Lohn(un)gleichheit: Überzeichnet der Bund die Diskriminierung von Frauen?

7,4 Prozent beträgt der Lohnnachteil der Frauen in der Schweiz laut der massgebenden Statistik des Bundes. Das Problem ist: Das Modell hat gravierende Mängel. Die tatsächliche Berufserfahrung als wichtigster Grund für die Lohndifferenz bleibt unbeachtet.

Roger Braun
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Gegen 20'000 Menschen haben am Samstag in Bern für Lohngleichheit und gegen Diskriminierung demonstriert. (Bild: Peter Schneider/Keystone (Bern, 22. September 2018)

Gegen 20'000 Menschen haben am Samstag in Bern für Lohngleichheit und gegen Diskriminierung demonstriert. (Bild: Peter Schneider/Keystone (Bern, 22. September 2018)

7,4 Prozent. Diese Zahl wird im Mittelpunkt stehen, wenn morgen der Nationalrat darüber berät, ob Firmen ab 100 Angestellten zu Lohnanalysen verpflichtet werden sollen. 7,4 Prozent beträgt der unerklärte Lohnunterschied zwischen Mann und Frau in der Schweiz nach offiziellen Angaben des Bundes. Für die Linke ist damit der Beweis erbracht, dass Frauen auf dem Arbeitsmarkt nach wie vor diskriminiert werden. Aus diesem Grund demonstrierten gestern rund 20000 Frauen und Männer auf dem Bundesplatz in Bern.

Für ein Land, das seit 1981 in der Verfassung festhält, dass gleiche Arbeit gleich entlöhnt werden soll, ist eine diskriminierende Entlöhnung der Geschlechter in der Tat ein Unding. Allerdings gibt es ein Problem: Die behaup­tete Lohndiskriminierung steht auf äusserst wackligen Füssen.

HSG-Studie zeigt grosse Lücken auf

Das Gleichstellungsbüro des Bundes veröffentlicht alle zwei Jahre die Lohnunterschiede zwischen Mann und Frau. Im vergangenen Jahr kamen die Forscher zum Schluss, dass Frauen im Jahr 2014 im Durchschnitt 6397 Franken verdienten; bei den Männern waren es 7809 Franken. Das ergibt einen Unterschied von gut 18 Prozent. Für diese Differenz gibt es nachvollziehbare Gründe. Männer stehen in der beruflichen Hierarchie im Durchschnitt weiter oben oder arbeiten in besser bezahlten Branchen.

Um die Lohndiskriminierung zu messen, berücksichtigen die Sozialwissenschafter deshalb solche Einflussfaktoren auf den Lohn. Das Ziel ist es, eine Frau und ein Mann mit denselben Kompetenzen, Erfahrungen und Arbeitsumständen zu vergleichen. Unter Einbezug all dieser Erklärungsfaktoren ermittelten die Forscher einen «unerklärten Anteil» von 7,4 Prozent; den «durch objektive Faktoren nicht erklärbaren Anteil des Lohnunterschieds», wie ihn die Forscher nennen.

Allerdings: Erklärbar wäre ein weit höherer Anteil des Unterschieds – dann nämlich, wenn man die wichtigste Ursache miteinbeziehen würde: die tatsächliche Berufserfahrung. Im Auftrag des Parlaments hat die Universität St. Gallen HSG die Methoden zur Feststellung der Lohndiskriminierung einer kritischen Prüfung unterzogen. Das Resultat ist ­bemerkenswert. «Eine Vielzahl empirischer Studien dokumentiert die Bedeutung der Erwerbserfahrung für die Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen», heisst es in der 144-seitigen Studie.

«Unterschiede in der effektiven Erwerbserfahrung erklären bis zur Hälfte der Lohngleichheit zwischen Frauen und Männern.» Trotzdem begnügt sich die Studie des Bundes damit, die «potenzielle Berufserfahrung» zu berücksichtigen. Dies klingt zwar imposant, ist es aber nicht. Es ist schlicht das Alter abzüglich der ersten 15 Lebensjahre. Karriereunterbrüche und reduzierte Pensen in der Vergangenheit fallen damit nicht ins Gewicht.

Karriereunterbrüche bleiben unberücksichtigt

Die Konsequenz daraus ist einschneidend: Entlöhnt eine Firma einen 40-jährigen Informatiker, der seit 15 Jahren im Arbeitsleben steht, anders als eine 40-jährige Informatikerin, die zwischen 30 und 37 in der Babypause war, macht sich die Firma der Diskriminierung schuldig. Die Studie beurteilt den Verzicht auf die tatsächliche Berufserfahrung im Modell als «suboptimalen Lösungsansatz». Denn: «Frauen haben durchschnittlich mehr und längere Karriereunterbrechungen und arbeiten ein geringeres Pensum.»

Die Studie folgert: «Die potenzielle Erwerbserfahrung überschätzt somit die effektive Erwerbserfahrung vor allem bei Frauen.» Auf gut Deutsch: Die unerklärte Lohndifferenz, welche die Linke gerne mit Diskriminierung gleichsetzt, wird zu hoch gemessen, weil die lohnrelevante Berufserfahrung nicht miteinbezogen wird.

FDP-Ständerat Ruedi Noser hegt schon länger Zweifel an den Modellrechnungen des Bundes und hat im Parlament die Überprüfung der Methodik ­angestossen. Er sagt: «Die HSG-Studie zeigt klar, dass die 7,4 Prozent hinten und vorne nicht stimmen können.» Für den Zürcher Unternehmer ist klar: «Die Statistik des Bundes hat so viele Mängel, dass sie nicht als Grundlage taugt, um den Firmen bürokratische Lohnanalysen aufzuzwingen.» Noser spricht von Denkverboten, von einer panischen Angst, sich gegen die Frauen zu stellen. «Die Debatte verläuft schon länger weitgehend faktenfrei, es geht nur noch um Ideologie», beklagt er.

Auch SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi ärgert sich über die lückenhafte Modellrechnung des Bundes. Mit Verweis auf das Beispiel der IT-Firma sagt er: «Es ist doch völlig logisch, dass ein Informatiker ohne Karriereunterbrüche mehr verdient als jemand, der mehrere Jahre ausgesetzt oder nur kleine Pensen gearbeitet hat – doch mit der Lohnanalyse wäre das nicht mehr möglich.»

Vorgeschriebenes Modell zur Lohnanalyse ist auch lückenhaft

Aeschi findet das Gesetz «absurd». «Es basiert auf einer fehlerhaften Analyse, führt zu einem fehlerhaften Schluss und verpflichtet die Firmen, ihre Löhne mit einem fehlerhaften Modell zu analysieren», sagt er. «Dass damit automatisch ein Handlungsbedarf bei den angeblich diskriminierenden Löhnen entsteht, ist unter diesen Voraussetzungen nicht verwunderlich.»

CVP-Nationalrätin Andrea Gmür räumt ein, dass sie nichts einzuwenden hätte, wenn auch die tatsächliche Berufserfahrung im Modell berücksichtigt werden könnte. Sie macht aber auch darauf aufmerksam, dass die Erhebung individueller Karriereunterbrüche ziemlich schwierig wäre. Unabhängig des genauen Ausmasses der Diskriminierung sieht sie Handlungsbedarf. «Seit Jahren sprechen wir von gleichem Lohn für gleiche Arbeit, wir haben einen verfassungsmässigen Auftrag, und doch ist nichts passiert», sagt sie.

Für die Luzerner Nationalrätin sind die Auflagen für die Firmen «sanft, massvoll und pragmatisch». 91 Prozent der Firmen seien von den Vorschriften nicht betroffen, das Gesetz sei auf zwölf Jahre befristet und bei Firmen, die geschlechtergerechte Löhne bezahlten, bleibe es bei einer einzigen Lohnanalyse. «Es geht auch darum, dass die Firmen genauer hinschauen», sagt sie. Dies trage auch zur Sensibilisierung für das Thema bei.