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Wie EADS vom Mauerbau in Saudi-Arabien profitiert

An der jemenitisch-saudischen Grenze kam es in der Vergangenheit immer wieder zu Auseinandersetzungen An der jemenitisch-saudischen Grenze kam es in der Vergangenheit immer wieder zu Auseinandersetzungen
An der jemenitisch-saudischen Grenze kam es in der Vergangenheit immer wieder zu Auseinandersetzungen
Quelle: dpa
Ein Land schottet sich ab: Der Rüstungskonzern EADS hat den Auftrag ergattert, die 9000 Kilometer lange Grenze Saudi-Arabiens zu sichern.

Der Angriff erfolgt vom Wasser. Ein olivgrünes Schlauchboot peitscht mit über 60 Stundenkilometern über die Wellen Richtung Küste. Die hohe Geschwindigkeit macht es verdächtig. Ein Radar hat das Boot erfasst. An Land hebt eine Drohne ab, kurze Zeit später funkt das unbemannte Fluggerät Fotos, die ein paar dunkle Gestalten zeigen, die in dem Boot hocken. Das ist höchst verdächtig. Sind es Terroristen? Ein Schiff der Küstenwache kann das Gefährt abfangen, lange bevor es in die Nähe des Hafens kommt. Mission erfüllt.

Volker Kraft lehnt sich entspannt in seinem Stuhl zurück. Er hat die Geschehen auf einer Videoleinwand verfolgt. Kraft ist Manager beim Luftfahrt- und Rüstungskonzern EADS und leitet in Deutschland das NetCOS (Network Centric Operations Simulation). Kraft sitzt in einem abgedunkelten Raum in der Zentrale der Rüstungs- und Sicherheitssparte von EADS in Unterschleißheim bei München. Er ist umzingelt von Monitoren, Rechnern und Telefonen. Vor ihm wirft ein Projektor drei Bilder an die Wand: In der Mitte leuchtet die Computeranimation mit dem Küstenstreifen, vor dem gerade die Marine das suspekte Schnellboot abfangen konnte. In dem Raum kann EADS seinen Kunden die neueste Sicherheitstechnik demonstrieren.

Der europäische Konzern kann ganze Staaten in eine Schutzburg verwandeln. So hat EADS im Sommer 2009 den Auftrag gewonnen, die Grenzen von Saudi-Arabien zu sichern. Es geht um 9000 Kilometer, im Gebirge, in der Wüste und an der Küste. „Es ist das größte Projekt dieser Art, das es jemals gab“, sagt Stefan Zoller, Chef der Sicherheits- und Verteidigungssparte, die neuerdings Cassidian heißt. Bis 2014 werden die EADS-Leute zusammen mit dem Baukonzern Al Rashid das Land abschotten.

EADS ist für die Technik verantwortlich. Der europäische Luft- Raumfahrt und Rüstungskonzern äußert sich auf Wunsch seines Kunden nicht zu Details. Bei dem Projekt dürfte aber die ganze Bandbreite der Überwachungstechnik zum Einsatz kommen, Radare, Sensoren, Kameras, das alles mit einem IT-System vernetzt. „Früher wurden Burgen gebaut – heute kontrollieren Nationen ihre Territorien unter anderem mittels Sensoren und moderner IT“, sagt Zoller. Wie viel der Konzern an dem Auftrag verdient und wie viele Mitarbeiter an dem Projekt arbeiten, verrät er nicht.

Großes Interesse an sicheren Grenzen

Kein Geheimnis macht Zoller allerdings aus dem immensen Potenzial, das er bei Grenzsicherungsprojekten sieht. Gerade der Auftrag aus Saudi-Arabien hat die Nachfrage auch von anderswo in die Höhe getrieben. „Es gibt ein Rieseninteresse“, sagt Zoller. Für Europäer, die sich an wegfallende Grenzen gewöhnt haben, mag das auf den ersten Blick überraschend sein. Doch der Wunsch zu kontrollieren, wer in ein Land kommt, steigt auch aufgrund der Bedrohung durch Terroristen. Das gilt nicht nur für das Königreich Saudi-Arabien, das eine Grenze mit dem Irak hat. Bereits 2004 hat EADS von Rumänien den Auftrag erhalten, die Grenze des heutigen EU-Mitglieds zu sichern. „Uns erreichen aus allen Ecken der Welt Anfragen“, sagt Zoller.

Der Auftrag aus Saudi-Arabien beschert EADS auch Kritik – allerdings weniger als gemeinhin an traditionellen Rüstungsgeschäften geübt wird. „Die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien ist weiterhin sehr besorgniserregend“, sagt etwa Mathias John von Amnesty International. In dem Land würden Menschenrechte wie die Meinungs- und Versammlungsfreiheit unterdrückt. „Gerade in einer solchen Situation könnten die vorgesehenen Lieferungen großer Mengen von Überwachungstechnologie und Sicherheitstechnik natürlich auch für solche Menschenrechtsverletzungen missbraucht werden“, sagt John. „EADS und die Staaten, die solche Lieferungen genehmigen, müssen sich darüber im Klaren sein, dass die gelieferten Überwachungssysteme ein hohes Risiko für die Menschenrechte darstellen können.“

EADS-Manager Zoller hingegen sieht sich im Dienste der Sicherheit. Die wolle schließlich jeder einzelne, bei sich zu Hause, auch im Urlaub. „Wir bieten technologische Antworten auf die veränderte Sicherheitslage in der Welt“, sagt er. Für die Verteidigungssparte von EADS ist das Grenzsicherungsgeschäft ein Hoffnungsträger: Im traditionellen Rüstungsbereich steht das Unternehmen hingegen unter Druck. „In Europa stagnieren die Verteidigungsbudgets“, sagt Zoller. „Deshalb müssen wir uns globaler aufstellen.“ Als Wachstumsmärkte hat er Indien, Brasilien und den Nahen Osten ausgemacht. In Deutschland dagegen regiert der Rotstift. Erst kürzlich warnte die IG Metall, die Sparpläne von Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg (CSU) würden hierzulande 15.000 Arbeitsplätze in der militärischen Luftfahrt gefährden.

Lukratives Geschäft mit der Sicherheit

Auch wegen der schrumpfenden Etats hat Zoller dem Unternehmen eine Transformation verordnet, weg von der klassischen Rüstung. „Das Geschäft mit Sicherheitstechnik wird immer bedeutsamer und in Zukunft über die Hälfte unseres Umsatzes ausmachen“, sagt er. Im vergangenen Jahr hat Cassidian mit seinen 21.000 Mitarbeitern rund 5,4 Milliarden Euro erlöst. Besonders viele Aufträge verspricht sich Zoller in Zukunft von Projekten wie der Grenzsicherung in Saudi-Arabien. „Integrierte Sicherungssysteme für ganze Nationen sind einer der am schnellsten wachsenden Märkte für uns“, sagt er. „Wir sind führend bei dieser Technologie.“

Was der Konzern im Angebot hat, lässt sich in den NetCOS-Zentren sehen. Neben dem in Unterschleißheim gibt es noch welche in Elancourt in Frankreich, Getafe in Spanien und Newport in Großbritannien. Das entspricht dem EADS-Länderproporz. Zudem hat der Konzern ein mobiles NetCOS, das beim Kunden vor Ort aufgebaut werden kann. Die Zentren sind in erster Linie keine Schaubühnen, sondern dienen der Entwicklung neuer Angebote. „Grenzsicherung verkauft sich nicht wie ein Auto, bei dem man die Farbe auswählt“, sagt der Chef des deutschen NetCOS Kraft. „Es gibt ganz spezielle Anforderungen von den Kunden. Jedes System ist maßgeschneidert.“

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Deshalb sitzen die EADS-Entwickler zusammen mit den Kunden vor den Computern und Leinwänden. Sie studieren die Landkarten: Welche Infrastruktur besteht im Land, wie kann alles vernetzt werden? Wo können Radare sinnvoll postiert werden, wo Videokameras, wo Drohnen? Kraft verschiebt Radarstationen, bis der Küstenstreifen komplett von roten Kreisen abgedeckt ist. „Man muss die Anforderungen und Risiken im Vorfeld identifizieren, damit die Dinge dann später richtig laufen“, sagt er. Kameras zum Beispiel in der Wüste, wo Sandstürme drohen, seien wenig sinnvoll.

„Es geht um weit mehr als nur eine Landesgrenze abzuriegeln“, sagt Zoller. „Jeder Flughafen ist eine eigene kleine Sicherheitszone. Oder die Küsten. Auch der Schutz der IT-Infrastruktur wird immer wichtiger.“ Die wichtigste Aufgabe ist durchzuspielen, welche Bedrohungen es geben könnte. Von wo und wie können Angriffe erfolgen? „Das Wichtigste sind unsere Ingenieure“, sagt Kraft. Sie entwickeln die Szenarien, sie stellen die richtigen Fragen. Dabei helfen die so genannten Operational Advisor. „Unter ihnen sind viele frühere Militärangehörige wie etwa ehemalige Generäle“, sagt Kraft. Die Anforderungen der Kunden würden immer komplexer, die Projekte müssen dem Rechnung tragen. Auf den Projektionsleinwänden werden verschiedene Szenarien durchgespielt. Es sieht aus wie ein Computerspiel: Die roten Figuren sind die Bösen, die blauen die Guten. Das zu schützende Land der EADS-Kunden hat blaue Einwohner. Wie sollte es anders sein.

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