Wetten auf sinkende Kurse – ein Verbrechen?

In den vergangenen Monaten hat die Finanzmarktaufsicht mehrfach überprüft, ob sogenanntes Short Selling missbräuchlich sei. Doch wann wird eine Wette auf sinkende Kurse zu einem Vergehen?

Werner Grundlehner
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Marktteilnehmer berichten, dass die Finanzmarktaufsicht in den vergangenen Monaten vermehrt Short Selling auf Marktmissbräuchlichkeit prüfe. (Bild: Lucas Jackson / Reuters)

Marktteilnehmer berichten, dass die Finanzmarktaufsicht in den vergangenen Monaten vermehrt Short Selling auf Marktmissbräuchlichkeit prüfe. (Bild: Lucas Jackson / Reuters)

Leerverkäufe spalten die Gemüter. Für die einen sind sie die natürliche Alternative zu «Kaufen und Halten», für die anderen ist es ein Instrument für Spekulanten ohne wirtschaftlichen Zweck – weshalb auch immer wieder die Forderung nach Verboten des Short Selling aufkommt. Auf den ersten Blick haftet dieser Transaktion etwas Widersprüchliches an: Logisch gesehen kann ein Investor nicht verkaufen, was er gar nicht besitzt. Das Short-Selling-Volumen je Aktie ist aber trotz dem schlechten Ruf ein wichtiger Indikator für Anleger.

Die Grundidee des Short Selling ist eine Wette auf fallende Kurse, dies im Gegensatz zum optimistischen Aktionär, der mit steigenden Kursen rechnet. Ein Leerverkäufer leiht sich Aktien aus, verkauft diese unmittelbar und hofft diese nach einer gewissen Zeit billiger zurückkaufen zu können. Verboten ist in der Schweiz Naked Short Selling» – also Leerverkäufe, die nicht durch eine Wertpapierleihe unterlegt sind.

Absichtlich oder nicht?

Hohe Short-Positionen können für Investoren zweierlei bedeuten. Auf der einen Seite deuten sie an, dass zahlreiche Investoren auf fallende Kurse setzen und demzufolge wenig Vertrauen haben in das betreffende Unternehmen. Andererseits kann dies auch darauf hinweisen, dass viele Short-Positionen bald auslaufen und die Investoren gezwungen sind, sich mit Aktien einzudecken. Dies führt zu einer erhöhten Nachfrage und steigenden Kursen, was wiederum andere Leerverkäufer veranlasst, auszusteigen, und die Nachfrage weiter erhöht. Eine solche Kettenreaktion, die zu einer Kurshausse führt, nennt man Short Squeeze.

Marktteilnehmer berichten, dass die Finanzmarktaufsicht in den vergangenen Monaten vermehrt Short Selling auf Marktmissbräuchlichkeit prüfe. «Die Finma geht Hinweisen auf marktmanipulatives Verhalten konsequent nach», erklärt ein Sprecher dazu. Allerdings erfolge dies unabhängig davon, wie die Marktmanipulation im Einzelnen erfolge, ob via Short Selling, Long-Verkäufe oder wie auch immer. Da es in der Schweiz im Gegensatz zu anderen Ländern keine regulatorischen Vorgaben gibt, Leerverkäufe zu melden, gibt es eher wenig direkte Hinweise auf potenziell missbräuchliches beziehungsweise Markt beeinflussendes Verhalten. Auffällige Transaktionen werden durch quantitatives Screening aufgespürt und untersucht. Marktmissbrauch liegt vor, wenn die Absicht besteht, den Markt zu beeinflussen.

Subjektive Einschätzung

Die Beweisführung ist hier natürlich schwierig. Jede Transaktion beeinflusst den Kursverlauf einer Aktie. Handelt es sich dabei um ein grosses Volumen, wird auch die Beeinflussung grösser. «Auf der objektiven Seite besteht tatsächlich keine Differenz, was die Abgrenzung fast unmöglich und zumindest etwas arbiträr macht», sagt Finanzprofessor Peter V. Kunz. Der Unterschied liege somit auf der subjektiven Seite, also bei der Motivation des Leerverkäufers. Hier besteht die Möglichkeit, die Absichten in einem Verfahren abzuklären. Vor diesem doch eher rechtsunsicheren Hintergrund sollte laut Kunz eine Zweifelsfallregel zur Anwendung gelangen: Legal ist etwas, bis erwiesen ist, dass es illegal ist – das heisst, im Zweifel liegt immer eine legale Marktwette vor.

Die Finma verlässt sich bei der Überwachung auf die Schweizer Börse SIX. Diese meldet auffällige Transaktionen dem Regulator, der bei Bedarf Untersuchungen einleitet. Über Methoden und Kriterien der Überwachung schweigt sich die SIX verständlicherweise aus. «Bei Verstössen gegen die reglementarischen Bestimmungen kann die Handelsüberwachungsstelle im Rahmen der Selbstregulierung Sanktionsmassnahmen gegen Händler ergreifen beziehungsweise bezüglich Teilnehmer Antrag auf Sanktion an die Sanktionskommission stellen», führt ein Sprecher aus. Bei einem erhärteten Verdacht auf Gesetzesverletzungen oder sonstigen Missständen würden die Ergebnisse der Untersuchungen der Finma als Aufsichtsbehörde weitergeleitet. Untersuchungsberichte über strafrechtlich relevante Sachverhalte werden parallel dazu den zuständigen Strafverfolgungsbehörden zugestellt.

Peter V. Kunz findet es falsch, Short Selling zu verteufeln, wie dies häufig geschieht. An sich handle es sich um eine legale und legitime Handelsstrategie. Short Selling könne allerdings Zeichen an den Markt geben, die dann falsch interpretiert würden, das heisst, es entstehe eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.

Gerade Kleinunternehmen beklagen, dass sie oft unter Druck kämen, wenn es aus Sicht der Firmenentwicklung dazu keinen Grund gebe. Die Kurse von Unternehmen im SPI, die tiefe Handelsvolumen aufweisen, lassen sich verhältnismässig einfach bewegen. Vor wenigen Tagen rügte die Finma die Jungfraubahn-Holding. Die Gesellschaft hatte zwischen 2014 und 2016 jeweils zum Jahresende den eigenen Aktienkurs gedrückt. Laut Finma handelt es sich dabei um eine Marktmanipulation, diese ist im Gegensatz zur Kursmanipulation nicht strafbar.

PK in der Zwickmühle

Weil Naked Short Selling in der Schweiz verboten ist, braucht es immer eine Gegenpartei, die bereit ist, Aktien aus ihrem Besitz auszuleihen. Für institutionelle Anleger wie Pensionskassen kann dies zu heiklen Situationen führen. Der Leerverkäufer setzt mit Aktien der PK auf sinkende Kurse. Ob sich da die Einnahmen von rund 0,4% des Aktienwerts rechtfertigen lassen, ist fraglich. Die PK geht das Risiko ein, dass der Leerverkäufer den Titel um einen höheren Betrag drückt und das Geschäft «nach hinten losgeht». Rechnerisch überprüfen lässt sich das kaum. Wegen der Anonymität des Security Lending kann es auch zu Unklarheiten kommen, wer an einer Generalversammlung stimmberechtigt ist.

Trotz zahlreichen Vorbehalten braucht es für liquide, «gesunde» Märkte die Möglichkeit zu Leerverkäufen. Kommt man nach intensivem Research, beispielsweise nach Analyse der Bilanz, zum Schluss, dass die Aktie eines Unternehmens bald sinken wird, soll doch ein Anleger auch darauf wetten können.