Worum es bei der EU-Gleichwertigkeit geht – und was für die Börse auf dem Spiel steht

Für das Handelsvolumen der Schweizer Börse SIX ist die Anerkennung der Gleichwertigkeit der Schweizer Regulierung durch die EU zentral. Doch das Gleichwertigkeitskonzept steht so oder so auf tönernen Füssen.

René Höltschi, Brüssel / Christof Leisinger
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Schweizer Börsenkonzern SIX. (Bild: Ennio Leanza / Keystone)

Schweizer Börsenkonzern SIX. (Bild: Ennio Leanza / Keystone)

Das jüngste bilaterale Powerplay spielt sich auf dem Buckel eines höchst technischen Vorgangs ab. Die EU hat im Gefolge der Finanzkrise die Regulierung des Finanzsektors stark ausgebaut. Viele der neuen gesetzlichen Regelungen enthalten «Drittstaaten-Regime», also Vorgaben zum Umgang mit Drittstaaten, um der internationalen Verflechtung der Finanzmärkte Rechnung zu tragen. Sie stellen häufig auf Gleichwertigkeitsbeschlüsse (Äquivalenzentscheide) ab: Wird der Rechts- und Aufsichtsrahmen eines Drittstaats von der EU-Kommission in einem bestimmten Bereich als gleichwertig mit jenem der EU anerkannt, erhalten Akteure aus diesem Staat vereinfachten Zugang zu EU-Märkten, oder EU-Akteure können Dienste in diesem Staat ebenso nutzen wie in der EU.

Ein Beispiel für einen Äquivalenzbeschluss ist die 2015 anerkannte Gleichwertigkeit des Schweizer Solvenzregimes für Versicherungen, doch werden solche Entscheide immer wieder nötig.

Ein fragiles Konzept

Dabei handelt es sich stets um unilaterale Beschlüsse der EU zu einzelnen Bereichen, nicht um einen umfassenden, gegenseitig ausgehandelten Marktzugang. Die Drittstaaten haben keinen Rechtsanspruch auf einen positiven Entscheid; die EU hat viel Ermessensspielraum und kann die Gleichwertigkeit auch wieder entziehen. Für die Drittstaaten ist das Konzept damit recht fragil.

Der nun strittige Fall betrifft einen kleinen Teilbereich eines umfassenden Pakets neuer Finanzmarktvorschriften (Mifid 2 / Mifir), das in der EU ab dem 3. Januar zur Anwendung kommt: Im Dienste der Transparenz führt das Regelwerk eine sogenannte Handelspflicht für Aktien ein. Vereinfacht ausgedrückt bedeutet dies, dass EU-Wertpapierfirmen Handelsgeschäfte mit Aktien, die an einem geregelten Markt in der EU zugelassen sind oder an einem EU-Handelsplatz gehandelt werden, nur mehr über einen EU-Platz oder aber über einen als gleichwertig anerkannten Drittland-Platz tätigen dürfen.

Viele Aufträge aus der EU

Für den Schweizer Börsenkonzern SIX ist das von zentraler Bedeutung. Im vergangenen Jahr sind an der SIX sogenannte Blue-Chip-Wertpapiere im Gegenwert von etwa 850 Mrd. Fr. gehandelt worden. Gut die Hälfte der Aufträge dafür sei aus dem EU-Raum gekommen, heisst es – und davon wiederum gut die Hälfte aus Grossbritannien. Sollte dieses Volumen wegfallen oder sich aufgrund möglicherweise entstehender Rechtsunsicherheiten verringern, würde sich das wohl auch negativ auf das operative Ergebnis der SIX auswirken. Das Unternehmen selbst geht von einer Anerkennung aus, denn das Interesse beruhe auf Gegenseitigkeit. Die SIX wolle gute Geschäfte machen, während internationale Anleger daran interessiert seien, am Marktplatz mit den höchsten Volumina und den besten Preisen für das jeweilige Wertpapier zu handeln.

Der vorliegende Entwurf der EU-Kommission sieht zwar vor, den Schweizer Rechts- und Aufsichtsrahmen für Börsen und damit auch die Börsen SIX Swiss Exchange und BX Swiss für gleichwertig zu erklären. Für Überraschung gesorgt hat aber die Absicht, diese Anerkennung zunächst bis Ende 2018 zu befristen und eine Verlängerung von Fortschritten in den Verhandlungen über ein Rahmenabkommen abhängig zu machen. Abgesehen von möglichen europapolitischen Folgen dieser Verknüpfung sind sie und die zeitliche Begrenzung auch wenig geeignet, den Marktteilnehmern die nötige Rechts- und Investitionssicherheit zu vermitteln.