Der neue Film des Klimaschützers krankt am Narzissmus seines Autors. Nicht um das Klima, sondern um den eigenen Nachruhm scheint sich Al Gore hauptsächlich zu sorgen.
Um den früheren amerikanischen Vizepräsidenten Al Gore ist es in den letzten Jahren recht still geworden. Seit seinem Oscar für den Film «An Inconvenient Truth» und seiner Ehrung mit dem Friedensnobelpreis für sein klimapolitisches Engagement ist ein volles Jahrzehnt vergangen. Eine Rückkehr auf die Bühne der Parteipolitik hat der Demokrat nie versucht; selbst in der Regierung seines Parteikollegen Barack Obama gab es für ihn keine Verwendung. Nun meldet sich Gore mit einem Fortsetzungsfilm zurück: «An Inconvenient Sequel – Truth to Power» (deutsch: «Immer noch eine unbequeme Wahrheit – unsere Zeit läuft») ist wie sein Vorgänger ein persönlich gefärbter Dokumentarfilm, der vor den Gefahren des Klimawandels warnt.
Er schwankt dabei zwischen Frustration, etwa wenn der inzwischen ergraute Politiker über seine vielen Rückschläge sinniert, und Optimismus. Letzterer kommt in einer der heitersten Szenen zum Tragen, als Gore in Texas einen Bürgermeister trifft, dessen Städtchen sich zu 90 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen versorgt – nicht etwa weil die stockkonservativen Einwohner feurige Umweltschützer geworden wären, sondern weil sich damit Geld sparen lässt.
Grosses Kino wird einem in diesen 100 Minuten aber nicht geboten; da können sich die Filmemacher Bonni Cohen und Jon Shenk noch so sehr bemühen, das Ringen um den Pariser Klimavertrag von 2015 als Thriller zu inszenieren. Der Film krankt an drei Grundproblemen: Erstens ist der ständige Fokus auf die Hauptperson bald einmal unerträglich: Gore im Flugzeug, im Auto, in der Pariser Metro, Gore bei der Maskenbildnerin, im Gespräch mit Ministern, als Vortragsredner, als rastloser Held im Kampf gegen die Klimakatastrophe. Da der Film keinerlei neue Erkenntnisse über das Klimaproblem präsentiert, drängt sich der Verdacht auf, dass in Wirklichkeit ein ganz anderes Ziel im Vordergrund steht, nämlich die unterschätzte Grösse dieses Beinahe-Präsidenten für alle Zeiten zu dokumentieren.
Zweitens nimmt es der Film mit den Fakten nicht allzu genau – und auch daran scheint zum Teil die narzisstische Ader der Hauptfigur schuld. So wird dem Publikum suggeriert, Gore habe hinter den Kulissen Entscheidendes geleistet, um ein Scheitern der Pariser Klimakonferenz abzuwenden. Demnach fädelte er einen Deal ein, in dem Indien von einem US-Konzern Solartechnologie zugesichert bekam und dafür seinen Widerstand gegen den Klimavertrag aufgab. Gegen diese Darstellung spricht nicht nur das Dementi eines führenden indischen Unterhändlers, sondern auch die Tatsache, dass ein solcher Technologietransfer in der Folge nie zustande kam.
Dubios oder schlichtweg irreführend sind auch Al Gores Angaben über die Solarindustrie in Chile oder den Klimawandel als Ursache des Bürgerkriegs in Syrien. Wenn er in Gummistiefeln durch überschwemmte Strassen in Miami watet, genügt ihm das als Beweis für den Klimawandel. Und mit seiner Aussage, heute sei «jeder Sturm anders, weil er in einer wärmeren und feuchteren Welt» stattfinde, liefert er jenen Kreisen Munition, die den Klimaschützern mangelnde Wissenschaftlichkeit vorwerfen.
Drittens ist Gore gefangen in den alten Debatten über Existenz oder Nichtexistenz des Klimawandels. Die wirklich spannende – und schwierige – Frage lautet heute jedoch, mit welchen Mitteln sich die Klimaveränderungen am effizientesten abfedern lassen und wer dazu wie viel beitragen soll. Gore hat dazu nicht das Geringste zu sagen – er schliesst sein Propagandastück mit dem simplen Appell, das moralisch Richtige zu tun.
In Zürcher Kinos ab dem 12. Oktober.