Aspirin – kein Lebenselixier für gesunde Senioren

Seit Jahren wird darüber diskutiert, ob ältere, aber gesunde Senioren zur Prävention von Herz-Kreislauf-Krankheiten und Krebs Aspirin einnehmen sollen. Wie bereits frühere Studien kommt auch eine neue, grosse Untersuchung zum Schluss: nein.

Alan Niederer
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Gesund altern: Körperliche und geistige Aktivität sowie soziale Beziehungen sind wichtige Faktoren. Bei vielen Substanzen ist der Nutzen weniger klar. (Bild: Imago)

Gesund altern: Körperliche und geistige Aktivität sowie soziale Beziehungen sind wichtige Faktoren. Bei vielen Substanzen ist der Nutzen weniger klar. (Bild: Imago)

Aspirin hat in der Medizin einen grossen Stellenwert. Nicht nur gegen Schmerzen, Entzündungen und Fieber wird die über hundert Jahre alte Wirksubstanz Acetylsalicylsäure eingesetzt. Auch nach einem Herzinfarkt oder einem Schlaganfall gehört das Medikament zur Routine-Therapie – in diesem Fall soll Aspirin, das auch als Hemmstoff der Blutplättchen wirkt, weitere Herz-Kreislauf-Zwischenfälle verhindern. Als wäre dieses breite Wirkungsspektrum nicht schon genug, gibt es auch Hinweise darauf, dass Acetylsalicylsäure das Risiko für einige Krebsarten senkt.

Es erstaunt daher nicht, dass das Bayer-Medikament seit Jahren von einigen Forschern und Ärzten als eine Art Lebenselixier angesehen wird. Dass diese Rechnung möglicherweise nicht aufgeht, darauf deutet – nach ähnlichen Studien zuvor – auch eine neue, grosse Untersuchung aus Australien und den USA. Die Arbeit ist soeben in drei Publikationen im «New England Journal of Medicine» erschienen. Mit ihrer Studie prüfte die Forschergruppe unter der Leitung von John McNeil von der Monash University in Melbourne, Australien, und Anne Murray von Hennapin Healthcare in Minneapolis, USA, die Hypothese, dass täglich 100 Milligramm Aspirin bei gesunden Senioren das Leben verlängern könnte.

Wirkung und Nebenwirkung

Das ist offenbar nicht der Fall, wie die unter dem Akronym«Aspree» (für «Aspirin in Reducing Events in the Elderly») laufende Studie jetzt zeigt. Grund: Den günstigen Aspirin-Effekten steht ein grosses Problem gegenüber: das erhöhte Blutungsrisiko. Unter dem Strich hielten sich Nutzen und Risiken bei den knapp 20 000 seit 2010 rekrutieren Probanden ungefähr die Waage – mit einer leichten Tendenz zu etwas mehr Todesfällen in der Aspirin-Gruppe.

Zu Beginn der Studie mussten die Probanden mindestens 70 Jahre alt sein; bei Afroamerikanern und Hispanics lag die Altersschwelle bei 65 Jahren, da Personen aus diesen Ethnien ein höheres Risiko für Demenz- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben. Als weiteres Kriterium mussten die Probanden gesund sein und durften keinen medizinischen Grund haben, täglich Aspirin einzunehmen.

Die Studie dauerte für die Probanden im Durchschnitt knapp fünf Jahre. Während dieser Zeit nahm die Hälfte der Teilnehmer täglich 100 Milligramm Aspirin ein – das entspricht einem Fünftel einer Standard-Aspirin-Schmerztablette. Die andere Hälfte schluckte ein Placebo. Wie sich zeigte, war das Sterberisiko in der Aspirin-Gruppe leicht erhöht: So waren in dieser Gruppe im Untersuchungszeitraum 5,9 Prozent verstorben. In der Placebo-Gruppe waren es 5,2 Prozent.

Forscher sind ratlos

Die erhöhte Sterberate hat die Forscher erstaunt, denn ein solcher Effekt war in früheren Studien nicht beobachtet worden. Die Resultate müssten daher mit grosser Vorsicht interpretiert werden, warnen sie und stellen weitere, vertiefte Analysen in Aussicht. Besonders irritierend ist, dass in der Aspirin-Gruppe mehr krebsbedingte Todesfälle registriert wurden.

Dagegen war die Rate an Herzinfarkten und Hirnschlägen in beiden Gruppen ähnlich hoch: 448 in der Aspirin-Gruppe und 474 in der Placebo-Gruppe. Deutlich grösser war indes der Unterschied bei den schweren Blutungen in den Magen-Darm-Trakt oder ins Gehirn: Ein solcher Zwischenfall trat im Untersuchungszeitraum bei 361 Personen in der Aspirin-Gruppe und bei 265 Personen in der Placebo-Gruppe auf.

Die Resultate zeigen, dass es derzeit keine Grundlage gibt, um gesunden Senioren eine tägliche Dosis Aspirin zu empfehlen. Umgekehrt sollten Patienten mit einem medizinischen Grund für Aspirin keinesfalls das Medikament selbständig absetzen. Denn in diesen Fällen ist der Nutzen des Medikaments gut belegt.

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