Technologie in unseren Schulen schadet mehr, als sie nützt

Ralf Lankau, Professor für Mediengestaltung und Medientheorie an der Hochschule Offenburg, über die Petition "Schulpakt Digital ist ein Irrweg der Bildungspolitik - denn Digitaltechnik an Schulen schadet mehr, als sie nützt"

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Sie haben zusammen mit anderen Wissenschaftlern einen offenen Brief an die Kultusminister verfasst mit dem Tenor "Technologie an Schulen schadet mehr, als sie nützt" - und dazu eine Unterschriftenaktion gestartet. Wieso gerade jetzt?

Ralf Lankau: Im Oktober 2016 hat Bundesbildungsministerin Johanna Wanka den Digitalpakt#D angekündigt. Was zunächst positiv klingt - 5 Milliarden Euro für Schulen -, erweist sich als Trojanisches Pferd, denn dieses Geld darf ausschließlich für Hardware ausgegeben werden.

Am 1. Juni 2017 hat nun die Kultusministerkonferenz den "Schulpakt Digital" verabschiedet und ordnet sich den Berliner Vorgaben komplett unter. Eine falsche Entscheidung, werden doch nur Partikularinteressen der IT-Wirtschaft und der Arbeitgeberverbände bedient. Auch wird damit die grundgesetzlich verankerte Methodenfreiheit der Lehrenden missachtet. Und vor allem ist es weder pädagogisch noch bildungspolitisch zu begründen, Geräte der Unterhaltungsindustrie verpflichtend in den Unterricht zu integrieren.

Woran machen Sie fest, dass Digitaltechnik im Unterricht keinen Nutzen hat?

Ralf Lankau: Dazu gibt es viele Studien, angefangen von der OECD- über die PISA-Studie 2015 bis zu John Hatties Meta-Studie "Visible Learning".1 Oder nehmen wir das kürzlich veröffentlichte Gutachten "Bildung 2030" des Aktionsrats Bildung der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft.

Was steht in dem Gutachten drin?

Ralf Lankau: Auf Seite 78 von "Bildung 2030" wird eine Studie zitiert, der zufolge hiesige Grundschulkinder, die mindestens einmal wöchentlich Computer im Unterricht nutzten, in den Domänen Mathematik und Naturwissenschaften sogar statistisch signifikant niedrigere Kompetenzen aufwiesen als diejenigen, die seltener als einmal pro Woche mit dem Computer hantierten.2

Gilt das auch für simple Lernaufgaben?

Ralf Lankau: Hans W. Giessen, Professor an der Universität des Saarlandes, hat bei einem Experiment zum Vokabellernen festgestellt, dass traditionelle Lernformen zu deutlich besseren Ergebnissen führen als das Lernen am Monitor. Selbst Andreas Schleicher, Direktor des Direktorats für Bildung der OECD, schlussfolgert daher in einem Interview mit einer australischen Zeitung: "Wir müssen es als Realität betrachten, dass Technologie in unseren Schulen mehr schadet als nützt." Vor diesem Hintergrund sind die immensen Anschaffungs- und Folgekosten für die Digitaltechnik, deren Produktion übrigens auch aus ökologischer Sicht mit Problemen verbunden ist, besonders kritisch zu sehen.

Finanziell werden die Schulen de facto handlungsunfähig

Wie weit reichen die vom Bundesbildungsministerium versprochenen 5 Mrd. Euro?

Ralf Lankau: Nach Berechnungen von Andreas Breiter und Kollegen (Uni Bremen) für die die Bertelsmann-Stiftung reicht dieses Geld für gerade einmal 18 Prozent der tatsächlichen Kosten für das Szenario, dass sich fünf Schulkinder im Unterricht einen Rechner teilen müssen, und für nur sieben Prozent, wenn jeder Schüler ein Notebook oder Tablet gestellt bekommt. Demnach müssten die Schulen aus ihrem Budget mehrere 10.000 € bzw. einige 100.000 € in Digitaltechnik investieren - pro Jahr wohlgemerkt. Dadurch werden die Budgets der beteiligten Schulen für Jahre im Voraus für Digitaltechnik verplant - und stehen damit für nicht technikbasierte pädagogische Konzepte nicht zur Verfügung. Die Schulen werden de facto handlungsunfähig.

Befürworter von Digitaltechnik in Schulen weisen aber darauf hin, dass wir unsere Kinder auf das Leben neben und nach der Schule vorzubereiten hätten. Daher sei es fahrlässig, sich der Computerisierung des Unterrichts zu widersetzen.

Ralf Lankau: Hier wird nicht nur übersehen, dass Digitaltechnik im Unterricht nachweislich "mehr schadet als nützt", um noch mal Andreas Schleicher von der OECD zu zitieren. Auch kann es nicht Aufgabe von öffentlichen bzw. staatlichen Bildungseinrichtungen sein, Kinder und Jugendliche den Gebrauch von Geräten der Unterhaltungselektronik beizubringen - das können sie schon - oder den medialen Konsum zu fördern. Sie nutzen digitale Endgeräte bereits mehrere Stunden täglich - und gewöhnen sich an die Fremdbestimmung durch Algorithmen, Apps und Avatare.

Das primäre Ziel von Schule aber ist - neben der Sozialisierung in der Gemeinschaft - die Vermittlung von Wissen und Fachwissen, von Können und Fertigkeiten als Basis der Entwicklung ihrer Persönlichkeit. Dazu müssen sie die Dinge, mit denen sie sich beschäftigen, auch im Wortsinn begreifen, was mit einer Welt hinter der Mattscheibe von Display und Touchscreen nicht gelingen kann.