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Kultur Nationalsozialismus

Hitlers Forscher und die Jagd nach dem Ur-Arier

Heinrich Himmler Heinrich Himmler
Quelle: IMAGNO
Das spanische Franco-Regime arbeitete eng mit den Nationalsozialisten zusammen: SS-Chef Heinrich Himmler vermutete in Spanien die Quelle aller "rassischen Überlegenheit" - und den Heiligen Gral. Plötzlich wollte Spanien eine eigene "Ahnenerbe"-Stiftung gründen.

In dem neuen Indiana-Jones-Film, der im Mai in die Kinos kommt, reist der Archäologe nach Marokko und Peru. In früheren Ausgaben jagte Hauptdarsteller Harrison Ford auf den Spuren der Kreuzritter in Palästina dem Heiligen Gral nach oder suchte in Ägypten die Bundeslade – stets im Wettlauf mit Sondereinheiten aus Nazi-Deutschland, die sich von den Funden übermenschliche Kräfte oder endloses Leben versprachen.

Historisch authentischer wäre eine Indiana-Jones-Expedition nach Spanien. Denn sowohl in Kastilien als auch auf den Kanarischen Inseln suchten Hitlers Ahnenforscher in den Dreißiger- und Vierzigerjahren nach den Vorfahren der „arischen Rasse“ – in enger Zusammenarbeit mit der spanischen Forschern.

Franco-Regime trifft auf Himmlers Stiftung

Das hat der Historiker Francisco Gracia von der Universität von Barcelona bei seinen Forschungen über die Archäologie unter Diktator Franco festgestellt. Danach kooperierte der oberste Archäologe des jungen Franco-Regimes, Julio Martínez Santa Olalla, eng mit Heinrich Himmlers Stiftung „Deutsches Ahnenerbe“. Man lud einander ein, hielt im Gastland Vorträge und ließ sich auf spanischer Seite, ausgezehrt nach drei Jahren blutigen Bürgerkriegs, auch mit deutscher Technik wie Fotoplatten und Laborzubehör versorgen.

José Luis Arrese, einer der obersten Funktionäre von Francos Falange-Bewegung, äußerte Himmler gegenüber die Absicht, eine eigene „Ahnenerbe“-Stiftung für spanische Vorgeschichte zu gründen. Der Initiative war auch Santa Olalla zugetan: Der Deutschland-Freund und Professor in Bonn von 1927 bis 1931 soll beseelt gewesen sein von der Idee, die spanische Geschichte unter Berufung auf die Westgoten zu „arisieren“.


Deutsche Forscher hatten derweil ein reges Interesse an Spanien, wo die Spurensuche nach dem „Ur-Arier“ bereits begonnen hatte. Mitte der Dreißiger machte das Frobenius-Institut Expeditionen in die prähistorischen Höhlen Nordspaniens, mit dabei gewesen sein sollen die Althistoriker Franz Altheim und Erika Trautmann, die später im Auftrag von „Ahnenerbe“ in den Nahen Osten reisten.

Himmlers Glaube an den Heiligen Gral

„Ahnenerbe“-Mitgründer Hermann Wirth interessierte sich indessen glühend für die Kanarischen Inseln. Sollte der „Ur-Arier“ von dem irgendwo im Atlantik versunkenen Atlantis stammen, lebten vielleicht dessen Nachfahren auf den spanischen Vulkaninseln vor Afrika, so seine Theorie. Mythologie-Experte Otto Huth unternahm 1939 eine Expedition auf den Archipel, hoch motiviert durch Berichte über die religiösen Riten der Ureinwohner und Funde von Guanchen-Mumien mit blonden Zöpfen.

Himmler selbst vermutete in Spanien den Quell aller rassischen Überlegenheit und des ewigen Lebens. 1940 reiste er nach Barcelona und besuchte das Benediktiner-Kloster Montserrat, wo er den Heiligen Gral vermutete. Der SS-Führer soll von der arischen Abstammung von Jesus Christus überzeugt gewesen sein und in dem Kelch – wie treffend in „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“ beschrieben – tatsächlich Kräfte vermutet haben, die zum Sieg des Weltkrieges führen würden.

Bei Himmlers Spanien-Visite zur Vorbereitung des Hilter-Franco-Treffens am 23. Oktober 1940 kam es auch zu dem entscheidenden Kontakt für die bilaterale archäologische Zusammenarbeit. Santa Olalla war abgestellt, den Gast aus Deutschland zum Palast von Philipp II. in El Escorial bei Madrid und in den Prado sowie zum Archäologischen Nationalmuseum zu begleiten.

Spanien schickt Knochenfunde nach Berlin

Begeistert von der fachkundigen und germanophilen Betreuung lud Himmler den Spanier nach Berlin ein. „Ahenenerbe“-Direktor Wolfram Sievers holte den spanischen Gast auf dem Flughafen Tempelhof ab, und man vereinbarte einen Vortagszyklus von Santa Olalla in verschiedenen deutschen Städten, die Veröffentlichung seines Werkes über die Goten in Spanien und den Austausch von Fachleuten sowie die Kooperation bei der archäologischen Spurensuche. Deutsche Aufklärungsflugzeuge lieferten fortan Luftaufnahmen von mutmaßlichen Fundorten, Santa Olalla profilierte sich auch als Gastredner beim Amt Alfred Rosenberg, das sich dem pseudowissenschaftlichen Nachweis der arischen Überlegenheitstheorie widmete.

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Als größtes gemeinsames Projekt begann man die Ausgrabung der westgotischen Nekropole Castiltierra, 100 Kilometer nördlich von Madrid. Minister Arrese lud Himmler und Sievers persönlich auf die Grabung, „um die Kameradschaft von Falangisten und Nationalsozialisten auf dem Feld der Wissenschaft“ zu zelebrieren. Santa Olalla verpflichtete sich, später auf einer deutschen Grabung in der besetzten Ukraine mitzuwirken. Himmler selbst kam zwar nicht nach Castiltierra und sagte unter Hinweis auf die „derzeitigen militärischen Operationen“ in Russland ab.

Stattdessen engagierte sich der später auf die Krim entsandte „Ahnenerbe“-Archäologe Herbert Jankuhn auf der spanischen Grabung, und auch Tibet-Pionier Ernst Schäfer besuchte die Arbeiten in den kastilischen Weiten. Bronzene Grabbeigaben wurden anschließend zur Restaurierung nach Berlin geschickt, da in Spanien die entsprechenden Labore nicht vorhanden waren. Die Zeitung „El Pais“ berichtet auch von einem mysteriösen Versand von Knochenfunden nach Berlin im Jahr 1943, der auf Santa Olalla zurückgehen soll.

Ansonsten schlief die rege deutsch-spanische Zusammenarbeit jedoch bald wieder ein: Himmler konzentrierte die „Ahnenforschung“ auf die besetzten Gebiete in Osteuropa, und Hitler war insgesamt verärgert über Francos Nichteintritt in den Weltkrieg – auch wenn es partielle Zusammenarbeit von der Auslieferung spanischer Oppositioneller aus dem besetzten Frankreich bis zur Entsendung der spanischen „Blauen Division“ an die deutsche Ostfront gab.

Dass sich spanische Historiker nun erst der Erforschung der Franco-Diktatur und ihrer Zusammenarbeit mit Hitler-Deutschland widmen, hat mit der jüngeren spanischen Vergangenheit zu tun. Bis vor wenigen Jahren war die Beschäftigung mit dem Regime tabu, um keine alten Wunden aufzureißen. Nun exhumieren Freiwillige die Opfer der franquistischen Erschießungskommandos aus dem Bürgerkrieg. Gerade in Barcelona sind Historiker eifrig dabei, das Bild einer mehr oder minder „salonfähigen“ Diktatur zu demaskieren und die Brutalität der Franco-Ära ungeschönt ans Licht zu bringen.

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