Wie Nidecker sich im Snowboardmarkt behauptet

Die Westschweizer Familienfirma hat es zur weltweiten Nummer zwei geschafft, mit einer ganz anderen Strategie als Marktführer Burton.

Andrea Martel, Rolle (VD)
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Die fünfte Generation mit Cédric, Xavier und Henry (von links) hat Nidecker zu einem Global Player gemacht. (Bild: Jean-Christophe Bott / Keystone)

Die fünfte Generation mit Cédric, Xavier und Henry (von links) hat Nidecker zu einem Global Player gemacht. (Bild: Jean-Christophe Bott / Keystone)

Den Hauptsitz der Snowboardfirma Nidecker in der Waadtländer Gemeinde Rolle zu finden, wäre ohne Smartphone und Google Maps eine Herausforderung: ein unscheinbarer Eingang an der Längsseite eines etwas in die Jahre gekommenen Lagerhauses; an der Glastür klebt ein A4-Blatt mit der Aufschrift «Bureaux Nidecker Group». Auch nach dem Eintreten stellt sich nicht unbedingt das Gefühl ein, bei einem der grössten Snowboardhersteller der Welt gelandet zu sein. Eher sieht es nach einem kreativen Startup aus, das sich in der Lagerhalle eingerichtet hat: links die Lounge mit Sofaecke, Töggelikasten, einem langen Esstisch und einer Kaffeebar, rechts, mit Büromöbeln abgetrennt, ein grosszügiger offener Raum, in dem rund zwanzig junge Leute konzentriert vor ihren Bildschirmen arbeiten.

Fünfte Generation am Ruder

Im Gespräch mit Konzernchef Henry Nidecker und Marketingleiter Thierry Kunz wird jedoch rasch klar, dass genau dies die heutige Nidecker ist: ein Traditionsbetrieb zwar, aber völlig verjüngt; ein bedeutender Player am Markt, aber sehr schlank aufgestellt. Es ist die fünfte Nidecker-Generation – bestehend aus dem 32-jährigen Henry (Henry V) und seinen beiden jüngeren Brüdern Cédric und Xavier –, die der Firma, die vor 131 Jahren als Schreinerei gegründet wurde, diesen Stempel aufgedrückt hat.

Als die drei Brüder vor zehn Jahren die Verantwortung übernahmen, hatte Nidecker schwierige Jahre hinter sich; 2008 wurde sogar Verlust geschrieben. Der Hauptgrund war das Marktumfeld: Nach dem Boom der 1990er Jahre war es ab 2000 zu einem regelrechten Einbruch auf dem Snowboardmarkt gekommen, unter anderem wegen des Aufkommens der Carving-Ski, die ein ganz neues Fahrgefühl vermittelten. Nidecker war von diesem Einbruch besonders betroffen, denn zum einen war das Unternehmen hauptsächlich in Europa tätig, wo der Rückgang mit Abstand am stärksten war. Zum anderen konkurrenzierten die Carving-Ski in erster Linie die Renn- und Carving-Boards, auf die sich Nidecker spezialisiert hatte. Diese Bretter, die mit Skischuh-ähnlichen Hardboots gefahren wurden, machten laut Kunz in den 1990ern in Europa rund 70% des Marktes aus. Heute sind es weniger als 1%, weil sich die mit weichen Schuhen und Softbindung gefahrenen Freestyle-Boards durchgesetzt haben.

Snowboarder zurück auf die Ski zu holen, gelang den Skifirmen allerdings auch deshalb so gut, weil die Snowboardfirmen sich auf eine viel zu enge Zielgruppe konzentriert hatten. Noch im Jahr 2000 sei das Marketing ausschliesslich auf den Typ Freestyler oder Skateboarder ausgerichtet gewesen, erklärt Kunz. So habe man viele Kunden verloren, da sich die 40- und 50-Jährigen nicht mehr angesprochen gefühlt hätten.

Nidecker hatte zwar schon vergleichsweise früh versucht, eine breitere Kundschaft anzusprechen. Statt ausschliesslich in spezialisierten Geschäften waren die Snowboards der Marke plötzlich auch in den grossen Sportmärkten erhältlich. «Snowboarden ist für jedermann», war die Botschaft. Das tat zwar dem Absatz gut, verwässerte aber auch die Marke.

Fokus auf Markenmanagement

Mit dem Eintritt der neuen Nidecker-Generation reifte die Erkenntnis, dass es schwierig ist, mit einer Marke alle Zielgruppen abzuholen. «Das schafft vielleicht ein Gigant wie Nike, aber wir sind zum Schluss gekommen, dass es besser ist, den verschiedenen Segmenten eigene Marken zu widmen», erklärt Kunz. So wurde alle Energie in das Markenmanagement gesteckt. Dies hiess konsequenterweise aber auch, nicht mehr selber zu produzieren. 2012 wurde die Produktionsstätte in Tunesien, wo Nidecker auch Bretter für andere Marken herstellte, verkauft; 2015 dann auch jene in der Schweiz geschlossen.

Das Markenportfolio wuchs rasch: Bereits 2010 kam mit Yes die erste neue Linie auf den Markt, mit der man die jungen Freestyler abholen wollte. Dann wurde mit Jones ein Spezialist für sogenannte Splitboards lanciert, die man bei Touren für den Aufstieg längs zweiteilen kann. Damit hatte man endlich ein passendes Angebot für die wachsende Outdoor-Gemeinde. Als Nächstes konzentrierte sich Nidecker auf Bindungen und gründete 2012 die Marke Now. 2017 schliesslich kam es zur ersten Akquisition mit dem Kauf der Marke Flow, die vor allem bei Bindungen und Schuhen stark ist, und vor wenigen Wochen folgte die Übernahme von Rom SDS mit Sitz im US-Gliedstaat Vermont sowie der niederländischen Dutch Low Pressure Studio (LPS).

Bei all diesen Käufen ging es Nidecker darum, Lücken zu füllen und Fachwissen hereinzuholen, sei es im Sortiment oder in der Betriebsführung. So verfügte Flow laut Kunz über eine gute Distribution in den USA und in Japan, die man fortan für die eigenen Marken nutzte. Mit Rom SDS liess sich der weisse Fleck an der US-Ostküste abdecken, während bei LPS ausser Produkten (etwa Bataleon) ebenfalls der Vertrieb interessierte. Anders als Nidecker, die mit Distributoren arbeitet, vertreibt LPS ihre Boards meist direkt.

Der Strategiewechsel zahlte sich aus. Laut Henry Nidecker haben sich die Einnahmen in sieben Jahren vervierfacht. Genaue Zahlen nennt er nicht, ausser dass das Wachstum je zur Hälfte organisch und akquisitorisch und die Expansion komplett eigenfinanziert gewesen sei. Heute ist Nidecker breit diversifiziert, sowohl was die Marken als auch was die geografische Abdeckung betrifft. Die frühere Hauptmarke Nidecker macht weniger als 10% des Umsatzes aus, der einst wichtigste Absatzmarkt Schweiz statt 45% kaum mehr 5%. Nun heissen die Hauptmärkte USA, Kanada und Japan.

Als Gruppe kaum sichtbar

Das Familienunternehmen hat es sogar geschafft, die Firma K2 mit ihrer Snowboardmarke Ride zu überholen und wieder zur weltweiten Nummer zwei zu werden – eine Position, die Nidecker bereits während der goldenen Ära des Snowboardens in den 1990er Jahren eingenommen hatte. Henry Nidecker schätzt den eigenen Marktanteil auf etwa einen Drittel. Grösser – laut Kunz jedoch gar nicht mehr so viel grösser – ist nur noch der Marktführer Burton, der allerdings viel sichtbarer ist, da er im Gegensatz zu Nidecker stark auf seine Hauptmarke setzt.

Was die Zukunft betrifft, macht man sich bei Nidecker keine grossen Sorgen, auch wenn die Statistiken zeigen, dass der Wintersportmarkt eher schrumpft. Kunz setzt darauf, dem Skimarkt wieder Marktanteile abzuluchsen. Liege heute die Aufteilung Ski - Snowboard bei etwa 85:15, sehe er durchaus Möglichkeiten, dies auf ein Verhältnis von 70:30 zu verbessern. Die Zahlen aus dem Boom der 1990er Jahre wieder zu erreichen, sei jedoch unrealistisch.