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Leverkusens Kai Havertz Drei Spieler in einem

Der Hype um Bundesligaprofi Kai Havertz ist groß. Die Stärke des Leverkuseners ist, dass er keine Schwächen hat. Über einen Spieler, wie es ihn selten gibt.
Von Tobias Escher
Leverkusens Kai Havertz: Konterstürmer und Zielspieler, Dribbler und Passgeber

Leverkusens Kai Havertz: Konterstürmer und Zielspieler, Dribbler und Passgeber

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Poolfoto/ imago images/Poolfoto

Der britische "Independent" veröffentlichte vergangene Woche einen Artikel  über Kai Havertz. Der Titel lautete: "Warum das Ausnahmetalent von Europas Topklubs gejagt wird, obwohl es 90 Millionen Pfund kostet". Der Text ist eine Eloge. Verschiedene Scouts schwärmen von seinen Fähigkeiten und kommen alle zum gleichen Schluss: Havertz, 20, Offensivspieler von Bayer Leverkusen, gehört zu den aufregendsten Jungprofis des Fußballs.

In 143 Pflichtspielen wurde Havertz in seiner eigentlich noch so jungen Leverkusener Karriere bereits eingesetzt. Er war dabei an 73 Treffern direkt beteiligt. In der laufenden Saison ist seine Quote noch besser: 23 Torbeteiligungen in 38 Einsätzen sind für einen bald 21-Jährigen herausragende Werte. Der Hype um Havertz unter Scouts und Experten geht aber über solche Zahlen hinaus.

Wer den Fußballer Kai Havertz entschlüsseln möchte, braucht diese drei Szenen. Keine ist für sich genommen spektakulär - und doch zeigen sie in der Summe, was für ein besonderer Spieler er ist.

  • Szene Nummer eins: Leverkusen gegen Frankfurt, Anfang März. Es ist ein Konter aus dem Bilderbuch: Bayers Moussa Diaby führt den Ball auf der linken Seite. Aus dem Rückraum startet Havertz. An der Mittellinie hat er noch rund fünf Meter Rückstand auf den gegnerischen Verteidiger, doch er erkennt den freien Raum vor sich, kombiniert Tempo und Timing. Im Strafraum angekommen hat er einen halben Meter Vorsprung - und schiebt den Ball ins Tor.

  • Szene Nummer zwei: Leverkusen in Bremen, Mitte Mai. Havertz befindet sich im gegnerischen Strafraum, während Diaby auf dem rechten Flügel zur Flanke ansetzt. Mit zwei kurzen Schritten setzt sich Havertz im Rücken seines Gegenspielers ab, springt hoch und köpft den Ball ins Tor.

  • Szene Nummer drei: Ein Konter im Spiel gegen den FC Augsburg im Februar. Havertz fordert am Mittelkreis den Ball. Mit rechts nimmt er ihn an, mit links und dank einer Körpertäuschung geht er an einem Gegenspieler vorbei, lockt zwei weitere an. Ehe sie Havertz stören können, spielt er mit rechts einen Pass durch den Augsburger Abwehrblock. Der Druck, den er dem Pass verleiht, lässt den Ball erst scharf rollen, dann wird er langsamer und landet exakt im Laufweg von Diaby, der frei vor dem gegnerischen Tor abschließt und trifft.

Konterstürmer, Zielspieler für hohe Bälle, Dribbler und Passgeber: Normalerweise braucht es drei Spieler, um diese Stärken in eine Mannschaft zu bringen. Havertz bündelt sie in einem Spieler. Er ist beinahe beidfüßig, robust, spielintelligent.

Der Spieler, der alles kann

Havertz' Besonderheit ist, dass er keine hat. Selbst auf dem höchsten Niveau haben Fußballer in der Regel diese eine Stärke, die sie aus der Masse heraushebt. Nicht so Kai Havertz. Er hat keine Spezialität, ist aber in so gut wie jeder Disziplin besser als 90 Prozent aller Bundesligaspieler. Egal, was auf dem Platz verlangt wird: Havertz kann es.

Leverkusens Trainer Peter Bosz weiß, das besondere Profil seines Jungstars zu nutzen. Der Niederländer setzt ihn flexibel ein: Havertz lief in der Rückrunde bereits als Achter, als Zehner, als Rechtsaußen und sogar als Mittelstürmer auf. Seit dem Bundesliga-Neustart überzeugt Havertz vor allem in der Rolle des zentralen Stürmers. Mal lässt er sich ins Mittelfeld fallen, mal sprintet er hinter die gegnerische Abwehrkette. Nur selten weiß der Gegner, was Havertz als Nächstes tut. Beeindruckend ist auch seine physische Präsenz: Als zentraler Stürmer holt Havertz flache Zuspiele aus der Abwehr und legt sie für das Mittelfeld ab.

So ausgereift Havertz' Spiel bereits wirkt, so viel Verantwortung wird ihm auch schon übertragen. Wie selbstverständlich schießt Havertz die Leverkusener Elfmeter. Wenn Lars Bender und Julian Baumgartlinger fehlen, trägt er die Kapitänsbinde.

Doch nie missbraucht er seine besondere Rolle, um sich zum Mittelpunkt der Mannschaft zu erheben. Nie fordert er Bälle, mit denen er nichts anzufangen weiß, wie es Talente oft tun. Auch wenn er den Ball gar nicht erhalten kann, ist sich Havertz nicht zu schade, zum Sprint hinter die Abwehr anzusetzen, nur um einen Kollegen von dessen Gegenspieler zu befreien.

Seine Mitspieler wissen, seine Stärken zu nutzen

Derzeit profitiert Havertz von einer Leverkusener Mannschaft in guter Form. Er verfüge über "Mitspieler, die die Fähigkeit haben, ihm den Ball im richtigen Moment zu geben", sagt Trainer Bosz. In der Hinrunde war das bisweilen noch anders, als Havertz wie viele seiner Teamkollegen in einem Formtief steckte.

Besonders ist das Zusammenspiel mit Moussa Diaby. Alle drei eingangs aufgeführten Szenen hatten die Gemeinsamkeit, dass der Außenstürmer an den Treffern von Havertz beteiligt war. Der dribbelstarke Franzose, selbst erst 20, harmoniert besonders gut mit Havertz. Er zieht Gegenspieler auf sich, startet ebenfalls in die Tiefe und weiß exakt, wann er Havertz zu bedienen hat. Seit Diaby in der Rückrunde zum Stammspieler geworden ist, hat Havertz zurück zur Topform gefunden. Diaby legte vier Treffer für Havertz auf.

Havertz im DFB-Trikot, Bundestrainer Joachim Löw: "Der Spieler der Zukunft"

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Alexander Hassenstein/ Bongarts/Getty Images

Dass Kai Havertz eigentlich drei Spieler in einem ist, macht ihn so besonders - und gefragt. Sein Vertrag in Leverkusen läuft noch bis 2022. Doch ein Wechsel nach dieser Saison ist durchaus denkbar. Großklubs wie Liverpool, Manchester City, Real Madrid und auch der FC Bayern sollen an Havertz interessiert sein. Ein Spieler, der trotz seiner Jugend schon derart viele Qualitäten vereint, ist selten.

Trotzdem fand Bundestrainer Joachim Löw bisher kaum Platz für Havertz in der Startelf (sieben Länderspiele). Im zentralen Mittelfeld der Nationalmannschaften waren die zwei beziehungsweise drei Positionen zumeist besetzt von Toni Kroos, Joshua Kimmich, Ilkay Gündogan oder Leon Goretzka. Nun aber hat Löw vorgeführt bekommen, dass er Havertz auch anderweitig einsetzen kann. Etwa im Sturmzentrum. Für Löw ist Havertz "der Spieler der Zukunft", das sagte er im September. Die Frage ist wohl nur noch: auf welcher Position?