Influenza, Vierfachimpfstoff und Wirksamkeit: Die wichtigsten Fakten zur diesjährigen Grippeimpfung

Die letztjährige Impfkampagne gegen Influenza war ein Flop. Nun fragen sich viele, ob die Immunisierung tatsächlich den besten Schutz vor der Grippe bietet.

Ulrike Gebhardt
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(Bild: Victor R. Caivano / AP)

(Bild: Victor R. Caivano / AP)

Mit gewohnter Beharrlichkeit wird derzeit wieder zur Grippeimpfung aufgerufen. Und mit der gleichen Beharrlichkeit lassen sich viele der Angesprochenen wieder nicht impfen. In der Schweiz folgten laut dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) letztes Jahr nur jeder Vierte mit einer chronischen Erkrankung und knapp jede dritte ältere Person über 64 Jahren der Empfehlung. Diese Zahlen liegen im europäischen Trend, wonach die Impfrate bei den Risikogruppen meist unter vierzig Prozent beträgt.

Ein wesentlicher Grund, warum die Grippeimpfung in Europa von so wenigen Personen wahrgenommen wird, ist laut dem europäischen Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten das mangelnde Vertrauen in die Impfstoffe. Die vergangene Grippesaison dürfte nicht dazu beigetragen haben, dieses Vertrauen zu stärken.

Falsche Virenauswahl

Rund 4 Prozent der Schweizer Bevölkerung (oder 330 700 Personen) konsultierten im Winter 2017/18 wegen grippeähnlicher Symptome einen Arzt. In Deutschland gab es in diesem Zeitraum schätzungsweise 9 Millionen Arztbesuche wegen vermuteter Influenza. Die damals verwendeten Dreifachimpfstoffe sollten vor zwei Virusstämmen des Influenza-A-Typs und einem Influenza-B-Typ schützen, die Vierfachimpfstoffe zusätzlich vor einem weiteren Typ-B-Virus.

«Der wichtigste Grund, warum die Impfung in der letzten Saison so schlecht wirkte, war, dass man bei der Auswahl der B-Viren die falsche Entscheidung getroffen hatte», sagt Peter Stäheli vom Institut für Virologie am Universitätsklinikum Freiburg im Breisgau. Denn für fast 70 Prozent der Influenzainfektionen waren in der Schweiz und in Deutschland B-Viren vom Typ Yamagata verantwortlich. Doch genau diese Yamagata-Komponente sei in der kostengünstigeren Dreifachimpfung nicht enthalten gewesen, so Stäheli. Und der Vierfachimpfstoff, der vor Yamagata geschützt habe, sei zu wenig verwendet worden.

Die Effektivität der letztjährigen Grippeimpfung lag daher laut dem Robert-Koch-Institut in Deutschland bei nur 15 Prozent. Das heisst, bei gerade einmal 15 von 100 Geimpften konnte die Impfung eine Infektion verhindern. In der Schweiz dürfte die Situation ähnlich gewesen sein. Trotz dem bescheidenen Effekt bleibt das Robert-Koch-Institut bei seiner Aussage, dass sich mit keiner Impfung in Deutschland mehr Leben retten lasse. Das hängt damit zusammen, dass die Virusgrippe eine sehr häufige Krankheit ist und schon eine bescheidene Impfwirkung eine grosse Auswirkung hat.

Jedes Jahr im Februar/März empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nach Beobachtung der global kursierenden Influenza-Virusstämme, wie der Grippeimpfstoff auf der Nordhalbkugel für die kommende Saison zusammengesetzt werden sollte. Die deutsche Impfkommission (STIKO) rät nun wegen der Erfahrungen aus dem letzten Jahr zur Vierfachimpfung. Diese soll wiederum vor zwei verschiedenen Influenza-A- und -B-Stämmen inklusive Yamagata schützen.

Die jüngste Empfehlung der Stiko sei ein wichtiger Schritt zur Verbesserung des Schutzes, sagt Silke Buda, Epidemiologin am Robert-Koch-Institut. Stäheli schätzt die Situation ähnlich ein und hofft auf eine deutlich bessere Wirkung gegen die Viren als im letzten Jahr.

Unberechenbarkeit der Erreger

Auch Daniel Koch, Leiter der Abteilung übertragbare Krankheiten beim BAG, ist überzeugt, dass in der Schweiz in dieser Saison mehrheitlich der Vierfachimpfstoff verwendet wird. Das BAG rät allerdings nicht explizit zu dieser Vakzine. «Wir tun uns schwer, einzelne Produkte vorzuschlagen, und empfehlen daher jeden Impfstoff, der auf dem Markt ist», sagt Koch.

Der Infektionsexperte begründet das Schweizer Vorgehen mit der Unberechenbarkeit der Grippeviren. Die Chance, dass in den nächsten Monaten das gleiche B-Virus zirkuliere wie in der vergangenen Saison, sei gleich gross wie die Chance, dass ein anderes B-Virus die Oberhand gewinne. Damit schliesst sich Koch der Meinung der WHO an, für die die heutige Datenlage keine Vorhersage zulässt, welcher der beiden weltweit zirkulierenden B-Stämme (Yamagata oder Victoria) vorherrschen werde.

«Die Wirksamkeit der Grippeimpfung muss besser werden», sagt die Epidemiologin Buda. Die WHO versuche deshalb mit Modellierungen und Berechnungen zu erreichen, dass es seltener zu einem «mismatch», also einer Nichtübereinstimmung zwischen Impfung und kursierenden Viren komme. Das sei aber angesichts der – produktionsbedingten – frühzeitigen Empfehlungen nicht ganz einfach. Herausgefordert wird die Arbeit der WHO ausserdem durch globale Entwicklungen wie wachsende Megastädte oder den Klimawandel.

Solche Veränderungen geben den Viren die Chance, sich noch rascher auszubreiten und bei steigender Luftfeuchtigkeit möglicherweise auch länger in einer Region zu verbleiben. Dies wiederum kann die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass sich die Viren im Laufe einer Saison genetisch verändern und der ursprünglich eingesetzte Impfstoff noch schlechter greift als ohnehin schon, wie Wissenschafter von der Oregon State University in den USA kürzlich im Fachmagazin «Science» dargelegt haben.

Medikamente keine Alternative

Bereits vor zehn Jahren forderten Experten der amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention effektivere Impfstoffe gegen die Influenza. Diese sollten einerseits eine langanhaltende Immunität gegen verschiedene Grippe-Virusstämme anregen und anderseits auch bei den Risikopopulationen gut wirken: also bei kleinen Kindern, Chronischkranken und älteren Personen.

Noch befindet sich die Suche nach einem solchen «Universalimpfstoff» allerdings in der Anfangsphase. Für die Schwierigkeiten bei der Entwicklung macht der Virologe Stäheli die Biologie des Erregers verantwortlich, insbesondere seine grosse Wandlungsfreude. Diese Eigenschaft lässt auch Medikamente gegen die Grippe schnell ins Leere laufen. Denn die Erreger können sich Resistenzen gegen die Wirksubstanzen aneignen.

Medikamente sind auch noch aus einem anderen Grund kein Ersatz für die Impfung. «Von der Anwesenheit der Grippeviren im Körper merkt man erst dann etwas, wenn sich die Erreger im Atemtrakt bereits stark ausgebreitet haben», erklärt Stäheli. Zu diesem Zeitpunkt helfe ein Medikament dem Patienten kaum mehr. Kurzfristig verabreichte Grippemedikamente seien daher vor allem bei gefährdeten Personen sinnvoll, die dem Virus akut im Altersheim, im Spital oder im familiären Kontext ausgesetzt, aber noch nicht erkrankt seien.

«Trotz allen Schwächen bieten die verfügbaren Impfstoffe immer noch den besten Schutz vor einer Grippe», betont Buda. Auch wenn die Impfung nicht immer eine Ansteckung verhindern könne, verlaufe die Erkrankung bei Geimpften meist milder als bei Nichtgeimpften. So komme es seltener zu schweren Komplikationen wie Lungenentzündungen oder gar Todesfällen.

Risikominderndes Verhalten

Eine zu hundert Prozent schützende Grippeimpfung werde es nie geben, prophezeit Buda. Daher gelte es neben der Impfung auch Verhaltensweisen zu praktizieren, die das Infektionsrisiko nachweislich senkten. Dazu zählen unter anderem Hände waschen, Abstand halten zu Erkrankten (auch zu den eigenen Enkeln) und in die Ellenbeuge niesen oder husten. Weiter kann das eigene Immunsystem durch eine gesunde Ernährung und genügend Bewegung fit gehalten werden.

Um die Übertragung der Grippe in den Griff zu bekommen, sei ein ganzes Massnahmenbündel nötig, fasst Jana Gerold vom Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut in Basel eine kürzlich durchgeführte Studie der in der Schweiz praktizierten Präventionsmassnahmen zusammen. Die Grippeimpfung für Risikopatienten und Kontaktpersonen habe dabei aber Priorität, so Gerold.

Um die Anzahl der Geimpften zu erhöhen, wird am 9. November wiederum ein nationaler Grippeimpftag durchgeführt. An diesem Tag können sich Interessierte spontan beim Arzt oder in der Apotheke gegen die Influenza impfen lassen. Wer sich dann für den Vierfachimpfstoff entscheidet, hat eine grössere Chance auf einen breiteren Schutz.

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