Mladic nimmt das Urteil zu lebenslanger Freiheitsstrafe ohne Reue entgegen

Das Uno-Tribunal für Jugoslawien hat den «Schlächter von Bosnien» wegen Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. Mladic zeigte bis zuletzt nie Reue – im Gegenteil.

Ivo Mijnssen
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Ratko Mladic am Mittwoch im Gerichtssaal. (Bild: Peter Dejong / AP Photo Pool)

Ratko Mladic am Mittwoch im Gerichtssaal. (Bild: Peter Dejong / AP Photo Pool)

Am Mittwoch haben die Richter des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien den 74-jährigen ehemaligen Armeegeneral Ratko Mladic zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Sie sehen es als erwiesen an, dass Ratko Mladic direkt verantwortlich ist für den Völkermord von Srebrenica, den Terror gegen das belagerte Sarajevo, die «ethnische Säuberung» serbisch besiedelter Teile Bosniens sowie die Geiselnahme von Uno-Friedenssoldaten, um ein Ende der Nato-Luftangriffe zu erzwingen. Es sei klar, dass Mladic die muslimischen Bosnier in verschiedenen Teilen des Landes auslöschen wollte. Er habe den Tod von Tausenden von Menschen verschuldet.

Die Urteilsverkündung hatte sich zunächst verzögert, da Mladic eine Pause beantragte, um auszutreten. Nach seiner Rückkehr ins Gericht forderte Mladic, die Verlesung zu verschieben oder abzukürzen. Als das Gericht dies ablehnte, schrie Mladic «dies ist eine Lüge» und wurde aus dem Gerichtssaal entfernt. Damit bewies er einmal mehr, dass er weder Reue zeigt noch seine Verantwortung anerkannt.

Vor der Urteilsverkündung pöbelte der ehemaligen Armeegeneral Ratko Mladic den Richter an und wurde daraufhin aus dem Saal entfernt. (ICTY via AP)

Vor der Urteilsverkündung pöbelte der ehemaligen Armeegeneral Ratko Mladic den Richter an und wurde daraufhin aus dem Saal entfernt. (ICTY via AP)

Architekt mit mörderischen Plänen

Mladic, der Oberkommandierende der bosnisch-serbischen Streitkräfte, ist aber eine der übelsten Figuren des Krieges im ehemaligen Jugoslawien. Zusammen mit seinem politischen Gegenpart Radovan Karadzic gilt er als der Architekt der «ethnischen Säuberungen» und der Ermordung von Tausenden muslimischen Bosniern zwischen 1992 und 1995. Aus zahlreichen Dokumenten und Zeugenaussagen geht zudem hervor, dass er als Armeechef die Terrorisierung der Bevölkerung von Sarajevo während der Belagerung der Stadt verantwortete. So befiehlt er in einem aufgenommenen Gespräch mit einem Untergebenen 1992: «Beschiesst sie, bis sie fast wahnsinnig werden.»

Mladics Verteidigung stritt eine Verantwortung des Generals für diese Verbrechen stets ab und forderte einen Freispruch. Sie argumentierte etwa, den Völkermord von Srebrenica hätten abtrünnige Offiziere ohne Wissen des Oberkommandierenden durchgeführt. Die sogenannten Markale-Massaker in Sarajevo versuchten Mladics Anwälte als bosniakische Inszenierung darzustellen. Es ist allerdings erwiesen, dass es die Serben waren, die den Markt beschossen und zweimal Dutzende von Zivilisten töteten.

Ratko Mladic ist einer der Hauptverantwortlichen der Greueltaten des Bosnienkriegs. Der Prozess vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) war seit Sommer 2011 in Gang. Nun wurde das Urteil gesprochen: Es lautet lebenslänglich (Aufnahme von 1993). (Bild: Petar Kujundzic / Reuters)
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Der 1942 geborene Ratko Mladic besuchte nach seinem Schulabschluss die jugoslawische Militärakademie in Belgrad. Bild: Ratko Mladic beobachtet im April 1994 den Angriff auf die bosnische Stadt Gorazde durch die jugoslawische Volksarmee. Die Stadt war im Bosnienkrieg heftig umkämpft. (Bild: Reuters)
1991 wurde Mladic (l.) Korpskommandant der jugoslawischen Volksarmee – später Generalmajor und Generalleutnant und 1994 schliesslich Generaloberst. Das Bild zeigt ihn mit Radovan Karadzic (r.) im April 1995 in den bosnischen Vlasic-Bergen. Karadzic wurde im März 2016 vom ICTY für den Völkermord in Srebrenica schuldig gesprochen und zu 40 Jahren Gefängnis verurteilt. (Bild: Reuters)
Ratko Mladic 1995 beim Billardspiel. Zu dieser Zeit war er auf dem Höhepunkt seiner Macht. Im Sommer 1995 ordnete er laut Anklage das Massaker von Srebrenica an. (Bild: Sava Radovanovic / AP)
Mladic (links) im Juli 1995 beim Umtrunk mit niederländischen Militärs. Später werden die Niederlanden für das Massaker in Srebrenica mitverantwortlich gemacht. (Bild: AP)
Geheuchelte Barmherzigkeit: Bei Srebrenica wurden im Juli 1995 unter der Führung Mladics bis zu 8000 muslimische Bosnier (Bosniaken) getötet. Das hielt den General nicht davon ab, den Flüchtlingen Getränke mitzugeben. (Bild: Reuters)
Oktober 1995: Ratko Mladic mit einer Mütze des amerikanischen Generals Wesley Clark, der unter Richard Holbrooke zwischen den Kriegsparteien vermittelte. In der Umgebung von Prijedor (im Bild) wurden zu Beginn des Krieges ungefähr 3300 Kroaten und Bosniaken ermordet. (Bild: AP)
Mladic im Dezember 1995 bei der Gründung des Drina-Korps, einer neuen Militäreinheit, in Vlasenica. Bosniaken, die sich weigerten, die Stadt zu verlassen, wurden festgenommen und im Lager Susica gefangen gehalten. (Bild: Oleg Stjepanovic / AP)
Mladic inspiziert seine Truppen in Vlasenica (Dezember 1995). (Bild: Oleg Stjepanovic / AP)
März 1996: Mladic in einem seiner Quartiere auf bosnisch-serbischem Territorium. (Bild: AP)
Juni 1996: Mladic (Mitte) unterwegs mit Soldaten und seiner Frau Bosiljka in einem Wald in der Nähe von Han Pijesak, 60 Kilometer östlich von Sarajevo. (Bild: AP)
Am 24. Juli 1995 wurde Mladic vor dem Jugoslawien-Tribunal (ICTY) als Kriegsverbrecher angeklagt und im November 1996 aus der Armee entlassen. Die amerikanische Regierung setzte auf ihn ein Kopfgeld von fünf Millionen Dollar aus. Im Bild: Ein Reklame-Poster wurde mit Fahndungsbildern der beiden serbischen Führer Ratko Mladic und Radovan Karadzic überklebt. (Bild: Hidajet Delic / AP)
Danach befand sich Mladic auf der Flucht vor dem ICTY. Noch im Jahr 2000 soll sich Mladic als Zuschauer eines Fussballspiels in der Öffentlichkeit gezeigt haben. Im Dezember 2007 räumte Serbien erstmals offiziell ein, dass sich Mladic aller Wahrscheinlichkeit nach im Land aufhält. Im Bild: ein Graffiti in Belgrad. (Bild: Reuters)
Juli 2010: Die sterblichen Überreste der beim Massaker von Srebrenica getöteten Menschen werden in Särge gelegt. (Bild: Reuters)
Erst jetzt bekommen die Angehörigen die Möglichkeit, sich von den Ermordeten zu verabschieden. Eine Bosniakin weint am Sarg eines Opfers in Potocari (Juli 2010). (Bild: Amel Emric / AP)
Im Gedenkzentrum des Massakers von Srebrenica in Potocari sind die Namen der Opfer in Stein verewigt (Aufnahme vom November 2017). (Bild: Amel Emric / AP)
Am 26. Mai 2011 lässt der serbische Präsident Boris Tadic die Verhaftung von Ratko Mladic verlauten. Seine Identität wurde mittels DNA-Analyse festgestellt. (Bild: Ivan Milutinovic / Reuters)
Ratko Mladic im Mai 2011 nach seiner Festnahme. (Bild: Politika / Mladic Trail / Handout / Reuters)
Wenig später wurde Ratko Mladic an das Haager Tribunal überstellt (Juni 2011). (Bild: Martin Meissner / Pool / Reuters)
In Belgrad gingen Ende Mai 2011 Tausende auf die Strasse, um gegen die Verhaftung und Auslieferung Mladics zu demonstrieren. Sie nannten ihn einen Helden. (Bild: Vadim Ghirda / AP)
Nach sechs Jahren Prozessdauer verurteilte das Haager Tribunal Mladic zu lebenlanger Haft. Mit Genugtuung wurde die live übertragene Urteilsverkündung in Srebrenica zur Kenntnis genommen. (Bild: Dado Ruvic / Reuters)

Ratko Mladic ist einer der Hauptverantwortlichen der Greueltaten des Bosnienkriegs. Der Prozess vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) war seit Sommer 2011 in Gang. Nun wurde das Urteil gesprochen: Es lautet lebenslänglich (Aufnahme von 1993). (Bild: Petar Kujundzic / Reuters)

Serbischer Opfermythos

Im Gegensatz zu anderen Angeklagten vor dem Haager Gericht zeigte Ratko Mladic nie Reue für seine Taten, im Gegenteil: Er bezeichnete das internationale Tribunal als «Teufelsgericht» und verweigerte sich dem Prozess weitestgehend. Dies rechtfertigte er mit der in Serbien weitverbreiteten Vorstellung, dass der Strafgerichtshof Siegerjustiz ausübe, die nur der Bestrafung der Serben diene. Als «Beweise» dafür dienten ihm die Nato-Interventionen, um den Bosnienkrieg zu beenden und den Konflikt um Kosovo zu stoppen. Dass die Serben, angetrieben von grossnationalistischen Ideen, in beiden Fällen die Aggressoren waren, wird hingegen ausgeblendet.

Die Bilanz des Uno-Kriegsverbrechertribunals für Jugoslawien

Knapp mehr als die Hälfte der Angeklagten wurde verurteilt

Auch am Vorwurf, dass das Haager Tribunal politisierte Entscheide treffe, ist wenig dran. Zwar gab es einzelne höchst problematische bis skandalöse Urteile, welche die Serben in ihren Überzeugungen bestärkten: So wurden sowohl der kroatische General Ante Gotovina als auch der kosovarische Guerilla-Kommandant Ramush Haradinaj freigesprochen, deren Verantwortung für Kriegsverbrechen gut dokumentiert ist. Dass sie nicht belangt wurden, hatte aber mehr mit der Einschüchterung von Zeugen in Kosovo und der schlechten Arbeit der Ankläger zu tun als mit der Politisierung des Gerichts. Dieses setzte bezüglich rechtsstaatlichem Vorgehen und Transparenz hohe Standards. Bei der Verfolgung der einzelnen Personen blieb es aber stets auf die Zusammenarbeit der Herkunftsländer und der internationalen Truppen auf dem Balkan angewiesen, da es über keine eigenen Polizeikräfte verfügt.

Der zweitletzte Fall

Dies zeigte sich auch im Fall Mladic, der erst im Mai 2011 – 16 Jahre nach Anklageerhebung – verhaftet wurde. Er hatte die ganze Zeit über unbehelligt in Serbien gelebt und sogar eine Pension bezogen; gerade in Armeekreisen genoss und geniesst er grossen Respekt. Die Auslieferung erfolgte erst, als die EU Serbien damit drohte, sie werde ohne Kooperation den Annäherungsprozess blockieren. Kurz nach seiner Überstellung in die Niederlande begann der Prozess.

Die Urteilsverkündung ist die zweitletzte am Uno-Kriegsverbrechertribunal für Jugoslawien; Ende November wird der Gerichtshof geschlossen. Die noch hängigen Berufungsprozesse, unter ihnen auch jener des zu 40 Jahre Haft verurteilten Radovan Karadzic, werden von einer stark verkleinerten Institution übernommen.

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