Ein Kampfflugzeug vom Typ F-35A beim Landeanflug auf eine amerikanische Militärbasis in Südkorea. (Bild: Kang Jong-min/Newsis via AP)

Ein Kampfflugzeug vom Typ F-35A beim Landeanflug auf eine amerikanische Militärbasis in Südkorea. (Bild: Kang Jong-min/Newsis via AP)

Die USA schliessen die Türkei aus Kampfjet-Programm aus – und wollen gleichzeitig den Schaden begrenzen

Nach dem Rauswurf der Türkei aus dem F-35-Programm droht eine weitere Eskalation des Streits innerhalb der Nato.

Peter Winkler, Washington
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Amerikanische Regierungsstellen bis hinauf zum Weissen Haus haben im Streit mit der Türkei um den neuen Mehrzweck-Kampfjet F-35 versucht, den Schaden zu begrenzen. In Erklärungen gegenüber den Medien unterstrichen sie die Wertschätzung für die Rolle der Türkei im Nato-Bündnis. Ein Schlüsselsatz war dabei stets, dass die strategische Beziehung zu Ankara vielschichtig sei und weit über das F-35-Programm hinausreiche. Offensichtlich sollen die Erklärungen der Befürchtung entgegentreten, dass der Konflikt um das russische Fliegerabwehrsystem S-400 nur den Anfang einer definitiven Ablösung der Türkei vom Westen darstellt.

Nicht das einzige Problem

Vordergründig geht es in der Tat «nur» um die Gefahr, dass das russische System nach einer Auslieferung des F-35 an die Türkei die Eigenschaften des modernsten amerikanischen Kampfflugzeugs in allen erdenklichen Situationen studieren könnte. Im modernen Kontext herrscht zwischen Flugzeug und Fliegerabwehr, nur schon zur Verhinderung einer Verwechslung des Ziels, ein reger Datenaustausch. Als Mehrzweckflugzeug, das auch Luftkämpfe ausfechten soll, müsste der F-35 besonders eng in die Fliegerabwehr integriert werden.

Hinter diesem Konflikt um den Datenaustausch zwischen dem S-400-System und dem F-35-Kampfjet versteckt sich ein zweites Problem. Die russischen Raketen gefährden auch das Zusammenspiel mit der Fliegerabwehr der anderen Nato-Partner. Zwar betonte der Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg an einer Sicherheitskonferenz in Aspen (Colorado), die Türkei werde im integrierten Raketen- und Fliegerabwehrsystem der Nato verbleiben. Doch das S-400-System wird davon ausdrücklich ausgeklammert werden. Niemand will das offen sagen, aber es ist noch völlig unklar, wie dieses Nebeneinander konkret aussehen wird und inwieweit die gemeinsame Abwehrkraft darunter leidet.

Unsicher ist auch, ob der Rauswurf der Türkei eine begrenzte Massnahme in einem klar definierten Konfliktfeld dargestellt, wie das die amerikanischen Stellen unterstreichen. Das könnte sich als Zweckoptimismus entpuppen. Denn der Schaden ist für beide Seiten beträchtlich, auch wenn er für das F-35-Programm selber noch kleingeredet wird.

Die Türkei sollte 900 Teile für den F-35 produzieren. Laut einer Hohen Vertreterin des Pentagons investiert Washington mindestens eine halbe Milliarde Dollar zur Reorganisierung der Lieferkette sowohl für den Bau des Flugzeugs (Lockheed Martin) als auch des Triebwerks (Pratt & Whitney). Dieser Betrag ist unter der Voraussetzung berechnet, dass die Abwicklung der Zusammenarbeit mit der Türkei geordnet und bis Ende März 2020 verläuft.

Auf türkischer Seite werden die Einbussen bedeutend höher veranschlagt. Über die gesamte Lebensdauer des F-35-Programms betragen sie laut amerikanischen Angaben rund neun Milliarden Dollar. Gegenwärtig gehe es um Verpflichtungen im Wert von einer Milliarde, sagte die Untersekretärin für Beschaffung und Erhaltung, Ellen Lord. Unklar ist, was mit den bereits bezahlten F-35 geschieht, die nun nicht ausgeliefert werden können. Klar dagegen ist, dass türkisches Personal, das gegenwärtig am F-35 ausgebildet wird, die USA bis Ende Juli verlassen muss.

Auffällig leise wird in den amerikanischen Verlautbarungen darüber gesprochen, dass der Rauswurf der Türkei aus dem F-35-Programm im Prinzip nicht die einzige Strafmassnahme bleiben kann. Das 2017 verabschiedete Gesetz über Sanktionen für Rüstungsgeschäfte mit Russland (Caatsa) schreibt vor, dass der Aussenminister in einem solchen Fall weitere Sanktionen vorzuschlagen hat. Er muss aus einem Strauss von zwölf Massnahmen mindestens fünf mit unterschiedlicher Härte benennen. Der Präsident kann dann zwar die Anwendung um sechs Monate hinausschieben, aber der Kongress könnte ihn überstimmen. Die Stimmung im Kapitol lässt derzeit nicht auf Milde gegenüber Ankara schliessen, im Gegenteil.

Das Zerwürfnis zwischen den USA und der Türkei könnte also rasch und beträchtlich weiter eskalieren. Im anderen Fall wären aber sicher auch Wege vorstellbar, um die Situation rasch zu entschärfen. Eine Schlüsselrolle müssten dabei die Präsidenten Donald Trump und Recep Tayyip Erdogan einnehmen. Diese hatten bis zum Schluss an der Überzeugung festgehalten, dass sie dank ihrem besonders guten persönlichen Verhältnis einen Ausweg fänden.

Eigenartiges Schweigen

In der ganzen Diskussion um die Gefahr eines unfreiwilligen Technologietransfers zugunsten Russlands fällt auf, dass der Umkehrschluss praktisch nie zur Sprache kommt. Warum sollte Moskau bereit sein, eines seiner rüstungstechnischen Spitzenprodukte an einen Nato-Staat zu liefern? Die Gefahr einer anhaltenden und gründlichen Analyse seiner Kapazitäten und Schwachstellen durch das westliche Bündnis müsste dort fast so gross sein, wie wenn das System direkt in die USA verschifft würde.

Michael Kofman vom rüstungstechnischen Forschungs- und Analysezentrum CNA in Virginia unterstrich in der Fachpublikation «Defense One», die an die Türkei ausgelieferte Version der S-400 sei speziell für den Export geschaffen. Es müsste Ankara stutzig machen, dass Moskau keine Anstalten macht, sich über den möglichen Verlust seiner Hochtechnologie zu sorgen.

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