Exklusiver Vorabdruck der Biografie von Österreichs Kanzler: Als Kurz ein Kind war, nahmen seine Eltern Flüchtlinge auf

Von: Von PAUL RONZHEIMER

Er hat einen sagenhaften Aufstieg hingelegt – und ist mit nur 31 Jahren Europas jüngster Regierungschef: Der österreichische Kanzler Sebastian Kurz gilt auch in Deutschland als Ausnahmepolitiker.

Viele fragen sich: Wie konnte er es so schnell nach ganz oben schaffen? Wie wurde er, was er ist? BILD-Reporter Paul Ronzheimer hat ihn für sein Buch „Sebastian Kurz – die Biografie“ über Wochen begleitet.

In Teil 1 der Serie sprechen Kurz' Eltern. Und berichten über Flüchtlinge, die sie bei sich zu Hause aufnahmen, als Kanzler Kurz noch der „Basti“ war.

Sebastian Kurz ist sechs Jahre alt, als er zum ersten Mal in seinem Leben Kriegsflüchtlinge trifft. Es ist das Jahr 1992, der Jugoslawien-Krieg wütet nur 500 Kilometer entfernt von Wien. Tausende Tote, ein Genozid mitten in Europa. Millionen Menschen werden vertrieben oder fliehen. Über hunderttausend wollen nach Österreich. Elisabeth Kurz und Josef Kurz, die Eltern des Mannes, der 25 Jahre später Österreich und Europa verändern wird, sehen die Bilder der verzweifelten Menschen im Fernsehen. Und treffen eine Entscheidung: Sie möchten helfen.

Deutsch-Kurse mit Flüchtlingen

Josef Kurz ist heute 67 Jahre alt, arbeitet trotz Rentenalters immer noch als Ingenieur. Die Ähnlichkeit mit seinem Sohn ist verblüffend, weiche Gesichtszüge, das gleiche verschmitzte Lachen.

„Das war so eine gewisse Stimmung“, erinnert sich Josef Kurz an die Zeit während des Jugoslawien-Krieges. „Man hat gehört, dass unser Bundesheer auch dort stationiert werden sollte. Wir haben dann erfahren, dass es in Niederösterreich bereits Geflüchtete gab. Und da wir Platz hatten auf dem Bauernhof in Zogelsdorf, hat eine Familie dann bei uns auf dem Hof gewohnt.“

Zogelsdorf, so heißt der Ort, in dem Elisabeth Kurz aufgewachsen ist. 150 Einwohner, ein Kriegsgräberdenkmal, eine Kapelle. „Wir haben dann mit ihnen Deutsch gelernt“, sagt Josef Kurz, „manchmal bin ich mit den zwei Flüchtlingsmädchen und Sebastian ins Hallenbad und musste aufpassen, dass die alle drei nicht ertrinken.“

Dass die Kinder aus dem Krieg geflüchtet sind, versteht der Mann, der als jüngster Kanzler Österreichs in die Geschichte eingehen wird, damals noch nicht.

„Dadurch, dass bei uns häufig viele Kinder zu Besuch kamen, war das nichts Ungewöhnliches“, sagt Elisabeth Kurz. „Der Unterschied war eben nur, dass sie noch nicht Deutsch sprechen konnten. Aber Flucht oder Krieg, das haben wir versucht auszublenden mit den Kindern.“

Sebastian Kurz kann sich noch heute an die Mädchen erinnern, die damals auf dem Hof gelebt haben und mit denen er zusammen unterwegs war.

„Es waren Mädchen, die damals in einer extrem schrecklichen Lage waren“, sagt er. „Und doch war es so, dass sie zumindest dann beim Spielen so gewirkt haben, dass sie halbwegs unbeschwert sein können. Ich weiß noch genau, dass ich mich gefragt habe, wo denn ihre Väter sind.“

Kurz' Großmutter flüchtete nach Österreich

Sebastian Kurz wird als Kind früh damit konfrontiert, was Krieg, Flucht und Vertreibung bedeuten. Auch weil es Teil der eigenen Familiengeschichte ist.

Die Großmutter kommt aus Novi Sad (heute Serbien) und flüchtete als 16-Jährige während des Zweiten Weltkriegs nach Niederösterreich. Sie spricht nur Ungarisch, als sie als junges Mädchen während des Krieges die 598 Kilometer durch Ungarn und die Slowakei bis nach Niederösterreich läuft. Ein wochenlanger Marsch immer in der Angst, getötet zu werden. In Niederösterreich lernt sie später Kurz’ Großvater kennen.

„Die Mama hat mir immer wieder erzählt, was dort los war“, sagt Elisabeth Kurz, die noch heute mehrmals die Woche ihre pflegebedürftige Mutter besucht. „Die Leichen haben in den Straßengräben gelegen, sie wurden die ganze Zeit bombardiert aus der Luft. Und diejenigen, die das überlebt haben und nicht geflohen sind, wurden einfach erschossen.“

Die Großmutter von Sebastian Kurz redet bis heute viel über das, was sie während des Zweiten Weltkriegs gesehen hat. „Sie hat immer wieder plötzlich diese Bilder vor Augen und träumt auch davon. Das ist so, als hätten wir dieses Fluchtthema in den Genen“, sagt Elisabeth Kurz. „Das ist etwas Furchtbares, auch für mich. Wie eine Erinnerung, obwohl ich es nicht erlebt habe. Das ist in mir und natürlich auch die Angst.“

Sebastian Kurz fällt als Kind auf, dass seine Oma ungarisch sprechen kann. „Das war irgendwie interessant, und ich habe sie dann immer wieder nach ihrer Geschichte gefragt. Das ist natürlich sehr prägend für einen.“

Die Erlebnisse seiner Großmutter und die Bilder von den Jugoslawien-Flüchtlingen werden Sebastian Kurz auch später noch beschäftigen, als er sich in der Flüchtlingskrise gegen den Kurs von Kanzlerin Angela Merkel stellt.

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