Kommentar zum Krieg gegen Aleppo: Oh doch, es gibt gute und böse Bomben!

Von: Von JULIAN REICHELT

Der derzeit beliebteste und erfolgreichste Satz der staatlich russischen Propaganda lautet: „Es gibt nicht gute und böse Bomben.“

Gemeint ist damit, dass die Bomben der US-geführten Koalition auf die ISIS-Hochburg Mossul kein bisschen besser sind als die russischen Bomben, die seit Monaten auf Aleppo regnen.

►Verbreitet wird der Satz nicht nur von den Propaganda-Organen Sputnik und Russia Today, sondern auch von Journalisten, die in Deutschland in unterschiedlichen Kreisen hohes Ansehen genießen: Publizist Jürgen Todenhöfer, Verlegererbe Jakob Augstein, „Handelsblatt“-Chef Gabor Steingart.

Das ändert allerdings nichts daran, dass dieser Satz dumm, falsch, zynisch und gefährlich ist.

In Deutschland verfängt dieser Satz besonders gut, weil er alle Kriege, die schlimmsten und die ehrenwertesten, gleichsetzt und scheinbar moralische Entlastung schafft für jene, die den schlimmsten Krieg der Weltgeschichte angezettelt haben. In Deutschland gibt es viele, die den Luftangriff auf Dresden gern gleichsetzen mit deutschen Kriegsverbrechen. Genau auf diese Klientel zielt dieser Satz ab. Man kann ihm – wie allen übel-brillanten Propaganda-Machwerken – nicht klar und entschieden genug entgegentreten.

Deswegen hier die Fakten, die manche Menschen in ihrem Weltbild stören werden, aber deswegen umso wichtiger sind.

► Wie jede gute Propaganda beruht auch dieser Satz auf einer einfachen Wahrheit. Natürlich haben Bomben kein Gewissen und keinen Willen. Insofern sind sie alle gleich.

Es gibt auch keine guten oder bösen Schraubenzieher. Bomben sind Werkzeuge, und zwar Werkzeuge des Krieges.

► Als Symbol für Machtausübung gibt es selbstverständlich gute und böse Bomben, und es gab sie auch schon immer. Bomben sind deutlich besser in den Händen jener aufgehoben, die sich Wahlen stellen, Gesetze achten und von einer freien Presse kontrolliert werden (zum Beispiel Obama), als in den Händen von Despoten, die auf Kritik mit Gewalt und Unterdrückung reagieren und niemandem Rechenschaft schuldig sind (zum Beispiel Putin).

Amerikanische Nuklearwaffen waren immer schon besser als russische (oder pakistanische oder chinesische), weil sie von Politikern kontrolliert werden und wurden, die deutlich mehr Achtung für menschliches Leben und den Willen ihrer Wähler haben.

Diese Erkenntnis ist so klar und offenkundig, dass sie in Deutschland sogar zu einem Sprichwort wurde: „Lieber eine Pershing im Garten als eine SS-20 aufs Dach.“

► Auch was den militärischen Nutzen angeht, kann man bei Bomben durchaus zwischen gut und böse unterscheiden: Es gibt Streu- und Brandmunition, die ausschließlich zur Terrorisierung der Menschen am Boden eingesetzt wird (zum Beispiel gegen Wohnviertel) und es gibt lasergesteuerte Bomben, die so präzise wie irgendwie möglich gegen militärische‎ Ziele verwendet werden (zum Beispiel ISIS-Bunker).

Ersteres macht Russland, Letzteres machen die USA. Wer darin keinen moralischen Unterschied erkennen kann, hält auch die Besetzung von Paris durch deutsche Panzer und die Befreiung von Paris durch amerikanische Panzer für moralisch gleichwertig.

► Als politisches und ethisches Konzept gibt es die gerechte Bombe natürlich genauso, wie es den gerechten Krieg gibt. Gerechte Bomben beendeten zwei Kriege in Jugoslawien und verhinderten ethnische Säuberungen, ein Konzept so zwingend, dass die Pazifisten der Grünen den Bombereinsatz im deutschen Parlament genehmigten.

Gerechte Bomben fielen auf Saddam Husseins Truppen in Kuwait. Gerechte Bomben trafen deutsche Stellungen in der Normandie. Gerechte Bomben beendeten die Nazizeit und schufen Raum für eben jene Pressefreiheit, unter deren Schutz heute Männer wie Augstein, Todenhöfer und Steingart ihren zynischen Unfug verbreiten dürfen. Und wir alle wünschen uns heute, gerechte Bomben wären auf die Gleise gefallen, die nach Auschwitz führten.

► Die Moral im Krieg liegt nicht zuallererst in der Wahl der Waffen. Nicht einmal in den Konsequenzen, die ihr Einsatz hat. Sondern zu allererst in den Motiven der Menschen, die den Einsatz der Waffen befehlen. Putins Motiv in Aleppo ist unzweifelhaft und unbestreitbar:

Er will eine Stadt mit 300 000 Menschen dem Erdboden gleichmachen, um seine persönliche Macht und die seines Regimes zu mehren. Er ist sogar bereit, technische Überlegenheit, die man zur Wahrung von Menschenleben nutzen kann (lasergeleitete Bomben), in ihr perverses, obszönes Gegenteil zu verkehren und sie gezielt gegen zivile Infrastruktur einzusetzen, zum Beispiel durch bunkerbrechende Präzisionsangriffe auf unterirdische Krankenhäuser. Mehrere Staaten – Deutschland leider nicht – bezeichnen Russlands Taten inzwischen offen als Barbarei und Kriegsverbrechen.

Putin betreibt einen Vernichtungskrieg. Er befiehlt Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Er gehört vor Gericht.

Das Motiv der Koalition gegen ISIS hingegen ist es, die Millionenstadt vom Terrorregime ISIS zu befreien. Eine Mission, der Russland sich übrigens auch verpflichtet hat, ihr aber nicht nachkommt, weil Putins Luftwaffe zu beschäftigt damit ist, Schulen und Wohnhäuser zu pulverisieren.

„Es gibt nicht gute und böse Bomben“ – das Perfide an diesem Satz ist, dass er zunächst so weise, so friedlich, so sanftmütig, so klug klingt. Er ist es nicht. Er ist radikal.

Wer ihn nachplappert, macht sich gemein mit Radikalen. Wer ihn ausspricht, behauptet, dass die moralische Verantwortung bei den Werkzeugen liegt, nicht bei den Menschen. Es ist ein Satz, der uns von der moralischen Verpflichtung befreit, dem Bösen entgegenzutreten, indem wir uns selbst für auch nicht wirklich gut erklären.

Es ist ein dummer Satz für Feiglinge.

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