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Stehen Uber und Lyft vor dem Aus?

Kalifornien will die Fahrdienste in einem Leiturteil dazu zwingen, Chauffeuren mehr Rechte zu gewähren.

Sabrina Kessler 4 min
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Hält Festanstellungen für überholt: Uber-Chef Dara Khosrowshahi. (Bengaluru, Indien, 23. Oktober 2019)

Hält Festanstellungen für überholt: Uber-Chef Dara Khosrowshahi. (Bengaluru, Indien, 23. Oktober 2019)

Samyukta Lakshmi / Bloomberg

Mit der Wahrheit nehmen es Firmenchefs manchmal nicht so genau. Umso erstaunlicher, dass Dara Khosrowshahi, Chef des US-Fahrdienstleisters Uber, von Anfang an kein Hehl aus den Erfolgsaussichten seines Unternehmens machte.

Wer ein vorhersehbares und profitables Unternehmen suche, der möge lieber in eine Bank investieren, sagte er Ende 2018. «Kommt nicht zu uns», riet er diesen Anlegern, «ganz einfach.»

Auch im Börsenprospekt der Firma heisst es unter dem Aspekt «Risikofaktoren», für Investoren bestehe die Gefahr, das gesamte Investment oder Teile davon zu verlieren.

Jetzt, knapp ein Jahr nach Ubers Börsengang, könnte sich das bewahrheiten. Der milliardenschwere Taxi-Schreck steht vor einem Scherbenhaufen. Ausgerechnet Kalifornien, Heimatstaat der beiden Fahrdienstleister Lyft und Uber, greift das Geschäftsmodell von Amerikas grössten Taxi-App-Anbietern an.

Null soziale Absicherung

Der Oberste Gerichtshof entschied vergangene Woche, dass die Konzerne ihre Fahrer in Zukunft anstellen müssen. Durch die Einstufung als Selbständige würden den Fahrern Leistungen wie Mindestlöhne, bezahlte Überstunden oder die Arbeitslosenversicherung zu Unrecht verwehrt, sagen die Richter.

Die Konzerne wiederum argumentieren, sie würden die Fahrer lediglich vermitteln, nicht beschäftigen. De facto schreiben sie ihnen aber einen Grossteil der Arbeitsbedingungen vor.

Für die Fahrer heisst das: Sie müssen sich nicht nur an die Spielregeln der Firmen halten, sondern auch das volle Risiko tragen. Ihr Auto müssen sie selbst bezahlen. Auch die Kosten für Versicherungen, Benzin und etwaige Reparaturen tragen sie komplett.

Nicht einmal Fahrten, die für sie unprofitabel scheinen, dürfen sie ablehnen, sonst gibt es Strafe. Dazu müssen sie, je nach Status, bis zu 70% des Fahrpreises an Uber abgeben, kritisiert die Gewerkschaft New York Taxi Workers Alliance.

Diesen Methoden hat die kalifornische Justiz nun den Riegel geschoben. Am Freitag sollte die einstweilige Verfügung in Kraft treten. Ein Berufungsgericht gewährte den Fahrdienstleistern am Vorabend jedoch kurzfristig Aufschub.

Die Richter knüpften das Moratorium allerdings an Konditionen. Neben einem beschleunigten Berufungsverfahren müssen die Firmenchefs belegen, dass sie das neue Gesetz binnen 30 Tagen umsetzen werden.

Dass Uber und Lyft bekehrt werden und den Fahrern mehr Rechte und Schutz gewähren, ist unwahrscheinlich. In einem Beitrag für die «New York Times» zeigte sich Uber-Chef Khosrowshahi uneinsichtig. Das bestehende System der Festanstellung sei überholt und ungerecht, schrieb er. Uber-Fahrer wünschten sich vor allem Flexibilität und kein festes Arbeitszeitkorsett.

Die Juristin Veena Dubal sieht das anders. Für ihre Forschungsarbeit als Assistenzprofessorin an der University of Berkeley hat sie über Jahre hinweg Hunderte Fahrer interviewt. Die freie Zeiteinteilung sei tatsächlich ein Grund, warum die Fahrer ihre Selbständigkeit schätzten.

Ihre Studien hätten aber auch gezeigt, dass sich die Fahrer entgegen den Aussagen der Fahrdienstleister sehr wohl mehr soziale Absicherung wünschten. «Es ist eine reine Business-Entscheidung der Firmen, lieber auf Selbständige zu setzen.»

Nationale Signalwirkung

Das Gerichtsurteil betrifft mehr als nur Kaliforniens Fahrdienstleister. Gig-Economy nennt sich der Teil der Wirtschaft, in dem sich derzeit etwa 55 Mio. US-Arbeiter ohne Angestelltenstatus von Auftrag zu Auftrag hangeln.

Hollywood-Produktionsfirmen etwa stufen ihre Beschäftigten gerne als Subunternehmer ein und lagern Tätigkeiten an Freiberufler aus. Dies schaffe Flexibilität, loben Anhänger die Gig-Economy. Auftragnehmer würden ausgebeutet, sagen Kritiker, schliesslich entfällt beispielsweise die Pflicht, Mindestlöhne oder Krankentaggeld zu zahlen.

Das Erfolgsrezept von Gig-Economy-Firmen wie Uber und Lyft beruht vor allem auf einer Zutat: maximale Kostenreduktion. Anfangs noch kosteten viele Fahrten in Kalifornien die Hälfte des Taxitarifs.

Das ging so lange gut, bis die Wachstumsraten der Newcomer sanken. Dann stieg der Druck auf die Margen. Die Kosten mussten runter. Der Erfolg der Fahrdienstleister stehe und falle mit dem Prinzip der Scheinselbständigkeit, sagen Analysten.

Dieses Geschäftsmodell geht allerdings nicht nur auf Kosten der Fahrer. Auch die Allgemeinheit leidet indirekt. Die Arbeitslosenversicherung etwa speist sich zum Teil aus den Beiträgen der Arbeitgeber. Uber oder Lyft zahlen nicht in diese Kasse ein.

Jedes Jahr entgehen allein dem Bundesstaat Kalifornien 7 Mrd. $ an Steuern und Abgaben, rechnet die kalifornische Arbeitsaufsichtsbehörde vor. Fakt ist: Viele Fahrdienstleister können und wollen sich diese Sozialbeiträge schlicht nicht leisten.

Das Urteil trifft Uber, Lyft und Co. ins Mark. «Die Firmen stehen vor dem absoluten Worst Case», sagt Brad Gastwirth, Tech-Analyst bei Wedbush Securities. Der kalifornische Markt mache für Lyft zwar nur einen Sechstel, für Uber sogar nur einen Zehntel des US-Umsatzes aus. Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs hat allerdings Signalwirkung auf andere Bundesstaaten.

Die Bürgermeisterin von Seattle etwa gab bekannt, dass sie die Fahrdienstleister künftig dazu verpflichten werde, sich an den Benzinkosten der Fahrer zu beteiligen. In New York City schreiben die Behörden schon jetzt Mindestlöhne für Fahrer vor.

Volksinitiative in Kalifornien

Die Fahrdienstleister hoffen jetzt auf die Unterstützung ihrer Fahrgäste. Per Volksabstimmung sollen sie im November eine Gesetzesänderung herbeibringen. 110 Mio. $ haben die Konkurrenten Uber, Lyft und Co. bisher in die öffentliche Kampagne investiert.

Die sogenannte «Proposition 22» würde die Taxi-App-Vermittler ausdrücklich von der gesetzlichen Pflicht ausnehmen, ihre Beschäftigten als Arbeitnehmer einzustellen.

Sollten die Kalifornier den Zusatz ablehnen und der Dienst vor Gericht verlieren, werde Lyft seinen Service in Kalifornien einstellen müssen, hiess es am Donnerstag.

Etwas optimistischer zeigte sich Uber-Chef Khosrowshahi. Der Betrieb werde zwar weitergehen, aber mit weniger Fahrern und höheren Preisen. Ubers Zukunft bleibt damit allerdings weiter unprofitabel und unvorhersehbar.

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