Viele Wanderer und Bergsteiger widersetzen sich den Corona-Empfehlungen der Verbände und Behörden

Der Schweizer Alpen-Club und viele Wander-Sites im Internet raten momentan dringend von Bergtouren ab. Trotzdem zieht es viele in die Höhe, was vor allem in beliebten Wandergebieten zu Problemen führt.

Adi Kälin
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Von Touren im Alpstein wird dringend abgeraten.

Von Touren im Alpstein wird dringend abgeraten.

Christoph Ruckstuhl

Der Schweizer Alpen-Club (SAC), dem rund 150 000 Mitglieder angehören, hat schon Mitte März ein deutliches Signal gesetzt: Obwohl die 153 Klubhütten in den Bergen, wie die Hotels, hätten offen bleiben können, teilte der Bergsportverband umgehend mit, dass die Hütten geschlossen würden. Wegen der engen Platzverhältnisse und der einfachen hygienischen Verhältnisse da und dort sei das Einhalten der Sicherheitsmassnahmen schwierig bis unmöglich.

«Bleib zu Hause – rette Leben!»

Der SAC hat zudem alle Vereinsaktivitäten abgesagt und seine Mitglieder aufgerufen, momentan auf Bergtouren zu verzichten. Hauptsächlich geht es darum, alpine Notfälle zu vermeiden, damit in den Spitälern nicht Betten mit Unfallpatienten belegt werden, die man dringend für die Bewältigung der Corona-Krise braucht. «Rücksichtnahme und Solidarität mit dem Gesundheitswesen und den betroffenen Personen sind in dieser ausserordentlichen Situation von uns allen gefragt», schreibt der SAC.

Auch bei den bekannten Wander- und Bergsteigerplattformen im Internet ist der Tenor klar: «Bleib zu Hause – rette Leben!», heisst es beispielsweise bei gipfelbuch.ch. Für jene, die trotzdem in die Berge wollen, empfiehlt die Site ein paar Vorsichtsmassnahmen: Man solle besonders vorsichtig sein, um Unfälle zu verhindern, nicht mit dem öffentlichen Verkehr anreisen, mit wenigen und den immer gleichen Personen unterwegs sein und bei der Begegnung mit anderen Tourengängern die Abstands- und Hygieneregeln einhalten.

Auf der beliebten Tourensite hikr.org, auf der Bergsteiger ihre Touren veröffentlichen können, wird man von einem roten Balken mit folgender Inschrift begrüsst: «Wegen Covid-19 keine Wanderungen – bleib bitte zu Hause!» Darunter aber prahlen gleich mehrere User mit ihren Ski- und Hochtouren, einer beispielsweise von der Besteigung des Urirotstocks. Der Mann berichtet, dass er vom Rotstock aus gleich sechs Personen auf dem Gipfel des benachbarten Brunnistocks gesehen habe. Andere User fühlen sich bemüssigt, vor der Beschreibung ihrer Touren darauf aufmerksam zu machen, dass sie die Empfehlungen des Bundes durchaus ernst nähmen. Aber sie fürchteten eben auch die Folgen der Isolation und der mangelnden Bewegung.

Notdurft zu Hause verrichten

Dass die Bergtouren auch ganz andere Folgen haben können als eine mögliche Beanspruchung von Spitalbetten, hat diese Woche eine Medienmitteilung des Kantons Appenzell Innerrhoden gezeigt. Eindringlich wurde in dem Schreiben darum gebeten, doch bitte von Ausflügen in den Alpstein abzusehen. Offenbar hatten «sehr viele Personen» Touren ins Säntisgebiet unternommen und den Pendlerinnen und Pendlern die Plätze im Zug streitig gemacht. Diese hätten vielfach stehen müssen und die wichtigen Abstandsregeln nicht einhalten können. Das Problem hatte sich auch deshalb verschärft, weil die Appenzeller Bahnen nach einem ausgedünnten Fahrplan unterwegs sind.

Die Appenzeller Regierung machte in ihrer Mitteilung darauf aufmerksam, dass im Alpsteingebiet sämtliche Bahnen und Restaurants geschlossen sind und damit auch keine Toiletten mehr zur Verfügung stehen. Sie bittet deshalb alle Wanderer, sie sollten Spaziergänge in der unmittelbaren Umgebung des eigenen Wohnorts machen und auf die Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel verzichten. Und all jenen, die es dennoch nicht lassen können, teilt sie noch mit: «Verrichten Sie ihre Notdurft nicht im Freien, sondern vor dem Abmarsch zu Hause.»

Am 16. März hat der Bundesrat entschieden, den touristischen Verkehr in der Schweiz einzustellen. Nun gibt es allerdings Bahnen, die zwar stark von Touristen genutzt werden, gleichzeitig aber eine Erschliessungsaufgabe für dauerhafte Siedlungen auf einem Berg haben. Das bekannteste Beispiel dürfte die Rigibahn sein; sie dient zwar den zahlreichen Touristen und Tagesausflüglern, erschliesst aber gleichzeitig das Dorf Rigi Kaltbad. Die Geschäftsleitung hat sich dafür entschieden, einen reduzierten Betrieb von Vitznau und Goldau aus aufrechtzuerhalten.

Shopping-Service der Rigibahn

Im Gegensatz zum Alpstein ist das Besucheraufkommen bei der Rigibahn noch überschaubar. Es gebe zwar noch immer Wanderer in der Bahn, teilt das Unternehmen auf Anfrage mit, deren Zahl habe sich aber während der letzten Woche stark verringert. Man hat auch Vorkehrungen getroffen, damit die Abstandsregeln eingehalten werden können. So werden nur noch Wagen mit verschliessbaren Führerständen eingesetzt, und auf Kontrollen im Zug wird verzichtet. Zugbegleiter und Lokomotivführer hätten allerdings beobachtet, dass die Gäste untereinander die Abstandsregeln ungenügend befolgten.

Die Rigibahnen haben übrigens unter dem Motto «Solidarität stärken» eine sympathische Aktion ins Leben gerufen: Für ständige Bewohnerinnen und Bewohner in Kaltbad, die über 65 Jahre alt sind, wurde ein Shopping-Service ins Leben gerufen: Lehrlinge der Bahn kaufen im Volg in Vitznau ein und bringen die Waren den älteren Einwohnern vor die Haustür.

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