Glosse

Die Briten leben in ihrer eigenen Welt: Auf der Insel ist Neujahr im April

Tradition, Sturheit und der Papst sind schuld: In Grossbritannien beginnt das Jahr im April. Das ist recht unpraktisch, aber Eigenheiten haben ihr Eigenleben.

Benjamin Triebe, London
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Illustration Alexander Glandien

Jedem Jahresanfang wohnt ein Zauber inne. Das erste Grün spriesst, die Vögel singen, es summt und brummt in der Luft. Warme Sonnenstrahlen lassen Dunkelheit und Kälte des Winters vergessen. Mit etwas Glück lockt das erste Picknick im Park. Was, das alles kennen Sie nicht zum Jahresanfang? Dann leben Sie im falschen Land. Sie sollten nach Grossbritannien ziehen. Dort beginnt das neue Jahr im April.

Jedenfalls das Jahr, auf das es wirklich ankommt im Leben jedes rechtschaffenen Bürgers: das Steuerjahr (ebenso wie das öffentliche Verwaltungs- und Finanzjahr). Und eigen, wie die Briten sind, beginnt es am 6. April und endet am 5. April des folgenden Jahres. So kommt zu den Frühlingsfreuden des Jahreswechsels ein Übel hinzu: Wenn es still ist in den Mooren und der Wind richtig steht, kann der aufmerksame Wanderer manchmal ein leises Wehklagen vernehmen. Das ist der Geist von Lady Macbeth. Oder es ist ein Brite, der mit seiner Steuererklärung hadert. Versuchen Sie einmal, ausländische Kontoaufstellungen und Abrechnungen mit dem Stichtag 5. April zu organisieren.

Was wie Teufelswerk erscheint, ist die Kombination aus Kirchenwerk, Tradition und Sturheit. Vor 500 Jahren zahlten die Briten Pacht und Miete quartalsweise. Der letzte Termin pro Kalenderjahr war der 25. Dezember, der erste Termin im neuen Kalenderjahr der 25. März. Somit bürgerte sich der 25. März als Beginn des Finanzjahres ein. Dann kam das Jahr 1582, und Papst Gregor XIII. ersetzte den julianischen durch den besser zum Sonnenjahr passenden gregorianischen Kalender.

Doch leider machten die Briten bei der grossen Umstellung im Jahr 1582 nicht mit. Sie liessen sich sogar 170 Jahre Zeit, bis sie dem Diktat vom Kontinent folgten. Währenddessen waren der julianische und der gregorianische Kalender um elf Tage aus dem Gleichschritt geraten. Diese Tage mussten die Briten streichen, als sie schliesslich doch wechselten. So wurde aus dem 25. März 1752 der 5. April 1752. Später musste nochmals ein Tag wegfallen, weil das Jahr 1800 nicht als Schaltjahr galt. So wurde aus dem 5. der 6. April.

In der Wirtschaft würde vieles einfacher, wenn die Briten ihr Steuerjahr endlich dem Kalenderjahr anpassten. Immerhin haben sie es 1971 geschafft, ein Dezimalsystem einzuführen: Ein Pfund zählt heute 100 Pence und nicht mehr 20 Schilling zu je 12 Pence. Allerdings hängt die Insel an ihren Eigenheiten, auch wenn sie unpraktisch sind wie ein Haufen Steine. Ein «Stone» zählt 6,35 Kilogramm oder 14 Pfund, entsprach aber niemals 280 Schilling.

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