Die Biotech-Branche jubiliert – die kotierten Firmen leiden

Am Branchentag feiert die Schweizer Biotech-Branche ihre Erfolge und die rosige Zukunft. Wirft man aber einen Blick auf die kotierten Unternehmen, stellt sich grosse Ernüchterung ein. Woher kommt die Diskrepanz?

Werner Grundlehner
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Jean-Paul Clozel will es nach dem Verkauf von Actelion mit Idorsia nochmals versuchen. (Bild: Arnd Wiegmann / Reuters)

Jean-Paul Clozel will es nach dem Verkauf von Actelion mit Idorsia nochmals versuchen. (Bild: Arnd Wiegmann / Reuters)

Am Swiss Biotech Day feierte sich eine dynamische Biotech-Industrie in der vergangenen Woche in Basel selbst. Die Anzahl der Gesellschaften ist innert Jahresfrist von 297 auf 312 geklettert. Die Industrie setzte mit 4 Mrd. Fr. rund 6% mehr um als im Vorjahr. Auch punkto Finanzierung und Kooperationen läuft es den Jungunternehmen im Sektor erfreulich. Doch weiterhin werden rote Zahlen geschrieben, der kumulierte Fehlbetrag erhöhte sich im vergangenen Jahr auf fast 900 Mio. Fr. – und hat sich mehr als verdreifacht. Mit dem Kauf von Actelion durch Johnson & Johnson verschwand vor zwei Jahren ein rentabler Branchenführer vom Börsentableau.

Der ehemalige CEO von Actelion Jean-Paul Clozel hielt in einer Rede am Swiss Biotech fest, welche drei Probleme die Branche beschäftigen: Populismus, Ignoranz und kurzfristige Sichtweise. Das ist für Bob Pooler, Biotech-Analytiker bei Valuationlab, ein Grund für das schwache Abschneiden: «Zwar klopfen sich die 800 Branchenvertreter in Basel auf die Schultern, 8 Mio. Schweizer bekommen aber von der Biotech-Industrie kaum etwas mit.» Zudem seien die langen Entwicklungszyklen von Medikamenten und die zunehmend kurzfristige Ausrichtung der Investoren schwer vereinbar, fügt er an.

Verluste die Regel

Die hohen Verluste sind aber nicht der Grund für das schlechte Abschneiden (vgl. Grafik). Junge Biotech-Unternehmen schreiben in der Regel rote Zahlen. Im Zentrum stehen die Entwicklung von neuen Anwendungen und deren Prüfung in klinischen Studien, bevor diese auf dem Markt zugelassen werden. Das ist ein teurer, riskanter Vorgang, der sich über Jahre hinzieht. Das musste vor kurzem Polyphor schmerzlich erfahren. Die Titel des Unternehmens, das seit einem Jahr kotiert ist, haben sich seit Ende April im Wert halbiert. Beim wichtigsten Medikamentenkandidaten kam es in den klinischen Tests zu gravierenden Nebenwirkungen. Die Hälfte der Personen, die ein Mittel gegen Krankenhausinfektionen verwendeten, erlitten ein Nierenversagen. Polyphor hat die Rekrutierung von Patienten eingestellt. Zahlreiche Analytiker stuften die Titel deutlich zurück.

Chronik der Biotech-Schwäche an der Börse

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Hart ins Gericht mit den Schweizer Biotech-Gesellschaften geht Michael Nawrath, Analytiker bei der ZKB: «Die Schweizer Biotech-Führungsriege ist im regulatorischen wie im kommerziellen Teil schwach.» Die Branche werde nicht von grossen Industrie-Veteranen angeführt, sondern eher von der zweiten Garde. Unternehmen wie Polyphor oder Santhera werkelten seit vielen Jahren vor sich hin, ohne «richtigen Zug zum Tor». Dem widerspricht Pooler, er attestiert den Führungskräften Kompetenz und Ausdauer. So seien die Verzögerungen bei den Zulassungen von Santhera und Newron auch auf Pech zurückzuführen, weil aufgrund von Vorkommnissen bei Konkurrenten die Anforderungen an die Zulassung geändert wurde oder die FDA ihre Politik änderte.

Expansion trotz Verlusten

Sowohl die US- als auch die europäischen Behörden haben auf einen Santhera-Zulassungsantrag für Raxone weitere Daten und Studien verlangt. Raxone wird gegen die seltene Erbkrankheit Duchenne-Muskeldystrophie (DMD) eingesetzt. Im vergangenen Jahr hat Santhera zwei weitere Anwendungen einlizenziert. Damit ist einerseits das Risiko breiter gestreut, andererseits erhöht sich der Finanzierungsbedarf. Das Unternehmen erwägt verschiedene Optionen, darunter eine Kapitalerhöhung oder die Monetarisierung bestimmter Vermögenswerte, um die operativen Geschäftstätigkeiten bis 2020 zu finanzieren; in diesem Jahr sollen Meilensteine erreicht werden. Gemäss Pooler hat das Unternehmen mit der erweiterten Pipeline einige Möglichkeiten, sich mit dem Verkauf von Rechten für gewisse Regionen Mittel zu beschaffen.

Auch Basilea könnte gemäss Pooler bereits profitabel sein, das Unternehmen ruhe sich aber nicht auf einer Zulassung aus, sondern treibe die Entwicklung eines vielversprechenden Antibiotikums gegen Krankenhausinfektionen voran. Die Wichtigkeit des Projekts zeigt sich daran, dass die US-Behörden 70% der Entwicklungskosten übernehmen.

Die Anforderungen steigen

Haben die Schweizer Unternehmen aber zu optimistisch geplant, um bei den Investoren zu punkten, und dabei auch die Reaktion der Zulassungsbehörde falsch eingeschätzt? «Was das Timing angeht, sind alle Biotechs immer viel zu optimistisch», sagt Nawrath. Die so wichtige Validierung der Daten werde komplett unterschätzt. Und die Anforderungen der Zulassungsbehörden seien massiv gestiegen. «Die Unternehmen können nur noch mit disruptiven Daten kommen, sonst haben sie kaum eine Chance», fügt er an. Die Analytiker sind sich auch einig, dass europäische Unternehmen von der FDA keine Begünstigungen erwarten können.

Das hat auch Cosmo feststellen müssen. Im März hatte die FDA einen Zulassungsantrag für ein Diagnosemittel bei Dickdarmuntersuchungen zum zweiten Mal zurückgewiesen. Die US-Behörde verlangte eine neue Phase-III-Studie. Die italienische, an der SIX kotierte Firma will nichts mehr gegen diesen Entscheid unternehmen. Zuvor hatte sie zweimal Beschwerde gegen den Entscheid eingelegt. Die Hoffnungen von Cosmo liegen nun in einer Vertriebsvereinbarung für ein Koloskopie-Mittel mit dem US-Medtech-Konzern Medtronic.

Die USA bewerten anders

Pooler blickt zuversichtlich auf «seinen» Sektor. Viele Unternehmen hätten mittlerweile Produkte auf dem Markt, teilweise in Zusammenarbeit mit Partnern. Trotz Rückschlägen stehe für mehrere Unternehmen der Break-even vor der Tür. Wären diese Unternehmen in den USA kotiert, würden sie bessere Bewertungen erhalten, weil der Sektor dort unter Anlegern eine grössere Aufmerksamkeit geniesse.

Mit dem Abgang von Actelion hat die hiesige Biotech-Industrie ein Zugpferd verloren. Jean-Paul Clozel betonte in seiner Rede, dass er den Traum hatte, eine Schweizer Genentech aufzubauen. Diesen Traum hätten nur wenige geteilt, und er sei auf viele Skeptiker und grosse Widerstände gestossen. Mit der Pipeline von Actelion, die er nicht verkauft, sondern in die neue Gesellschaft Idorsia eingebracht hat, will er das noch einmal schaffen. Die 30 Milliarden Erlös aus dem Actelion-Verkauf flossen nicht in den Schweizer-Biotech-Markt (sie stammten auch nur teilweise aus der Schweiz). Das Biotech-Segment wurde in den Small-Cap-Bereich zurückgeworfen. Bis Idorsia oder ein anderes Schweizer Biotech-Unternehmen einen Kassenschlager auf dem Markt hat und sich dies im Kurs niederschlägt, fehlt auf dem Börsentableau ein Zugpferd.

Pooler verweist auf den fehlenden Rückhalt in der Schweizer Investorengemeinde. Bei Retail-Anlegern und Family Offices seien die Gesellschaften kaum bekannt. Pensionskassen setzen meistens auf Funds oder gar Funds-of-Funds, in denen oft US-Gesellschaften dominieren. Auch in spezialisierten Schweizer Beteiligungsgesellschaften und Fondshäusern wie BB Biotech und HBM fehlen nach dem Verschwinden von Actelion Schweizer Biotech-Firmen.

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