Ausnahmezustand in der Kinderbetreuung: Bei Kita-Eltern herrscht Verunsicherung

Bund, Kanton und Gemeinden verzichten bis jetzt auf eindeutige Richtlinien für die Kinderbetreuung. Leidtragende sind die Eltern. Doch es ist Besserung in Sicht.

Nils Pfändler, Linda Koponen
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Das Coronavirus stellt den Alltag von vielen Eltern komplett auf den Kopf.

Das Coronavirus stellt den Alltag von vielen Eltern komplett auf den Kopf.

Simon Tanner / NZZ

Die Unsicherheit bei vielen Eltern ist gross. Seit der Bundesrat am Montagabend die «ausserordentliche Lage» ausgerufen hat, ist für viele unklar, wie es mit der Betreuung ihrer Kinder weitergeht. Die Schulen bleiben mindestens drei Wochen zu, und manch einer stellte sich die Frage, ob auch die Tagesstätten für die Kleinsten nächstens geschlossen bleiben.

Das ist bis heute nicht der Fall. Klare Ansagen von den Regierungen bleiben bis jetzt aber aus. Wer die Verantwortung trägt und welche Entscheidungen trifft, scheint unklar. Die Folge ist ein Zirkelschluss: Der Bund verweist auf die Kantone, die Kantone auf die Gemeinden, die Gemeinden auf die Kitas und die Kitas wieder auf den Bund.

Vom Bund zur Kita und wieder zurück

So liess der Bundesrat am Montag verlauten, dass die Kantone für Betreuungsangebote zu sorgen hätten, falls Kinder nicht privat betreut werden könnten. In einer Mitteilung heisst es, die Kindertagesstätten dürften nur dann geschlossen werden, wenn andere geeignete Betreuungsangebote bestünden.

Aufseiten des Kantons Zürich sagte Bildungsdirektorin Silvia Steiner (cvp.) gleichentags, dass in den Kitas Kinder von Eltern in «systemrelevanten Berufen» Vorrang hätten. Doch auch sie schien sich der Sache nicht ganz sicher zu sein. «Wenn die Kitas zumachen, was ich nicht hoffe, werden wir ein anderes Betreuungsangebot sicherstellen müssen», sagte die Regierungsrätin, allerdings ohne auszuführen, wie ein solches Angebot aussehen könnte. Nur so viel: Die Gemeinden arbeiteten mit Hochdruck daran, eine Lösung zu finden.

Mit der Stadt Zürich meldete sich am Dienstag die grösste Gemeinde des Landes zu Wort. Die Formulierungen in der Medienmitteilung blieben aber vage: Die Anzahl betreuter Kinder sei «nach Möglichkeit» zu reduzieren und Betreuungsplätze «primär» Eltern zur Verfügung zu stellen, deren Anwesenheit am Arbeitsplatz zwingend erforderlich sei. «In erster Linie» seien dies Mütter und Väter im Gesundheitswesen.

Die Kinderkrippen wiederum stehen im Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Verantwortung, Solidarität und Wirtschaftlichkeit. Der Branchenverband Kibesuisse verzichtete am Dienstag auf Anfrage auf eine offizielle Stellungnahme. Im Merkblatt auf seiner Homepage verweist er jedoch auf die Empfehlungen des Bundesamts für Gesundheit – womit sich der Kreis wieder schliesst.

Eltern betreuen – und zahlen trotzdem

Das Verhalten der verschiedenen Instanzen ist aufgrund der sich rasch verändernden Lage nachvollziehbar. Die Ausnahmesituation erfordert von allen Beteiligten grosse Flexibilität. Für die Eltern sind die Umstände aber häufig problematisch.

Die Massnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus hat den Alltag der Mütter und Väter von einem Tag auf den anderen auf den Kopf gestellt. Mehr noch: Laut dem Communiqué der Stadt Zürich tragen sie auch dann die Betreuungskosten, wenn sie sich selber zu Hause um ihr Kind kümmern. Weil Home-Office und Betreuung kaum zu vereinbaren sind, leidet entweder der Job oder das Kind. Je nach Anstellungsverhältnis müssen einige zudem mit Erwerbsausfällen rechnen.

Die Situation der Eltern könnte sich aber bald verbessern. André Woodtli, Amtschef des kantonalen Amts für Jugend und Berufsberatung, erwartet in dieser ausserordentlichen Lage ein finanzielles Entgegenkommen seitens der Krippen. Diese wiederum könnten eine Abgeltung vom Bund, Kanton oder den Gemeinden erhalten, sagt Woodtli auf Anfrage. Abklärungen seien diesbezüglich im Gange.

Der Amtschef appelliert so lange an die Eigenverantwortung der Eltern. Ihnen empfiehlt er, ihre Kinder selber zu betreuen oder kleinräumige Selbsthilfe zu organisieren. Die Ansicht scheine sich in der Bevölkerung durchzusetzen, dass weniger Sozialkontakte die Ausbreitung des Virus verzögerten und das Gesundheitssystem schonten.

Betreuerinnen fallen aus

Auch der Stadtzürcher Sozialvorsteher Raphael Golta (sp.) setzt auf die Solidarität der Eltern. «Im Einzelfall können wir nicht überprüfen, ob jemand tatsächlich einen Betreuungsplatz braucht oder nicht», sagt er. Die Stadt könne den Eltern auch nicht verbieten, ihr Kind weiterhin in die Kita zu bringen. Aber: «Wenn wir das Betreuungssystem aufrechterhalten wollen, ist es entscheidend, dass wir die Zahl der Kinder minimieren können.»

Genaue Zahlen fehlen zwar, laut Golta werden aber bereits deutlich weniger Plätze beansprucht als normal. «Social distancing» und die vom Bundesamt für Gesundheit verordneten Massnahmen lassen sich bei kleinen Kindern aber auch so nicht durchsetzen. Betreuerinnen und Betreuer, die einer Risikogruppe angehören, fallen aus. Es sei damit zu rechnen, dass Ausfälle des Personals aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen oder von Betreuungspflichten zunehmen würden, heisst es bei der Stadt weiter.

Als private Organisationen steht es den Kitas frei, selbst zu entscheiden, ob sie schliessen möchten oder nicht. «Wenn die Qualität etwa wegen Personalausfällen unter das absolute Minimum sinkt, ist es sicher sinnvoll, keine Kinder mehr aufzunehmen», sagt Golta. Die Stadt wolle den Betrieben bei Liquiditätsengpässen aber finanziell unter die Arme greifen. Auch die Zahlungen von Subventionen von bestehenden Betreuungsplätzen würden fortgesetzt. Zuallererst gelte es das Kindswohl zu wahren. Trotzdem: Solange es keine Alternativen gebe, seien die Kitas in der Verantwortung.

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