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Kaukasus-Konflikt EU-Ermittler entlarven Saakaschwilis Kriegslüge

"Es war Georgien, das den Krieg auslöste": Präsident Saakaschwili steht nach der Veröffentlichung des EU-Berichts zum Kaukasus-Krieg als Schwindler da. Doch Moskau wird Mitschuld an der Eskalation des Konfliktes gegeben - zum Unmut russischer Politiker.
Georgischer Präsident Saakaschwili: "Jeder weiß, was damals passierte"

Georgischer Präsident Saakaschwili: "Jeder weiß, was damals passierte"

Foto: A2800 epa KURTSIKIDZE/ dpa

Die Wahrheit über den Kaukasus-Krieg im August 2008 kommt etwas sperrig daher: Die EU-Untersuchungskommission, so heißt es in deren Abschlussbericht, "ist nicht in der Position, georgische Behauptungen über einen massiven russischen militärischen Einfall als ausreichend begründet anzusehen." Einfacher gesagt: Georgien war es, das den Krieg vom Zaun gebrochen hat.

Das ist das Fazit der europäischen Ermittler, die fast ein Jahr lang in Tiflis, Moskau und den Schauplätzen der Gefechte den Waffengang rekonstruiert haben. Ihre Ergebnisse füllen rund 1000 Seiten.

Noch vor wenigen Tagen hatte Georgiens Präsident Michail Saakaschwili im Interview mit dem US-Sender CNN beteuert, niemand nehme Meldungen über eine angebliche Kriegsschuld seines Landes ernst. Kurz zuvor hatte der SPIEGEL darüber berichtet, die unabhängige Kommission komme zu dem Schluss, Georgien trage die Verantwortung für die Auseinandersetzung. "Jeder der damals vor Ort war - und es waren viele ernsthafte Menschen dort - jeder weiß, was damals passierte", protzte hingegen Saakaschwili. Nach seiner offiziell verbreiteten Lesart war die nächtliche Attacke auf das abtrünnige Südossetien ein Präventivschlag, gerichtet gegen angeblich bereits vor Kriegsbeginn vorrückende russische Panzerkolonnen.

Diese Behauptung verweist der umfangreiche, detaillierte und äußerst kenntnisreich verfasste Tagliavini-Bericht in das Reich der Fabel. "Es war Georgien, das den Krieg auslöste", teilte die Schweizer Diplomatin und versierte Kaukasuskennerin selbst mit. Zwar vermeiden die diplomatisch gewählten Formulierungen das Wort Lüge, nach der Veröffentlichung des Berichts steht Saakaschwili dennoch als Schwindler da.

Empörte Reaktionen aus Georgien

Schon am ersten Kriegstag war der bullige georgische General Mamuka Kuraschwili in schmucker Uniform im Fernsehen aufgetreten und hatte sich damit gebrüstet, Georgien habe beschlossen, "in der gesamten Region die verfassungsmäßige Ordnung wieder herzustellen".

Umso empörter reagiert Tiflis nun auf die Resultate der sogenannten "Fact-Finding"-Kommission. Keineswegs habe Georgien "unverhältnismäßige Gewalt" angewendet, betont der georgische Integrationsminister Temur Jakobaschwili und bleibt dabei: "Wir sehen Russlands Handlungen als Aggression an, weil das Land mit seinen Truppen in der Region Zchinwali eingefallen ist."

Russische Politiker fühlen sich durch die Schlussfolgerungen des Berichts bestärkt: "Wenn die Kommission zu dem Schluss kommt, das Georgien den Krieg begonnen hat - so wie Russland es deutlich und zu jeder Zeit gesagt hat -, dann können wir diese Ergebnisse nur begrüßen", ließ Präsident Dmitrij Medwedew verlauten.

Russischer Unmut über die "Zweideutigkeit einzelner Formulierungen"

Und doch mischt sich in Moskau Bitternis in den Triumph. "Das Papier hat einen großen Mangel", klagt etwa Sergej Makarow, Duma-Abgeordneter der Kremlpartei "Einiges Russland" und Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. "Es geht nicht auf die Rolle der USA in dem Konflikt ein."

Unmut artikuliert auch das russische Außenministerium über die "Zweideutigkeit einzelner Formulierungen". Gemeint sind jene Passagen, in denen die Autoren der Kriegsanalyse Russland deutlich Mitschuld an der Eskalation des Konfliktes geben.

So sei die massenhafte Ausgabe von russischen Pässen an Abchasen und Südosseten eine Verletzung des Völkerrechts, zudem habe Moskau Südossetiens Truppen trainiert und aufgerüstet. Als völlig haltlos erwies sich auch eine Behauptung, mit der Russland den Feldzug vor der eigenen Bevölkerung rechtfertigte: Die Georgier hätten am südossetischen Volk einen geplanten Völkermord verübt. 2000 Tote habe die Offensive der Georgier in nur einer einzigen Nacht gefordert, behauptete die Kremlpropaganda. Später wurde die Zahl der gesamten ossetischen Verluste auf 162 reduziert. Deshalb schließen auch die europäischen Ermittler: "Die russische Militäraktion ging weit über die Grenzen vertretbarer Verteidigung hinaus."

Es sind Sätze wie dieser, über die sich Russlands Nato-Botschafter Dmitrij Rogosin erregt. "Dieser Bericht", sagt der russische Diplomat SPIEGEL ONLINE, "hat einen pseudo-ausgeglichenen Ansatz. Alle Akteure werden ein bisschen kritisiert, auch die Osseten, Russen und Georgiens westliche Gönner. Aber man sieht, wenn man so will, den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr."

Worauf es ankomme sei allein, dass die Kommission eindeutig festgestellt hat, dass Georgien das Töten begonnen habe. "Wenn aber die russische Militärreaktion als zu harsch kritisiert wird," poltert Rogosin, "dann ist das ja wohl Geschmackssache. Ich jedenfalls finde, sie war noch zu lasch."