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Margarete Stokowski

Gleichstellung von Männern Mittelalter! Weißer! Mann!

Auf sein Alter, sein Geschlecht oder seine Hautfarbe reduziert zu werden, ist unangenehm. Das merkt seit einiger Zeit auch der alte weiße heterosexuelle Mann. Vielleicht lernt er daraus.
Vorstand der Volkswagen AG

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Foto: Sebastian Gollnow/ dpa

Es gibt ein Problem, aber wenn wir uns ein bisschen Mühe geben, ist das Problem zugleich die Lösung. Irgendwann im Verlauf der letzten Jahre ist die Bezeichnung "weißer mittelalter heterosexueller Mann" zu etwas geworden, das für einige wie etwas Abwertendes klingt. Vor allem - komischerweise - für Mitglieder ebendieser Gruppe. (Statt "mittelalt" geht auch "alt", die Grenzen sind fließend wie Klosterfrau Melissengeist.)

Das ist auffällig, weil eigentlich keiner der vier Bestandteile etwas Schlechtes beschreibt. Weiß sein ist nicht schlimm, man wird einfach so geboren. Mittelalt oder alt sein ist nicht schlimm, man ist dann halt "im besten Alter", erfahren, reif oder weise, mit Glück. Heterosexuell sein ist nicht schlimm, man hat damit die komplette katholische Kirche und alle Disney-Filme im Rücken. Und Mann sein ist auch nicht schlimm, Adonis, Jesus und die Beatles waren Männer.

Jetzt könnte man sagen: Also echt, was für ein billiges Argument. So einfach läuft es ja wohl nicht, denn die Kombination aus Weißsein, Mittelaltsein, Heterosexualität und Männlichkeit könnte theoretisch trotzdem schlimm sein. Ein Gürtel und eine Rose sind auch für sich genommen super, aber eine Gürtelrose ist unangenehm. Oder: Mehl, Luft und ein Feuerzeug sind total praktisch, aber eine Mehlstaubexplosion tut weh. Das stimmt. Schäbiges Argument.

Man könnte auch sagen: Ja, für manche ist weiß, mittelalt, heterosexuell, männlich zu sein nichts Schlimmes, aber für manche andere ist es der Todfeind! Kann sein. Ich bin nicht sicher. Ich glaube, in den allermeisten Fällen ist die Beschreibung "weißer mittelalter heterosexueller Mann" etwas Neutrales, so wie in der Soziologie von einer Kohorte die Rede ist oder von einem Milieu, und es heißt einfach: Leute, bei denen ein paar Basics ähnlich sind.

Nicht mehr unhinterfragbare erste und einzige Wahl

Nun stimmt es natürlich trotzdem, dass der weiße mittelalte heterosexuelle Mann manchmal ein Thema ist, und nicht immer ein gutes. Der weiße mittelalte heterosexuelle Mann gilt, wenn man allem Bösen glaubt, das über ihn gesagt wird, als rückständig und abgehängt, als Täter, Verlierer und Sündenbock, als Evolutionshemmnis und Auslaufmodell, als einer, der seine Privilegien nicht checkt und denkt, er könne dem Lauf der Welt entkommen, wenn er Faschisten wählt. Netzfeministinnen und -feministen wollen ihm an den Kragen, heißt es, und mit Glück nur an den. Aber das wär auch zu einfach, das zu glauben. Wenn man alles Böse glaubt, das über Gluten gesagt wird, stirbt man an einer Scheibe Brot.

Dabei ist das Negative, das gemeint ist, meinen bescheidenen Recherchen zufolge meistens nur das: Der weiße mittelalte heterosexuelle Mann gilt nicht mehr in allen Bereichen als unhinterfragbare erste und einzige Wahl. Manchmal sitzen in Talkshows Frauen neben ihm, die ihm nicht nur Fragen stellen. Er kriegt Jobs, die jemand anders gleich gut machen kann, heute seltener einfach nur deswegen, weil er er ist. Er wird höchstwahrscheinlich nicht die nächste Kanzlerin stellen, es hätte zumindest eine kleine - kleine! - Chance gegeben, dass er nicht US-Präsident wird und wenn es darum geht, wer Bundespräsident wird, dann gibt es auch eine Chance, dass... ach so, nee, da nicht.

Warum also fühlen sich manche beleidigt, sobald man sie als weiße mittelalte heterosexuelle Männer bezeichnet?

Ganz einfach: weil es nervt. Weil es selten Spaß macht, als etwas bezeichnet zu werden, das wie eine Minderheit klingt, außer man hat etwas Besonderes dafür getan, wie Marathon laufen, promovieren oder es bis Pokémon-Go-Level 40 zu schaffen (oder man hat einfach ausreichend Stolz in sich, ohne was geleistet zu haben, dann ist es vielleicht Patriotismus).

Verstehen, wie unwohl man sich in Schubladen fühlen kann

In der letzten paar Tausend Jahren mussten weiße mittelalte heterosexuelle Männer es sich nicht bieten lassen, in aller Öffentlichkeit "weiße mittelalte heterosexuelle Männer" genannt zu werden. Es ist ätzend, weil es nie, wirklich nie, der Individualität einer Person gerecht wird und weil darin oft der Vorwurf mitgehört wird, man sei jemand, dem im Leben alles hinterhergeschmissen wird, obwohl im Kapitalismus den allermeisten Leuten gar nichts hinterhergeschmissen wird, außer Payback-Punkte. Männer haben es längst nicht besser als Frauen. Sie werden häufiger Opfer von Gewalttaten wie Raub oder Körperverletzung als Frauen, sie bringen sich öfter um, und selbst wenn sie es nicht tun, so ist ihr Leben im Schnitt kürzer als das von Frauen.

Trotzdem ist "weißer mittelalter heterosexueller Mann" auch eine Beschreibung für jemanden, der zumindest nicht wegen dieser Merkmale sein Leben lang diskriminiert wird. Er wird bei Polizeikontrollen nicht wegen seiner Hautfarbe generell als Erster untersucht oder erschossen, und er muss wahrscheinlich keine Angst haben, auf der Straße die Person zu küssen, die er liebt. Natürlich kann er trotzdem wegen anderer Merkmale diskriminiert werden, zum Beispiel falls er keinen Daumen hat oder eine Religion oder sächsisch redet oder nicht lesen kann.

Der weiße mittelalte heterosexuelle Mann kann viele Gründe haben, angepisst zu sein, wenn man ihn so nennt, aber genau darin, in diesem Gefühl, ungerecht behandelt zu werden, liegt der Funke der Revolution: Wer nämlich einmal verstanden hat, wie unwohl man sich fühlen kann, so auf Gender, Alter und Sexualität festgelegt zu werden, kann sich überlegen, dass es für andere möglicherweise genauso unangenehm ist. Vielleicht weiß er das längst, das kann sehr gut sein. Wenn nicht, kann er anfangen, dieses Gefühl abzuschaffen, indem er darauf verzichtet, andere auf diese paar Schubladen zu reduzieren, bis sichtbar wird, was jedes Mal dahintersteht, und was wir alle sind: ein Mensch.