Wer soll das alles hören?

In der neuen Social-Media-App Clubhouse reden sich mittlerweile auch deutsche Politiker die Stimme heiss. Erste Erkenntnisse nach einer Woche im Klub.

Anja Stehle, Berlin
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Bei der Social-Media-App Clubhouse kann man nur auf Einladung mitmachen.

Bei der Social-Media-App Clubhouse kann man nur auf Einladung mitmachen.

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Auch der Generalsekretär der SPD lässt sich neuerdings duzen. Es heisst jetzt nicht mehr: «Herr Klingbeil, was ist Ihre Einschätzung zu diesem und jenem?» Es heisst: «Lars, was sagst du dazu?» Ein Januarabend im «Clubhouse»: Henning Tillmann, ein der breiten Öffentlichkeit bis anhin unbekannter Softwareentwickler, der zudem Mitglied in der netzpolitischen Kommission der SPD ist, hat Klingbeil über die App zu einer Gesprächsrunde eingeladen. Sie wollen darüber reden, was wichtig war an diesem Tag.

Lars: «Das ist echt so’n gehyptes Ding hier, also lass uns bisschen talken.»

Henning: «Das Topthema des Tages ist ja: Die No Angels sind zurück.»

Der Generalsekretär braucht ein paar Sekunden, um die Nachricht einzuordnen. War das ernst gemeint? Alle hier haben offenkundig beschlossen, ein bisschen jugendlicher zu sein. Und wenn schon Duzen normal ist, dann sind es möglicherweise auch Gespräche mit dem SPD-Generalsekretär über Girlgroups von vorgestern.

Lars: «Ich habe gar nicht mitbekommen, dass sich die No Angels getrennt haben.»

Henning: «Das war jetzt mehr Spass. Nee du, das Topthema ist heute ja Corona und die Ministerpräsidenten-Runde mit der Kanzlerin.»

Dazu hat Lars tatsächlich einiges zu sagen. Es mache ihn echt «happy», dass sich fast alle Menschen an die Corona-Massnahmen hielten. Wirklich schwierig, was man jetzt noch tun könne, um die Infektionszahlen zu senken, «Henning, ich weiss ja nicht, wie es bei dir ist, man zoomt doch nur noch, das Privatleben kann man nicht noch mehr einschränken.»

Weil Henning mehr Genosse als unabhängiger Moderator ist und weil bei Gesprächen im Clubhouse neben dem Moderator auch die Zuhörer Fragen stellen können, hüpft das Gespräch nun wie ein thematischer Flummi umher: von der Home-Office-Pflicht zu geschlossenen Schulen, vom Impfen zur CDU, zum SPD-Bundestagswahlkampf, wozu Klingbeil «viele Ideen» hat, die er jetzt aber nicht ausplaudern wolle, weil vielleicht auch Leute von der CDU oder den Grünen zuhörten.

Seitdem die Hamburger Influencerin Ann-Katrin Schmitz am vergangenen Samstag in ihrer Instagram-Story über die «heisseste, neueste Social-Media-App» gesprochen hat, ist die Nutzerzahl von Clubhouse in Deutschland rasant angestiegen. Schmitz folgen viele Menschen, die irgendetwas mit Medien machen, und so verbreitete sich die Audio-App rasant – obwohl oder gerade weil es für eine Anmeldung derzeit noch eine Einladung braucht. Es dauerte nur einen weiteren Tag, bis sich die App schliesslich auch auf den Smartphones der Politiker und Lobbyisten verbreitete.

Die App funktioniert wie eine Art virtueller Kongress, bei dem Nutzer von einem virtuellen Tagungsraum, einem «Room», zum nächsten springen können, um dort Rednern zu lauschen und mitzudiskutieren. Die Nutzer sehen keine Videos der Sprechenden, sie hören lediglich die Stimmen. Wer einem «Room» beitritt, wird mit seinem Profilbild angezeigt. Wer mitreden will, hebt die virtuelle Hand.

Jeder kann sich bei Clubhouse seine eigene Bühne bauen. Und so herrscht seit einer Woche eine Art Goldgräberstimmung vor allem unter jenen Menschen aus den deutschen Politik-, PR- und Medienblasen, die es noch nicht ins Rampenlicht geschafft haben oder dort schon einmal waren, aber ein wenig in Vergessenheit geraten sind.

Mehr als 5000 Zuhörer im Talk mit Thomas Gottschalk

Man kann sich verlieren in dieser App. Irgendeiner spricht immer – und das zu allen denkbaren Themen. Es gibt den «Cannabis Community Club», und die «African American Coaches Association», und es gibt den «Extraterrestrial Evidence Club», in dem sich die Teilnehmer über Ufos austauschen.

Seit einigen Tagen ist auch der frühere «Wetten, dass . . ?»-Moderator Thomas Gottschalk dabei und erzählt beispielsweise, wie er einmal dem neuen US-Präsidenten Joe Biden im Rosengarten des Weissen Hauses begegnet ist. Damals, als die Kanzlerin die «Medal of Honor» (die eigentlich Medal of Freedom heisst) verliehen bekam. Er sei damals zusammen mit dem «Ausguss» der in den USA lebenden Deutschen erschienen und sei von Frau Clinton immerzu «Thomaaaa, Thomaaaa» gerufen worden.

Mehr als 5000 Zuhörer zieht Gottschalk an diesem Abend mit seinen Anekdoten an, was die App schliesslich an ihre Grenzen bringt. Zeitweise wird der «Room» für neue Nutzer geschlossen. So viel Resonanz löst hier bis anhin kaum jemand aus. Die meisten Räume bestehen aus ein paar Dutzend, manchmal auch ein paar hundert Teilnehmern.

Netter und sanfter als das Pöbel-Netzwerk Twitter

Da ist die Runde «Röttgang», deren Teilnehmer dem verpassten CDU-Vorsitz für Norbert Röttgen nachtrauern, da ist die Runde «Primetime – Politik unplugged» mit dem CSU-Generalsekretär Markus Blume oder die Gruppe «Mittag im Regierungsviertel», in der Nachwuchspolitiker von FDP, SPD und Grünen miteinander diskutieren – und sich meistens erstaunlich einig sind.

Alles wirkt netter und sanfter als im Pöbel-Netzwerk Twitter – wo sich sonst viele der Clubhouse-Nutzer auf 280 Zeichen beleidigen lassen und auch selbst gerne austeilen. Vielleicht liegt es am gesprochenen Wort, vielleicht am sichtbaren Publikum. Bei Twitter kann man nicht überblicken, wer alles mitliest, hier sieht man auf dem Bildschirm lauter kleine Fotos von Menschen, die zuhören. Bisweilen muss man in der Bildchen-Sammlung weit nach unten scrollen, um auch noch den letzten Zuhörer einer Gesprächsrunde zu sehen.

Chance für den Parteinachwuchs

Vielleicht liegt es auch daran, dass diejenigen, die sonst in den Netzwerken für Hetze sorgen, bis jetzt auf Clubhouse kaum vertreten sind – etwa AfD-Anhänger. Es ist fraglich, wie die Nutzer darauf reagieren werden, wenn sich dies ändert. Als in dieser Woche die Influencerin Anabel Schunke zu einem Clubhouse-Talk zum Thema Journalismus und «Lügenpresse» als Rednerin zugelassen wurde, sorgte das anschliessend für heftige Kritik. Schunke schreibt unter anderem für die Blog-Plattform «Die Achse des Guten».

Der «Room» von Lars Klingbeil und Henning Tillman ist mittlerweile beim Thema Impfen angekommen:

Fabian: «Viele in meinem Umfeld sagen, ich will mich wegen Langzeitfolgen nicht impfen lassen. Ich finde, es sollte laut kommuniziert werden gegen Impfgegner.»

Lars: «Volle Zustimmung. Es braucht jetzt grosse Kampagnen.»

Johanna: «Ich wollte noch was zur Digitalisierung sagen, ist das okay?»

Lars: «Das ist okay, Johanna.»

500 Menschen hören an diesem Abend im Schnitt zu. Für einen Politiker, der es auch einmal ertragen muss, einen halben Tag lang hinter einem nahezu leeren Wahlkampfstand auszuharren, ist das eine ordentliche Bilanz. «Die Idee hinter Clubhouse finde ich interessant, und sie passt gerade ganz gut in die Lockdown-Zeit», sagt Klingbeil ein paar Tage später dieser Zeitung. Die Gespräche seien angenehm, auch weil Hass und Hetze, anders als auf anderen Plattformen, noch aussen vor blieben und man sich tiefergehend mit Themen auseinandersetze. Gleichwohl konstatiert er kritisch einen «Männerüberschuss». Clubhouse sei keine App, mit der man die Mehrheit der Bürger erreiche, sondern doch sehr in der eigenen Blase bleibe.

Im Laufe der Woche jedenfalls nahmen die Runden deutlich ab, an denen Politiker aus der ersten Reihe teilnahmen. Der Parteinachwuchs hingegen scheint im Clubhouse eine echte Chance zu sehen – zum Kontakte knüpfen und um Argumente vor überschaubarem Publikum zu testen. Vielleicht ist es aber zu viel Gerede für beruflich eingespannte Menschen und Berufspolitiker. Denn eine Frage ist offen: Wer soll das alles hören?