Atmen üben mit Alfonso

Gefühle wie Angst, Wut und Eifersucht können Kinder belasten und blockieren. Die St.Gallerin Ruth Monstein erzählt am Beispiel des Mädchens Binja, wie wenig es braucht für einen guten Umgang mit starken Emotionen.

Bettina Kugler
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Autorin Ruth Monstein: «Binja» steht für ein gutes Gefühl – «ich bin ja da». (Bild: Urs Bucher)

Autorin Ruth Monstein: «Binja» steht für ein gutes Gefühl – «ich bin ja da». (Bild: Urs Bucher)

Sieben mal acht. Eine einfache Rechnung – doch bei vielen Kindern braucht es Zeit und Geduld, bis sie im Kopf ist. Weil die Zahlenpäckchen auf dem Aufgabenblatt nicht enden wollen. Weil das Spielen mit der Freundin gerade viel schöner wäre. Weil mit jedem Fehler die Angst wächst und das Selbstvertrauen schrumpft. Kein Zweifel: Wie Binja, das Mädchen in Latzhosen und Ringelpulli, das da am Tisch sitzt, den Wolken nachträumend, den Blick vom Blatt abgewandt, hat sich fast jedes Schulkind schon gefühlt. Es braucht nicht viel Fantasie, um nachzuempfinden, was in ihr vorgeht: Das schaffe ich nie!

Gefühle beeinflussen und prägen das Denken

Die St. Gallerin Ruth Monstein hat als Primarlehrerin Erfahrung mit solchen lähmenden Gefühlen, mit Wut und Trauer, Eifersucht, Mutlosigkeit und Angst. Sie machen Herzklopfen oder Bauchschmerzen, lassen den Atem stocken, verursachen einen Kloss im Hals. Oft hat sie erlebt, wie das Wohlbefinden und das Selbstbild des Kindes darunter leiden und wie das Lernen dann schwierig, wenn nicht unmöglich wird. «Kinder werden von ihren Emotionen überwältigt und wissen nicht, wie sie damit umgehen können», sagt die 58-Jährige.

Zu beschreiben oder zu benennen, wie sie sich fühlen, fällt den meisten Kindern schwer. Dabei sind Emotionen physisch messbar und beeinflussen langfristig die persönliche Entwicklung. So reifte in Ruth Monstein die Idee, eine Geschichte zu schreiben, die anders ist als die Fülle von Bilderbüchern über Angst vor dem Zubettgehen, über die Wut beim Streiten, die Trauer über ein verstorbenes Haustier. Sie sollte nicht in einer Fantasiewelt spielen, sondern real sein, eher für Kinder im Primarschulalter als für kleinere. Vor allem sollte sie zeigen, dass Kinder lernen können, wie sie gut mit lähmenden Gefühlen umgehen. Ohne Therapie und Coaching.

Im Buch, illustriert und gestaltet von Joël Roth, gibt es als Freund und Helfer den Strassenwischer Alfonso. Ihn trifft Binja täglich auf dem Heimweg von der Schule – und weil er es nicht eilig hat mit dem Saubermachen, sieht er schon von weitem, wenn seine kleine Freundin den Kopf hängen lässt oder schlechte Laune hat. Oft hilft ein Schwatz. Aber noch etwas viel Simpleres: der Atem. Still werden, die Hand auf den Bauch legen, ruhig ein- und ausatmen. Ein erster Schritt, um auf andere Gedanken zu kommen. Alfonsos Glücksgeheimnis.

Glücklich sein ist nicht Glückssache

«Ein bisschen Übung braucht es schon», räumt Ruth Monstein ein. «Doch ansonsten nichts. Die Kinder lernen es schnell, es lässt sich wie ein Muskel trainieren, wie eine Sprache lernen. Überall.» In anderen Ländern, in Irland, den Vereinigten Staaten oder einigen deutschen Bundesländern sind solche Techniken Teil des Schulalltags, haben einen Platz im Stundenplan – etwa im Schulfach «Glück». Dabei sind Lehrerinnen und Lehrer schon mit der Fülle an Stoff und der Vermittlung von Kompetenzen genug gefordert, das ist ihr bewusst. «Alle anderen Fächer profitieren aber, wenn Kinder ihre Gefühle regulieren können.»

Wie wichtig es nicht nur beim Lernen ist, die Wahrnehmung der Kinder für ihre Gefühle und den Körper zu schulen, merkte Ruth Monstein im Unterricht, wenn Kinder sich «konzentrieren» wollten. «Die meisten spannen sich dann an, sie sitzen plötzlich verkrampft da und atmen nicht mehr richtig», sagt sie. Das Gegenteil von Wohlgefühl und einem wachen Geist.

Hygiene und Wellness für den Geist

Früh hat sich Ruth Monstein für Heilpädagogik interessiert, sich weitergebildet in ganzheitlichen Lerntechniken und Traumapädagogik. Auf Reisen nach Indien und während Studienaufenthalten in den USA lernte sie verschiedene Kulturen des Meditierens und Innehaltens kennen. «Achtsamkeit tut unserer Welt gut», davon ist sie überzeugt. Ihr Buch will eine Haltung vermitteln, unabhängig von religiösen Überzeugungen. «Man kann es vergleichen mit der Entdeckung von Wellness oder Fitness. Achtsamkeitsübungen trainieren den Geist, das Bewusstsein.»

Aus «Binja» ist über das Buch hinaus ein Lernprogramm geworden, mit Material für die Schule und Liedern von Denise Lier. Weil Singen ebenfalls beim guten Atmen hilft und munter macht.

Buchvernissage am 15.9., 17 Uhr, Raum für Literatur, Hauptpost St. Gallen.