«Ich tue alles, um Geld zu sparen, Zeit oder Geld»: Wolfgang Grupp in seinem Stammwerk im schwäbischen Burladingen. (Bild: Michaela Rehle / Reuters)

«Ich tue alles, um Geld zu sparen, Zeit oder Geld»: Wolfgang Grupp in seinem Stammwerk im schwäbischen Burladingen. (Bild: Michaela Rehle / Reuters)

Ein Unternehmer wie zu Ludwig Erhards Zeiten: Wolfgang Grupp hält am Standort Deutschland ebenso fest wie an der Anrede «Fräulein»

Er schaltet Werbespots mit einem sprechenden Affen und schimpfte in Talkshows über grössenwahnsinnige Manager. Im schwäbischen Burladingen ist der Trigema-Chef der letzte Textilfabrikant. Wolfgang Grupps Überlebensprinzip im Hochlohnland Deutschland liegt in seiner Genügsamkeit.

Hansjörg Friedrich Müller, Burladingen
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In der Verwaltung von Wolfgang Grupps Firma arbeiten 32 Angestellte; sie sitzen alle in einem Grossraumbüro. Der Schreibtisch des Chefs steht auch dort, seine Führungsriege hat er immer im Blick, darunter auch seine Frau, seine Tochter und seinen Sohn, die allesamt in der Firma mitarbeiten. «Ich muss meine Mitarbeiter um mich haben, weil ich sie für alle meine Entscheidungen brauche», sagt der 77-jährige Unternehmer. Grupps Fabrik steht in Burladingen, einem 12 000-Einwohner-Ort auf der Schwäbischen Alb, der sich selber Stadt nennt. 26 Textilfabriken gab es dort einmal, heute existiert nur noch die Trikotwarenfabrik Gebrüder Mayer, abgekürzt Trigema, gegründet vor einhundert Jahren vom Grossvater des Patriarchen.

Grupp, der 1200 Mitarbeiter beschäftigt, ist in Deutschland bekannter als viele Topmanager. Vor der ARD-«Tagesschau» lässt er Werbespots mit einem sprechenden Affen schalten; als Gerhard Schröder Kanzler war, erschien er regelmässig in den Wohnstuben der Deutschen: In Talkshows schimpfte er über grössenwahnsinnige Manager, die Gewinne mitnähmen und Verluste sozialisierten, während er, Grupp, als eingetragener Kaufmann mit seinem Privatvermögen hafte. In letzter Zeit ist es ein wenig stiller um ihn geworden. Die Arbeitslosigkeit in Deutschland sei niedrig und somit kein Thema mehr, erklärt er, weswegen er von den Redaktionen weniger häufig eingeladen werde als früher. Falls er dies bedauern sollte, lässt er es sich nicht anmerken.

Ein Mann wie aus der Wirtschaftswunderzeit, nur schlanker

Grupp wirkt auch in Burladingen, als käme er aus einer anderen Zeit: Massanzug, Einstecktuch, Manschettenknöpfe, Krawattennadel – sehr viel anders sahen deutsche Unternehmer auch zu Ludwig Erhards Zeiten nicht aus, nur dass Grupp braungebrannt und gertenschlank ist. Sein unternehmerisches Überlebensprinzip liegt in seiner Genügsamkeit. Sein Vater hat es wie all die anderen Unternehmer um ihn herum gemacht: expandieren, diversifizieren, Schulden machen. 1969 übernahm Sohn Wolfgang ein verschuldetes Unternehmen – und kehrte zurück zum Kerngeschäft.

«Ich sehe das Wachstum anders als meine Konkurrenten», sagt er. «Wir haben die Kapazität vor fünfzehn Jahren zum letzten Mal erweitert. Produkte, die der Chinese inzwischen billiger macht, fahre ich in der Stückzahl zurück oder gebe sie ganz auf.» Lieber setze er auf bessere Qualität oder Innovationen, beispielsweise biologisch abbaubare Cradle-to-Cradle-Produkte. Zudem versucht er, so viel wie möglich selbst zu machen. Das Garn kauft er in Griechenland ein, die Baumwolle kommt aus der Türkei, alles von Familienunternehmen, deren Inhaber Grupp persönlich kennt. Der Umsatz lag 2018 bei 101,8 Mio. €. Über seinen Gewinn redet Grupp nicht, doch unter 10% Rendite, sagt er, würde er ungern arbeiten. Seit 1975, als er die Schulden seines Vaters zurückbezahlt habe, habe er nie mehr mit einer Bank über einen Kredit gesprochen.

Auch den Vertrieb gibt Trigema mittlerweile nicht mehr aus der Hand. Anfangs habe er die Kaufhaus- und Versandhauskönige beliefert. Als diese anfingen, die Preise zu drücken, tat Grupp, was andere Markenlieferanten normalerweise nie tun würden: Er wechselte zu den grossen Selbstbedienungsläden, dann zu den Discountern. «Ich habe nie die Arroganz besessen, zu sagen, Sie erhalten meine Ware nicht, nur weil mir Ihr Gesicht nicht gefällt», erklärt er.

An seinen Produktionswerken verkauft er auch billiges Benzin

Als Aldi vor zwanzig Jahren Eigenmarken wollte, erfüllte Grupp seinem Kunden den Wunsch. Doch als der Discounter auch noch den Preis stark habe reduzieren wollen, habe er gewusst, dass er die Zusammenarbeit beenden müsse, auch wenn Aldi immer ein fairer Kunde gewesen sei. «Diese Eigenmarken kann der Kollege in China am Ende billiger fertigen.» Heute betreibt Trigema 45 eigene Geschäfte, vor allem in deutschen Feriengebieten, denn dort, so Grupp, hätten die Leute Zeit, um einzukaufen. An seinen drei Produktionswerken hat er Tankstellen eröffnet. Günstiges Benzin sei wirksamer als jede Reklame.

«Wenn einer sagt, er habe wenig Zeit, dann hat er nichts zu tun.» Wolfgang Grupp in seinem Büro in Burladingen. (Bild: Michaela Rehle / Reuters)

«Wenn einer sagt, er habe wenig Zeit, dann hat er nichts zu tun.» Wolfgang Grupp in seinem Büro in Burladingen. (Bild: Michaela Rehle / Reuters)

Grupp hat es nicht eilig. «Wenn einer sagt, er habe wenig Zeit, dann hat er nichts zu tun.» Der Mann lebt offensichtlich effizient. «Ich tue alles, um Geld zu sparen, Zeit oder Geld», sagt er. Sein privates Anwesen, ein bunter Stilmix, wo das Reetdachhaus an Sylt, die Mauer aber an Ibiza erinnert, steht direkt gegenüber. Auch sonst wird bei Trigema offenbar darauf geschaut, wo Abläufe optimiert werden können: Wer die Firma betritt, trifft nicht etwa auf einen Portier, sondern auf einen Tisch, auf dem ein Telefon steht. Darüber hängt das Bild eines Affen mit Sprechblase: «Hallo Fans. Zur Anmeldung nehmen Sie bitte den Hörer ab.»

Seinen Helikopter habe er sich nicht angeschafft, um zu renommieren, sondern aus praktischen Gründen, erklärt Grupp: Wer Geschäfte in ganz Deutschland unterhalte, müsse nun einmal mobil sein. «Ich habe den Helikopter noch nie hergezeigt.» Tatsächlich steht das Fluggerät allerdings in einem Glaskasten, der von der Strasse relativ gut sichtbar ist. Der Pilot ist während der Bürozeiten immer anwesend, falls der Chef einmal dringend losmuss. Allerdings dringt auch hier die schwäbische Sparsamkeit durch: Steht der Helikopter am Boden, sitzt der Pilot am Schreibtisch und arbeitet im Einkauf mit.

Wird einer seiner Beschäftigten abgeschoben, murrt Grupp nicht

680 Näherinnen beschäftigt das Unternehmen, mehrheitlich Frauen, davon 180 in Burladingen. Die männlichen Näher sind Flüchtlinge aus Ländern wie Syrien, Afghanistan und Gabon. «Wir haben tolle Flüchtlinge», erklärt Grupp beim Rundgang durch die Fabrik, «weil ich sie im Gegensatz zu unserer Bundesregierung sorgfältig ausgewählt habe.» Würde er feststellen, dass einer die Gastfreundschaft missbrauche, wäre der Betroffene allerdings «innerhalb von 24 Stunden nicht mehr Mitglied unserer Trigema-Betriebsfamilie». Wird einer seiner Beschäftigten abgeschoben, nimmt Grupp dies hin, ohne zu murren: «Ich fordere nicht, dass der Staat das Asylverfahren ändert, nur weil ich jemanden brauche.»

Zurück im Büro, öffnet Wolfgang Grupp erst einmal den Schrank, der hinter seinem Schreibtisch steht, und nimmt einen Kamm heraus. In der Schranktür hängt offenbar ein Spiegel, Grupp zieht seinen Scheitel nach. Ordnung muss sein, im Grossen wie im Kleinen. Wobei das Problem aus Grupps Sicht vor allem im Grossen zu liegen scheint. Mit den deutschen Zuständen hadert er: «Der Unanständige hat das Narrenrecht, der Arbeitslose bekommt Hartz IV, und die Verantwortlichen, die seinen Arbeitsplatz kaputtgemacht haben, tanzen auf ihren Vermögen», ruft er aus.

Darüber kann Grupp sich aufregen. Seine Mitarbeiter blicken nicht von ihren Pulten auf, wenn der Chef laut wird, man hat sich aneinander gewöhnt. Während sich die Manager von heute aus der Verantwortung stehlen würden, hätten sich Unternehmer der Wirtschaftswunderzeit nicht selten «die Kugel gegeben, um die Schande eines Konkurses nicht erleben zu müssen», doziert Grupp weiter. Auch wenn aus seiner Sicht vieles im Argen liegt, in die Politik mag er dennoch nicht gehen. «Da würde ich verrückt werden. Ich kann ein Problem nicht ewig diskutieren. Wenn einer mir sagt, er habe ein ganz grosses Problem, sage ich ihm, er sei ein ganz grosser Versager. Denn jedes grosse Problem war einmal klein, und hätte er es als kleines gelöst, hätte er kein grosses.»

«Ich bin ja nur bekannt, weil ich Dinge sage, die man nicht mehr sagt»

Treue und Leistung würden bei Trigema belohnt. Den Kindern seiner Angestellten garantiert Grupp einen Arbeitsplatz. Ob dahinter auch eine PR-Strategie steckt? «Ich bin kein Sozialsäusler», erklärt er. Wenn seine Arbeitsplatzgarantie ihm positive Schlagzeilen einbringe, habe er aber auch nichts dagegen. «Ich bin ja nur bekannt, weil ich Dinge sage, die man nicht mehr sagt.» Zu diesen Dingen gehört unter anderem auch das Wort «Fräulein». Grupp findet das vor allem praktisch: Damals, als Junggeselle, habe er gewusst: «Wenn es auf der Gästeliste ‹Fräulein› hiess, war das für mich interessant.»

Seine Ehefrau Elisabeth, eine geborene Baronesse von Holleufer, hat der passionierte Jäger kennengelernt, als er auf die Auerhahnjagd in der Steiermark eingeladen war. «Ich habe einmal gesagt, egal wie alt ich bin, meine Frau muss immer Anfang 20 sein», sagt Grupp. Der Hochzeitstag fiel auf ihren 22. Geburtstag, er war 46. Ihre Kinder erzogen die Grupps nach einem Prinzip, von dem Wolfgang Grupp sonst wenig halten dürfte: Outsourcing. Sie wurden auf ein englischsprachiges Internat in die Schweiz geschickt, was den Vorteil gehabt habe, dass die Eltern die Kinder belohnen konnten, während die Lehrer auch einmal streng sein mussten.

Im Internat war jeder stolz auf sein Elternhaus – und gab damit an

Dass das Unternehmen fest in Familienhand bleibt, ist für Wolfgang Grupp alternativlos. Und wenn keines seiner Kinder übernehmen will? Diese Frage stellt sich der Patriarch gar nicht. «Wenn die Kinder sagen würden: ‹Was mein Vater macht, will ich nicht machen›, hätte ich versagt.» Als er selbst im Internat gewesen sei, sei dort jeder auf sein Zuhause stolz gewesen und habe geprahlt, mit dem Schloss, der Fabrik oder dem Ferrari seines Vaters. «Wenn ich mir einbilde, dass ich Trigema führen kann, müssen meine Kinder es auch können.» Ein Kind bekomme die Firma; von Doppelspitzen, wie sie in der deutschen Politik zunehmend in Mode kommen, hält Grupp offenbar wenig. Einer müsse in der Verantwortung stehen.

Ob es am Ende auf Bonita, 29, oder Wolfgang junior, 28, hinauslaufe, müsse seine Frau entscheiden, wenn er einmal nicht mehr am Leben sei, erklärt Grupp: «Ich bin zuerst dran, das ist klar, wenn man 24 Jahre älter ist. Alles ist endlich, das kann man nicht verdrängen.» Am Rand des Burladinger Friedhofs hat er bereits ein Familiengrab anlegen lassen. «Wolfgang Grupp * 4. 4. 1942» steht dort auf einer von sechs schwarzen Platten. Die anderen sind noch unbeschriftet. Das, sagt Grupp, habe seine Frau so gewollt.

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