Deutlich milderes Urteil nach Bluttat im Drogenrausch in Villa an der Goldküste

Der junge Mann, der vor bald fünf Jahren einen Freund in der elterlichen Villa in Küsnacht grausam tötete, war selbstverschuldet schuldunfähig. Das Obergericht reduziert die Freiheitsstrafe von 12½ auf 3 Jahre und ordnet eine stationäre Massnahme an.

Alois Feusi
Drucken
Das Zürcher Obergericht hat das erstinstanzliche Urteil wegen vorsätzlicher Tötung gegen einen Küsnachter Galeristensohn revidiert.

Das Zürcher Obergericht hat das erstinstanzliche Urteil wegen vorsätzlicher Tötung gegen einen Küsnachter Galeristensohn revidiert.

Goran Basic / NZZ

Der heute 34-jährige Mann, der Ende Dezember 2014 im Drogenwahn einen Freund auf brutalste Weise ums Leben brachte, war zum Zeitpunkt der Tat nicht Herr seiner Sinne. Zu diesem Schluss ist das Zürcher Obergericht am Mittwoch gekommen. Das Bezirksgericht Meilen hatte den Galeristensohn im Sommer 2017 wegen vorsätzlicher Tötung und Vergewaltigung zu 12½ Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Die zweite Instanz reduziert die Strafe auf 3 Jahre. Ausserdem wird eine stationäre Massnahme zur Suchtbehandlung verfügt.

Zudem hebt das Obergericht den Schuldspruch wegen Vergewaltigung der damaligen Freundin des jungen Deutschen im Oktober 2014 in einem Londoner Hotel auf. Der erst nach einem Jahr zur Anzeige gebrachte Vorfall hätte sich zwar so abgespielt haben können wie von der Privatklägerin beschrieben, und das Gericht ist nicht der Ansicht, dass die gesamte Schilderung des Ablaufs frei erfunden war. Aber es blieben so viele Zweifel, dass ein Freispruch «in dubio pro reo» erfolgen musste.

Höchststrafe 3 Jahre

Das Obergericht stuft die unter dem Einfluss von Ketamin und Kokain verübte Bluttat als in selbstverschuldeter Unzurechnungsfähigkeit begangene Tötung ein. Für eine solche sieht das Gesetz maximal 3 Jahre Freiheitsstrafe vor. Diese Zeit hat der Mann längst abgesessen, aber er muss in Sicherheitshaft bleiben, bis ein Therapieplatz gefunden ist.

«In jener Nacht ereignete sich eine Tragödie», stellt Gerichtspräsident Stefan Volken bei der Eröffnung des Urteils fest. Er beschreibt Täter und Opfer als zwei junge Männer aus gutem Haus, «überreich gesegnet mit Möglichkeiten, ein komfortables Leben zu führen», deren Schicksal auf einen Schlag eine furchtbare Wende nehmen sollte.

Der geständige Beschuldigte und sein langjähriger Freund waren sich am frühen Morgen des 30. Dezember 2014 in die Haare geraten. Der Streit eskalierte dermassen, dass der grossgewachsene, kräftige Angreifer den körperlich unterlegenen Gegner zunächst mit Faustschlägen gegen den Kopf traktierte und später mit einem sechs Kilogramm schweren Kerzenständer dessen Schädel brach. Als er feststellte, dass sein Opfer noch immer atmete, rammte er ihm schliesslich eine Kerze in den Rachen und brachte den Freund so zum Ersticken.

Getäuschter Gutachter?

So viel ist erstellt und auch nicht strittig. Doch wie konnte es so weit kommen? Hatte der Beschuldigte tatsächlich einen solchen Groll gegen den 23-jährigen britisch-schweizerischen Doppelbürger aufgebaut, dass er sich im Wissen um die verheerenden Auswirkungen von Ketamin und Kokain auf seine Psyche absichtlich in eine Schuldunfähigkeit brachte? War ihm von Beginn weg klar, dass er in einen psychotischen Zustand mit paranoiden Wahnvorstellungen geraten könnte?

Das Bezirksgericht Meilen schloss dies nicht aus und kam zum Schluss, dass der Täter direktvorsätzlich gehandelt habe. Und jemand, der aufgrund einschlägiger eigener Erfahrung weiss, dass ihn der Drogenwahn unberechenbar macht, kann sich gemäss Strafgesetzbuch nicht mit der Berufung auf Schuldunfähigkeit vor der Strafe schützen.

Dass der junge Jetsetter seinen Freund als höchst bedrohliches grünes Alien mit roten Augen wahrgenommen haben wollte, stufte die erste Instanz als Schutzbehauptung ein. Der Mann sei aufgrund seiner grossen Erfahrung mit Drogen sehr wohl in der Lage gewesen, sich ein plausibel erscheinendes Rausch-Szenario auszudenken, um den psychiatrischen Gutachter zu täuschen. Er habe den Tod des Kontrahenten durchaus gewollt und direktvorsätzlich gehandelt.

Schmerzempfinden ausgeschaltet

Das Obergericht sieht das nicht so. Es stellt zwar fest, dass sich der Beschuldigte während des ganzen Verfahrens immer wieder anders geäussert hat. Zunächst wollte er angegriffen worden sein. Später konnte er sich nicht mehr erinnern, und schliesslich sprach er von seinem psychotischen Zustand und der «Verwandlung» des Freundes in einen furchteinflössenden Ausserirdischen.

Doch die Einschätzung des psychiatrischen Gutachters, wonach der junge Mann in einem psychotischen Zustand gehandelt habe, ist nach Ansicht der Richter korrekt. Der Tat sei kein eigentlicher Konflikt vorangegangen, hält der Gerichtsvorsitzende fest, sondern bloss ein banaler Streit wegen der schwedischen Volksmusik, die das Opfer gegen den Willen des Gastgebers laufen lassen hatte, sowie wegen eines weggeworfenen Rests Drogen. Der Beschuldigte habe zum Tatzeitpunkt keine Einsicht in sein schuldhaftes Verhalten gehabt.

Die Auseinandersetzung eskalierte dermassen, dass zuletzt das ganze Wohnzimmer verwüstet war. Überdies riss der Täter auch noch eine Wasseraufbereitungsanlage aus der Verankerung, weil er sie als Raketenrucksack wahrnahm. Er «dekorierte» den tot daliegenden Freund mit einem Samichlaus aus dem Weihnachtsbaumschmuck, und als die Polizei eintraf, stiess sie laut Rapport auf einen verwirrten jungen Mann, der davon überzeugt war, dass das Opfer noch lebe, und die Männer bat, sich um den Freund zu kümmern.

Auch die Tatsache, dass das Schmerzempfinden des Täters wie wohl auch des Opfers durch das Ketamin ausgeschaltet worden sein musste, deute auf starken Drogeneinfluss hin. Keiner der beiden Freunde habe realisiert, wie brutal sie aufeinander losgegangen seien, stellt Gerichtspräsident Volken fest.

Sicherheitshaft in der Pöschwies

Wie lange der Mann in einer spezialisierten Einrichtung behandelt werden muss, bestimmt nicht das Gericht; diese Entscheidung liegt bei den Therapeuten und dem Amt für Justizvollzug. «Sollten Sie nicht geheilt oder sogar rückfällig werden, ist uns allen – und hoffentlich auch Ihnen – klar, welche Gefahr von Ihnen ausgeht», ermahnt der Gerichtsvorsitzende den Beschuldigten. «Ich versetze Sie deshalb in Sicherheitshaft in der Pöschwies, bis ein geeigneter Platz gefunden ist.»

Urteil SB170499 vom 27. 11. 2019; noch nicht rechtskräftig.