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Psychologie Persönlichkeit

Ab dem 70. Lebensjahr wird bei vielen alles anders

Einer oder eine von vier Menschen verändert seinen Persönlichkeitstyp im Alter Einer oder eine von vier Menschen verändert seinen Persönlichkeitstyp im Alter
Einer oder eine von vier Menschen verändert seinen Persönlichkeitstyp im Alter
Quelle: Getty Images/Vetta
Opa ist eben so, der ändert sich nicht mehr? Von wegen! Die Persönlichkeit eines Menschen kann sich im Laufe des Lebens noch einmal grundlegend ändern – besonders im Alter.

Zu den Sätzen, die in Familien oft gesagt werden, meist mit eher resigniertem Unterton, gehören diese: Menschen ändern sich nicht, schon gar nicht im Alter. Opa ist eben so, der war schon immer so. Es geht dann meist um die Persönlichkeit, also etwa darum, wie offen und verträglich der Großvater ist. Solche Sätze, sagt Jule Specht, entsprachen bisher durchaus dem Stand der Forschung. „Man hat gesehen, dass sich Persönlichkeitsmerkmale im Laufe eines Lebens immer weiter stabilisieren. Im Alter von 30 oder 50 Jahren hat man meist aufgehört, weiterzuforschen.“

Jule Specht ist Psychologin an der Freien Universität Berlin und hat nun weitergeforscht. Dabei fand sie heraus, dass sich Menschen sogar ziemlich häufig noch einmal stark verändern – wenn sie um die 70 sind. Jeder vierte Mensch nimmt in diesem Alter noch einmal ganz andere Persönlichkeitszüge an. Von vier Großeltern wäre das, rein statistisch betrachtet, schon einer.

Die „Big Five“ unter den Eigenschaften

Specht hat mit ihren Kollegen Maike Luhmann und Christian Geiser die Daten aus zwei großen Bevölkerungsstudien in Deutschland und Australien ausgewertet. Die deutschen Daten stammen aus dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP), einer Langzeitstudie, für die seit 1984 in jedem Jahr Tausende Menschen befragt werden. Weil es stets dieselben Menschen sind, sind die Daten ein Schatz für Psychologen, die Lebensläufe und Muster untersuchen.

Specht und ihre Kollegen haben Material aus den Jahren 2005 bis 2009 ausgewertet, mehr als 23.000 Menschen gaben im Lauf dieser vier Jahre in beiden Ländern regelmäßig Auskunft – auch über ihre Charaktereigenschaften. Die Teilnehmer waren zwischen 16 und 82 Jahren alt und sollten sich in den Persönlichkeitsmerkmalen einschätzen, die Psychologen als die „Big Five“ bezeichnen. Zu den fünf Eigenschaften, die den Charakter eines Menschen prägen, gehören seine emotionale Stabilität, seine Offenheit für neue Erfahrungen, die Verträglichkeit im Umgang mit anderen, seine Gewissenhaftigkeit und der Grad an Intro- oder Extraversion, der beschreibt, ob ein Mensch eher dazu neigt, sich zurückzuziehen oder nach außen zu richten.

Junge „unterkontrollierte“ Männer reifen häufig noch heran

Psychologen bestimmen aus diesen Eigenschaften den Persönlichkeitstyp. Jule Specht und ihre Kollegen fanden unter den Menschen, die an den Befragungen teilgenommen hatten, vor allem drei Typen, das hatten sie auch so erwartet. Die meisten Menschen gehören entweder dem „unterkontrollierten“, dem „resilienten“ oder dem „überkontrollierten“ Persönlichkeitstyp an. Resiliente Menschen sind diejenigen, die im Alltag meist am besten funktionieren, das Wort bedeutet robust oder widerstandsfähig. Diese Menschen ruhen in sich selbst, sie sind leistungsfähig und leiden selten an psychischen Problemen. Etwa die Hälfte der 30-Jährigen in Deutschland, sagt Specht, zählt zu diesem Typ.

Viele von ihnen, vor allem jüngere Männer, waren in ihrer Jugend noch „unterkontrolliert“. Diese Menschen sind eher impulsiv und stur, sie halten sich nicht gern an Regeln und erledigen Dinge nicht so gewissenhaft. „Die Persönlichkeit stabilisiert sich um den 30. Geburtstag herum“, das fand Specht in den Daten. Diese Reifung könne biologisch bedingt sein, oder an der Sozialisierung durch den schnöden Alltag liegen. Wer im Job funktionieren muss, der lernt es besser, einige Regeln einzuhalten.

Erst im Alter verändern sich Menschen plötzlich wieder

„Überkontrollierte“ Menschen legen ihre Eigenschaften beim Erwachsenwerden seltener ab, sie bleiben emotional empfindlich, reagieren feinfühlig, sie sind eher nervös und im Umgang mit anderen Menschen besonders zuverlässig. Erwachsene Frauen und Männer gehören zu ungefähr gleichen Teilen den verschiedenen Persönlichkeitstypen an.

Und so bleiben sie, wenn sie über 30 sind, meist auch eine ganze Weile.

Die Persönlichkeit der älteren Menschen kann sich in alle Richtungen verändern, fanden die Forscher heraus
Die Persönlichkeit der älteren Menschen kann sich in alle Richtungen verändern, fanden die Forscher heraus
Quelle: Getty Images

Bei den Menschen im mittleren Lebensalter, stellte Specht fest, „passierten wenig Veränderungen“ im Lauf der vier Jahre, die sie ausgewertet hat. Bei den Menschen über 70 passierte hingegen plötzlich allerhand. Ihre Persönlichkeiten veränderten sich in alle möglichen Richtungen. Die Älteren waren auf einmal weniger kontrolliert, lebten impulsiver, oder sie gewannen an Selbstwertgefühl und innerer Ruhe. Andere wiederum entwickelten sich spät zu „überkontrollierten“ Persönlichkeiten. Ältere Australier veränderten sich ebenso wie deutsche Rentner, Frauen wie Männer.

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Die Forscher waren von den vielen charakterlich wandelbaren Älteren überrascht – ihre Überraschung hält an, weil sie bisher nicht herausfinden konnten, was die Veränderungen auslöst. Sie wissen nur, woran es nicht liegt, nach dem sie den Einfluss verschiedener Faktoren überprüft haben.

An der Rente oder den Enkeln liegt es nicht

Die älteren Menschen verändern sich demnach nicht, weil sie in Rente gehen, Großeltern werden, weil ihr langjähriger Partner stirbt oder die Gesundheit nachlässt. „Diese Dinge haben einen Einfluss, aber er ist nicht besonders groß“, sagt Jule Specht. Es liege auch nicht an den Genen. Aus der Forschung weiß man, dass genetische Unterschiede im Alter im größeren Maß über die geistigen Fähigkeiten eines Menschen bestimmen, der Einfluss der Umwelt geht zurück.

Die Psychologen wollen nun untersuchen, ob sich die Menschen womöglich in ihren Eigenschaften verändern, weil sie spüren, dass ihr Tod näher rückt. Es gebe Untersuchungen, die gezeigt haben, dass Menschen, deren Leben zu Ende geht, dieses Leben noch einmal neu bewerten. „Im hohen Alter arbeiten Menschen auch eher an sich, sie versuchen nicht mehr, die anderen zu verändern, sondern sich selbst“, sagt Specht.

Warum verändern sich die Alten?

Passen die neuen Eigenschaften besser zu den neuen Lebensumständen im Alter? Wer nicht mehr täglich ins Büro oder die Werkstatt muss, kann seine Leistungsfähigkeit zurückfahren. Oder können die älteren Menschen bestimmte Dinge, Gewissenhaftigkeit oder Nervosität etwa, nicht mehr aufrechterhalten, weil ihnen die Kraft dafür fehlt?

Es könne übrigens auch sein, dass sie und die anderen noch nicht herausbekommen haben, was mit den älteren Menschen passiert, „weil wir gar nicht alle Veränderungen und Einflussfaktoren in diesem Lebensalter überblicken.“ Die meisten Forscher seien noch ziemlich jung. Jule Specht ist 28 Jahre alt.

Die Psychologen haben deshalb nun begonnen, Forschungsausflüge in Berliner Altersheime zu unternehmen. Die Menschen dort sollen ihnen erzählen, was es bedeutet, alt zu werden.

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