Weiterentwicklung des Rindfleischburgers. Daneben gibt es ein Start-up für Fisch in Kalifornien und eines für Hühnerfleisch in Israel. Es sind noch wenige Firmen, doch ein Bericht der Nationalen Wissenschaftsakademie der Vereinigten Staaten, der im März erschienen ist, bescheinigt dem Laborfleisch allerdings hohes Wachstumspotenzial.

So entsteht ein Labor-Hamburger

Einem lebenden oder frisch geschlachteten Tier wird mittels Biopsie Muskelgewebe entnommen.

- Das Gewebe wird zerkleinert, um diejenigen Zellen abzutrennen, die für die Regeneration der Muskeln verantwortlich sind.

- Die Zellen werden in eine Petrischale mit Nährlösung gegeben, so sie sich durch Teilung vermehren. Es entstehen Muskelstränge von maximal 0,3 Millimetern Länge.

- Die Stränge werden in einem Bioreaktor ringförmig um ein Nährgel gelegt. Das Muskelgewebe wächst weiter.

- Diese kleinen Muskelstränge werden zusammengefügt zu einem Fleischstück der gewünschten Grösse.

«Die grösste Herausforderung ist nun, die Produktion auf einen grösseren Massstab zu adaptieren und kosteneffizienter zu werden», sagt Mark Post über seine Experimente in den Niederlanden. Anfang Monat hatte er in Maastricht eine Konferenz zu Laborfleisch ausgerichtet, an der unter anderem genau diese Probleme angesprochen wurden. «Wir wissen, wie es funktioniert, es muss nur gemacht werden!», lautet sein Fazit. Allerdings beklagt er sich über mangelnde Unterstützung der öffentlichen Hand. Für den ersten Burger vor vier Jahren hatte ihm Google-Mitgründer Sergey Brin unter die Arme gegriffen. Dagegen gelinge es bisher nicht, Mittel von Regierungen zu beschaffen, obwohl es doch um die Lösung gesellschaftlicher Probleme gehe.

Der offenkundigste Vorteil von Laborfleisch ist, dass dafür kein Tier sterben muss – die Ursprungszellen können im Prinzip einem lebendigen Tier entnommen werden. Allerdings ist das Tierwohl nicht das Hauptargument für das «saubere Fleisch», das nicht in erster Linie Vegetarier, sondern traditionelle Fleischesser ansprechen soll. Wenn es gelänge, deren Konsum durch Produkte aus dem Bioreaktor zu decken, würde die Umwelt kräftig geschont.

Besonders im Vergleich zu traditionellem Rindfleisch schneiden Zellkulturen massiv besser ab. Wissenschafter der Universitäten Oxford und Amsterdam schätzen die Ersparnis beim Energieverbrauch auf 45 Prozent. Der Ausstoss an Treibhausgasen wie Methan sowie der Wasserverbrauch liessen sich um 96 Prozent verringern. Und der Bedarf an Landfläche schrumpfe um den Faktor hundert. Diese Zahlen sind zwar mit Vorsicht zu geniessen – die Studie wurde von einer Non-Profit-Organisation finanziert, die das Ziel hat, Landwirtschaft aus Zellkulturen zu fördern. Doch Sparpotenzial gibt es auf jeden Fall, ist doch der Fleischkonsum weltweit einer der wichtigsten Faktoren sowohl für den Treibhauseffekt als auch für Land- und Wasserverbrauch. Hinzu kommen Vorteile für die Gesundheit; die Zusammensetzung des Fleisches kann im Labor exakt gesteuert, die Hygiene weit besser kontrolliert werden als im Stall und im Schlachthof.

Trotzdem: «Das tönt ungesund und eklig», äusserte ein Brite vor ein paar Jahren, als er gefragt wurde, ob er Laborfleisch essen würde. Die Umfrage war Teil einer internationalen Studie, die Reaktion kein Einzelfall. Die meisten Befragten würden Abscheu äussern und sich an der Unnatürlichkeit des Produktes stören, lautete das Fazit – und das deckt sich mit den Resultaten einer noch nicht publizierten Studie, die ein Team um Michael Siegrist, Professor für Konsumentenverhalten an der ETH Zürich, in der Schweiz durchgeführt hat. «Natürlichkeit ist ein wichtiger Faktor für die meisten Menschen», sagt er. «Die Vorbehalte zu überwinden ist nicht unmöglich, aber schwierig.»

Noch weit vom Steak entfernt

Erstaunlicherweise waren die Befragten in der Schweizer Studie gar eher bereit, herkömmliches Fleisch zu akzeptieren, wenn ihnen zuvor die Herstellung von Laborfleisch beschrieben wurde. Mark Post hat dagegen an der Konferenz in Maastricht Ergebnisse einer Umfrage seiner Forschungsgruppe präsentiert, die den umgekehrten Effekt belegten – durch Information hatte sich die Akzeptanz für Laborfleisch erhöhen lassen. Siegrist erklärt diesen scheinbaren Widerspruch weniger mit den kulturellen Unterschieden zwischen den Ländern als vielmehr mit der Art, wie über das neuartige Fleisch informiert wurde.

Um die Akzeptanz zu erhöhen, müsse das Endprodukt statt des Produktionsprozesses beschrieben werden, heisst es in seiner Studie. Das haben Firmen wie Memphis Meats bereits begriffen: Sie reden konsequent von «clean meat» (sauberes Fleisch) und verwenden den in der Wissenschaft gebräuchlichen Begriff «cultured meat» (kultiviertes Fleisch) oder gar «in-vitro-meat».

Die Hamburger, die Mark Post in seiner Studie den Konsumenten anbot, waren als «cultured» angeschrieben. Sämtliche 193 Befragten seien bereit gewesen, das Produkt zu probieren, sagt der Professor. Viele hätten sich danach enttäuscht gezeigt, als sie erfuhren, dass sie auf einen Etikettenschwindel reingefallen waren. Es hatte sich um normales Fleisch gehandelt, denn dasjenige aus dem Labor ist noch nicht als Lebensmittel zugelassen.

Dem Ziel, die Nachfrage der Konsumenten nach Fleisch mit Produkten aus Zellkulturen zu decken, stehen allerdings zusätzlich zu den psychologischen und administrativen auch noch technische Hürden im Weg. Zwar hat Post bereits einige Probleme gelöst, erreicht nun etwa die gewünschte rötliche Färbung des Fleisches und züchtet nebst Muskelzellen auch Fett, das als Geschmacksträger eine wesentliche Funktion im Hamburger hat. Noch entsteht sein Fleisch – wie auch dasjenige der Konkurrenz – aber nur in dünnen Schichten, weit weg von einem Steak oder Kotelett.

Es ist also noch viel Entwicklung nötig, um dereinst die Nachfrage nach Fleisch tatsächlich aus Bioreaktoren zu decken. Und es gibt Stimmen, die das gar nicht möchten, wie eine Befragung bei Experten, Umweltorganisationen und Konsumenten durch das Karlsruher Institut für Technologie ergab. Fleisch aus dem Labor drohe Mensch und Tier weiter voneinander zu entfremden, sagen die Kritiker. Zudem drohe die Gefahr einer Monopolisierung der Produktion.
Im Gegensatz zu Zellkulturfleisch stehen andere Tierprodukte aus dem Labor bereits kurz vor der Markteinführung: Milch, Eiweiss und Gelatine. Der Herstellungsprozess ist viel einfacher als derjenige von Fleisch und gleicht dem Bierbrauen, es ist eine Fermentation mit Hefe. Erste Produkte könnten schon 2018 in die Läden gelangen.