In Jemen zeichnet sich die weltweit grösste Hungersnot seit Jahrzehnten ab, doch der Westen hat gelernt, den Krieg im Armenhaus Arabiens zu ignorieren. Ein Grund dafür: Jemenitische Flüchtlinge schaffen es kaum bis nach Europa.
Eines der reichsten Länder der Welt bombardiert eines der ärmsten Länder der Welt. Tausende Menschen sterben. Millionen sind auf der Flucht, doch ausser Landes schafft es kaum einer. Die Grenze im Norden ist abgeriegelt, im Süden liegt das Meer. Alle Häfen und Flughäfen sind geschlossen. Lebensmittel und Medikamente gelangen nicht mehr ins Land. Die Cholera breitet sich aus. Eine Hungersnot ist im Kommen - es könnte die weltweit grösste seit Jahrzehnten sein, wie die Vereinten Nationen warnen.
So sieht sie also aus, die Lage im Süden der Arabischen Halbinsel: Wo ein Krieg tobt, von dem es heisst, dass die Welt ihn nicht verstehe oder sich schlicht nicht für ihn interessiere. Das verarmte Land heisst Jemen, das reiche Saudiarabien. Andere Länder beteiligen sich auch an diesem Krieg, aber Riad ist der Protagonist. Eine von den Saudi gebildete Koalition verfolgt im Wesentlichen zwei Ziele. Das erste ist konkret: Ein geschasster Präsident soll in Jemen zurück an die Macht gelangen, weil er saudische Interessen vertritt (ungeachtet dessen, was grosse Teile der jemenitischen Bevölkerung davon halten). Das zweite Ziel ist eher abstrakt und handelt davon, den Einfluss der Iraner, von denen man in Riad glaubt, dass sie den Konflikt in Jemen orchestriert haben, in der Region zu brechen.
Vorschnell wird heute von einem Stellvertreterkrieg gesprochen. Dabei ist der Konflikt im Armenhaus Arabiens zunächst ein urjemenitischer: Auch hier brachen im Zuge der Aufstände in der arabischen Welt 2011 Proteste aus, die den Sturz des Langzeitpräsidenten Ali Abdallah Saleh zur Folge hatten. An die Spitze der Proteste gesellten sich die Huthi-Rebellen, die sich um ihre Rechte betrogen sahen. Sie sind Schiiten, (genauer: Zaiditen), genau wie Saleh, der für die sunnitischen Saudi trotz seiner Religionszugehörigkeit immer ein Verbündeter war. Mit der Behauptung, dass die Huthi Agenten Irans seien, hatte Saleh schon 2009 versucht, die Amerikaner für einen Krieg gegen sie zu gewinnen. Doch überzeugen liessen sich damals nur die Saudi. Ironie der Geschichte: Heute, Jahre später, kämpfen die Huthi und Saleh gemeinsam gegen Saudiarabien - während die Kräfte, auf die sich Riad stützt, ein höchst unwahrscheinliches Bündnis aus Stammesvertretern, Muslimbrüdern, südlichen Separatisten und sogar Anhängern der Kaida darstellen.
Ob und ab welchem Zeitpunkt die Huthi Waffen aus Iran erhalten haben, ist noch immer Gegenstand von Spekulationen. Selbst die Amerikaner vermissten lange Zeit stichfeste Beweise für Teherans militärische Komplizenschaft, und auch die Herkunft der Rakete, die vergangene Woche auf den Flughafen von Riad abgefeuert wurde, bleibt ungeklärt. Über Waffen verfügen die Huthi und Salehs Truppen selber ausreichend. Gut dokumentiert scheint immerhin zu sein, dass der proiranische libanesische Hizbullah schon vor 2011 bei der Ausbildung von Huthi-Kämpfern half.
Doch selbst wenn Iran in Jemen heute tatkräftig mitmischt: Einen Grund, die Huthi als Terroristen abzustempeln und sie vom Verhandlungstisch auszuschliessen, haben die Saudi nie gehabt. Die schiitische Miliz ist wohl oder übel ein Machtfaktor. Sie in die Knie zu zwingen, hat nicht funktioniert. Unnötig lang und schmerzvoll ist der Krieg dadurch geworden, und er hat das Land in die grösste humanitäre Katastrophe seiner Geschichte gestürzt.
Beeindruckt das Elend in Saudiarabiens «Hinterhof» den jungen Kronprinzen Mohammed bin Salman? Nein. Der ambitionierte Thronfolger hat das militärische Abenteuer gesucht und mit der Rebellion der Huthi den nötigen Grund gefunden, um mit der bisher zurückhaltenden Aussenpolitik seines Landes abzuschliessen. Berichte von Menschenrechtsorganisationen beeindruckten das Königreich noch nie, und von seinen Freunden im Westen hat Riad auch nichts zu befürchten. Im Gegenteil: Für Staaten wie die USA, Grossbritannien und Deutschland ist der Jemen-Krieg extrem profitabel. Alleine London lieferte seit Beginn des Luftkrieges 2015 Rüstungsgüter im Wert von über sechs Milliarden Franken und steigerte seine Waffenexporte nach Saudiarabien damit um fast 500 Prozent.
Die stille Solidarität vieler westlicher Regierungen mit Saudiarabien, die Komplexität des Konfliktes und seine geografische Ferne sind nur drei Gründe, warum der Jemen-Krieg ein geduldeter ist. Der vielleicht wichtigste aber ist das Ausbleiben der Flüchtlinge: Weniger als 9000 Jemeniten flohen im vergangenen Jahr aus ihrer Heimat; gerade einmal 241 von ihnen stellten im ersten Halbjahr 2016 einen Asylantrag in Deutschland. Dabei ist klar, dass es den Jemeniten an Fluchtgründen nicht mangelt, sie kommen nur einfach nicht heraus aus ihrem Land, sie haben kein Geld und keine Kraft. Wer sich eine Überfahrt mit dem Boot leisten kann, landet im nicht weniger infernalischen Somalia. Isoliert und weitgehend ignoriert harren die Menschen ihres Schicksals. Und nichts scheint sich sobald daran zu ändern.