Im Vergleich zu Norwegen ist die Schweiz punkto Elektromobilität ein Entwicklungsland

In Norwegen ist fast jeder dritte Neuwagen ein Elektroauto. In der Schweiz liegt der Anteil bei unter 2%. Ist das aber wirklich ein Problem?

Stefan Häberli
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Der Run auf E-Autos ist in der Schweiz bisher ausgeblieben – vielleicht zu Recht. (Bild: Justin Chin / Bloomberg)

Der Run auf E-Autos ist in der Schweiz bisher ausgeblieben – vielleicht zu Recht. (Bild: Justin Chin / Bloomberg)

Ausgerechnet der Erdölstaat Norwegen will Autos mit Verbrennungsmotoren von seinen Strassen verdrängen. Bereits im Jahr 2025 peilt die Regierung ein wichtiges Etappenziel an: Dannzumal sollen im Land zwar noch mit Benzin oder Diesel betriebene Fahrzeuge verkehren dürfen, verkauft werden sollen sie jedoch nicht mehr. Auch wenn der Plan gar ambitioniert erscheint, schreitet Norwegen bei der Elektrifizierung seiner Fahrzeugflotte rasant voran. Über 62 000 oder fast ein Drittel der im vergangenen Jahr neu zugelassenen Fahrzeuge waren reine Elektroautos.

In der Schweiz betrug 2017 der Marktanteil reiner Elektroautos demgegenüber magere 1,6% – dies entspricht weniger als 5000 Wagen. Laut dem Importeurverband Auto Schweiz dürfte der Anteil 2018 etwa auf diesem Niveau stagniert haben. Für Verfechter der Elektromobilität liegt die Ursache der Diskrepanz zwischen der Schweiz und Norwegen auf der Hand: «Bund und Kantone tun zu wenig.»

Geringer Marktanteil der Elektroautos in der Schweiz

Reine Elektroautos in % der Neuzulassungen
Schweiz
Norwegen

Der Bund tut nicht nichts

Untätig sind das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek), dessen ehemalige Vorsteherin 2014 einen Tesla als Dienstwagen anschaffte, und die Kantone indessen nicht. E-Fahrzeuge sind etwa von der Automobilsteuer befreit und profitieren bei der Motorfahrzeugsteuer in den meisten Kantonen von Rabatten.

Mit einer Ende 2018 vorgestellten «Roadmap» wollen Bund und Kantone gemeinsam mit Verbänden und Firmen den Anteil der E-Autos (inklusive Plug-in-Hybriden) an den Neuzulassungen auf 15% erhöhen. Dabei beschränkt sich der Bund zwar weitgehend auf die Rolle des Moderators. Aber er will auch dafür sorgen, dass entlang der Nationalstrassen bis zu 160 Schnellladestationen entstehen.

Auch die im Rahmen der Energiestrategie 2050 beschlossene Verschärfung der Vorschriften für die CO2-Emissionen kann zumindest als indirekte Unterstützung der Technologie gelten. Nimmt man freilich Norwegen als Massstab, macht die Förderung der Elektromobilität hierzulande in der Tat einen eher knausrigen Eindruck.

Ausgeblendete Wahrheiten

Daraus folgt jedoch nicht zwangsläufig, dass Bund und Kantone in der Schweiz «zu wenig machen». Denn dass möglichst viele E-Fahrzeuge auf Schweizer Strassen herumkurven, ist kein Selbstzweck; von der Elektrifizierung der Fahrzeugflotte verspricht man sich letztlich eine intaktere Umwelt. Dass das Elektroauto dazu beiträgt, ist so klar indessen nicht. Die meisten blenden aus, dass auch der Strom, mit dem die Batterie eines E-Autos aufgeladen wird, bei der Produktion die Umwelt belastet. Je dreckiger der Strommix aus der Steckdose, umso schlechter die Ökobilanz.

Überdies belasten die Herstellung der Batterie und vor allem der Abbau der dafür benötigten Rohstoffe wie Lithium die Umwelt stark. Noch bevor es den ersten Kilometer gefahren ist, weist ein E-Fahrzeug deshalb ein längeres Umwelt-Sündenregister aus als ein vergleichbarer Personenwagen mit Otto- oder Dieselmotor. Wenn der Strom nicht gerade aus einem Kohlekraftwerk stammt, trägt es diese «Ursünde» allerdings typischerweise Kilometer für Kilometer ab. Dies legt eine vom Bundesamt für Umwelt (Bafu) in Auftrag gegebene und kürzlich aktualisierte Studie nahe. Selbst wenn die obengenannten Aspekte in einer Art Vollkostenrechnung berücksichtigt werden, fällt also die CO2-Bilanz bei E-Fahrzeugen unter dem Strich deutlich besser aus als bei Autos mit Verbrennungsmotoren.

Obwohl wegen des Einflusses auf das Klima derzeit die Treibhausgasemissionen im Fokus stehen, handelt es sich dabei nur um einen ökologischen Aspekt unter vielen. Und in anderen Bereichen schneiden Elektrofahrzeuge teilweise schlechter ab. So fallen im Vergleich zu Benzinern pro Kilometer gut dreimal so viele radioaktive Abfälle an. Die Bafu-Studie unternimmt den Versuch, mit der sogenannten Methode der ökologischen Knappheit eine Art Gesamtbilanz aufzustellen. In diese fliessen zahlreiche Dimensionen der Umweltverschmutzung wie Lärm, Verunreinigung von Boden und Wasser mit Schwermetallen, die Erschöpfung knapper Ressourcen oder der Einfluss auf die Tier- und Pflanzenwelt ein.

E-Autos nicht immer sauberer

Das Resultat dieses Ansatzes erstaunt: Ein VW Golf, lange der meistverkaufte Benziner, belastet demnach die Umwelt rund 14% weniger stark als ein Elektroauto. Auch der Vergleich mit der heutigen Flotte auf den Schweizer Strassen fällt für E-Autos ungünstig aus: «Die Gesamtumweltbelastung», schreiben die Autoren, «liegt beim Elektrofahrzeug leicht höher als beim Erdgas-Auto und beim Flottenmix der Benzinautos.»

Die Gewichtung der Umweltdimensionen und die Annahmen, die den Berechnungen zugrunde liegen, mögen diskutabel sein. Im Glaubenskrieg um den Antrieb der Zukunft findet zudem jede «Sekte» stets andere Studien, die sie in ihrem Glauben bestärken. In einer Situation mit Zielkonflikten und unklarer wissenschaftlicher Faktenlage erscheint es allerdings nicht unklug, dass der Bund nicht alles auf eine Karte setzt.

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