Bosniens kühler arabischer Frühling

Arabische Touristen und Investoren haben Bosnien entdeckt – doch die Liebe bleibt ziemlich einseitig.

Andreas Ernst, Sarajevo
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Arabische Investoren wie al-Shiddi bauen in Sarajevo protzige Einkaufszentren, in denen es keinen Alkohol, dafür aber Gebetsräume gibt. (Bild: Amel Emric / AP)

Arabische Investoren wie al-Shiddi bauen in Sarajevo protzige Einkaufszentren, in denen es keinen Alkohol, dafür aber Gebetsräume gibt. (Bild: Amel Emric / AP)

Der Hub für die Käufer aus dem Nahen Osten ist das Hotel Hollywood in Sarajevo. Hier im Bezirk Ilidza ruhen sie sich nach dem Flug aus, bevor die Suche nach Immobilien beginnt. An der Reception spricht man Arabisch, und in der etwas düsteren Lobby werden Kontakte geknüpft und Informationen ausgetauscht. Abdul Latif, ein 66-jähriger pensionierter Buchhalter, der sein Leben lang bei einer staatlichen kuwaitischen Erdölfirma gearbeitet hat, ist ganz aufgeregt vor Erwartung. Eben hat ihm sein bosnischer Gewährsmann auf einer Karte eine ganze Reihe erschwinglicher Grundstücke in der Umgebung gezeigt. Der Bosnier faltet die Karte zusammen und verabredet sich in fliessendem Arabisch für die morgige Besichtigungstour. Weshalb will Abdul ausgerechnet im Kanton Sarajevo Land kaufen? Die Natur sei prächtig, sagt er, das Land sicher und die Gesellschaft muslimisch.

Verkaufsargument Wasser

Diesen Dreiklang hört fast immer, wer sich bei Arabern nach den Gründen für die steigende Nachfrage nach Boden erkundigt. Latif war letztes Jahr in der Herzegowina, in Blagaj, an der Quelle der Buna. «Das Wasser strömt dort im Sommer eiskalt aus einem Felsen, herrlich!» Zurück in Sarajevo spazierte er später unter schattigen Bäumen an der Quelle der Bosna und machte Ausflüge in die grünen Hügel. «Das ist wunderbar, wenn man aus unserer Sommerhitze von über 50 Grad kommt.»

Anders als in den westeuropäischen Grossstädten mit ihren vielen Flüchtlingen und Ausländern fühle er sich hier auch sicher. Die Bosnier seien zumeist sehr freundlich. Beim Anblick der Moscheen und dem Genuss nach islamischem Brauch zubereiteter Speisen fühle er sich fast wie zu Hause. Wenn es mit dem Grundstück klappt, wird Abdul Latif dort ein Sommerhaus bauen und wenigstens sechs Monate im Jahr hier leben. An der Reception des Hotels liegen Prospekte der saudischen Firma al-Shiddi auf. Sie zeigen Häuser einer neu gebauten Siedlung in den vornehmen «Poljine Hills» – für arabische Augen attraktiv im strömenden Regen.

Das Interesse der Mittelklasse vom Golf an Bosnien ist eine direkte Folge der Krisen nach dem arabischen Frühling. Klassische Destinationen in Libyen, Ägypten und Tunesien sind unsicher geworden, man sieht sich nach Alternativen um. Direktflüge wurden aus Dubai, Doha und Kuwait City nach Sarajevo eingerichtet. Die bosnische Regierung hob den Visumszwang für Bahrain, Katar, Kuwait, Oman und die Emirate ab –nicht aber für Saudiarabien. Seither nimmt die Zahl der arabischen Besucher rasant zu: Zwischen 2015 und 2017 verdoppelte sie sich von geschätzten 40 000 auf 89 000. Damit liegen sie gleichauf mit der grössten Besuchergruppe, den Türken (siehe Grafik).

Bosnien wird für Urlauber aus den Golfstaaten immer attraktiver

Wichtigste Herkunftsländer der Touristen in Bosnien

Dass die Araber auffallen, hängt damit zusammen, dass sie länger im Land bleiben, in der Regel im Juli und August für mehrere Wochen. Die Mehrzahl der übrigen Touristen reist dagegen nach wenigen Tagen weiter. Noch immer recht bescheiden nehmen sich die arabischen Direktinvestitionen aus: 2016 betrugen die Investitionen aus Kuwait und den Vereinigten Arabischen Emiraten nur 11 Millionen Euro – im Vergleich zu 60 Millionen aus Kroatien und 37 Millionen aus Österreich. In Serbien liegt viel mehr arabisches Geld, ohne dass dies in der Öffentlichkeit ein Thema wäre.

Das Interesse arabischer Staaten an Bosnien-Herzegowina geht auf den Krieg (1992–1995) zurück. Bedrängt von Serben und Kroaten, befanden sich die bosnischen Muslime in einem Abwehrkampf, aus dem sich der Westen lange heraushielt. Der Konflikt verstärkte die muslimische Identität der Bosniaken, und in der Not war ohnehin jede Hilfe willkommen. Aus dem arabischen Raum kamen humanitäre Unterstützung, Waffenhilfe und in kleinem Umfang islamistische Kämpfer. Nach dem Krieg wurde das Angebot ausgeweitet, und religiöse Stiftungen machten sich breit. Moscheen wurden gebaut, aber nicht in der schlichten, regionalen Tradition, sondern in ungewohntem Stil mit wuchtigen Kuppeln und imposanten Doppel-Minaretten. Gleichzeitig setzten Missionare den Fuss ins Land und verbreiteten mit mässigem Erfolg ihre fundamentalistischen Lehren. Arabischen Einfluss gibt es also schon seit einer Generation – aber die Begegnung mit kaufkräftigen Arabern ist für die meisten Bosnier neu.

Eine optische Täuschung

Das Bild der omnipräsenten Araber in Sarajevo ist zum Teil eine optische Täuschung. Sie wird verursacht durch die Veränderung der Szenerie in Ilidza. Bis nach dem Krieg lebten in diesem Aussenquartier hauptsächlich Serben. Heute setzen die arabischen Restaurants, Reisebüros und Maklerfirmen mit ihren grossen, exotisch wirkenden Reklametafeln ungewohnte Akzente.

Scheich Saker Ali al-Mualla aus den Emiraten und Mustafa Hussein aus Kuwait haben sich hier vor zwei Jahren niedergelassen und betreiben unter einem Dach je eine Maklerfirma. Die Dame im Vorzimmer ist Bosnierin, und weil gerade wenig los ist, nehmen sich die beiden Zeit für einen Schwatz. «Das Beste an Bosnien ist», sagt der Scheich und zieht an der Zigarette, «dass es mitten in Europa liegt und doch ziemlich billig ist.» Weil seine Kunden als Ausländer und Privatpersonen keinen Boden kaufen dürfen, müssten sie Firmen gründen oder langjährige, unkündbare Mietverträge abschliessen.

Schlechte Erfahrungen machen die Makler mit der Bürokratie. Oft müssten sie monatelang auf einfache Bewilligungen warten. Auch änderten sich die Bestimmungen dauernd, so dass bei den Behördengängen immer ein Papier oder ein Stempel fehle. Im Angebot hat Hussein ein gutes Dutzend Häuser, von denen er drei für seine Familie reserviert hat. Die meisten Interessenten kämen nach Ende des Ramadan. Dass nicht alle Bosnier Freude an den neuen Gästen haben, ist den Maklern nicht entgangen. Aber eigentlich verstehen sie es nicht. «Wenn wir den Bosniern Land abkaufen», sagt der Scheich, «tragen wir es nicht weg nach Dubai. Es bleibt hier, wird verbessert und gewinnt an Wert. Die Leute verdienen an uns.» Das ist auch die Meinung der bosnischen Behörden. Aber in den Medien und in Gesprächen zeigen sich oft Skepsis und Ablehnung gegenüber den Fremden.

Der fünfzigjährige Besitzer eines kleinen Viersternhotels in der Altstadt Sarajevos ist nicht gut auf die arabischen Gäste zu sprechen. «Sie sind laut, ich muss die Minibar dreimal am Tag auffüllen, und bei der Abreise hinterlassen sie ein Chaos.» Aber er möchte das nur «im Vertrauen» gesagt haben, denn sie gehören zu seinen regelmässigen Gästen. Auch die Aufmachung der Frauen im Nikab, der nur die Augen freilässt, stört ihn. «Wenn die hier sind, sollen sie sich ein bisschen an unseren Islam anpassen», findet der Hotelier. Ähnliches kann man auf Internetportalen und in der Presse lesen, wo verschleierte Frauen als «Ninjas» verunglimpft werden.

Auf die Araber zu schimpfen, gehört gerade unter Bosniaken schon fast zum guten Ton. Die Kritik scheint besonders zugespitzt, weil die eigene muslimische Identität von jener der frommen Araber abgegrenzt werden soll. So fürchtet eine Apothekerin mittleren Alters, dass diese die Jugend religiös beeinflussen würden, wenn sie hier Häuser kaufen und länger blieben. Unterstützung erhält der Volksmund von Intellektuellen. Esad Durakovic, ein Orientalist und Mitglied der Akademie der Wissenschaften, bezeichnet den Landkauf der Araber als «Eroberung und Beginn einer neuen Fremdherrschaft in Bosnien». Noch weniger legt Zlatko Dizdarevic, ein ehemaliger Diplomat, seine Worte auf die Goldwaage: Es sei eine «ethnische Säuberung» im Gang. Mit den realen Verhältnissen haben solche Äusserungen nichts zu tun. Sie sind vielmehr Folge eines alltäglichen Unbehagens, das zum Kulturkampf stilisiert wird.

«Profitieren? Ob ich von den Arabern profitiere? Nein.» Ado rückt die blaue Mütze zurecht und weist auf die bescheidene Auslage seines Dorfladens in Osenik, eine halbe Autostunde von Sarajevo entfernt. «Sicher, jemand profitiert immer, aber das bin nicht ich», fügt er hinzu und lächelt. Ihm sind die arabischen Bewohner des benachbarten Sarajevo Resort gleichgültig. Nur selten kämen sie ins Dorf, noch seltener kauften sie etwas bei ihm. Das Resort hat seinen eigenen Laden. Den betreibe einer, der bessere Beziehungen habe als er.

Bosnien-Herzegowina

Die kuwaitischen Investoren kauften das Land auf der Hügelkuppe von Serben, die nach dem Krieg ihre Scholle verlassen hatten. Viele Bauern machten so einen guten Schnitt. Die Medien bezeichneten die 2015 eröffnete, geschlossene Siedlung als die «erste Araber-Stadt» und kritisierten, dass normale Bosnier dort keinen Zugang hätten. Deniz Adrovic, der jugendliche Verwaltungsdirektor der Anlage, widerspricht vehement. «Im Gegenteil, weil die Araber nur im Sommer kommen, hätten wir gerne zusätzliche Gäste während des Rests des Jahres.»

Etwa 130 weiss gestrichene Häuser stehen auf dem 16 Hektaren grossen Gelände um einen künstlichen See. Rundum geht der Blick weit in die Berge, auf deren Spitzen noch Schnee liegt. Ein kühler Windstoss kräuselt die Wasseroberfläche. Der Preis der Einfamilienhäuser mit Seeblick liegt bei etwa 150 000 Euro. Auf Nachfrage versichert Adrovic, dass man – gesetzeskonform – natürlich nur vermiete. Im Sommer arbeiten etwa 70 einheimische Angestellte im Resort. Die Gemeinde profitiere vom Ausbau der Strasse und der Wasserversorgung. Das Geschäft läuft offensichtlich gut, die Siedlung wird erweitert. Auf einem benachbarten Hügel baut ein ebenfalls aus Kuwait stammender Konkurrent ein weiteres Feriendorf. Gäste sind so früh im Jahr keine zu sehen, bis auf eine Frau im Tschador, die schnell im Haus verschwindet. Fast überall sind die Vorhänge zugezogen.

Befremdliche Glaubensbrüder

Das Aufsehen, das die arabische Präsenz in Bosnien erregt, hat zweifellos mehr kulturelle als politische oder wirtschaftliche Gründe. Dass in den Malls arabischer Investoren kein Alkohol verkauft wird, dafür aber Gebetsräume eingerichtet wurden, ist für Sarajevo – anders als für London – eben neu. Und anders als den türkischen Einfluss, der als Teil der eigenen Geschichte akzeptiert ist, empfinden viele Einheimische die Araber als fremd und ihre Religiosität als anmassend. Die meisten Medien verstärken diese Wahrnehmung nach Kräften, indem sie Araber als reich und arrogant darstellen und ihre Kultur als frauenfeindlich und gewalttätig. Im Grunde unterscheidet sich die Reaktion der muslimischen Bosnier in nichts von jener christlicher Europäer – vielleicht ist ihre Xenophobie noch etwas stärker, weil sie ihren eigenen Islam bedroht sehen.