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Gorilla-Vorfahr Zehn Millionen Jahre alte Menschenaffen-Zähne gefunden

Neun kleine Zähne aus der Weite des äthiopischen Buschlands sorgen für Aufsehen bei Vormenschen-Forschern: Sollten sie wirklich von einem frühen Gorilla stammen, müsste die Trennung von Menschenaffen und Menschen wohl rückdatiert werden.

Es wären die ältesten Fossilien eines Gorillas, die jemals gefunden wurden. Zehn Millionen Jahre alt sind jene Zähne, die äthiopische und japanische Wissenschaftler am Südrand der Afar-Senke gefunden haben. Unweit des Flusses Awash und rund 170 Kilometer östlich von Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba stieß das Team um Gen Suwa vom University of Tokyo Museum im Buschland auf neun uralte Beißer.

"Wenn das zu keinen Gorilla-Vorfahren gehörte, dann wenigstens zu etwas, das einem frühen Gorilla sehr ähnlich sah", sagte Suwa. Durch den Vergleich der Fundstücke und spezieller 3D-Scans mit heutigen Gorillazähnen kamen die Forscher zu diesem Schluss. An den Beißern - acht Backenzähne und ein Eckzahn - könne man schon Spuren der Anpassung an pflanzliche Nahrung erkennen, schreiben sie in der Wissenschaftszeitschrift "Nature" (Bd. 448, S. 921). Heute lebende Gorillas gelten als die Menschenaffen, die am seltensten Fleisch fressen.

Suwa und seine Kollegen ordnen die neun Zähne, die mindestens drei unterschiedlichen Individuen gehört haben sollen, nicht nur einer neuen Art, sondern auch gleich einer neuen Gattung zu: Chororaphithecus abyssinicus schlagen sie als Namen vor - in Anlehnung an den Fundort Chorora und an den früher für Äthiopien verwendeten Begriff Abessinien. Muss man sich also nun einen weiteren sperrigen lateinischen Begriff merken?

Menschenaffe ja, aber schon ein Gorilla-Vorfahr?

Andere Fachleute sind skeptisch. "Ich bin nicht davon überzeugt, dass es sich um einen Gorilla handelt", sagte der Paläoanthropologe Jay Kelley von der University of Illinois in Chicago dem Online-Nachrichtendienst von "Nature". Mehr Fossilien und weitere Analysen seien nötig, bevor man das sagen könne. Kelley, der nicht an der Veröffentlichung beteiligt war, warnte davor, aufgrund dieser Fundstücke die Trennung von Menschen und Gorillas neu zu bewerten. Denn genau darum geht es: Bei jedem neu entdeckten alten Menschenaffen streiten Forscher auch immer über die Geschichte des Menschen selbst.

In der Zeit vor Lucy, jenem vor mehr als 30 Jahren in Äthiopien entdeckten Skelett, herrscht Unordnung im Stammbaum der Vormenschen und Menschenaffen. Lucy, das wohl berühmteste Primaten-Fossil der Welt, war ein weiblicher Australopheticus afarensis, der vor über drei Millionen Jahren im Nordosten Afrikas lebte. 1974 waren die Knochen im äthiopischen Hadar ausgegraben worden. Im Dezember 2000 fand der in Leipzig forschende Paläoanthropologe Zeresenay Alemseged gar ein 3,3 Millionen Jahre altes Skelett eines Kindes derselben Art. Es war das am besten erhaltene, das je zu Tage gefördert wurde, und wurde nach seinem Fundort Dikika-Kind genannt.

Doch wie verliefen die Stränge der Evolution hin zu den Australopithecinen, von denen aus die Entwicklung zum modernen Menschen ihren Lauf nahm? Die fossile Befundlage ist höchst lückenhaft und birgt Überraschungen. Erst Anfang August rüttelten Forscher - ebenfalls mit einer "Nature"-Veröffentlichung - wieder am menschlichen Stammbaum: In Kenia sollen die Frühmenschen Homo erectus und Homo habilis wenigstens 500.000 Jahre lang parallel gelebt haben, und das in unmittelbarer Nachbarschaft. Immerhin weiß man bei ihnen, wie die Humanevolution weiter verlief. Denn Habilis ist ein direkter Vorfahr aller heute lebenden Menschen.

Bei Vormenschen und Menschenaffen hingegen kann von einem Stammbaum noch nicht die Rede sein. Bis heute rätseln Wissenschaftler, wie und wann genau sich die Linien getrennt haben. Das ist auch deswegen so schwer zu beantworten, weil alle Vorfahren und fast alle Verwandten des Homo sapiens mittlerweile ausgestorben sind. Unter den verbliebenen teilt er mit Schimpansen und Gorillas noch die meisten Gene - es sind also die nächsten lebenden Verwandten des Menschen.

Neue Art stärkt These von Afrika als gemeinsamen Ursprung

Wann und wo sich die Entwicklungslinien der drei Arten getrennt haben, ist daher eine der am heftigsten diskutierten Fragen der Paläoanthropologie. "Aus dem Pool der Fundstücke zweigte irgendwann der gemeinsame Vorfahr der afrikanischen Affen und der Menschen ab", sagt Tim White von der University of California in Berkeley. Er ist der Direktor der Revealing Human Origins Initiative (RHOI), die gezielt an mehrere Stellen in Asien und Afrika nach Fossilien von Vormenschen sucht, die noch älter als der bisher älteste Fund - der sieben Millionen Jahre alte Sahelanthropus tchadensis - sind.

Die RHOI hat auch Suwas Team unterstützt. "Mit C. abyssinicus haben wir jetzt einen Ahnen der afrikanischen Menschenaffen", meint White. Sollte dies von anderen Wissenschaftler bestätigt werden, dann könnte C. abyssinicus einen langen Streit klären helfen - wegen seines hohen Alters: "Afrika war der Ursprungsort sowohl des Menschen als auch der modernen afrikanischen Menschenaffen", sagte Suwa. Einige andere Forscher vermuteten diesen hingegen eher in Asien.

Der Fund in der Afar-Senke hätte, sofern er bestätigt werden sollte, noch eine zweite Konsequenz für unser Bild von der Menschwerdung: Wenn die Trennung von der Entwicklungslinie des Gorillas statt vor acht schon vor mehr als zehn Millionen Jahren stattgefunden haben sollte, wurde bislang vielleicht auch die Trennung von den Vorfahren der heutigen Schimpansen zu spät angesetzt.

stx