Kommentar

Die Kavallerie reitet zum letzten Mal aus

Die Spionage-Affäre ist für die Sozialdemokraten im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen ein gefundenes Fressen. Doch der Steuerstreit ist vorbei. Die ständige Skandalisierung der Schweizer Banken hat sich abgenutzt.

Christoph Eisenring, Berlin
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Hinter den Geheimnissen des Finanzministeriums in Düsseldorf war der Schweizer Spion her. (Rolf Vennenbernd/Keystone)

Hinter den Geheimnissen des Finanzministeriums in Düsseldorf war der Schweizer Spion her. (Rolf Vennenbernd/Keystone)

Es ist eine vertrackte Geschichte um «Agent 00-CH», die die Phantasie und wahlkämpfende deutsche Politiker beflügelt. So viel ist bekannt: Ein Schweizer hat im Auftrag des Nachrichtendienstes des Bundes gegen deutsche Steuerfahnder aus Nordrhein-Westfalen ermittelt. Diese stehen im Verdacht, CD mit Kundendaten, die Schweizer Banken entwendet wurden, gekauft zu haben. Seine Tätigkeit trug dazu bei, dass die Schweizer Justiz 2012 gegen drei von ihnen Haftbefehl wegen Wirtschaftsspionage erliess. Der Schweizer wurde nun letzte Woche in Frankfurt verhaftet. Ihm wirft Deutschland geheimdienstliche Tätigkeit für eine «fremde Macht» vor – da fühlt man sich als kleiner Nachbar gleich etwas bedeutender.

Sogar einen Informanten soll der Schweizer in den Finanzbehörden von NRW angeworben haben. Ob es den «Maulwurf» überhaupt gab, ist aber unklar. Ein Fressen ist die Affäre für die Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen, wo in einer Woche gewählt wird. Sie haben sonst wenig zu lachen: Die Euphorie über Kanzlerkandidat Martin Schulz ist abgeklungen. Zudem steht das bevölkerungsreichste Bundesland wirtschaftlich im Schatten von Bayern und Baden-Württemberg.

Was hätte die Schweiz sonst tun sollen?

Finanzminister Norbert Walter-Borjans lässt sich in deutschen Gazetten gerne als «Robin Hood der Steuerzahler» porträtieren. Mit niedrigen Steuern hat er jedoch nichts am Hut. Vielmehr wurden unter Walter-Borjans ab 2010 elf Daten-CD gekauft. Diebe wurden mit der Aussicht auf Millionen geradezu ermutigt, Daten zu entwenden. Auch wenn man die Methoden des Nachrichtendiensts jetzt zu Recht kritisch unter die Lupe nimmt: Hätte hier die Schweiz einfach nur die Faust im Sack machen sollen?

Die Vertraulichkeit ist ein wichtiges Gut. Können Banken die Sicherheit der Daten nicht mehr gewährleisten, nehmen die Kunden Reissaus, ob sie etwas zu verbergen haben oder nicht. Gewiss, die Schweiz hat anderen Ländern zu lange Rechtshilfe bei Steuerhinterziehung verweigert. Aber das sind die Kämpfe der Vergangenheit.

Die Schweizer Banken akzeptieren heutzutage nur noch steuerkonforme deutsche Kunden. Bereits nächstes Jahr wird die Schweiz Bankdaten von 2017 nach Deutschland übermitteln – frei Haus und automatisch. Internationale Bankkunden sind somit «gläsern», was Hochsteuerländer wie Deutschland als grossen Fortschritt feiern. Gerne gruselt man sich in Deutschland zwar vor «Datenkraken» wie Google oder Facebook, aber wenn der Staat massenhaft Bankdaten sammelt, scheint alles in Ordnung. Die Schweiz hat im Herbst 2014 nolens volens zum automatischen Informationsaustausch Hand geboten – und im selben Jahr soll auch der Schweizer Agent die letzten Aufträge erhalten haben.

Das Ritual der Skandalisierung

Walter-Borjans und seine Genossen erklärten in den letzten Tagen emphatisch, man lasse sich im Kampf für Steuergerechtigkeit nicht einschüchtern. Der Fall zeige, wie stark die Verteidiger des Geschäftsmodells Steuerhinterziehung immer noch seien. Doch das ist Spiegelfechterei. Der Steuerstreit zwischen Deutschland und der Schweiz, an dem Walter-Borjans mit seinen unzimperlichen Methoden seinen Anteil hat, ist beigelegt. Seine ständige Skandalisierung der Schweizer Banken ist deshalb zum Ritual verkommen.

Wie aufregend waren da doch die Zeiten, als der ehemalige deutsche Finanzminister Peer Steinbrück 2009 der Schweiz mit der Kavallerie gedroht hatte, weil sie am Bankgeheimnis festhielt. Damals wurde der deutsche Botschafter in Bern einbestellt, dieses Mal die Schweizer Botschafterin ins Auswärtige Amt gebeten – man ist also quitt. Steinbrück geht diesen Sommer in Deutschland übrigens mit einem Kabarettisten auf grosse Tour – ohne Witz. Da würde ein Walter-Borjans doch bestens dazu passen, sollte es mit der Wiederwahl nicht klappen. In der Schweiz wären volle Säle garantiert.