Al Gore doppelt nach und nimmt es mit den Fakten nicht sehr genau

Der neue Film des Klimaschützers krankt am Narzissmus seines Autors. Nicht um das Klima, sondern um den eigenen Nachruhm scheint sich Al Gore hauptsächlich zu sorgen.

Andreas Rüesch
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Mächtige Bilder des nahenden Verhängnisses. Al Gores Film «An Inconvenient Sequel – Truth to Power» geizt nicht mit suggestiven Aufnahmen und Aussagen, mit den Fakten nimmt er es, Filmtitel hin oder oder her, weniger genau. (Bild: pd)

Mächtige Bilder des nahenden Verhängnisses. Al Gores Film «An Inconvenient Sequel – Truth to Power» geizt nicht mit suggestiven Aufnahmen und Aussagen, mit den Fakten nimmt er es, Filmtitel hin oder oder her, weniger genau. (Bild: pd)

Um den früheren amerikanischen Vizepräsidenten Al Gore ist es in den letzten Jahren recht still geworden. Seit seinem Oscar für den Film «An Inconvenient Truth» und seiner Ehrung mit dem Friedensnobelpreis für sein klimapolitisches Engagement ist ein volles Jahrzehnt vergangen. Eine Rückkehr auf die Bühne der Parteipolitik hat der Demokrat nie versucht; selbst in der Regierung seines Parteikollegen Barack Obama gab es für ihn keine Verwendung. Nun meldet sich Gore mit einem Fortsetzungsfilm zurück: «An Inconvenient Sequel – Truth to Power» (deutsch: «Immer noch eine unbequeme Wahrheit – unsere Zeit läuft») ist wie sein Vorgänger ein persönlich gefärbter Dokumentarfilm, der vor den Gefahren des Klimawandels warnt.

Er schwankt dabei zwischen Frustration, etwa wenn der inzwischen ergraute Politiker über seine vielen Rückschläge sinniert, und Optimismus. Letzterer kommt in einer der heitersten Szenen zum Tragen, als Gore in Texas einen Bürgermeister trifft, dessen Städtchen sich zu 90 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen versorgt – nicht etwa weil die stockkonservativen Einwohner feurige Umweltschützer geworden wären, sondern weil sich damit Geld sparen lässt.

Alles dreht sich um eine Person

Grosses Kino wird einem in diesen 100 Minuten aber nicht geboten; da können sich die Filmemacher Bonni Cohen und Jon Shenk noch so sehr bemühen, das Ringen um den Pariser Klimavertrag von 2015 als Thriller zu inszenieren. Der Film krankt an drei Grundproblemen: Erstens ist der ständige Fokus auf die Hauptperson bald einmal unerträglich: Gore im Flugzeug, im Auto, in der Pariser Metro, Gore bei der Maskenbildnerin, im Gespräch mit Ministern, als Vortragsredner, als rastloser Held im Kampf gegen die Klimakatastrophe. Da der Film keinerlei neue Erkenntnisse über das Klimaproblem präsentiert, drängt sich der Verdacht auf, dass in Wirklichkeit ein ganz anderes Ziel im Vordergrund steht, nämlich die unterschätzte Grösse dieses Beinahe-Präsidenten für alle Zeiten zu dokumentieren.

Zweitens nimmt es der Film mit den Fakten nicht allzu genau – und auch daran scheint zum Teil die narzisstische Ader der Hauptfigur schuld. So wird dem Publikum suggeriert, Gore habe hinter den Kulissen Entscheidendes geleistet, um ein Scheitern der Pariser Klimakonferenz abzuwenden. Demnach fädelte er einen Deal ein, in dem Indien von einem US-Konzern Solartechnologie zugesichert bekam und dafür seinen Widerstand gegen den Klimavertrag aufgab. Gegen diese Darstellung spricht nicht nur das Dementi eines führenden indischen Unterhändlers, sondern auch die Tatsache, dass ein solcher Technologietransfer in der Folge nie zustande kam.

Gefangen in alten Debatten

Dubios oder schlichtweg irreführend sind auch Al Gores Angaben über die Solarindustrie in Chile oder den Klimawandel als Ursache des Bürgerkriegs in Syrien. Wenn er in Gummistiefeln durch überschwemmte Strassen in Miami watet, genügt ihm das als Beweis für den Klimawandel. Und mit seiner Aussage, heute sei «jeder Sturm anders, weil er in einer wärmeren und feuchteren Welt» stattfinde, liefert er jenen Kreisen Munition, die den Klimaschützern mangelnde Wissenschaftlichkeit vorwerfen.

Drittens ist Gore gefangen in den alten Debatten über Existenz oder Nichtexistenz des Klimawandels. Die wirklich spannende – und schwierige – Frage lautet heute jedoch, mit welchen Mitteln sich die Klimaveränderungen am effizientesten abfedern lassen und wer dazu wie viel beitragen soll. Gore hat dazu nicht das Geringste zu sagen – er schliesst sein Propagandastück mit dem simplen Appell, das moralisch Richtige zu tun.

In Zürcher Kinos ab dem 12. Oktober.

Das Zurich Film Festival ging mit einem Besuch des früheren US-Vizepräsidenten Al Gore zu Ende. Nach einer Diskussionsrunde mit dem Publikum kündigte der heutige Umweltaktivist seinen neuen Film «An Inconvenient Sequel: Truth to Power» persönlich an. (Bild: Christian Merz / Keystone)
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Die Zürcher Lokalmatadorin Lisa Brühlmann (*1981) erhielt für ihr Coming-of-Age-Drama «Blue My Mind» das Goldene Auge der Sektion Fokus. Im Bild: Dreharbeiten für «Blue My Mind» auf dem Hardturmareal in Zürich West. – Der indische Regisseur Rahul Jain konnte mit seinem visuell betörenden Beitrag «Machines» das Goldene Auge für den besten internationalen Dokumentarfilm ergattern. (Bild: Annick Ramp / NZZ)
Die preisgekrönte Regisseurin Lisa Brühlmann äussert sich zu ihrem Schaffen. (Bild: Ennio Leanza / Keystone)
Das Goldene Auge für den besten internationalen Spielfilm erhielt Kirsten Tan aus Singapur für das Roadmovie «Pop Aye», ein Film über einen desillusionierten Architekten aus Bangkok, der einen Elefanten kauft und mit ihm ins Dorf seiner Jugend zurückkehrt. (Bild: Imago)
Kirsten Tan nimmt ihren Preis entgegen. (Ennio Leanza / Keystone)
Petter Lennstrand erhält das Goldene Auge für «Up in the Sky». (Ennio Leanza / Keystone)
Seraina Nyikos freut sich über den «Treatment Award» für ihren Film «Secondo», einem in Luzern spielenden Teenager-Drama, das die kulturelle Wirkungsmacht eines Selfies aufzeigt. (Bild: Ennio Leanza / Keystone)
Die Jury von links nach rechts: Lucas Ochoa, Michel Merkt, Trine Dyrholm, Mabel Cheung, Paul Negoescu, Ed Guiney. (Bild: Ennio Leanza / Keystone)
Rolf Lyssy besuchte am Mittwoch das ZFF, um seinen neusten Film «Die letzte Pointe» vorzustellen. Es handelt sich um eine Komödie zum Thema Sterbehilfe. (Bild: Ennio Leanza / Keystone)
Beim Screening seines Films begrüsst der Schweizer Regisseur bekannte Gesichter. Rolf Lyssys grösste Erfolge waren «Die Schweizermacher» aus dem Jahr 1978 und «Leo Sonnyboy», 1989. (Bild: Ennio Leanza / Keystone)
Bei warmem Herbstwetter treffen sich die Filmliebhaber am Mittwochabend beim Festivalzentrum auf dem Sechseläutenplatz in Zürich. (Bild: Ennio Leanza / Keystone)
Der Auftritt von US-Schauspieler Jake Gyllenhaal am Zurich Film Festival sorgte für grosse Aufregung – und der Hollywood-Star nahm sich Zeit für seine Fangemeinde . . . (Bild: Ennio Leanza / Keystone)
. . . und die Fragen der Medienleute. (Bild: Ennio Leanza / Keystone)
Bestens gelaunt zeigt sich Gyllenhaal auf der Bühne mit Moderator Max Loong. Der Schauspieler reiste nach Zürich, um seinen neuen Film «Stronger» vorzustellen. (Bild: Ennio Leanza / Keystone)
Der mehrfach ausgezeichnete Star (u.a. «Brokeback Mountain») wir auch in Zürich geehrt und kann einen Golden Eye Award entgegennehmen. (Bild: Ennio Leanza / Keystone)
Vor acht Jahren wurde der Regisseur bei seiner Ankunft in Zürich festgenommen – nun beehrte Roman Polanski das Zürcher Filmfest erneut. Am 4. Oktober wurde bekannt, dass neue Vergewaltigungsvorwürfe zu einem Vorfall von 1972 gegen Polanski vorliegen. Bild: Die beiden Festivalleiter Nadja Schildknecht (links) und Karl Spoerri (rechts) begleiten ihren Stargast über den grünen Teppich. (Bild: Ennio Leanza / Keystone)
Der polnisch-französische Regisseur nimmt sich Zeit für seine Fans: Er verteilt Autogramme . . . (Arnd Wiegmann / Reuters)
. . . und posiert für Selfies. (Bild: Ennio Leanza / Keystone)
Der 84-jährige Polanski reiste zusammen mit seiner 51-jährigen Frau, der Schauspielerin Emmanuelle Seigner, nach Zürich. Das Ehepaar präsentierte seinen neuen Film «D'après une histoire vraie». (Bild: Ennio Leanza / Keystone)
Der neue Film des deutsch-schweizerischen Regisseur Marc Forster feierte am Montagabend Premiere. Im Film «All I See is You» spielt Hollywoodschauspielerin Blake Lively eine Frau, die nach einer Augenoperation wieder sehen kann – und zwar mehr als ihr lieb ist. (Bild: Ennio Leanza / Keystone)
Das Zurich Film Festival auf dem Sechseläutenplatz am Zürcher Seebecken ist in vollem Gange; es dauert noch bis zum 8. Oktober. Die amerikanische Schauspielerin Glenn Close hat am Sonntag (1.10.) einen Golden Icon Award für ihr Lebenswerk erhalten. In Zürich zeigt sie ihren neuen Film «The Wife». (Bild: Walter Bieri / Keystone)
Ein Hauch von Glamour auf dem grünen Teppich: Nadja Schildknecht, Co-Leiterin des Festivals (l.), wird von Schauspieler Moritz Bleibtreu herzlich begrüsst. (Bild: Walter Bieri / Keystone)
Die amerikanische Darstellerin Annie Starke zeigt sich in Zürich gut gelaunt. Sie wirkt im Film «The Wife» neben Glenn Close mit. (Bild: Walter Bieri / Keystone)
Bekannte Gesichter am Sonntag (1.10.) auf dem Festivalgelände. Der deutsche Schauspieler Moritz Bleibtreu (r.) nimmt mit dem Regisseur Ozgur Yildirim an einer Pressekonferenz Stellung zum aktuellen Filmschaffen. (Bild: /Walter Bieri / Keystone)
Die österreichische Schauspielerin Birgit Minichmayr kommt am Sonntag (1.10.) nach Zürich und nimmt an einer Medienkonferenz teil. (Bild: /Walter Bieri / Keystone)
Filme schauen und nach Filmstars Ausschau halten ermüdet; zum Glück bietet das Festival genügend Möglichkeiten zur Entspannung. (Bild: /Walter Bieri / Keystone)
Das Zurich Film Festival auf dem Sechseläutenplatz am Zürcher Seebecken ist in vollem Gange; es dauert noch bis zum 8. Oktober. Am Freitag (29.9.) war Alicia Vikander (M.) am Festival zu Gast; hier posiert sie zwischen den Festivalleitern Karl Spoerri (l.) und Nadja Schildknecht. (Bild: Ennio Leanza / Keystone)
Gezeigt werden rund 160 Filme aus aller Welt, die sich um eine der begehrten Auszeichnungen bewerben. Der britische Schauspieler Charles Dance erschien am Freitag (29.9.) zur Präsentation seines neuen Filmes «Euphoria». (Bild: Ennio Leanza / Keystone)
Die schwedische Oscarpreisträgerin Alicia Vikander sucht den Kontakt zum Publikum und gibt den Medienvertretern Auskunft. (Bild: Ennio Leanza / Keystone)
Das Zurich Film Festival auf dem Sechseläutenplatz am Zürcher Seebecken ist eröffnet worden; es dauert bis zum 8. Oktober. Zum Auftakt erscheinen illustre Gäste, darunter Bundespräsidentin Doris Leuthard. (Bild: Ennio Leanza / Keystone)
«Sehen und gesehen werden» gilt auch dieses Jahr wieder bei der 13. Ausgabe des Zürcher Filmfestivals auf dem Sechseläutenplatz. (Bild: Ennio Leanza / Keystone)
Bundespräsidentin Doris Leuthard richtet das Wort an die geladenen Gäste. (Bild: Ennio Leanza / Keystone)
Stadtpräsidentin Corine Mauch (M.) erscheint mit Zürichs Kulturchef Peter Haerle (l.) und dessen Stellvertreterin Claire Schnyder (r.), auf dem Sechseläutenplatz. (Bild: Ennio Leanza / Keystone)
Der ehemalige Fussballprofi Günter Netzer steigt schwungvoll aus der Limousine. (Bild: Ennio Leanza / Keystone)
Auch tierische Zuschauer sind am ZFF-Eröffnungsabend dabei. (Bild: Selina Haberland / NZZ)
Zuschauer warten auf die Eröffnung des Filmfestivals. Am Samstag 7. Oktober werden die Preise verliehen in den drei Wettbewerben Internationaler Spielfilm, Internationaler Dokumentarfilm und Fokus: Schweiz, Deutschland, Österreich. (Bild: Ennio Leanza / Keystone)
Blick auf das Festivalzentrum im Seebecken von Zürich. Das Festival zeigt 160 Produktionen, darunter 41 Erstlingswerke und 12 Weltpremieren. Der Schweizer Film ist mit 15 Produktionen vertreten. (Bild: Walter Bieri / Keystone)
Am Donnerstagabend werfen sich die Gäste zur Eröffnung des 13. Zurich Film Festival auf dem Sechseläutenplatz in Schale. (Bild: Selina Haberland / NZZ)
Viele Schaulustige versammeln sich, um der Ankunft der ersten Stars beizuwohnen – und verewigen den Moment. (Bild: Selina Haberland / NZZ)
Fans warten am Rand des grünen Teppichs auf Stars wie ... (Bild: Selina Haberland / NZZ)
... Roger Federer, der ein Bad in der Menge nimmt. (Bild: Ennio Leanza / Keystone)
Die ersten Pressekonferenzen gehen über die Bühne, hier mit dem schwedischen Schauspieler Sverrir Gudnason (links) und dem dänischen Regisseur Janus Metz Pedersen. (Bild: Walter Bieri / Keystone) Zum Artikel

Das Zurich Film Festival ging mit einem Besuch des früheren US-Vizepräsidenten Al Gore zu Ende. Nach einer Diskussionsrunde mit dem Publikum kündigte der heutige Umweltaktivist seinen neuen Film «An Inconvenient Sequel: Truth to Power» persönlich an. (Bild: Christian Merz / Keystone)