Der Teebeutel ist hundertjährig

Im noblen Dorchester-Hotel in London wird der Afternoon Tea zwischen Marmor, vergoldeten Säulen und Palmen gereicht. Dazu gibt es jeden Nachmittag feinstes Gebäck vom Silbertablett: Tee ist wieder «in» im Vereinigten Königreich.

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Im noblen Dorchester-Hotel in London wird der Afternoon Tea zwischen Marmor, vergoldeten Säulen und Palmen gereicht. Dazu gibt es jeden Nachmittag feinstes Gebäck vom Silbertablett: Tee ist wieder «in» im Vereinigten Königreich. Aber auch weniger betuchte Briten besinnen sich in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit auf eine alte Leidenschaft: die heissgeliebte «Cup of Tea».

Täglich drei Tassen

Zurzeit rangiert Grossbritannien beim jährlichen Konsum mit 2,5 Kilogramm Teeblättern pro Einwohner an zweiter Stelle hinter Irland (2,7 Kilogramm). China und Indien kommen nur auf ein halbes Kilo pro Person. Durchschnittlich drei Tassen Tee trinkt jeder Brite täglich, zusammen kommen die Briten auf 165 Millionen Tassen Tee am Tag oder 60,2 Milliarden Tassen im Jahr. 1970 trank jeder Brite durchschnittlich noch vier Tassen des goldenen Gebräus am Tag, die Markteinführung neuer Getränke führte dann zu einem leichten Rückgang.

Es war Katharina von Braganza, Infantin von Portugal und Gattin von König Karl II., die den Tee im 17. Jahrhundert nach England brachte und die Leidenschaft ihrer Untertanen für Darjeeling, Assam und Earl Grey entfachte. Da sie selbst gerne Tee trank, wurden die schmackhaften Blätter in grossen Mengen aus Indien eingeführt. Durch die industrielle Revolution explodierte der Teekonsum. Obwohl es inzwischen unzählige Kräutertees, aromatisierte und grüne Tees gibt, geniessen 90 Prozent der Briten den klassischen Schwarztee mit Milch.

Werbegag mit Folgen

Sein Überleben bis in die heutige Zeit verdankt der Briten liebstes Heissgetränk einer Werbeaktion vor hundert Jahren: 1908 wollte der englische Teehändler Thomas Sullivan in New York seinen Kundenkreis erweitern und verschickte dazu kleine Proben von Teeblättchen an potenzielle Kunden, eingenäht in Seidensäckchen. Die Empfänger, wenig vertraut mit der Zubereitung des exotischen Aufgusses, tauchten Teeblätter samt Tütchen ins heisse Wasser – und erfanden damit unfreiwillig den Teebeutel. Die Briten standen dem banalen Beuteltee zunächst reserviert gegenüber; sie wollten auf das Zeremoniell mit losem Tee nicht verzichten. Noch Anfang der 60er-Jahre machte der Beuteltee nur drei Prozent des Absatzes aus. Heute stecken 96 Prozent des nach Grossbritannien importierten Tees in Beuteln. (sda)