Wer gesund lebt, verursacht höhere Kosten als der, der raucht

Raucher müssen sich zurzeit wieder vorrechnen lassen, welch hohe volkswirtschaftliche Kosten sie verursachen. Richtig ist das Gegenteil.

Fabian Schäfer, Bern
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Tabakkonsum führt zu einer erheblichen Entlastung der Altersvorsorge, weil Raucher früher sterben. (Bild: Toby Diehl / AP)

Tabakkonsum führt zu einer erheblichen Entlastung der Altersvorsorge, weil Raucher früher sterben. (Bild: Toby Diehl / AP)

Raucher haben es schwer. Viele möchten aufhören, schaffen es aber nicht. Manche fühlen sich geächtet. Und obendrein müssen sie sich anhören, welche enormen Kosten sie verursachen. Derzeit sind Politiker, Beamte, Ärzte, Krebs- und Lungenligen wieder eifrig unterwegs. Am Montag wird eine neue Studie zur «Krankheitslast» des Tabakkonsums veröffentlicht. Das Timing ist kein Zufall. Die Präventionslobby erhöht den Druck, weil der Ständerat nächste Woche über das Tabakgesetz entscheidet. Umstritten sind vor allem die Werbeverbote.

Die Kostenrhetorik wird von höchster Stelle forciert. Gesundheitsminister Alain Berset (sp.) sagte im Parlament: «Ich möchte an die extrem hohen Kosten für die Gesellschaft erinnern, die das Rauchen verursacht.» Das Bundesamt für Gesundheit doppelt nach: «Der Tabakkonsum belastet die Volkswirtschaft mit Kosten von rund 5,6 Milliarden Franken pro Jahr.» Und das Komitee, dessen Volksinitiative strikte Werbeverbote verlangt, hält fest: «Die Kosten für die Allgemeinheit sind enorm.»

Die Raucher subventionieren den Rest

Diese Darstellung ist falsch oder zumindest einseitig. Dies zeigt die letzte umfassende Studie, auf die sich ironischerweise auch Bundesrat Berset und seine Präventionsbeamten stützen. Die Arbeit datiert von 1998. Ökonomen der Universität Neuenburg haben im Auftrag des Bundes die sozialen Kosten des Tabakkonsums berechnet. Fazit: Raucher sind volkswirtschaftlich betrachtet Nettozahler. Sie kommen nicht nur voll für die Schäden auf, die sie anrichten, sondern leisten sogar einen Beitrag darüber hinaus. Die rauchende Minderheit subventioniert den Rest.

Im Detail sieht die Rechnung so aus: Die Raucher verursachten der Gesellschaft externe Kosten von 1,7 Milliarden Franken im Jahr. Davon entfiel der grössere Teil auf Produktionsausfälle durch tabakbedingte Erkrankungen und Todesfälle. Beim Rest handelt es sich um jenen Teil der Gesundheitskosten, den die Raucher nicht selber deckten.

Auf der Gegenseite führt der Tabak zu einer erheblichen Entlastung der Altersvorsorge, weil Raucher früher sterben. Nach amtlichen Angaben reduziert sich die Lebenserwartung von Personen, die täglich rauchen, im Durchschnitt um 14 Jahre. Das hilft der AHV und den Pensionskassen, weil sie die Renten weniger lange auszahlen müssen. Die Neuenburger Forscher eruierten hier eine Entlastung von 1,3 Milliarden Franken im Jahr.

Das «Langlebigkeitsrisiko»

Man mag diese Betrachtungsweise als zynisch empfinden. Aber wer den Rauchern Krankheitskosten anlastet, muss ihnen fairerweise auch die Entlastung der Vorsorgekassen gutschreiben. Im Englischen hat sich für diese Ersparnisse infolge vorzeitigen Ablebens ein eigener Begriff etabliert: «death benefit». Hierzulande spricht man im Jargon vom «Langlebigkeitsrisiko», das den Pensionskassen und der AHV zusetzt.

Zurück zur Neuenburger Raucher-Bilanz: Nach Abzug der gesparten Renten müssen sich die Raucher nur noch externe Kosten von 400 Millionen Franken vorwerfen lassen. Auch diese lösen sich in Rauch auf, wenn man die Tabaksteuer berücksichtigt. Über diese Abgabe, die exklusiv Raucherinnen und Raucher trifft, nahm der Bund schon damals 1,3 Milliarden Franken ein. Heute, nach mehrmaliger Steuererhöhung, sind es 2,1 Milliarden. In dieser Zeit ist der gängige Preis für ein Päcklein Zigaretten von 3 Franken 70 auf 8 Franken 60 gestiegen. Davon entfallen 4 Franken 50 auf die Tabaksteuer, die voll der AHV zugutekommt. Zusätzlich gehen pro Päcklein 66 Rappen an die Mehrwertsteuer, zu den Schweizer Tabakbauern und in einen Präventionsfonds.

Frühe Krankheiten sind zum Teil «billiger»

Wie stark die Altersvorsorge heute vom früheren Ableben der Raucher profitiert, ist nicht bekannt. Doch auch die Ökonomen vom Büro Bass, die das Departement Berset als Experten beigezogen hat, gehen davon aus, dass die Raucher nach den Steuererhöhungen der Vergangenheit erst recht Nettozahler sind. In der Regulierungsfolgenabschätzung zum Tabakgesetz schrieben sie, mit den externen Kosten liessen sich zum Beispiel die Werbeverbote nicht begründen.

In dieser Frage geht es nicht nur um die Einsparungen bei den Renten. Darauf deutet eine Studie von Ökonomen des Karlsruher Instituts für Technologie von 2015 hin, die für Deutschland ähnliche Ergebnisse zeigte. Darin wird eine weitverbreitete Fehlüberlegung korrigiert: Die tabakbedingten Gesundheitskosten sind bei einer Gesamtbetrachtung über das ganze Leben zu relativieren. Wenn ein Raucher nicht rauchen würde, würde er trotzdem erkranken, einfach erst später und aus anderen Gründen.

Das Leid lässt sich nicht beziffern

Anders gesagt: Sterben müssen alle. Während ein Raucher womöglich mit 60 an Lungenkrebs erkrankt und stirbt, erleidet sein nikotinfreier Freund vielleicht mit 75 Jahren einen Schlaganfall. Für den Einzelnen ist der Unterschied enorm – für die Volkswirtschaft nicht unbedingt. Eine Studie niederländischer Gesundheitsökonomen von 2008 kam zu frappierenden Resultaten. Sie verglich Fettleibige, Raucher sowie schlanke Nichtraucher. Bis zum Alter von 56 Jahren fielen die höchsten Krankheitskosten bei den Übergewichtigen an, danach bei den Rauchern. Aber: Bei einer «lebenslänglichen» Betrachtung verursachten die fitten Nichtraucher noch höhere Kosten. Dabei wirkt sich vor allem die längere Lebenserwartung aus, aber auch der Umstand, dass frühe Erkrankungen teilweise «billiger» sind als späte.

Gewiss, all dies sind rein finanzielle Vergleiche. Diesen Einwand bringen auch die Autoren der Studien an. Niemand argumentiert, dass der Staat deswegen das Rauchen oder die Fettleibigkeit fördern soll. Niemand bezweifelt, dass Krankheit und Tod bei den Betroffenen und ihren Familien grosses menschliches Leid auslösen, das sich nicht in Franken ausdrücken lässt. Gleichwohl legen die Studien zwei Schlussfolgerungen nahe: Der Vorwurf an die Raucher, sie würden die Allgemeinheit schädigen, ist fehl am Platz. Und: Prävention mag dem Einzelnen helfen, aber mit Blick auf die gesamten Gesundheitskosten sollte man sich keine allzu grossen Hoffnungen machen.

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