Auffallend an der Konzeption von Jürg Sulzer sind die unterschiedlichen Wohnhöfe, die diagonalen Verbindungen und die deutliche Absenkung zum Grubenackerquartier (rechts) hin. (Bild: Jürg Sulzer, Visualisierung Lisa Looser, 3drender.ch)

Auffallend an der Konzeption von Jürg Sulzer sind die unterschiedlichen Wohnhöfe, die diagonalen Verbindungen und die deutliche Absenkung zum Grubenackerquartier (rechts) hin. (Bild: Jürg Sulzer, Visualisierung Lisa Looser, 3drender.ch)

Gegenmodell zu umstrittenem Bauprojekt in Zürich Nord: Verdichten kann man gut auch ohne Wohnhochhäuser

Die Anwohner an der Grubenackerstrasse in Zürich Nord haben ihr Gegenmodell zur umstrittenen städtischen Hochhaussiedlung weiterentwickelt. Obwohl es auf die sechzig und siebzig Meter hohen Türme verzichtet, hat es darin fast gleich viele Wohnungen.

Adi Kälin
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So etwas hat man im Zürcher Gemeinderat kaum je erlebt: Als er am 3. Juli dieses Jahres über die geplante Hochhaussiedlung an der Thurgauerstrasse in Zürich Nord diskutierte, kam es zu turbulenten Szenen, unverhofften Wechseln vom einen zum andern Lager und schliesslich zu einer Rückweisung der Vorlage in die Kommission. Auf dem Areal will die Stadt mit ganz grosser Kelle anrühren: Auf einer Fläche von etwa 65 000 Quadratmetern sollen 700 gemeinnützige Wohnungen und 200 Alterswohnungen entstehen – unter anderem in fünf Wohnhochhäusern, die bis 70 Meter in den Himmel ragen sollen.

«Wie in den sechziger Jahren»

Die Meinungen zu dieser riesigen Überbauung, die auf einer Planung von Meili/Peter beruht, gingen von Anfang an sehr weit auseinander. Da entstehe ein «Megablock», meinte ein SVP-Sprecher im Gemeinderat, die AL fand, es werde nicht sozialverträglich verdichtet, und eine Vertreterin der Grünen erinnerte das Ganze an anonyme Grossüberbauungen der sechziger Jahre. Von Beginn an hatte sich auch im angrenzenden Grubenackerquartier Widerstand gebildet; die Bewohner der Einfamilienhäuser fürchteten, von den gewaltigen Baumassen, die da entstehen sollten, erdrückt zu werden.

Die Nachbarn beliessen es aber nicht beim Protest, sondern wurden selber aktiv: Sie gründeten zunächst den Verein IG Grubenacker, später eine eigene Genossenschaft und nahmen mit dem renommierten Stadtplaner Jürg Sulzer Kontakt auf, der ihnen schliesslich Gegenmodelle zur städtischen Planung skizzierte. Sulzer hat lange Jahre als Stadtplaner in Bern gearbeitet und war anschliessend Professor für Stadtumbau und Stadtforschung an der TU Dresden.

Planung der Stadt für das Areal Thurgauerstrasse West

Planung der Stadt für das Areal Thurgauerstrasse West

Während die Gemeinderäte in der Kommission weiter über die Pläne für die Thurgauerstrasse brüten und sich wie immer bemühen, nichts davon nach aussen dringen zu lassen, sind auch die Anwohner nicht untätig geblieben. Es gab beispielsweise Gespräche mit der Stadt, die von Christian Häberli, dem Co-Präsidenten der IG Grubenacker, als durchaus konstruktiv beurteilt werden. Er glaubt, dass einige Ideen aus dem Quartier aufgenommen würden, auch wenn sich am Ende die städtische Planung durchsetzen sollte.

«Mehr als wohnen» als Vorbild

Jürg Sulzer hat seine Planungsideen ebenfalls weiterentwickelt und in Visualisierungen anschaulicher gemacht. Das «Stadtquartier Wohnhöfe Grubenacker», wie er es nennt, baut auf bestehenden Strukturen mit alten Flurwegen oder markanten Bäumen auf – im Gegensatz zur stadträtlichen Planung, die wie ein Ufo im Quartier landen will und eine Siedlungsinsel entstehen lässt, wie es schon einige gibt im benachbarten Leutschenbachquartier.

Sulzer verzichtet auf die riesigen Wohntürme, dennoch bringt er in seiner Überbauung ziemlich genau gleich viele Wohnungen unter. Auch Park und Schulhaus, die vom Gemeinderat bereits separat beschlossen worden sind, passen perfekt zu Sulzers Wohnhöfen. Anders als die Stadt setzt Sulzer aber auf Blockrandbebauungen, kleinteiligere Strukturen und will darauf verzichten, den ganzen Boden zuzubauen. Gegen die Thurgauerstrasse hin sollen seine Häuser sieben- bis zehnstöckig werden, gegen die bestehende Siedlung an der Grubenackerstrasse hin fünfstöckig.

Jürg Sulzers städtebauliches Konzept für das Areal zwischen den Geschäftshäusern an der Thurgauerstrasse (unten) und den kleinen Häuschen des Grubenackerquartiers (oben). (Zeichnung: Jürg Sulzer)

Jürg Sulzers städtebauliches Konzept für das Areal zwischen den Geschäftshäusern an der Thurgauerstrasse (unten) und den kleinen Häuschen des Grubenackerquartiers (oben). (Zeichnung: Jürg Sulzer)

Die Eigentümer der dortigen Einfamilienhäuser wissen, dass sich auch ihr Quartier in absehbarer Zeit baulich verändern wird. Denkbar ist, dass sich einige Besitzer zusammentun, vielleicht eine kleinere Genossenschaft gründen – und in der Art der städtischen Siedlung weiterbauen. Überhaupt fände es Sulzer besser, wenn schon innerhalb des heutigen Planungsperimeters nicht einfach ein paar Grossgenossenschaften bauen würden, sondern viele kleinere, vielleicht auch private Unternehmer, die eine Parzelle von der Stadt übernehmen könnten.

Der Wettbewerb, der so entstünde, würde die Qualität heben. Davon ist Jürg Sulzer überzeugt. Bei der IG Grubenacker sieht man es ähnlich: Gewissermassen das Referenzobjekt für ihre Ideen ist die genossenschaftliche Siedlung «Mehr als Wohnen», die sich ganz in der Nähe befindet. Auch dort ist jedes Haus von andern Architekten entworfen worden; die Überbauung wirkt dadurch organischer, als sei sie wie andere Teile der Stadt, allmählich gewachsen. Die Siedlung wird zwar von Fachleuten hochgelobt, sie scheint aber bei städtischen Planungen nicht Schule zu machen.

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