Die Schweiz sagt ja zu neuen Möglichkeiten zur präventiven Überwachung. Alle Kantone und 65.5 Prozent der Stimmbevölkerung sagen Ja zum neue Nachrichtendienstgesetz. Resultate und Hintergründe im Überblick.
Das Nachrichtendienstgesetz führt die bis anhin in zwei getrennten Erlassen enthaltenen Vorschriften für die Informationsbeschaffung im In- und im Ausland zusammen. Dies ist eine Folge des Anfang des Jahrzehnts vollzogenen Zusammenschlusses des auf die Informationsbeschaffung im Ausland fokussierten Strategischen Nachrichtendienstes (SND) und des Dienstes für Analyse und Prävention (DAP), der sich aufs Inland konzentrierte. Heute lassen sich die innere und die äussere Sicherheit nicht mehr klar trennen - dies zeigt sich zurzeit beispielsweise im Zusammenhang mit der Bedrohung durch Jihad-Reisende.
Gleichzeitig erhält der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) zusätzliche Möglichkeiten: Neben der klassischen Telefon- und Postüberwachung gehören dazu die Überwachung des Mail- und Internetverkehrs sowie das Installieren von Staatstrojanern zum Abhören oder Mitlesen von verschlüsselter Kommunikation. Andererseits soll der NDB künftig in private Räumlichkeiten eindringen dürfen. Weiter soll er Wanzen und andere Überwachungsgeräte sowie Ortungsgeräte einsetzen können. Zudem soll es dem NDB erlaubt sein, zwecks Informationsbeschaffung oder zur Abwehr von Cyberattacken in Computersysteme oder -netzwerke einzudringen - auch im Ausland.
Lanciert wurde das Referendum von einem «Bündnis gegen den Schnüffelstaat», das sich aus ausschliesslich linken Partnern zusammensetzt – von der Juso bis zu den Grünen und zur Piratenpartei und von der Gewerkschaft Syndicom bis zu den demokratischen Juristen. Weniger eindeutig zuordnen lässt sich die «Digitale Gesellschaft», eine Allianz aus an Netzpolitik interessierten Kreisen.
Als Folge der Fichenaffäre resultierte in der Schweiz eine tiefe Abneigung gegen staatliche Überwachung jeglicher Art. Der Nachrichtendienst hat deshalb hierzulande im internationalen Vergleich wenig Befugnisse: Nicht einmal die Überwachung des Telefonverkehrs potenzieller Terroristen ist heute in der Schweiz erlaubt, falls es zwar einen Verdacht gibt, aber gegen die betroffene Person kein Strafverfahren eingeleitet wurde. Doch diese Zurückhaltung erscheint heute nicht mehr zeitgemäss - einerseits wegen der veränderten Bedrohungslage im Bereich des Terrors und andererseits weil die derzeitigen Möglichkeiten auch als Folge der Revolution bei den Informationstechnologie ungenügend sind. Heute ist der Nachrichtendienst stark auf Informationen ausländischer Dienste angewiesen.
Die Befürworter erachten es als wichtig, dass der Nachrichtendienst die nötigen Mittel erhält. Und sie betonen, dass das Gesetz kein Freipass sei: Der Nachrichtendienst dürfe auch nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes nicht wahllos Telefongespräche abhören und Informatiksysteme infiltrieren. Es müsse dafür eine konkrete, schwere Bedrohung vorliegen, die Überwachungsmassnahmen müssten vom Bundesverwaltungsgericht genehmigt und vom Vorsteher des Verteidigungsdepartementes sowie vom Sicherheitsausschuss des Bundesrats freigegeben werden.
Die Gegner halten die geplanten Überwachungsmassnahmen für einen massiven Eingriff in die Grundrechte. Alle würden überwacht, nicht nur wenige Verdächtige, wie häufig behauptet werde: Denn Instrumente wie die Vorratsdatenspeicherung seien Mittel der Massenüberwachung. Mit dem Einsatz von Staatstrojanern werde es dem Nachrichtendienst erlaubt sein, in fremde Computer einzudringen und Überwachungssoftware zu installieren. Für die Verfolgung von terroristischen Aktivitäten oder der organisierten Kriminalität sei das unnötig. Heute seien bereits die Bundesanwaltschaft und die kantonalen Polizeibehörden zuständig, die über genügend Mittel verfügten. Es brauche deshalb keinen Ausbau des Nachrichtendienstes. Darüber hinausgehende staatliche Überwachung ohne konkreten Verdacht unterhöhlten den Rechtsstaat.
Es gibt immer noch vereinzelt bürgerliche Politiker, die die Überwachungsmassnahmen im neuen Nachrichtendienstgesetz (NDG), über das im kommenden September abgestimmt wird, ablehnen. In der Schlussabstimmung hat sich beispielsweise der Schwyzer SVP-Nationalrat Pirmin Schwander gegen das Gesetz ausgesprochen. Auch der St. Galler Nationalrat Lukas Reimann kämpft gegen das Gesetz, weil die systematische Überwachung einer Demokratie unwürdig sei. Kritisch sind ausserdem die Grünliberalen: Eine Mehrheit stimmt dem Gesetz zwar zu, doch angesichts des hohen Nein-Stimmen-Anteils in den eigenen Reihen hat die GLP Stimmfreigabe beschlossen. Die bürgerlichen Jungparteien, die sich beim gescheiterten Referendum gegen das revidierte Gesetz über die Überwachung des Telefonverkehrs (Büpf) stark engagiert hatten, halten sich beim NDG dagegen zurück. Auch sonst zeigen sich die Bürgerlichen weitgehend geschlossen. Den Referendumskampf bestreitet vor allem die Linke.
Die heutige Gesetzgebung ist überholt. Die Lage hat sich stark geändert - in technischer und noch stärker in sicherheitspolitischer Hinsicht. Der islamistische Terror, der seit 15 Jahren die westliche Welt bedroht und sich sukzessive der Schweiz nähert, ist die offenkundigste Bedrohung. Im Vergleich zu anderen Ländern sind die nachrichtendienstlichen Möglichkeiten des Bundes heute klein. Im internationalen Tauschgeschäft um nachrichtendienstliche Informationen hat die Schweiz deshalb einen schwierigen Stand. Das Referendum ist deshalb abzulehnen - und dem neuen Nachrichtendienstgesetz zuzustimmen.
Botschaft des Bundesrats zum Nachrichtendienstgesetz