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Panorama Kolumne "Heartcore"

Das bittersüße Leiden der unerwiderten Liebe

Viele Menschen sind der festen Überzeugung, dass es wenig Traurigeres im Leben gibt, als eine unerfüllte Liebe. Unsere Kolumnistin ist da ganz anderer Meinung. Für sie ist es viel wichtiger, lieben zu können, statt geliebt zu werden. Ihr guter Freund Theo ist in dieser Hinsicht das beste Beispiel.

Aus gegebenem Anlass, kaum vor der Tür schon geht das Zittern los, es regnet, wird zu früh dunkel, widmen wir uns „Geschichten zum Rotwerden und Haare raufen“, einer erwärmenden Anekdote, die heiße Fragen aufwirft: Genügt es schon, etwas von ganzem Herzen zu wollen, um es tatsächlich zu bekommen? Und wie schafft man es in der Zwischenzeit, inmitten der Warteschleife, seinen Kopf nicht hängen zu lassen oder den Mut zu verlieren? Ist das Ziel wichtig, oder der Weg das Entscheidende?

Natürlich reden wir hier nicht von Geld, wir reden von anderen Kalibern, die aber nicht minder die Brust beschweren oder auch zu Luftsprüngen animieren, je nachdem. Von Wünschen, die so wertvoll sind, weil sie nicht käuflich zu erwerben sind, auch wenn manche das anders sehen. Aber wir nicht, denn wir sind schlau. Wir reden von nichts weniger als von Glockenläuten und Trompetenfanfaren, von Trieben und anderen Gewächsen, namentlich einem sehr begehrten: Von der Liebe. Es geht um das Erobern einer Frau. Um das Erobern ihres Herzens. Wir reden von einer lauen Brise Romantik inmitten einer fröstelnden Welt.

Die Geschichte handelt von meinem guten Freund Theo. Theo ist einer dieser Typen, die dem Wort Eigensinn ein Gesicht verleihen. Er lebt mit seinem Kater Gorbatschow und seinem Flipperautomaten im Berliner Bezirk Lichtenberg, also genau dort, wo andere Menschen nicht mal ihren Hund begraben lassen wollen. Theo ist das wurscht, und eigentlich genießt er das sogar, denn er ist ein Sturkopf und keiner, der das hochhält, was die Masse propagiert. Wenn Theo getrunken hat, klettert er nachts über die Dächer von Berlin, klaut Fahrräder und stellt sie an der nächsten Ecke wieder ab. Theo ist Programmierer, doch wenn draußen die Lichter ausgehen, schreibt er einen Roman über die Weltherrschaft der Chinesen oder auch die Nichtexistenz der Zeit. So genau habe ich das, ehrlich gesagt, nie verstanden. Er verdient im Moment recht viel Geld mit relativ viel Arbeit, und investiert es vor allem in leibliche Genüsse: Essen, Bier und tja, Wein und Wodka.

Theo ist ein toller Typ, zum Schreien komisch und dazu noch hübsch, sehr unabhängig. Außerdem verfügt er über ein intaktes Hirn. Er denkt viel, gibt viel, bringt andere zum Lachen und wenn er könnte, wie er wollte, würde er genau das machen, was er derzeit ohnehin schon macht. Wir könnten uns Theo also als einen zufriedenen Menschen vorstellen. Aber das wäre ja zu einfach, denn irgendwas fehlt immer und bei Theo ist dieses Etwas, die Miss, die morgens neben ihm aufwacht.

Wer das sein soll, ist ihm natürlich längst klar, nennen wir sie der Einfachheit halber die bezaubernde Jeannie. Er kennt sie seit genau 168 Tagen. Es war ein Mittwoch im Juni, als er sie zum ersten Mal sah – die Bäume hatten noch Blätter und Amerika einen haarigen Präsidenten. Er wusste sofort: Die oder keine, und nicht nur für jetzt und eine rauschende Nacht, sondern von nun an und für immer.

Man kann das gefühlsduselig und unrealistisch nennen, aber verdammt noch mal, was, wenn nicht die Liebe, soll, muss, kann und darf nur aus dem Bauch entschieden werden und fordert geradezu dazu auf, jederzeit mit Superlativen zu jonglieren, bis einem selbst und jedem, der zuschaut, ganz schwindelig wird? Eben!

Leider hat Jeannie in ihrem Leben keinen wie Theo eingeplant, sie hat einen Freund und zwar schon lange. Sie scheint jedoch beeindruckt von Theo, schließlich steht nicht jeden Tag ein Mann vor einer Frau und macht ihr klar, dass es jemanden gibt, der allein aufgrund ihrer Anwesenheit schon Glücksschocks Marke „Nicht mehr zurechnungsfähig“ erleidet. Sie kennen sich also länger als 100 Tage und seitdem hat sich manches getan und vieles nicht bewegt.

Inzwischen telefonieren sie immerhin beinah jede Nacht, er liest ihr Geschichten zum Einschlafen vor, hört ihr geduldig zu und kocht ihr Essen, wenn der Uni-Stress der zarten Dame auf den Magen schlägt.

Es gibt Menschen, die das Gefühl haben, dass Theo von der Dame nur ausgenutzt wird, dass sie ihn nie küssen wird und sich an seiner Schulter zwar ausweint, aber niemals zur Nacht betten wird. Offiziell vertrete ich eine ähnliche Haltung, schließlich ist mir an Theos Wohl gelegen und ich will nicht, dass er sehenden Auges in eine Tragödie stolpert. Insgeheim aber bewundere ich ihn und beneide ein wenig die Dame. Denn Theo hat seinen Humor nicht verloren, obgleich seine Launen seither Achterbahn fahren.

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In guten Momenten regiert die Selbstironie, Theo sagt dann: „Ich mag, dass sich alles so langsam entwickelt, ich genieße es, Sehnsucht zu haben.“ Er behauptet in solch trunkenen Stunden, die bezaubernde Jeannie sei seine Mission, so wie andere Menschen eben Berge besteigen oder Japanisch lernen würden. „Wenn ich den Mount Everest erklimmen will, renne ich doch auch nicht einfach mal an einem Nachmittag los, nein: Ich bereite mich vor, ich plane jeden Schritt. Ich trainiere solange, bis nichts mehr schief gehen kann, und dann zeig’ ich es den verdammten Steinen und trotze der Höhenluft.“

„Theo, ist dem Küssen einer Frau wirklich mit alpinen Metaphern beizukommen?“, frage ich. „Na klar, also ja, absolut“, sagt Theo dann. „Wer den Himmel anvisiert, sollte sich sicher sein, dass er genügend Puste hat.“ „Aha“, sage ich dann und besser nicht mehr.

Denn seit Theo Jeannie getroffen hat, ist etwas Merkwürdiges passiert: Er ist weltwilliger geworden, charmanter, er ist die beste Version seiner selbst. Er hat einen Antrieb gefunden, für den es sich lohnt, ein famoser Mensch zu sein. Er fühlt sich lebendig. Und was, wenn sie ihn letztendlich abweist und er niemals den Gipfel besteigen wird, fragen Sie?

Theo hat dazu, wie immer, seine ganz eigene Haltung: „Bevor ich Jeannie traf, fühlte ich mich fast wie eine Maschine. Ich funktionierte bloß, aber ich fühlte wenig. Seit ich sie kenne, ist selbst das Leiden bittersüß: Ich bin am Leben, und vegetiere nicht bloß vor mich hin.“

Theo und ich und jeder, der ihn kennt, können dankbar sein, dass es Jeannie gibt, auch wenn sie den Fehler machen sollte, einen der lässigsten Kerle, die frei herumlaufen, abzuweisen. Denn natürlich ist es ein schönes Gefühl zu bekommen, was man will. Manchmal ist das Warten darauf, jedoch noch viel besser. Ein Paar zu sein, das können viele, das hat die Natur so vorgesehen. Einen Menschen zu verehren, der einen hinhält, ohne dabei seinen Stolz zu verlieren oder sich in Grund und Boden zu schämen und selbst zu bemitleiden, das ist eine Kunst. Und mein Freund Theo ist ein verdammt talentierter Künstler.

Wenn Sie eine Heartcorefrage an Johanna Merhof haben oder ihr schreiben möchten, dann schicken Sie eine Mail an heartcore@welt.de .

Die Kolumne "Heartcore" erscheint jede Woche exklusiv auf WELT ONLINE.

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