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  3. Larderello: Die Geothermie-Hauptstadt liegt in Italien

Wirtschaft Geothermie

Der klügste Ökostrom entsteht durch Wärme aus der Erde

Quelle: Infografik Die Welt
Geothermie-Kraftwerke liefern Ökostrom unabhängig von der Wetterlage. In Deutschland wurde diese Idee bislang kaum beachtet. Das wollen jetzt ausgerechnet die Italiener ändern.

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Fünf Glühbirnen, einen Dynamo und heißes Wasser aus der Tiefe. Mehr braucht Prinz Piero Ginori Conti nicht für sein Experiment. Der Adlige will beweisen, dass sich mit der unter der Erde gespeicherten Energie Strom erzeugen lässt. Am 4. Juli 1904 ist es so weit. In Larderello, einem Örtchen zwischen Livorno und Siena in der Toskana, wo Conti eine Chemiefabrik besitzt, baut er seine Versuchsanlage auf. Der Dampf schießt nach oben, der Generator surrt – und die Lämpchen leuchten. Ein neues Zeitalter bricht an.

Mehr als 110 Jahre später ist Larderello die Hauptstadt der Geothermie. Aus aller Welt pilgern Wissenschaftler und Techniker in den 800-Seelen-Ort, um bei einem Teller Pici-Nudeln und einem Glas Brunello zu erfahren, wie sich aus der Erde Elektrizität und Heizwärme gewinnen lässt. 37 Geothermie-Kraftwerke betreibt der italienische Energieversorger Enel inzwischen – und deckt damit knapp ein Drittel des Stromverbrauchs in der Toskana ab.

Geothermie-Projekte brauchen langen Vorlauf

Es ist gut möglich, dass in naher Zukunft eine Delegation aus Deutschland in Larderello einfällt. Denn: Italiens Erdwärmepioniere bohren sich bald durch bayerisches Gestein. Enel übernimmt über seine Tochter Enel Green Power die Mehrheit an der Gesellschaft Erdwärme Oberland GmbH, die in Weilheim in der Nähe Münchens ein Wärmekraftwerk hinstellen will. Es wird das größte deutsche Erdwärmekraftwerk überhaupt.

Im März will Enel losgraben. Es ist das erste Projekt des italienischen Stromriesen in Deutschland. Geht alles gut, werden in zwei Jahren 26 Megawatt Strom produziert. Die Anlage ist fünfmal größer als die bislang in Deutschland gebauten Geothermie-Kraftwerke. Mit einer Leistung von 26 Megawatt könnte man 90.000 Haushalte versorgen. Das Projekt Weilheim allein wird die deutschen Kapazitäten für Geothermie-Strom von derzeit rund 32 Megawatt auf einen Schlag fast verdoppeln.

Läuten die Italiener die Geothermie-Wende in Deutschland ein? Bislang fristet die Erdwärmenutzung ein Nischendasein. Während Solar- und Windkraft massiv ausgebaut werden, entfallen auf die Geothermie gerade einmal 0,02 Prozent des Energiemixes, während es in Italien knapp zwei Prozent sind. Das Problem: Geothermie-Projekte brauchen einen langen Vorlauf. Die Planungs- und Genehmigungsphase kann sich Jahre hinziehen.

Der größte Teil der Kosten fällt vorab an, während später die Betriebsphase reine Erntezeit ist. Nur große, finanzstarke Investoren können diese Zeiträume überbrücken. Auch das ist ein Grund dafür, warum es in Deutschland bislang erst zehn geothermische Kraftwerke gibt, die elektrischen Strom produzieren.

Völlig unabhängig von der Wetterlage

Zudem gibt es oft auch Sorgen in der Bevölkerung, Geothermie könnte Erdbeben auslösen. Tatsächlich haben einzelne Projekte, wie etwa in Basel, seismische Reaktionen ausgelöst, weil zum Beispiel zu hoher Wasserdruck eingesetzt wurde und Mindestabstände nicht eingehalten wurden. In der Branche heißt es, man habe aus den Fehlern der Anfangszeit gelernt und verweist auf eine Studie des Bundesamtes für Geowissenschaften und Rohstoffe, derzufolge Tiefen-Geothermie das Erdbebenrisiko nicht nennenswert erhöht.

Grundsätzlich hat Geothermie gegenüber den anderen erneuerbaren Energien unschlagbare Vorteile. Der wichtigste: Bei der Geothermie handelt es sich um die seltene Spezies einer „grundlastfähigen“ Ökostromquelle. Anders als Solar- und Windkraftanlagen arbeiten Erdwärmekraftwerke unterbrechungsfrei rund um die Uhr und völlig unabhängig von der Wetterlage. Für die Stabilität der Stromnetze leisten sie damit einen unschätzbaren Beitrag.

Gut für die Konjunktur ist sie auch. „Wir leben von der Geothermie. Und wir leben gut von ihr“, sagt Loris Martignoni. Der 64-Jährige ist seit 2009 Bürgermeister der Gemeinde Pomarance, zu der Larderello gehört: Die Energiekosten der Bürger seien dank der Geothermie um 30 Prozent gefallen.

Quelle: Infografik Die Welt
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Allerdings ist Geothermie nicht überall profitabel. Ob sie erschlossen werden kann, hängt davon ab, ob und in welcher Tiefe sich genügend Wärme findet. Italien ist in dieser Hinsicht gesegnet. Energie von hoher Temperatur ballt sich in der Toskana relativ nahe an der Erdoberfläche. In Deutschland versprechen insbesondere das sogenannte süddeutsche Molassebecken und der Rheingraben viel heißes Wasser im Untergrund. Die Temperaturen im Norddeutschen Becken sind etwas geringer, sodass dort meist nur die oberflächennahe Geothermie etwa zum Betrieb von Wärmepumpen genutzt wird.

Massimo Montemaggi, Leiter Geothermie für Enel Green Power in Italien, sieht gute Voraussetzungen für mehr geothermische Stromerzeugung in Bayern. Das Projektrisiko schätzt er hier allenfalls moderat ein: „Das bayrische Terrain ist weiträumig“, sagt er.„Wenn die technischen und wirtschaftlichen Bedingungen gleich bleiben, dann könnten weitere Projekte folgen.“

Erdwärmestrom wird am stärksten gefördert

Geothermie entpuppt sich als italienischer Exportschlager. Enel trägt die Technologie in die Welt. In Stillwater im US-Bundesstaat Nevada hat der Staatskonzern das erste Hybridkraftwerk der Welt gebaut, das Erdwärme und Solarenergie nutzt. In der Atacamawüste in Chile ziehen die Italiener momentan das erste Geothermieprojekt Südamerikas hoch. Bis zu 30 weitere Unternehmen treiben in Italien 60 bis 70 Projekte voran. Nicht nur in der Toskana, sondern auch in anderen Regionen wie Latium, Umbrien und Sizilien, sagt Stefano Boco, Präsident von Rete Geotermica.

In dem Verband haben sich Enel-Herausforderer wie Graziella Green Power, Tosco Geo, Magma oder Sorgenia formiert. „Unsere Mitglieder haben sich das Ziel gesetzt, zehn Prozent des Energiebedarfs in Italien über Erdwärme abzudecken. Mit modernster, umweltfreundlicher Energie. In zehn Jahren ist das möglich.“

37 Geothermiekraftwerke wie dieses betreibt der italienische Energieversorger Enel – und deckt damit knapp ein Drittel des Stromverbrauchs in der Toskana ab
37 Geothermiekraftwerke wie dieses betreibt der italienische Energieversorger Enel – und deckt damit knapp ein Drittel des Stromverbrauchs in der Toskana ab
Quelle: Enel

Bürgermeister Martignoni freut sich schon auf Besuch aus Bayern. „Sie sind herzlich nach Larderello eingeladen. Wir zeigen ihnen gerne, wie sie die Geothermie nutzen können. Bei uns können sie schon einmal anwärmen.“

Allerdings dürfte es wohl auch dem italienischen Investor ganz warm ums Herz geworden sein, als er sich die Förderbedingungen in Deutschland anschaute: Hierzulande wird nach dem Erneuerbare Energiengesetz (EEG) für Strom aus Geothermie-Anlagen 25,2 Cent pro Kilowattstunde bezahlt, 20 Jahre lang. Das macht den Erdwärmestrom zur am höchsten vergüteten Ökostromsorte, noch vor Offshore-Wind und Solarstrom.

Anders als bei Solar- und Windkraft hat die Bundesregierung hier auch noch keine mengenmäßige Ausbaugrenze eingezogen, einfach weil Geothermie bislang nur unmerklich zur Stromversorgung beiträgt. „Die Technik genießt hierzulande noch eine Art Welpenschutz“, heißt es bei Branchenbeobachtern.

Gute CO2-Bilanz

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In der deutschen Geothermieszene herrscht denn auch Aufbruchstimmung. „Von der Politik wird die Rolle der Geothermie wegen ihrer Grundlastfähigkeit, Steuer- und Regelbarkeit zunehmend anerkannt“, sagt Josef Daldrup, Vorstandsvorsitzender des Bohrtechnik- und Geothermiespezialisten Daldrup und Söhne im münsterländischen Ascheberg.

„Der Markt für tiefe Geothermiebohr- und Kraftwerksprojekte hat sich im Verlauf des ersten Halbjahres 2015 zusehends aufgehellt.“ Das Daldrup-Kraftwerk in Taufkirchen, das bereits Fernwärme ins Netz einspeist, soll spätestens im März auch Elektrizität liefern. „Geothermie ist dezentral und erfordert keinen kostspieligen Netzausbau, ist eine unerschöpfliche und kostenlose Ressource, ist uneingeschränkt grundlastfähig und weist eine hervorragende CO2-Bilanz auf“, wirbt Konzernchef Josef Daldrup: „Damit erbringt Geothermie eine wichtige Systemdienstleistung und kann in absehbarer Zeit wirtschaftlich ohne Subventionen betrieben werden.“

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