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Das Milliardengeschäft mit den Tempo-Blitzern

Starenkasten Starenkasten
Stationäre Blitzer dienen oft nicht der Verkehrssicherheit, sondern sind für Städte und Gemeinden zu einer guten Einnahmequelle geworden
Quelle: picture alliance / ZB/dpa-Zentralbild
Die Gemeinden sanieren mit den Einnahmen aus immer mehr Radarfallen ihre Haushalte. Auch die Polizei kritisiert: Von Verkehrserziehung ist dabei kaum noch die Rede.

Gibt es Bielefeld? Seit Jahren geistert die satirische Verschwörungstheorie durchs Internet, wonach die Provinzstadt gar nicht existieren soll: alles nur eine von höheren Mächten getarnte Kulisse. Doch rund 110.000 Autofahrer wissen es besser. Für sie ist Bielefeld bittere Wirklichkeit, denn sie bekamen im vergangenen Jahr Post aus dem Zentrum Ostwestfalens: Bußgeldbescheide wegen überhöhter Geschwindigkeit.

Die Beweise lieferte ein Gerät namens TraffiStar, das die Stadt Ende 2008 an der A2 aufstellen ließ und so landesweit in die Schlagzeilen kam. Der Blitzer ist Deutschlands fleißigste Tempomessanlage. Durchschnittlich 660-mal pro Tag – also rund alle zwei Minuten – fotografiert er Autofahrer, die das Tempolimit von 100 km/h missachten.

Das hat Wirkung – vor allem für die Stadtkasse: Mehr als 5,7 Millionen Euro an Buß- und Verwarngeldern nahm Bielefeld voriges Jahr allein mit dem A-2-Blitzer ein. "Nur“ 5,7 Millionen, heißt es aus dem Rathaus, normalerweise sei der Betrag fast doppelt so hoch. Doch 2011 war das Gerät von Mai bis August wegen Bauarbeiten außer Betrieb.

Solche Zahlen lassen die Haushaltsplaner benachbarter Städte und Kreise vor Neid erblassen. Kein Wunder, dass Bielefeld Nachahmer findet.

Im Oktober 2011 entdeckten auch andere Landkreise die stark befahrene A2 als Einnahmequelle und ließen stationäre Radarfallen aufstellen. Geplant sind insgesamt fünf neue Anlagen – auf nur 60 Kilometer Autobahn.

Allein in Peine rechnet man mit Mehreinnahmen von jährlich rund fünf Millionen Euro – Bußgelder geblitzter Autofahrer, die den Schuldenberg des Landkreises verkleinern sollen. Doch davon spricht man weder in Bielefeld noch in Peine oder anderswo. Offiziell dienen die automatischen Nonstop-Kontrollen nur einem Zweck: der Verkehrssicherheit.

"Der Einsatz von Starenkästen darf nicht herhalten, um klamme Kassen zu füllen“, sagt Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU), doch kaum ein Autofahrer glaubt diese Botschaft noch. Nach einer Umfrage des Autoklubs Mobil in Deutschland (MID) meinen neun von zehn Deutschen, bei den Kontrollen stünden wirtschaftliche Interessen der Kommunen im Vordergrund.

Bundesweit geht es um Einnahmen in Milliardenhöhe

MID-Vorsitzender Michael Haberland fordert: "Schluss mit dem Blitzerwahnsinn. Unsere Straßen brauchen mehr Sicherheit, aber weniger Abzocke.“

Tatsächlich geht es um große Beträge: In 13 von 16 Bundesländern werden jährlich nach Tempokontrollen der Polizei Buß- und Verwarngelder in Höhe von insgesamt rund 260 Millionen Euro verhängt. Allein in Hessen und Bayern kassierte die Polizei 2011 jeweils rund 50 Millionen Euro.

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Bundesweit geht es längst um Milliarden, denn neben der Polizei blitzen auch Bedienstete der Städte, Gemeinden und Landkreise, deren Tätigkeit in keiner Statistik erfasst wird. Laut dem Internetwarndienst Radarfalle.de blitzen derzeit in Deutschland insgesamt 3017 stationäre Tempomessgeräte – so viele wie nie zuvor.

Hinzu kommen nochmals rund 10.000 mobile Messgeräte, die nicht nur von Polizei und Kommunalbeamten, sondern mancherorts auch von Privatfirmen im öffentlichen Auftrag aufgestellt werden.

In Oberbayern haben 70 Gemeinden eigens einen Zweckverband gegründet, der seinen Mitgliedern die Überwachung des fließenden Verkehrs als Produkt vermittelt – für 95 Euro pro Stunde.

Dass viel Geld zu verdienen ist, zeigt auch das Beispiel Chemnitz: Zur allgemeinen Haushaltskonsolidierung stellt die Stadt an Hauptverkehrsstraßen neue Blitzer auf und rechnet pro Gerät mit Einnahmen von jährlich 320.000 Euro. Abzüglich der Kosten für Personal und Wartung der Anlage bleibe ein Überschuss von rund 250.000 Euro, teilt das Ordnungsamt mit. Eine beachtliche Rendite.

Einzahlungen direkt an die Landeskasse

So bilden die Tempoblitzer landesweit eine verlässliche Größe bei der öffentlichen Haushaltsplanung, auf die Kreise, Städte und Gemeinden nicht mehr verzichten können. Das erfuhr auch die rheinland-pfälzische Landesregierung, als sie ihren Plan verkündete, ab 2013 eine zentrale Bußgeldstelle einzurichten. Dadurch sollen Verkehrssünder ihre Geldstrafen nicht mehr an die Landkreise, sondern direkt an die Landeskasse überweisen. Prompt meldeten sich die Landräte zu Wort, sprachen von „nicht hinnehmbaren Einnahmeausfällen“ und forderten Ausgleichszahlungen.

Eigentlich hatten sich die Verkehrsminister der Bundesländer schon 2006 darauf verständigt, dass "die Einnahmen aus behördlichen Verwarnungs- und Bußgeldverfahren für Zwecke der Verkehrssicherheit eingesetzt werden sollen“.

Auf regionaler Ebene ist diese Botschaft offenbar nicht angekommen. Hier wird fest mit den Tempobußgeldern gerechnet, und per "Haushaltsansatz“ werden oft schon im Voraus die Beträge festgesetzt, die bis zum Jahresende "erwirtschaftet“ werden sollen.

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"Kontrolle muss sein“, sagt Wolfgang Blindenbacher. Der Leitende Polizeidirektor des Landes Nordrhein-Westfalen plädiert allerdings für "Qualität statt Quantität“.

Die Verkehrsüberwachung ergebe nur Sinn, wenn Temposünder sofort an Ort und Stelle angehalten und über die Gefahren ihrer Raserei aufgeklärt würden. Nur dann sei zu erwarten, dass Autofahrer Fehler einsähen und die Regeln künftig beachteten. "Der Dreierschritt lautet: Information, Sanktion und weitergehende Überzeugungsarbeit.“

Kritik an den Kommunen

Noch deutlicher wird Dieter Müller von der Hochschule der Sächsischen Polizei. Bei einem Seminar des Deutschen Verkehrssicherheitsrates kritisierte er die Kommunen. Sie arbeiteten oft isoliert und ohne Absprache mit der Polizei, sodass große Chancen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit verschenkt würden.

"Eine Ausrichtung der Kontrollpunkte auf Unfallschwerpunkte ist bei den Kommunen nur selten feststellbar“, urteilt der Professor für Verkehrswissenschaften. "Wer seine Überwachungsmaßnahmen ausschließlich an monetären Argumenten orientiert, muss sich nicht darüber wundern, dass eine solche Behördenpraxis als ‚Abzocke‘ empfunden wird.“

Die Akzeptanz für Tempokontrollen fällt auch darum schwer, weil Autofahrer täglich beobachten, dass Messgeräte statt an Gefahrenpunkten wie Kindergärten oder Schulen an gut ausgebauten Ausfallstraßen aufgestellt werden, dass die Blitzer nur wenige Meter hinter den Temposchildern stehen oder zur Tarnung in Mülltonnen eingebaut werden.

Autofahrer werden zu Wutbürgern

Aus Autofahrern werden Wutbürger, wie der Blick in einschlägige Internetforen zeigt. Aus Protest wappnen sie sich mit illegalen Radarwarnern oder füttern ihre Smartphones mit Apps, die die Standorte der Radarfallen anzeigen.

Ebenso nimmt seit Jahren die Zahl der Gerichtsverfahren zu, mit denen sich Autofahrer zur Wehr setzen. Verkehrsjuristen wie Alexander Biernacki von der Blitzerkanzlei in München und Berlin haben sich auf solche Verfahren spezialisiert und versprechen "gute Erfolgsaussichten“ – vor allem, weil sich in jüngster Zeit weder die Messtechnik noch die Arbeitsweise der Tempofahnder als unfehlbar erwiesen haben .

So fand der saarländische Gutachter Hans-Peter Grün heraus, dass die Beweisführung der Behörden bei jedem dritten Bußgeldverfahren mangelhaft ist. Der Sachverständige hatte im Auftrag des ARD-Magazins "Plusminus“ über 8800 Bußgeldakten aus allen Teilen Deutschlands unter die Lupe genommen und wies Fehler bei der Bedienung der Messgeräte und bei der Auswertung der Beweisfotos nach.

Auch für Blitzer gibt es Regeln

Oft genügt aber auch schon ein Blick in die Richtlinien der Bundesländer, um zu überprüfen, ob die Behörden korrekt arbeiten. Denn auch für die Blitzer gibt es Regeln. So schreiben die Verordnungen mancher Bundesländer vor, dass nur an Unfallbrennpunkten oder Gefahrenstellen geblitzt werden soll oder dass Fehlertoleranzen bei Messungen mit bestimmten Gerätetypen berücksichtigt werden müssen.

Auch Blitzer, die sich zu nah hinter dem Temposchild postieren, handeln vorschriftswidrig. Je nach Bundesland ist eine Entfernung von 100, 150 oder 200 Metern vorgeschrieben, damit Autofahrer genügend Zeit haben, auf das vorgeschriebene Tempo abzubremsen.

100 Meter Abstand gelten etwa in Hessen und Mecklenburg-Vorpommern, während in Bayern und Thüringen zwischen der Geschwindigkeitsbegrenzung und dem Messgerät mindestens 200 Meter liegen müssen. Urteile verschiedener Oberlandesgerichte zeigen, dass man dort großen Wert auf die Einhaltung dieser Vorgaben legt, um die Gleichbehandlung aller Autofahrer zu gewährleisten.

Der Ortsvorsteher der schwäbischen Gemeinde Maubach bei Ludwigsburg sah das offenbar anders: Weil zwischen dem Schild am Dorfeingang und dem neuen Blitzer nicht genügend Platz war, um die 150-Meter-Vorschrift einzuhalten, verschob er kurzerhand die Gemeindegrenze um rund 30 Meter und stellte ein neues Schild auf. Doch der Schwindel flog auf: Der Bürgermeister musste den Blitzer wieder abmontieren lassen.

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