Monatelang hat der Menschenrechtskommissar des Europarates, Alvaro Gil-Robles, Gefängnisse, Aufnahmelager und psychiatrische Anstalten in 32 europäischen Ländern besucht und sich am Ende seiner "Kerker-Rundreise" 16 Tage lang auch in Frankreich umgesehen. Doch was der Spanier im "Land der Menschenrechte" erleben mußte, versetzte ihm einen gewaltigen Schock. "Mit Ausnahme vielleicht in Moldawien habe ich niemals zuvor entsetzlichere Haftbedingungen erlebt", sagte er, nachdem er dem für die Ausländer bestimmten Zellentrakt im Untergeschoß des Pariser Justizpalastes einen Besuch abgestattet hatte. Die inhaftierten Menschen seien dort in zwei unbelüfteten, von natürlichem Licht abgeschnittenen Keller-Etagen zusammengepfercht. Sein Urteil: Unvereinbar mit der Menschenwürde. Und: "Dieser Ort muß dringend geschlossen werden."
Ein Polizeibeamter, der seine Identität nicht nennen will, bestätigt der Tageszeitung "Le Parisien" die unhaltbaren Zustände. Bis zu vier Personen würden wie Tiere in nur sieben Quadratmeter großen Zellen eingesperrt. Die hygienischen Bedingungen seien katastrophal. Man lasse die Häftlinge sich erbrechen und auf den Boden urinieren, ohne die Zellen zu säubern. Ratten kröchen aus den türkischen Toiletten. Er habe Häftlinge gesehen, die sich aus Verzweiflung beim Rasieren verstümmelt und die Wände mit ihrem Blut beschmiert hätten, so der Beamte.
Heftige Kritik übt Gil-Robles auch an dem völlig überbelegten Gefängnis Les Baumettes in Marseille. Dieser "abstoßende" Ort sei völlig überbelegt. Gil-Robles: Haft bedeute zwar Freiheitsentzug. Doch dürfe sie nicht in "inhumane Behandlung" ausarten. Doch unter diesen Bedingungen würden die Menschen "schlimmer heraus- als hineinkommen" und "voller Haß" auf eine Gesellschaft sein, die sie so behandelt habe. Unvereinbar mit den Menschenrechten sei ferner, daß im Kommissariat des 18. Arrondissements von Paris die in Untersuchungshaft genommenen Menschen ohne Matratze auf dem nackten Boden schlafen müßten. Unhaltbar seien auch die Zustände im Auffanglager für die illegal nach Frankreich eingewanderten Ausländer auf dem Pariser Flughafen Charles de Gaulles. Dort würde man von Asylbewerbern verlangen, innerhalb von fünf Tagen einen Asylantrag auf französisch zu stellen, ohne daß sie die Hilfe eines Dolmetschers in Anspruch nehmen dürfen. Damit droht die sofortige Abschiebung.
Bei der französischen Regierung ist die Kritik des spanischen Kommissars auf ganz unterschiedliche Reaktionen gestoßen. Außenminister Philippe Douste-Blazy habe ihm sehr aufmerksam und sichtlich betroffen zugehört, sagte der Menschenrechtskommissar. Ganz anders reagierte dagegen der französische Innenminister und Vorsitzende der Präsidentenpartei UMP, Nicolas Sarkozy. Er sagte ein vereinbartes Treffen mit dem Spanier kurzerhand ab. "Offenbar hat er ganz andere Prioritäten", sagte der Europarat-Kommissar Gil-Robles, "und das ist schade."
Die kritisierten Zustände in den französischen Haftanstalten sind seit langem bekannt und werden immer wieder auch von französischen Politikern und Menschenrechtsorganisationen angemahnt. Doch geändert hat sich daran so gut wie nichts. Die meisten Gefängnisse sind veraltet und überbelegt.
Darüber hinaus mangelt es an Hygiene. Berufliche Tätigkeit bleibt den meisten Inhaftierten verwehrt. Nicht selten werden Kleinkriminelle, Schwerverbrecher und Drogensüchtige mit Leuten zusammengelegt, die nur wegen eines kleineren Gesetzesbruches in Untersuchungshaft gelandet sind. Das Problem der chronischen Überbelegung der Gefängnisse glaubt man in Frankreich seit Jahrzehnten dadurch lösen zu können, daß der Staatspräsident alljährlich am Nationalfeiertag eine Teilamnestie gewährt. Dadurch wird in den Haftanstalten jedoch nur wieder mehr Platz geschaffen.