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Lösen Herpesviren Alzheimer aus?

Neural network. Computer illustration of a broken brains neural network represented by lines and dots. Some aereas are not connected, depicting dementia and Alzheimers disease. Neural network. Computer illustration of a broken brains neural network represented by lines and dots. Some aereas are not connected, depicting dementia and Alzheimers disease.
Führen Viren dazu, dass sich im Gehirn von Alzheimerpatienten schädliche Proteine ablagern?
Quelle: Getty Images/Science Photo Library RF
Seit Jahren wird darüber spekuliert, die Forschung steht noch ganz am Anfang: Doch eine neue Studie gibt jetzt Hinweise darauf, dass bestimmte Herpesviren Demenz auslösen. Das kann früh im Leben passieren.

Was die Alzheimerkrankheit auslöst, ist bisher ungeklärt. Ist es Zufall? Ein schlechter Lebensstil? Sind es die Gene? Oder könnten es unbekannte Erreger sein, die dazu führen, dass das Gehirn durch Proteinablagerungen seine Funktionsfähigkeit langsam verliert.

Seit einigen Jahren gibt es Wissenschaftler, die davon ausgehen, dass Viren die Ursache der Erkrankung sind. Nun legen Wissenschaftler die bislang beste Studie vor, die diesen Verdacht belegt. Demnach steht Alzheimer in Verbindung mit bestimmten Herpesinfektionen.

In einer groß angelegten Untersuchung zeigen US-Forscher, dass Spuren der Herpesviren-Varianten HHV-6A und HHV-7 gehäuft im Gehirn von Alzheimerpatienten vorkommen. Beide sind mit Lippen- und Genitalherpes nur entfernt verwandt. Zudem stellen die Forscher im Fachblatt „Neuron“ einen Mechanismus vor, über den die Viren in Nervenzellen die typischen Alzheimerschäden verursachen könnten.

Deutsche Experten halten die Studie zwar für fundiert, betonen aber, sie weise keine kausale Beziehung nach – zeige also nicht, dass die Viren die Krankheit verursachen könnten. Es könnte sich auch um eine einfache Korrelation handeln.

Alzheimer ist die mit Abstand häufigste Demenzform weltweit. Allein in Deutschland sind Schätzungen zufolge rund eine Million Menschen betroffen. Seit Jahrzehnten suchen Forscher nach der Ursache der Erkrankung, bisher ohne klaren Erfolg. Auffällig sind Ablagerungen des Proteins Tau in Nervenzellen und des Proteins Amyloid-beta zwischen Nervenzellen. Die Forschung wird vor allem dadurch ungemein erschwert, dass die Schädigung des Gehirns zunächst unerkannt langsam voranschreitet, zum Zeitpunkt der Diagnose ist die Krankheit schon weit fortgeschritten.

Die Viren sind ein zufälliger Fund

Seit über 65 Jahren hält sich der Verdacht, dass Infektionen an der Krankheit beteiligt sein könnten. Dafür haben Forscher um Ben Readhead von der Mount Sinai School of Medicine in New York nun den nach eigenen Angaben stärksten Beleg gefunden.

Das Team hatte ursprünglich nach molekularen Auffälligkeiten bei der Entstehung der Krankheit gefahndet. Dazu untersuchte es zunächst vier von der Krankheit betroffene Hirnareale bei 622 Hirnspendern mit Alzheimersymptomen und 322 anderen Menschen. Dabei fanden die Forscher bei Menschen mit der Demenzform häufiger als in der anderen Gruppe Erbgut von humanen Herpesviren (HHV) der Typen 6A und 7. Die Analyse von drei anderen Datensätzen bestätigte diesen Zusammenhang. „Wir suchten nicht nach Viren, aber die Viren sprangen uns sozusagen an“, wird Readhead in einer Mitteilung der Arizona State University zitiert.

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Im nächsten Schritt untersuchte das Team, ob die Präsenz der Viren zu den krankhaften Alzheimerkennzeichen beitragen könnte. Dazu prüfte es, ob das menschliche Erbgut mit dem der Viren interagieren könnte. Auch diese Analyse ergab, dass die Viren den Hirnstoffwechsel beeinflussen könnten. Möglicherweise, so spekulieren die Forscher, setze eine hohe Virenlast im Gehirn eine Immunreaktion in Gang, die die Entstehung oder das Fortschreiten der Krankheit fördert.

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„Etliche Viren sahen interessant aus“, sagt Readhead. „Wir sahen, dass HHV-6A die Expression von einigen Risikogenen für die Alzheimerkrankheit reguliert und auch von Genen, die die Bildung von Amyloid regulieren, einem Schlüsselelement der Alzheimerneuropathologie.“

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Im letzten Schritt prüften die Forscher dann bei Mäusen die Rolle des RNA-Schnipsels miR-155, das an Immunreaktionen beteiligt ist und vermutlich durch HHV-6A beeinflusst wird. Mäuse, denen der Schnipsel fehlte, bildeten im Alter von vier Monaten verstärkt Amyloid-Ablagerungen.

Im Tierversuch stören die Viren das Gehirn

„Wir können die Frage nicht beantworten, ob Herpesviren eine primäre Ursache der Alzheimerkrankheit sind“, räumt Studienleiter Joel Dudley ein. „Aber klar ist, dass sie Netzwerke stören und an Netzwerken beteiligt sind, die die Entwicklung des Gehirns Richtung Alzheimerstruktur beschleunigen.“

HHV-6A und HHV-7 sind nur entfernt mit Lippenherpes (Herpes labialis) verwandt, ähnlich wie dieser aber bei weit über 90 Prozent der Bevölkerung verbreitet. HHV-6 und HHV-7 gelten als Verursacher des Drei-Tage-Fiebers, das vorwiegend bei Kindern auftritt. „Dies ist der bisher schlüssigste Beleg, der auf eine virale Beteiligung an der Entstehung oder am Fortschreiten der Alzheimerkrankheit hinweist“, betont Co-Autor Sam Gandy.

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„Die Studie ist fachlich fundiert“, sagt Anja Schneider vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Bonn, die an der Arbeit nicht beteiligt war. „Allerdings haben die Forscher nur Assoziationen gefunden, eine kausale Verbindung ist nicht nachgewiesen.“

Auch Armin Giese von der Universität München spricht von einer handwerklich soliden Arbeit. „Das ist die umfangreichste und ausführlichste Studie zu diesem Thema, die ich kenne“, sagt der Experte vom Zentrum für Neuropathologie und Prionforschung. „Allerdings haben die Forscher keine Kausalität gezeigt.“ Es sei auch denkbar, dass sowohl das erhöhte Vorkommen der HHV-Varianten als auch eine stärkere Anfälligkeit für die Alzheimerkrankheit unabhängig voneinander durch gemeinsame Risikofaktoren gefördert würden.

Insgesamt seien an der Alzheimerkrankheit meist viele verschiedene Faktoren beteiligt. „Dass das Immunsystem und Entzündungsprozesse bei der Krankheit eine Rolle spielen, weiß man schon seit Langem.“

Zur Prävention sei es sinnvoll, Risikofaktoren für die Gefäßerkrankungen zu vermeiden – also nicht rauchen, sich gesund ernähren, Bluthochdruck oder erhöhten Blutzucker vermeiden, sich etwas bewegen und geistig aktiv sein. Epidemiologische Daten zeigten, dass man dadurch das persönliche Alzheimerrisiko deutlich senken könne, betont Giese.

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Stefan Bonn vom Uniklinikum Eppendorf (UKE) hält die Arbeit für „einen großen Schritt nach vorne“. „Viren und Bakterien spielen möglicherweise bei vielen Krankheiten eine Rolle.“ Zwar betont auch der Experte vom Zentrum für Molekulare Neurobiologie (ZMNH), dass die Studie keine kausale Verbindung zwischen den Viren und der Demenzform nachweist. „Aber man wird eine Kausalität jetzt gezielt untersuchen.“ Es sei durchaus denkbar, dass Viren unter bestimmten Umständen die Blut-Hirn-Barriere überwinden und Prozesse im Gehirn ungünstig beeinflussen.

„Wir sind in einer Ära der Wissenschaft, in der wir bemerken, dass wir sehr viele Bakterien und Viren in uns tragen“, sagt Bonn. „Darüber, was das bedeutet, ist bisher sehr wenig bekannt. Diese Forschung steht noch ganz am Anfang.“

dpa

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