Der Todestag von Andrés Escobar – wie ein Eigentor zum Verhängnis wurde

Vor 25 Jahren wurde Andrés Escobar ermordet – er galt als Schuldiger von Kolumbiens Scheitern an der Fussball-WM in den USA. Sein letztes Spiel absolvierte er gegen die Schweiz.

Tobias Käufer
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Andrés Escobars ungläubiger Blick nach seinem Eigentor gegen die USA an der WM 1994. (Bild: Eric Drapper / AP)

Andrés Escobars ungläubiger Blick nach seinem Eigentor gegen die USA an der WM 1994. (Bild: Eric Drapper / AP)

Andrés Escobar hat heute seinen Stammplatz in der Kurve des Estadio Ata­nasio Girardot in Medellín. Hier, wo Kolumbiens vielleicht populärster Klub zu Hause ist. Im Meer der grün-weissen Fahnen, den Farben des Club Atlético Nacional, ist auch ein Banner mit dem Gesicht von Andrés Escobar zu sehen.

Reinaldo Rueda führte den Klub 2016 als Trainer zum zweiten Gewinn der Copa Libertadores, der südamerikanischen Champions League, heute arbeitet er als Nationaltrainer Chiles. Rueda sagt: «Er ist für die Fans eine Legende, eine Figur, die niemals sterben wird.»

Escobar gehörte zu jenem Team, das 1989 als erster kolumbianischer Verein die Copa Libertadores gewinnen konnte. Escobar verwandelte im entscheidenden Elfmeterschiessen in Bogotá den ersten Penalty. Der Trainer war Francisco Maturana, auch 1994 beim verhängnisvollen WM-Eigentor sass er auf der Bank. 93869 Zuschauer waren am 22. Juni 1994 ins Rose Bowl Stadium nach Pasadena gepilgert. Um 17 Uhr 05 Ortszeit unterlief Escobar der verhängnisvolle Fehler. Er verschätzte sich, der Ball landete im eigenen Netz. Am Ende verlor Kolumbiens goldene Generation mit 1:2.

Zehn Tage später, am 2. Juli 1994, starb Andrés Escobar. Im Kugelhagel auf dem Parkplatz vor einer Diskothek in Medellín. Bis heute ist die Tat nicht vollumfänglich aufgeklärt. Das trägt zur Legendenbildung bei. Es sollen sechs Revolver-Kugeln gewesen sein, die das Leben eines der wohl besten Abwehrspieler seiner Zeit beendeten.

Die AC Milan hatte angefragt. Escobar wäre in eine kleine Weltauswahl gekommen mit Spielern wie Franco Baresi oder Paolo Maldini, die zehn Monate später den Champions-League-Final gegen Ajax Amsterdam (0:1) erreichte. Escobar schaffte es nicht zurück ins Leben. Er lag blutüberströmt in seinem Auto, verstarb wenig später in einem Krankenhaus. «Eigentor, Andrés, Eigentor», sollen die Mörder gerufen haben.

Andrés Escobar bleibt bis heute in den Gedanken der Fans. (Bild: Eric Drapper / AP)

Andrés Escobar bleibt bis heute in den Gedanken der Fans. (Bild: Eric Drapper / AP)

Den Streit vor der Diskothek begannen die Drogenhändler Santiago und Pedro Gallon. Es war die Zeit, als in Medellíns Unterwelt die Hierarchien neu ausgekämpft wurden. Der legendäre Drogenbaron Pablo Escobar war wenige Monate zuvor von einem Spezialkommando erschossen worden.

Hätte er, der grosse Fan von Atlético und der Nationalmannschaft, noch gelebt, vielleicht wären die Schüsse nie gefallen. Ein Mord dieser Grössenordnung ohne die Zustimmung des Chefs des Medellín-Kartells: undenkbar. Der Chauffeur Humberto Muñoz wurde für die Tat zu 43 Jahren Haft verurteilt. Er kam schon 2005 wieder frei, wegen guter Führung und wohl auch wegen guter Kontakte. Die Motivation sollen verlorene Summen bei illegalen Wetten gewesen sein. Kolumbiens Mafia hatte auf die goldene Generation gesetzt. Doch die enttäuschte in den USA, kehrte schon nach der Vorrunde zurück. Und im Eigentorschützen Escobar hatte sie einen Schuldigen gefunden.

Der Mord an Escobar war eine Zäsur für Kolumbien. Zu seiner Beerdigung strömten die Massen. Lokale Medien schätzten damals, es seien 120 000 Menschen auf den Strassen Medellíns gewesen, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Noch heute lastet der Schatten der beiden Escobars auf der Stadt. Dabei boomt Medellín, die Stadt gilt als die interessanteste Metropole Kolumbiens, sie ist stolz auf ihren innovativen Fortschritt. Vor ein paar Monaten wurde ein altes Gebäude von Pablo Escobar niedergerissen. Eine riesige Villa mit Zimmern als Tresore und Folterkammern. Dort soll ein Park entstehen, der an die Opfer der Gewalt der Drogenmafia erinnert.

Drohungen gehören aber auch heute noch zum Alltag kolumbianischer Fussballer. Daniela Mejía, Ehefrau des Nationalspielers William Tesillo, der gegen Chile im Viertelfinal der derzeit laufenden Copa América im Elfmeterschiessen den entscheidenden Penalty vergab, veröffentlichte am Wochenende Morddrohungen von Fans gegen ihren Mann.

Andrés Escobar stand 1990 ein halbes Jahr bei den Young Boys unter Vertrag. Der damalige Abwehrchef Martin Weber sagte vor Jahren: «Er konnte keiner Fliege etwas zuleide tun. Vom Niveau her hätte er nach Italien gehen können.» In seinem letzten Fussballspiel traf Escobar auf die Schweiz, es war das dritte WM-Gruppenspiel, am 26. Juni 1994. Drei Tage zuvor war ihm das Eigentor gegen die USA unterlaufen, nach dem 2:0-Sieg gegen die Schweiz reiste er heim. Nach Medellín. In den Tod und in die Ewigkeit der Fankurve von Atlético Nacional.

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